die Erarbeitung einer Opernrolle hat ja viele aussermusikalische Aspekte, die berücksichtigt werden müssen.
Manche Sänger liefern wunderbare Töne ab und lernen den Notentext sehr exakt, sodass ich wenig zu verbessern habe. Für einen Instrumentalisten wäre das Ziel bereits zum grössten Teil erreicht (oder für einen Oratorien- und Konzertsänger)Aber auf der Bühne ist das erst der Anfang.
Zuerst muss der Text in seiner Bedeutung möglichst vollständig erschlossen werden. Die Schwierigkeiten dieses Unterfangens sollte man nicht unterschätzen: (gerade heute hab ich eine Zerbinetta-Stelle entdeckt, die ich einer amerikanischen Sängerin nicht ausreichend erklären, bzw. nur sinngemäss umschreiben konnte. (Duett mit Harlekin: Beide singen: Hand und Lippe, Mund und Hand, welch ein zuckend Zauberband - Sieh, wie reizend, fein gegliedert, wie der Druck den Druck erwidert) Zerbinettas Hand kann reizend und fein gegliedert sein, aber warum singt sie das selbst?
Dann wird der Satzbau untersucht - eine musikalische Pause kann verschiedene Bedeutungen haben, Atempause, Artikulationspause, Ausdruckspause, Signal für das Phrasenende…
in letzter Zeit wird für mich die Sprachmelodie immer wichtiger, bzw. der natürliche Fluss und Rhythmus einer Sprache.
die einfachsten Beispiele wie: Komm, lieber Mai, und mache die Bäume wieder grün das wäre die passende Sprachbetonungbeweisen, dass die Sprache mit dem musikalischen Rhythmus oft nichts zu tun hat…diese Widersprüche muss man herausarbeiten
dann geht es langsam um die Frage des Charakters, z.B: die Sprechweise,
als nächstes schaffe ich das Bewusstsein für andere Figuren, mit denen man kommuniziert. Ist man während einer Arieallein auf der Bühne oder hat man einen, oder mehrere Ansprechpartner?
Und welche Sätze sind A part, also zu sich selbst gesprochen? dazu ein wichtiger Hinweis:
Zitat
Wikipedia:
viele Regisseure haben nach wie vor ein Problem mit dieser "Kommunikation mit dem Publikum"Der Naturalismus des späteren 19. Jahrhunderts erklärte das Beiseitesprechen zur Unsitte und bekämpfte es mit der Vorstellung einer Vierten Wand zum Publikum hin. Im Theater des 20. Jahrhunderts hat sich das Beiseitesprechen wieder in vielen Formen etabliert.
als kleinen Vorgeschmack auf die Widersprüchlichkeit der Notation noch folgendes Beispiel: klarerweise ist die Pause eine Gelegenheit, um Luft zu holen: sie bezeichnet oft das Ende einer Phrase…
-wenn allerdings der Satz aus mehreren musikalischen Phrasen besteht, muss man über die Pause hinweg einen grösseren Bogen denken
- es gibt Pausen, die nur wegen der Artikulation geschrieben sind - d.h. der/die Schlusskonsonant(en) werden auf die Pause gesprochen. hier wird also nicht geatmet
- manche Komponisten rechnen damit, dass sich Sänger ihre Atempausen nehmen, indem sie Noten verkürzen und schreiben keine Atempausen in die Partitur.
ein ähnliches Problem entsteht, wenn Wörter mit eindeutig kurzem Vokal (Doppelkonsonant am Ende) Fluss, Fall, wenn, Bach … auf eine lange Note komponiert sind.
Musikalisch gesehen, muss der Vokal über den Notenwert ausgehalten werden, sprachlich muss der Vokal relativ kurz sein.Sonderfall ist Doppel T: bei "ermattet" oder "Wetter" muss zusätzlich zum kurzen Vokal eine minimale Pause gemacht werden, um das Doppel T vorzubereiten. legato ist hier undenkbar.
ich gehe immer mehr dazu über, Zischlaute singen zu lassen, also eine definierte Dauer festzulegen, in der die Konsonanten klar absolviert werden können - auf Kosten der vorangegangenen Note… auf den Musikalischen Schlag eines Taktes wird immer der Vokal gesungen, nicht ein oder mehrere Anfangskonsonanten!
am besten bringe ich noch konkrete Beispiele.
im Duett mit Erik singt Senta: Wie? Zweifelst du an meinem Herzen? Zweifelst, ob ich gut dir bin...
sollen wir wirklich davon ausgehen, dass die Holländer Ballade nur ein Märchen für sie ist? also wäre an diesem Punkt die Beziehung zu Erik noch in Ordnung?
später singt sie: ich bin ein Kind und weiss nicht was ich singe? (nebenbei: ich liebe die Momente, in denen nicht ganz klar ist, ob jemand einen Satz privat meint: 'ich weiss nicht, was ich singe...' oder in der Rolle ist.)
Nach Eriks Traumerzählung ist Senta in höchster Begeisterung: Er sucht mich auf. ich muss ihn sehn, mit ihm muss ich zugrunde geh'n
ist das plötzlich real für sie?
Daland präsentiert dem Holländer seine Tochter mit den Worten: Sagt, hab ich sie zuviel gepriesen? Ihr seht sie selbst - ist sie euch recht?
diese letzte Frage finde ich schon beinahe derb - soll das schon so leise sein, dass Senta es nicht hören kann.
im 3.Akt kurz vor der Cavatine macht Erik Senta den Vorwurf: "welch höh're Pflicht? ist's höh're nicht zu halten, was du mir einst gelobtest. Ewige Treue."
aus der Cavatine wird klar, dass er übertreibt, wenn nicht sogar lügt. Er hat die Berührungen als Versich'rung ihrer Treu empfunden. Gesagt hat sie das offensichtlich nicht.
im Schlussterzett singt der Holländer: Ich zweifl' an Gott!
was meint er wirklich damit - - jemand, der hunderte Jahre (quasi ewig) auf dem Meer verbringt als Strafe für Gotteslästerung, beginnt erst hier an Gott zu zweifeln?
überhaupt ist diese Strafe etwas sehr eigenartiges: ich finde eher diese unrealistische Aussicht auf Erlösung die Strafe. Und an diesem Punkt dreht es sich ja auch nicht um Gott, sondern um die Frau, die ihn erlösen kann durch ihre Treue - was immer das heissen soll, bei der kurzen Zeit, die er das Festland betreten darf. (die Vermischung von Frau und seliger Engel wird erst im Tannhäuser konkret.)
Ich finde es auch umstritten, worin dieser Treuebruch Sentas besteht? - eine verlobte Frau darf mit keinem anderen Mann mehr sprechen? naja...