Zahlen, die zu denken geben und zum handeln auffordern

  • Heute wird eine Erhebung der GFK über die Entwicklung der Veranstaltungsbranche als dpa- Meldung veröffentlicht. Daraus einige wichtige Zahlen und Trends.
    Die Veranstaltungsbranche in Deutschland musste 2012 Umsatzeinbußen und schwindende Besucherzahlen hinnehmen. Insgesamt verzeichneten Konzertveranstalter, Musical, Theater und Opernhäuser im Vergleich zum Rekordjahr 2011 einen Umsatzrückgang von 16% auf 3,3 Milliarden €. Der Ticketpreis ging im Durchschnitt von 32.30 auf 30.20 € zurück. Bedenklich ist der Besucherrückgang von 122 Millionen Tickets in 2011 auf nur noch 110 Millionen in 2012- ein Minus von 10%.
    Während Deutsche Schlager plus 25% und deutschsprachiger Rock/Pop plus 27% zu den Gewinnern zählten, mussten Opernhäuser Umsatzeinbußen von 33% und Klassische Konzerte von 32% hinnehmen
    .
    Insgesamt eine Entwicklung, die für die gesamte E-Musik sehr bedenklich ist und Anlass zu berechtigter Sorge bietet. Wenn dabei noch eine Altersstatistik der Besucher mit berücksichtigt würde, sähe die aktuelle Situation noch desaströser aus.
    Sicherlich spielt im Bereich der Oper der Richtungsstreit bei Inszenierungen eine Rolle. Ganz offensichtlich werden im modernen Regietheater die Bedürfnisse und Erwartungen großer Teile des Publikums nicht erfüllt.
    Ich warne jetzt allerdings vor vordergründiger Schadenfreude und zu großen Erwartungen der Regietheater-Gegner, dass diese Entwicklung die Erneuerung der Opernszene entscheidend beeinflussen und beschleunigen wird. Die Gefahr ist, dass die eingetretetene Situation ganz rasch zu Sparmaßnahmen und Kürzungen - bei den gemessen an den Gesamtetats - sowieso geringen Aufwendungen zur Kulturförderung und zum weiteren kulturellen Kahlschlag genutzt wird. "Die Axt ist bereits geschliffen und die Messer der Kulturkiller gewetzt."
    Alle Verantwortlichen und das Publikum sollten jetzt zusammenstehen, die Kräfte bündeln und gemeinsam gegen die Zerstörung kultureller Einrichtungen vorgehen.
    Der Ratschlag, der hier im Forum sicherlich wohlmeinend gegeben wird, umstrittene Inszenierungen zu boykottieren, ist kontraproduktiv, ja sogar vergiftet. Nicht Boykott, sondern Unterstützung ist gefragt, um den Niedergang zu stoppen und Kultur in Deutschland zu erhalten.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Insgesamt eine Entwicklung, die für die gesamte E-Musik sehr bedenklich ist und Anlass zu berechtigter Sorge bietet. Wenn dabei noch eine Altersstatistik der Besucher mit berücksichtigt würde, sähe die aktuelle Situation noch desaströser aus.


    Da gebe ich Dir in allem was Du schreibst Recht, lieber Operus. Wenn ich hier in Bielefeld in die Gesichter in der Oetker-Halle schaue, sind die meisten über 60... Es muß einfach mehr für die Jugend getan werden - Musikunterricht privat und in den Schulen. In China boomt die klassische Musik bezeichnend - die neue selbstbewußt gewordene Mittelschicht hat Geld. Anders bei uns - woher kommt das? Das ist natürlich auch ein soziales und ökonomisches Problem. Wenn die Schere von arm und reich auseinandergeht, dann trifft das zuerst den Mittelstand. Und der trägt die Kultur. :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Dazu gibt es von meiner Seite einiges zu sagen: Beginnen wir mit dem Provokantesten:


    da ich Operhäuser auf Grund ihrer Inszenierungen ohnedies nicht mehr aufsuche, hält sich mein Schmerz, wenn Sie geschlossen werden, in Grenzen. Denn die Oper in der Form wie ich sie liebe IST ja bereits zerstört.


