Hilferuf aus dem Liberecer Theater

  • Liebe Freunde und Mitglieder
    Wie ihr ja inzwischen mitbekommen habt, war ich nun schon ein paar Mal zu hervorragenden Aufführungen in diesem wunderschönen Haus. Übermorgen, am kommenden Freitag, wollen wir wieder hin. Auf dem Programm steht "Rusalka". Sollten wir Karten bekommen, was diesmal vielleicht schwierig wird weil es die Premiere ist, werde ich davon berichten.
    Momentan bin ich aber etwas geschockt über einen Artikel, den ich unter obiger Überschrift in meiner regionalen "Sächsischen Zeitung" soeben gefunden habe und den ich Euch auszugsweise nicht vorenthalten möchte:


    Geplante Baumaßnahmen wurden abgesagt, obwohl Geld von der EU vorhanden war
    Das Liberecer (Reichenberger) Theater befindet sich im 130. Jahr seines Bestehens in einem Havarie- Zustand. Was das technische Umfeld betrifft, gibt es in Böhmen und Mähren kein Theater, das in schlechterem Zustand sei. Die Bedingungen, unter denen die Künstler arbeiten, sind nicht gut, wird der stellv. Oberbürgermeister zitiert. Es tue ihm leid, daß bereits geplante und genehmigte EU- geförderte Baumaßnahmen im letzten Moment abgesagt werden mußten, weil Liberec als Co- Geldgeber abspringen mußte.
    In beinahe desolatem Zustand seien die mit Holzpfeilern abgestützten Decken in den Damen- und Herren- Umkleiden des Ensembles. Das Orchester habe nur improvisierte Garderoben unter der Bühne ohne jegliche Ausstattung. Auch auf der Bühne fehle es an besserer Technik- z. B. eine Drehbühne und ausziehbare Tische- die einen schnelleren Kulissenumbau und einen besseren visuellen Eindruck bei den Zuschauern ermögliche.
    Noch vor wenigen Monaten habe es so ausgesehen, daß Arbeiten im Kellergeschoß für mehr als 100 Mill. Kronen (etwa 4 Mill. €) angegangen werden sollten, was auch schon in den vergangenen Sommerferien geplant war. Die Stadt habe jedoch den nötigen Eigenanteil von 15 Mill. Kronen (600.000 €) nicht bestreiten können und sei von dem Projekt zurückgetreten. Wie lange das Theater unter den jetzigen Bedingungen weiter funktionieren kann, wissen weder der Theaterchef noch der stellv. OB. Sie wollen aber versuchen, die geforderten Normen einzuhalten, was Sicherheit und Hygiene betrifft. Der stellv. OB hofft, daß ein erneuter Anlauf auf ein EU- gefördertes Projekt erfolgreich ist. Dann wolle man sich an den Liberecer Bezirk wenden. Nächstes Jahr wolle sich die Stadt um den schlechten Zustand des Personen- und Lastenaufzugs auf der Bühne des Theaters kümmern. Die Kosten dafür liegen bei mehr als 2,5 Mill. Kronen, also ca. 100.000 €.


    Ja, von all´solchen Schwierigkeiten und Problemen weiß und spürt man als Zuschauer natürlich nichts. Um so mehr setzt es einen in positives und dankbares Erstaunen, wenn man trotzdem ein solch gutes Theater mit hervorragenden Aufführungen geboten bekommt.
    CHRISSY

    Jegliches hat seine Zeit...

  • Zitat

    Hilferuf aus dem Liberecer Theater


    Lieber chrissy!


    Frag doch mal in Berlin nach. Man könnte von den Kosten des Berliner Stadtschlosses vielleicht etwas Geld abzweigen. Auf ein paar Millionen kommt es doch wohl auch nicht mehr an.




    Gruß Wolfgang

    W.S.

  • Frag doch mal in Berlin nach. Man könnte von den Kosten des Berliner Stadtschlosses vielleicht etwas Geld abzweigen. Auf ein paar Millionen kommt es doch wohl auch nicht mehr an.


    ... oder vom Berliner Flughafen, da hast Du wohl recht, lieber Wolfgang. Für die wäre eine Hilfeleistung Peanuts. Solche lächerlichen Summen tragen die in der Hosentasche rum.
    Herzliche Grüße
    CHRISSY

    Jegliches hat seine Zeit...

  • Lieber Chrissy,


    im Interesse der Erhaltung solch historischer Opernhäuser auch im benachbarten Tschechien kann ich nur hoffen, daß Mittel und Wege gefunden werden, das Haus zu retten.


    Welche Rolle spielen bei der Bewahrung jahrhundertealter Kulturtraditionen eigentlich unsere ach so geliebten Bürokraten in Brüssel? Die können doch nicht nur über Glühbirnen, Gurken und Bananen entscheiden, oder liege ich da falsch?