    Was bedeuten die anderen Zahlen?
    Bemerkenswert ist, daß die Rückgänge bei Oper und Konzert annähernd gleich sind.
    Das böse Regietheater kann also nicht schuld sein oder doch?
    Um das zu eruieren, müsste man die Anteile von zeitgenössischer Musik kennen und ihre Entwicklung verfolgen, weil sie mit Sicherheit einen signifikanten Einfluss auf die Besucherzahlen haben.


    Die Preisrückgänge bei Eintrittskarten ? Die sind relativ leicht erklärt. Wenn Zeitströmungen dem Jugendwahn verfallen sind und man Jugend um jeden Preis (hier nun im wahrsten Sinne des Wortes) ins Haus bekommen möchte, dann wird man um Preissenkunge nicht herumkommen. Ob das kaufmännisch vertretbar ist, das steht auf einem anderen Blatt.


    Zuwächse bei Schlagermusik sind ein Symptom der zunehmenden Anspruchslosigkeit der Gesellschaft - ähnlich wie Fast food und Trivialliteratur. Man wird das nicht ändern können, denn die "Masse" hatte immer die Mehrheit. Allerdings hat man ihr früher nicht soviel Aufmerksamkeit geschenkt.....
    Dennoch glaube ich nicht wirklich an den Niedergang der Kultur und der klassischen Musik. Nach einem Wellental folgt stets ein Wellenberg....


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred Schmidt
    Tamino Klassikforum

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Insgesamt verzeichneten Konzertveranstalter, Musical, Theater und Opernhäuser im Vergleich zum Rekordjahr 2011 einen Umsatzrückgang von 16% auf 3,3 Milliarden €. Der Ticketpreis ging im Durchschnitt von 32.30 auf 30.20 € zurück. Bedenklich ist der Besucherrückgang von 122 Millionen Tickets in 2011 auf nur noch 110 Millionen in 2012- ein Minus von 10%


    Umsatzrückgang nach Rekordjahr. Vielleicht ist alles nur wieder auf sein übliches Normalmaß geschrumpft, nachdem es mal einen Ausreißer nach oben gegeben hat.


    Grüße
    Garaguly

  • Lieber Garaguly,


    die Normalisierung nach Rekordjahr vermuten auch die Meinungsforscher der GFK als eine mögliche Ursache. Ich bin da skeptischer. Obwohl wir beim Heilbronner Sinfonie Orchester mit über 1.400 Abonnenten einen erfreulich hohen Besucherstamm haben und Gott sei Dank keine solchen Rückgänge verzeichnen müssen, wird es von Jahr zu Jahr schwieriger, so hohe Besucherzahlen zu generieren. Es scheint ein Phänomen unserer Zeit zu sein, dass immer weniger Musikfreunde sich binden und auf feste Termine festlegen lassen wollen. Dabei tun wir alles, dass die Vorteile und damit der Anreiz zum regelmäßigen Besuch der Veranstaltungen sehr hoch ist. Wir setzen verstärkt auf musikalische Events, wie z. B. "Gitarrenfestival" oder "Furioso - Festival der Kontrabässe". Solche außergewöhnlichen Konzerte, die über den Rahmen des üblichen Sinfoniekonzerts hinausgehen, ziehen zwar, sind jedoch schwieriger zu oganisieren und erfordern einen weit höheren Werbeaufwand, um die Bude mit Einzelbesuchern voll zu bekommen. Konzertveranstalter müssen also in allen ihren Handlungen marketingmäßig denken und handeln, wenn sie überleben wollen.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Sicherlich spielt im Bereich der Oper der Richtungsstreit bei Inszenierungen eine Rolle. Ganz offensichtlich werden im modernen Regietheater die Bedürfnisse und Erwartungen großer Teile des Publikums nicht erfüllt.


    Die Frage ist wirklich, wie groß diese Rolle tatsächlich, d.h. validiert und qualifiziert begründet, ist? Die etwa gleichen Einbußen im Bereich des klassischen Konzertes werden kaum mit "Regietheater" zu erklären sein. - Ist es also doch die Überalterung des Publikums? Der allgemeine "Kulturverfall"?


    Leider haben wir nur die Zahlen und die sind bekanntlich in viele mögliche Richtungen interpretierbar. Was fehlt, sind aussagekräftige Studien und statistische Erhebungen, welche uns die Zahlen erklären könnten.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Was man einerseits braucht sind Zahlen über die letzten 20 Jahre hinweg.


    Und dann noch eine Statistik über diese Zeit in Sachen Repertoire.
    Wenn die Wiener Klassiker, mehrheitlich beispielsweise gegen zeitgenössische Komponisten ausgewechselt wurden . dann wäre manches erkörbar. Schon vor vierzig Jahren - ich war damals noch sehr jung - versuchte man - zeitgenössisches Werke mit konservativem Programm zu vermischen um erstere dem Publikum aufzuzwingen: Wir sind einfach nicht hingegangen......


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred Schmidt
    Tamino Klassikforum

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Die richtigen, zugkräftigen Programme für eine ganze Konzertreihe zu konzipieren ist die Kunst des Machbaren. Viele Einflussfaktoren müssen berücksichtigt werden:
    Dirigent und Orchester favorisieren Werke, die sie noch nicht gespielt haben, das sind häufig modernere Kompositionen. Die Zuhörer zumindest bei uns in Heilbronn wünschen mehrheitlich bekanntere, vertraute Stücke. Übrigens erstaunlicherweise auch die jüngeren Hörer. Wir machen beim Heilbronner Sinfonie Orchester im 3 Jahres-Rhythmus eine Publikumsbefragung mit Bitte um Angabe des Geburtsjahres - und siehe da die Jungen wählen ganz brav die Werke, die sie aus dem Musikunterricht kennen oder selbst schon einmal gespielt haben. Dann kommen die finanziellen Überlegungen durch die erforderliche Orchesterbesetzung, die Solisten usw. Ach so, Gedenktage und Jubiläen sind auch noch zu berücksichtigen. Das alles unter einen Hut zu bringen ist kaum möglich, was heraus kommt ist der bestmögliche Kompromiss.
    Ein Konzertprogramm zu gestalten gleicht also der Quadratur des Kreises - niemals zufriedenstellend lösbar und dennoch wird musiziert.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Ich glaube, die Crux liegt nicht in der Frage klassisch oder zeitgenössisch, sondern häufig darin, daß moderne Werke den Großteil des Publikums einfach nicht ansprechen, zumal wenn man den roten Faden vermißt, der solch ein Werk zusammenhalten sollte. Dazu kommt auch, daß viele Zeitgenösser glauben, ohne eingängige Melodie auskommen zu müssen. Wie sollten diese Ergüsse ernsthaft Meisterwerke von Beethoven, Brahms, Bruckner, Mahler, Schostakowitsch und viele andere toppen?

    Arrestati, sei bello! - (Verweile, Augenblick, du bist so schön!)

  • ich glaube, auf eine Veränderung des (allgemeinen) Musikunterrichts zu hoffen, ist die grösste Illusion.


    mich würde interessieren, wie die statistische Verteilung der Konzertbesucher nach Alter, Geschlecht und Einkommen aussieht.


    wer ist der typische Konzertbesucher?


    Touristen?


    Rentner?


    Studenten?


    Geschäftsleute?



    was ist die gesellschaftliche Funktion eines Konzerts?


    als philosophischer Dillettant habe ich den Begriff der Teleologie aufgeschnappt... ich bin schon überzeugt, dass Musik einen Zweck hat und haben muss. L'art pour l'art ist out. Und auch die Psychologie bzw. Medizin kann von den Wirkungen der Musik berichten. (obwohl ich mich über die musikalischen Programme, die von Ärzten zusammengestellt werden, doch amüsiere.)




    wie ist das eigentlich bei TaminoanerInnen: wie hoch ist bei euch der Anteil an gehörter Livemusik?


    ist es nicht doch so, dass man lieber zur bewährten Referenzaufnahme greift, wenn man Mozart hören will, anstatt ein Konzert zu besuchen, in dem man nicht weiss, was einen erwartet?


    wir würden doch kaum Konzerte nur aus sozialen Gründen besuchen, um ein Orchester, eine Institution finanziell am Leben zu erhalten, oder?


    Konzertbesuche sind mühsam und aufwendig in der Anreise, die Karten sind teuer, man hat nicht immer gute akustische Verhältnisse, trifft unzählige Menschen, die man nicht sehen will, und ist dann mit einer mittelmässigen Interpretation eines Shootingstars konfrontiert, die man als verlorene Zeit empfindet, gemessen am gewohnten Karl Böhm...
    und wenn man den Abend wirklich geniessen will, hängt sich ein ebenso teurer Restaurantbesuch an...