    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Ich möchte hier noch auf die aus dem Ruder laufenden Kosten der Elb-Philharmonie hinweisen. Über einen kleinen Teil dieser immensen Kosten würde man sich anderswo freuen. :evil:

    W.S.

  • Welche Rolle spielen bei der Bewahrung jahrhundertealter Kulturtraditionen eigentlich unsere ach so geliebten Bürokraten in Brüssel? Die können doch nicht nur über Glühbirnen, Gurken und Bananen entscheiden, oder liege ich da falsch?

    Ach, lieber La Roche, auf Deine ach so berechtige Frage gibt es nur die Antwort, dass jede Milliarde in die Bankenrettung fließen muss!


    :hello:

    .


    MUSIKWANDERER

  • Welche Rolle spielen bei der Bewahrung jahrhundertealter Kulturtraditionen eigentlich unsere ach so geliebten Bürokraten in Brüssel? Die können doch nicht nur über Glühbirnen, Gurken und Bananen entscheiden, oder liege ich da falsch?


    Laut Beitrag von Chrissy hätte die EU ohnehin den Großteil finanziert. Du liegst also falsch...


    ;)

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Ja, von all´solchen Schwierigkeiten und Problemen weiß und spürt man als Zuschauer natürlich nichts. Um so mehr setzt es einen in positives und dankbares Erstaunen, wenn man trotzdem ein solch gutes Theater mit hervorragenden Aufführungen geboten bekommt.


    Allerdings! Ich verstehe nur nicht, warum man die Preise nicht ein klein bisschen anhebt. Du hattest ja im Rusalka-Thread etwas von 5,80 Euro pro Eintrittskarte (und das waren keine schlechten Plätze, nicht wahr?) gesagt. Mir ist schon klar, dass man das nicht mit dem deutschen Preisgefüge vergleichen kann, aber so wenig Geld ist für eine Eintrittskarte nun wirklich nicht angebracht.

    "Tatsachen sind die wilden Bestien im intellektuellen Gelände." (Oliver Wendell Holmes, 1809-94)

  • Welche Rolle spielen bei der Bewahrung jahrhundertealter Kulturtraditionen eigentlich unsere ach so geliebten Bürokraten in Brüssel? Die können doch nicht nur über Glühbirnen, Gurken und Bananen entscheiden, oder liege ich da falsch?


    Die EU buttert Ende nie Geld in diese Länder. Wer einmal an einer Uni in den ehemaligen Ostländern war sieht an jedem zweiten Gerät "finanziert von der EU". Die Tschechen sind schon auch selbst für ihre Theater und Musiktheater verantwortlich.

  • Du hattest ja im Rusalka-Thread etwas von 5,80 Euro pro Eintrittskarte (und das waren keine schlechten Plätze, nicht wahr?) gesagt.


    Ja, das stimmt, liebe Sognatrice. Selbst bei einer Premiere wie jetzt, sind die Preise nicht anders als bei nachfolgenden Repertoirevorstellungen. Wir hatten auch schon beste Plätze - die waren um etwa 11 €. Natürlich sind die Preise auch aus meiner Sicht nicht angemessen und schon gar nicht mit hiesigen zu vergleichen. In der Dresdner Semperoper z. B. haben wir für einen Hörplatz mit eingeschränkter Sicht 17 € bezahlt. Eine wirkliche Erklärung für die niedrigen Preise habe ich nicht. Ich vermute aber mal, daß es mit wesentlich niedrigerem Verdienst begründet ist. Auch in den Restaurants oder beim Benzin liegen die Preise deutlich unter denen bei uns.
    Herzliche Grüße
    CHRISSY

    Jegliches hat seine Zeit...

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  • Eine wirkliche Erklärung für die niedrigen Preise habe ich nicht. Ich vermute aber mal, daß es mit wesentlich niedrigerem Verdienst begründet ist. Auch in den Restaurants oder beim Benzin liegen die Preise deutlich unter denen bei uns.


    Ja, klar, das stimmt ja auch. Aber zumindest kurzfristig - um die Renovierungsarbeiten zu finanzieren - könnte man das ja machen. Die Liberecer würden ihr Theater bestimmt unterstützen.

    "Tatsachen sind die wilden Bestien im intellektuellen Gelände." (Oliver Wendell Holmes, 1809-94)

  • Die Liberecer würden ihr Theater bestimmt unterstützen.

    Ich (wir) auch. Und das aus voller Überzeugung. Solchen Häusern, die solch hervorragendes Theater machen, wünscht man doch von ganzem Herzen, daß sie erhalten bleiben.
    CHRISSY

    Jegliches hat seine Zeit...