    Selbst hier in der Schweiz sitzt das Geld nicht mehr so locker... ein gestern besuchtes Orchesterkonzert war voll besetzt, plus zahlreichen stehenden Besuchern-.... aber: es war gratis


    Hochkultur ist teuer; aber: ist es uns wirklich noch so wichtig, in "goldenen Sälen" sitzen zu wollen, um eine ästhetische Perfektion zu geniessen?



    Milletre:
    die Zeit des "Melodiekomponierens" ist vorbei... einfach deshalb, weil alles schon gesagt wurde... man kann keine 4 Töne mehr komponieren, ohne dass es nicht an etwas anderes erinnert.
    Ein Phänomen, das in der Popularmusik weidlich ausgenützt wird. In der klassischen Musik ist das verpönt... aber wie soll man schon "neue Melodien"komponieren? deshalb wurden ja Dinge wie Zwölftonmusik, Vierteltonmusik etc. erfunden, um neue technische Möglichkeiten zu haben.
    Völlig richtig, die genannten Komponisten sind auch nicht zu toppen, aber Filmmusikkomponisten wie John Williams oder Gabriel Yared bedienen sich mit Erfolg am bereits Bestehenden... ist das etwa erstrebenswert? ich finde, JA, auch um den Preis, als Plagiator zu gelten.


    ich hab über den "Untergang des Abendlandes" nachgedacht, der mir unterstellt wurde... gewisse Bereiche wie der Musizierpraxis gehen verloren, dafür entstehen neue. (mir ist noch immer nicht klar, wie heutige DJs arbeiten, bzw. worin deren Leistung besteht, aber den Zuhörern scheint es zu gefallen.



    Und ich selbst bin schon eine Art Museumswärter der Musik... der Vergleich mit den heutigen Museen ist zulässig, auch die müssen alle möglichen Marketingtricks anwenden, um Besucher anzulocken.



    Zitat

    Schon vor vierzig Jahren - ich war damals noch sehr jung - versuchte man - zeitgenössisches Werke mit konservativem Programm zu vermischen um erstere dem Publikum aufzuzwingen: Wir sind einfach nicht hingegangen......

    die präpotente Art, die damals gehandhabt wurde, bedaure ich sehr. Die "Aufbruchsstimmung" nach dem Weltkrieg; der Versuch, mit der braunbeschmutzten Tradition zu brechen und etwas Nochniedagewesenes zu produzieren, hat leider zahlreiche Opfer gefordert.


    auch heute geht man nicht hin... und junge Musiker lassen sich das nicht mehr so leicht als Meisterwerke verkaufen.
    ich vergesse nie ein Seminar an der Hochschule, bei dem Mauricio Kagel präsentiert wurde... Er hat sich stolz als Teil der Musikgeschichte bezeichnet - deshalb müsse man seine Werke spielen....
    Stücke, in denen man zB: mit dem Fingernagel über Klaviertasten streicht...

    Im übrigen bin ich der Ansicht, dass gepostete Bilder Namen des Fotografen, der dargestellten Personen sowie eine genaue Angabe des Orts enthalten sollten.
    (frei nach Marcus Porcius Cato Censorius)

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  • Vielleicht klingt es jetzt etwas bockbeinig, aber m.E. läßt sich der Rückgang im klassischen Konzert noch weniger mit "moderner Musik" begründen, als der Rückgang im Bereich Oper mit "Regietheater". - Schaue ich mir die Saisonvorschauen der großen Orchester und Konzerthäuser an, dann ist und bleibt der Anteil moderner Musik (sagen wir mal pauschal: alles, was nach Schostakowitsch oder Strawinski kommt) letztlich doch nur homöopathisch. In den normalen Abonnements-Reihen kommt da mal etwas im ersten Konzert-Teil und selbst dort eher ein kurz und gerne im Verein mit einem "Klassiker". Bei Gastspielen ist der Anteil noch geringer, um nicht zu sagen gleich Null; schließlich will man gerade dann, wenn der Gast kommt und die Karten hochpreisiger verkauft werden können, ein volles Haus haben. Weiter scheint es mir so, wenn denn tatsächlich Musik des ausgehenden 20. oder gar des 21. Jahrhunderts gespielt wird, dann eher tonal und melodisch gemäßigtes und selbst bei den "echt modernen" spielt man doch lieber das Violinenkonzert von Berg, statt von Schönberg.


    Für mich bleibt somit weiterhin der ausschlaggebende Faktor die zunehmende Überalterung und das nicht-Gelingen, die Jugend überhaupt für klassische Musik einzunehmen. Denn eine solche Jugend geht einfach garnicht in die Oper oder das Konzert - egal, ob konventionell oder "Regeitheater", ob Beethoven oder Ligetti ...


    p.s. Für mich persönlich kennte der Anteil an Musik des ausgehenden 20. oder gar des 21. Jahrhunderts im klassischen Konzert gerne an die 50% betragen. Für den Interpretenvergleich mag es ja durchaus interessant sein, in einer Saison Beethoven c-moll-Sinfonie oder Mahlers 9te zweimal zu hören, aber das kann ich auch zuhause haben.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • p.s. Für mich persönlich kennte der Anteil an Musik des ausgehenden 20. oder gar des 21. Jahrhunderts im klassischen Konzert gerne an die 50% betragen. Für den Interpretenvergleich mag es ja durchaus interessant sein, in einer Saison Beethoven c-moll-Sinfonie oder Mahlers 9te zweimal zu hören, aber das kann ich auch zuhause haben.

    mir persönlich wäre das "umgekehrte" Sandwich auch lieber - ein bekanntes klassisches Werk umrahmt von modernen Werken, die einen Bezug dazu aufweisen und/ oder im Kontrast dazu stehen.
    aber so etwas geht nur bei "musikalischen Privataufführungen"...
    aber vielleicht wäre das ja wirklich, als hätte man das Brot zwischen den Fleischstücken ;)


    ein weiteres Hindernis sind natürlich die Abgaben für geschützte Musik - nicht nur, dass ich kein Publikum habe, ich soll auch zahlen für diese Musik... irgendwas stimmt bei der Rechnung nicht.

    Im übrigen bin ich der Ansicht, dass gepostete Bilder Namen des Fotografen, der dargestellten Personen sowie eine genaue Angabe des Orts enthalten sollten.
    (frei nach Marcus Porcius Cato Censorius)

  • Es passt zwar nicht ganz hierher, aber irgendwie doch. Gestern hat in Stuttgart Fahrenheit 451 geschlossen. Fahrenheit 451 - die meisten werden wissen, dass das ein berühmtes Buch von Ray Bradbury und ein daraus entstandener Film von Francois Truffaut ist - war ein Video- und DVD-Verleih für Cineasten, der u.a. alle Filme von Regisseuren wie Altmann, Bunuel, Bergmann, Truffaut, Chabrol, Jarmusch, Allen etc vorhielt. Auch viele Musik-DVDs. Eine Schmuddelecke gab es dementsprechend natürlich nicht. Nachdem das kommunale Kino schon vor einigen Jahren dicht machte, ist dies ein weiterer Schlag für alle Freunde des anspruchsvollen Films in der Region. Schade. ;(


    Die Stadt bemüht sich angeblich, eine Alternative zu finden, um die einmalige Filmsammlung zu erhalten.

  • wie ist das eigentlich bei TaminoanerInnen: wie hoch ist bei euch der Anteil an gehörter Livemusik?

    Da ich in der glücklichen Lage bin, in einer kulturell sehr aktiven Großstadt zu leben (Hamburg), komme ich auf ca. 24 "Events" pro Saison etwa gleichverteilt auf Oper und Konzert (siehe z.B. auch hier). Damit das Ganze finanzierbar bleibt, greife ich dabei ohne Bedenken zu Karten der niedrigeren Preiskategorie, was allerdings dem Vergnügen keinen Abbruch tut; in der Oper kann ich trotzdem noch gut sehen und im Konzert will ich in der Hauptsache hören!



    ist es nicht doch so, dass man lieber zur bewährten Referenzaufnahme greift, wenn man Mozart hören will, anstatt ein Konzert zu besuchen, in dem man nicht weiss, was einen erwartet?