  • Ich möchte noch etwas ergänzen:
    Es ist scheinbar überall so, daß bei finanziellen Einsparungen immer die Kultur zuvorderst daran glauben muß. Außnahmen sind höchstens solche Prestigeobjekte wie z.B. die künftige Elb- Philharmonie.
    In meiner Stadt gibt es eine wunderschöne 100 Jahre alte Stadthalle. Was haben wir dort für herrliche Sinfonie- Konzerte erlebt. Vor 10 Jahren wurden Baumängel festgestellt, die eine Sanierung notwendig machten. Die Kosten waren seinerzeit noch überschaubar. Trotzdem war kein Geld für notwendige Sanierungsarbeiten da. Also wurde das Objekt dicht gemacht. Seit damals nun schon jahrelanger Streit, ewiges Hin und Her, brachte keinen Erfolg, bzw. keine Entscheidung. Das Gebäude verfällt inzwischen immer mehr und die damaligen Kosten sind inzwischen um ein Vielfaches gestiegen.
    Aber gleichzeitig entsteht bei uns für viele, viele Millionen ein neues Landratsamt und eine Polizeidirektion. Und die dafür anfangs geplanten Summen waren erwartungsgemäß natürlich nicht ausreichend. Sie liegen heute deutlich darüber. Aber das kennt man ja inzwischen zur Genüge.

    Jegliches hat seine Zeit...

  • Frag doch mal in Berlin nach. Man könnte von den Kosten des Berliner Stadtschlosses vielleicht etwas Geld abzweigen. Auf ein paar Millionen kommt es doch wohl auch nicht mehr an.


    Nun, vielleicht sollten die Stadtväter von Liberec zunächst einmal in Prag nachfragen, wo vor kurzem die Regierung über eine unglaubliche Korruptionsaffäre gestürzt ist, wie man sie eigentlich nur aus den sprichwörtlichen "Banenrepubliken" kennt. Die Millionen in bar und das Gold, welches allein bei Hausdurchsuchungen gefunden wurden, hätten gewiss ausgereicht, um dieses schöne Theater, von dem Chrissy so sehr beeindruckt ist, zu renovieren. Und es ist noch völlig unbekannt, wie viele Millionen in dunkle Kanäle auf Nimmerwiedersehen verschwunden sind. Nicht immer ist als Brüssel schuld.


    Und gönnen wir doch den Hamburgern ihre Elbphilharmonie und den Berlinern ihr Schloss. Das sind nach meiner Überzeugung auf lange Sicht identitätsstiftende Bauten wie eben auch das Theater in Liberec. Ich bin über jeden Kulturbau froh, egal, wo er entsteht oder erhalten wird. Eben komme ich aus Dresden mit großen Eindrücken über den Wiederaufbau der Altstadt zurück, und ich käme doch nicht auf die Idee, diese atemberaubende Großtat infrage zu stellen. Andererseits kann ich gut verstehen, wenn es die Nachbarn, die bei der Kulturförderung zu kurz gekommen sind, auch so schön haben wollen.


    Gruß Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Die Erklärung für diese niedrigen Eintrittpreise liegt auf der Hand.
    Schüler und Studenten verfügen bekanntlich über kein sehr hohes Einkommen ( sofern überhaupt ).
    Die Philosophie in diesem Land,sowie auch in anderen lautet Kultur ist für alle da und sollte für alle bezahlbar sein.
    Daher die niedrigen Eintrittspreise, vielleicht sollte man aber anregen für Besucher aus dem Ausland nach Vorlage des Reisepasses die Preise auf das Herkunfsland übliche Preisniveau anzuheben, wäre doch nur faire.

  • Zitat

    Ich bin über jeden Kulturbau froh, egal, wo er entsteht oder erhalten wird.


    Hallo, Rüdiger!


    Das ist so weit richtig! Aber hier handelt es sich um einen kompletten Neubau und nicht um ein erhaltenswertes Kulturgut. Da hätte man eher z. Bsp. das Heidelberger Schloß erneuern können. Davon steht ja wenigstens noch Erhaltenswertes!

    W.S.

  • Kultur ist für alle da und sollte für alle bezahlbar sein.


    Eine Aussage, die ich absolut teile und befürworte. Ganz nebenbei, dies kommt mir doch irgendwie sehr bekannt vor.
    Bei allen bekannten und verurteilungswürdigen negativen Dingen, die es in der damaligen DDR unbestritten gab, ist es eine positive, ebenfalls unbestreitbare Tatsache, daß damals Kultur für jeden der es wollte, vorhanden und bezahlbar war. Ich spreche hier aus vielfacher eigener Erfahrung und Erleben.
    Sehr lobenswert und beispielhaft ist auch Wien. Zum einen möchte ich die wohl für jeden bezahlbaren Stehplatzkarten in der Staatsoper erwähnen (habe selbst dort Pavarotti in der Tosca für 2,15 DM erlebt) und zum anderen gibt es unterhalb des Rathauses in der Zeit der Theaterferien etwa 2 Monate lang täglich abends kostenlose (!!!) Video Konzert- und Opernaufführungen.
    Das wäre, glaube ich, in Deutschland undenkbar. Hier findet sich immer mindestens einer, der die Hand, besser die Hände, aufhält.
    CHRISSY

    Jegliches hat seine Zeit...