    Bei mir genau das Gegenteil: Sofern es meine Zeit erlaubt, bereite ich mich anhand verschiedener Aufnahmen vor (was bei Musik des ausgehenden 20. oder des 21. Jahrhunderts leider mangels Material schwierig bis unmöglich ist) und bin dann umso gespannter, wie die Live-Interpretation ausfällt.



    wir würden doch kaum Konzerte nur aus sozialen Gründen besuchen, um ein Orchester, eine Institution finanziell am Leben zu erhalten, oder?

    Das wohl tatsächlich nicht. Bei mir spielt aber eine andere "soziale Komponente" eine Rolle: Ich teile die Begeisterung für die Oper und das klassische Konzert seit Schulzeiten mit einem sehr guten Freund. Und inzwischen hat sich um uns herum ein kleiner, lockerer Kreis von Musikinteressierten gebildet, so dass man eigentlich nie alleine im Konzert sitzt. Der anschließende Austausch und das Feierabend-Bierchen (es muss nicht immer ein teures Restaurant sein) in netter Gesellschaft ist somit fast immer gesichert.



    Konzertbesuche sind mühsam und aufwendig in der Anreise, die Karten sind teuer, man hat nicht immer gute akustische Verhältnisse, trifft unzählige Menschen, die man nicht sehen will, und ist dann mit einer mittelmässigen Interpretation eines Shootingstars konfrontiert, die man als verlorene Zeit empfindet, gemessen am gewohnten Karl Böhm...
    und wenn man den Abend wirklich geniessen will, hängt sich ein ebenso teurer Restaurantbesuch an...


    Selbst hier in der Schweiz sitzt das Geld nicht mehr so locker... ein gestern besuchtes Orchesterkonzert war voll besetzt, plus zahlreichen stehenden Besuchern-.... aber: es war gratis


    Hochkultur ist teuer; aber: ist es uns wirklich noch so wichtig, in "goldenen Sälen" sitzen zu wollen, um eine ästhetische Perfektion zu geniessen?

    Mir ist klar, dass ich mich mit dem hier in Hamburg gebotenen Programm, sowie einem Wohnsitz "mitten in der Stadt" in einer ziemlichen Luxusposition befinde! Nichtsdestotrotz habe ich manchmal den Eindruck (der natürlich auch trügen kann) dass der Anteil an Forumsmitgliedern, die einigermaßen regelmäßig in die Oper oder ins klassische Konzert gehen, doch erstaunlich gering ist.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Die Zuhörer zumindest bei uns in Heilbronn wünschen mehrheitlich bekanntere, vertraute Stücke. Übrigens erstaunlicherweise auch die jüngeren Hörer. Wir machen beim Heilbronner Sinfonie Orchester im 3 Jahres-Rhythmus eine Publikumsbefragung mit Bitte um Angabe des Geburtsjahres - und siehe da die Jungen wählen ganz brav die Werke, die sie aus dem Musikunterricht kennen oder selbst schon einmal gespielt haben.


    Ach, mein lieber Operus,


    in Heilbronn scheinen ja phantastische Bedingungen zu herrschen. Wir waren gestern in Gera in der "Eröffnungsgala" und sind frustriert, enttäuscht, arg mit Vorurteilen belastet nach Hause gegangen.


    Im Opernspielplan steht die Boheme an der Spitze, aber der Regisseur (ein Herr Pilavachi) läßt schlimme Erwartungen zu, jedenfalls ist er eher durch Verunstaltungen aufgefallen als durch eine Inszenierung des Originals. Und weiter sind im Programm unseres Theaters Gluck (Iphigenie in Aulis), Haydn (Feuersbrunst), Britten (Peter Grimes), Schostakowitsch (Lady Macbeth von Mzensk) und die Operette Du bist ich (Komponist ist mir entfallen, irgendein Kubaner). Dazu kommt "Die schöne Helena" - aber vom Schauspielensemble, und als Hoffnungsschimmer "Die lusitge Witwe" - aber da wird von Eingeweihten auch schon wieder von moderner Inszenierung gemunkelt.


    Im Verdi/Wagner - Jahr kein Verdi und kein Wagner auf der Opernbühne, und im kommenden Strauß-Jahr auch nichts vom Richard außer dem Hornkonzert.


    Unser neuernanntes Staatsballett bringt eine Schwanensee-Parodie und ein Ballett über Rockstars, die alle im 27. Lebensjahr verstorben sind. Sicher ganz gut für Rockfans.


    Das Schauspiel kann man total vergessen, da kommt kein Klassiker mehr!


    Ich glaube, ihr geht in Heilbronn einen besseren Weg!


    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Schon vor vierzig Jahren - ich war damals noch sehr jung - versuchte man - zeitgenössisches Werke mit konservativem Programm zu vermischen um erstere dem Publikum aufzuzwingen: Wir sind einfach nicht hingegangen......


    Lieber Alfred
    Schön für mich, so etwas zu lesen, denn hier tun sich ins Nachhinein Gleichnisse auf. Das war also nicht nur bei Dir so, sondern auch bei uns.
    Beispiel:
    1. Irgendwas von Penderecki, Lutoslawski oder ähnlichem Modernen
    2. Beethoven - Klavierkonzert Nr.5 Es- Dur
    3. Beethoven - Sinfonie Nr.5 c- Moll
    Wir sind zwar hingegangen, aber Nr.1 hat einen nicht interessiert, nicht berührt, man mußte es halt, wohl oder übel, über sich ergehen lassen. Bei der Programmgestaltung hat man natürlich das Moderne, Neuzeitliche immer bewußt an den Anfang gesetzt. Wäre das am Schluß gekommen, hätte sich der Konzertsaal sicher vorher ziemlich geleert.
    Herzliche Grüße
    CHRISSY

    Jegliches hat seine Zeit...

  • einen sozialen Grund habe ich vergessen anzugeben: ich gehe meistens dann in Konzerte, wenn ich die Interpreten persönlich kenne. bzw. wenn es Arbeitskollegen sind.


    auch Familienmitglieder bzw. Freunde sind bei den weniger internationalen Künstlern ein wichtiger Prozentsatz.


    mir scheint der Faktor Gesellschaftsereignis/ Eventcharakter immer wichtiger zu werden... hier boomen die Festivals, die neben dem Kulturgenuss immer auch Kulinarisches und oft ein Feuerwerk anbieten. (dass die musikalische Qualität immer fragwürdiger wird - Stichwort Verstärkung, tut dem Erfolg keinen Abbruch)
    gewöhnliche Konzerte müssen schon wenigstens ein Gratisbuffet anbieten, um unser armes Hungerleidendes Publikum nach dem anstrengenden Hörerlebnis wieder auf die Beine zu bekommen.
    tut mir leid, aber ich vergleiche oft die Kosten, die für das Catering selbstverständlich aufgewendet werden mit der Kultur, die nicht viel kosten darf...
    z.B: Wiener Rathausplatz - Konzert gratis - aber Preise der gehobenen Gastronomie



    chrissy: offensichtlich haben die Programmgestalter da auf den Zusammenhang der Werke vergessen, sodass nicht mal der Titel des modernen Werks hängengeblieben ist. Aber grundsätzliche Abwertung zeitgenössischer Musik gefällt mir nicht so ganz.

    Im übrigen bin ich der Ansicht, dass gepostete Bilder Namen des Fotografen, der dargestellten Personen sowie eine genaue Angabe des Orts enthalten sollten.
    (frei nach Marcus Porcius Cato Censorius)

  • 1. Irgendwas von Penderecki, Lutoslawski oder ähnlichem Modernen
    2. Beethoven - Klavierkonzert Nr.5 Es- Dur
    3. Beethoven - Sinfonie Nr.5 c- Moll
    Wir sind zwar hingegangen, aber Nr.1 hat einen nicht interessiert, nicht berührt, man mußte es halt, wohl oder übel, über sich ergehen lassen. Bei der Programmgestaltung hat man natürlich das Moderne, Neuzeitliche immer bewußt an den Anfang gesetzt. Wäre das am Schluß gekommen, hätte sich der Konzertsaal sicher vorher ziemlich geleert.


    Die Grundaussage ist natürlich durchaus zu verallgemeinern: Die Leute wollen halt den Beethoven und nicht den Penderecki. Und da kämpfen zwei Seelen in meiner Brust: Programmgestaltung soll sich an den Bedürfnissen der Menschen orientieren (und da ist nunmal Beethoven oben auf und nicht Wolfgang Rihm). Andererseits wird aber, auch von eingefleischten Klassikliebhabern (nicht nur von den Feuilleton-Schwätzern), die ewig gleiche Wiederholung der ewig gleichen Konzertschlachtrösser, die aus der Zeit zwischen 1780 und 1910 stammen, beklagt. Man kann dagegen etwas unternehmen: 1. die Nebenpfade des Populären besser erkunden (Vorteil: es gibt selten oder gar nicht Gehörtes und der Klang dieser Musik dürfte dem Geschmack des Publikums natürlich entgegenkommen). 2. Man gibt auch Modernerem eine Chance und betrachtet das Anhören eines solchen Stückes dann auch als etwas Lehrreiches (Nachteil: Viele Leute wollen nicht das Gefühl vermittelt bekommen, belehrt zu werden / viele Leute wollen sich in ihren Hörgewohnheiten durch nichts stören lassen.)


    Wobei ich persönlich in den Werken eines Lutoslawski oder eines Penderecki (beide komponierten im Übrigen auch sehr unterschiedliche Musik!) keine Störung eines gelungenen Konzerterlebnis' mehr erblicke. Als ich jünger war, war das anders. Da dachte ich auch so, dass ich den schrecklichen Lutoslawski über mich ergehen lassen muss, bis dann die guten Sachen kommen. Bis sich dann mit zunehmender Klassik-Erfahrung mein Geschmacksspektrum doch erheblich erweitert hat. Heute mag ich vieles von z.B. Lutoslawski.


    Grüße
    Garaguly

  • Lieber M. Schenk,


    Vielleicht klingt es jetzt etwas bockbeinig, aber m.E. läßt sich der Rückgang im klassischen Konzert noch weniger mit "moderner Musik" begründen, als der Rückgang im Bereich Oper mit "Regietheater".


    Du hast sicherlich recht, dass die Überalterung das schwerwiegendste Problem im Bereich der klassischen Musik ist und die Kulturträger finden nur ganz schwer Mittel, die Abstinenz der jüngeren Musikinteressenten zu überwinden, geschweige denn, diese als Dauerbesucher zu gewinnen. Nur bei einem Konzertprogramm ist es wie beim Essen ein "Giftpilz" kann das ganze Menü verderben und für einen Teil des Publikums ungenießbar machen.


    Herzlichst
    Operus der wenigstens das Zitieren schaffte, jedoch das Zitat an de falschen Stelle platzierte.

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Lieber operus,


    auf Youtube habe ich vor kurzem eine Gesamtaufnahme von Verdis Nabucco aus Heilbronn entdeckt. Sänger und Orchester sind hervorragend. Was mir als unregelmäßigen Konzertbesucher auffällt, das wenn ein Abend aus nur einem Stück besteht wie Beethovens 9, Verdis Requiem oder eine Mahler bzw Bruckner Sinfonie, dann sind die Konzertsäle voller als wenn mehrere Stücke zur Aufführung kommen. Ganz schlimm sind solche ambitionierte Themenabende wo man überhaupt kein Stück kennt. Womöglich sind die Programm Verantwortlichen indem Irrglauben, das wenn man mehr moderne Stücke aufführt, das das die junge Leute anzieht. Nur wird damit das ältere Konzertpublikum vergrault.

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  • Lieber rodolfo,


    deinen Beitrag schickt der Himmel. Gerade habe ich im Thread "Konzertbesuche und ihre Bewertung" einen Beitrag eingestellt, wo ich erfreulicher Weise berichten konnte, dass auch ein Abend mit unbekannteren Werken ein Erfolg werden kann, wenn er richtig konzipiert ist und die musikalischen Leistungen entsprechend sind. Wobei Du allerdings grundsätzlich recht hast. Ein Konzertabend mit einem dominierenden Hauptwerk ist für das Publikum leichter zu erfassen als viele kleinere Kompositionen. Besonders schwierig, wenn es moderne Stück sind, in die man sich erst einhören sollte, um sie zu verstehen. Hilfreich für das Verständnis können Einführungsvorträge - möglichst kurz vor der Aufführung - oder bei Opernkonzerten Moderationen sein.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!