moderne abstrakte Bilder können unschätzbaren Wert haben - moderne Bühnenbilder nicht?

  • hier möchte ich den nächsten Aspekt des Regietheaters aufgreifen.


    wenn eine Geschichte allgemein verständlich ist und nicht von spezifischen Merkmalen abhängig ist, die ausschliesslich einer bestimmten Epoche und einem bestimmten Ort zuzuordnen ist, dann ist es möglich, konkrete Bezüge wegzulassen.


    ich weiss, der Teil mit den Merkmalen, die ausschliesslich... zuzuordnen sind, wird subjektiv unterschiedlich interpretiert.


    ich denke: Fidelio ist ein gutes Beispiel für den Beginn:
    die Rollen sind ziemlich klar verteilt... wer gut, wer böse, ist, wer nicht zwischen beiden Seiten entschieden hat... und die anderen, die am Rande vorkommen
    weder Florestan noch Pizarro lassen sich auf eine Epoche festlegen, in der ausschliesslich dieses Verhalten denkbar wäre... allein von den Namen zu urteilen, genügt mir nicht - Spanien, ja, aber es könnte auch Südamerika sein. Es könnte auch jener Azteken-Pizarro sein...


    welche Handlung ist ausschliesslich in einer bestimmten Zeit verständlich?
    ein Diktator, vermutlich politische Gegner, die willkürlich eingesperrt werden, die Geschichte der Frau, die sich auf die Suche nach ihrem Gatten macht und ihn letztendlich befreit...


    eine Pistole ist ein Requisit, dass nur in der Neuzeit verwendet werden kann... aber ist sie essentiell?? die Szene der Befreiung kann man nicht als unbedingt realistisch bezeichnen...


    das sind nur beliebige Argumente, die meiner Meinung nach ausreichen, um das Bühnenbild abstrakt darzustellen, ohne dass die Handlung darunter leidet.


    schliesslich ist diese Form der Zeitlosigkeit eine Sichtweise, die es ermöglicht, unwesentliche Elemente auf der Bühne wegzulassen, um dadurch einen stärkeren Fokus auf die Handlung zu bekommen.


    die extremste Ausprägung ist es, die Bühne leer zu lassen.


    wenn die Kostüme zusätzlich sich nicht zuordnen lassen, fallen soziale Vergleichsmuster weg, und man ist gezwungen, sich auf das wenige zu konzentrieren, was man sieht, nämlich den Bezug zwischen den handelnden Personen.
    gerade bei emotional sehr starken Szenen schätze ich es sehr, wenn wie bei einer Grossaufnahme quasi nur mehr zwei Gesichter oder zwei Körper zu sehen sind, die Mimik, und die jeweiligen Reaktionen.


    das Ballett nützt manchmal auch die Gelegenheit, ganz auf Kostüme zu verzichten.
    Auch wenn Nacktheit umstritten ist, da sie eine beliebte Werbestrategie ist und das Publikum in unkünstlerischer Weise anlockt ;)... für mich ist der Effekt gigantisch, dass man nicht beurteilt, ob das Kostüm schön ist, oder nicht, sondern dass man sich bei dabei ertappt, wie man unmittelbar einen Menschen beurteilt nach seinen körperlichen Merkmalen...
    wenn man diese Reaktion ausschaltet, kann man sich ganz auf die Bewegungen und Regungen konzentrieren...


    in der Oper ist das seltener, ein Tenor hat mir erklärt, dass er trotz Bodybuilding nicht mit nacktem Oberkörper auftreten möchte, da die Muskelbewegung des Bauchs beim Singen nicht mit den ästhetischen Forderungen übereinstimmt. (ok, er hat es anders formuliert ;) ) schliesslich ziehen Sportler (und Tänzer) den Bauch immer ein... Operngesang ist so nicht möglich...


    aber in erster Linie will ich abstrakte Bühnenbilder diskutieren:
    z.B: eine interessante Barbiere Vorstellung in Zürich mit geometrischen Objekten auf der Bühne, die sich nach der Stimmung der Musik auch verändern konnten und schematisch die Umgebung dargestellt haben.


    der angesprochene Wertunterschied ist natürlich relativ... ein Bühnenbild ist als Wertanlage für Grossbanken und Versicherungen unbrauchbar...
    aber dennoch: warum hat das eine einen hohen Wert, und das andere scheinbar nicht?

    Im übrigen bin ich der Ansicht, dass gepostete Bilder Namen des Fotografen, der dargestellten Personen sowie eine genaue Angabe des Orts enthalten sollten.
    (frei nach Marcus Porcius Cato Censorius)

  • Wenn das Werk allgemein verständlich und nicht von spezifischen Merkmalen abhängig ist, arum dann neu interpretieren und hierzu die Handlungsepoche ändern?


    Warum Schillers Räuber in der Droenmafia von Detroit spielen lassen? Wird dadurch Verständliches verständlicher? Nur weil es möglich wäre? Wäre es dann noch Die Räuber von Schiller?


    Eine Zeitlosigkeit durch Abstrahierung ist für mich zu was anderes als das Versetzen in eine andere Epoche. Nichtzuordbarkeit würde ich immer einer konkreten Zeitversetzung vorziehen.


    Wenn ich nicht mehr in die Oper gehe und nur noch CDs höre, bin ich gezwungen, mich auf das zu konzentrieren, was ich höre, Musik und Stimme.


    Ein Kostüm ist für mich kein körperliches Merkmal, eher der singende Bauch. Die Erstbeurteilung anhand äußerlicher Merkmale eines Menschen durch den Menschen ist eine durchaus weitreichend bekannte Tatsache, dafür muss man kein Werk abstrahieren und als Zuschauer auch nicht in die Oper gehen.


    Zur zeitgeistgemäßen Gleichermacherei der natürlichen Unterschiede bedarf es nicht der Nacktheit, da reichen Schuluniformen für alle. Das wäre mir auf Dauer zu monoton, da dann lieber nur noch DVD mit ausschließlicher Abfilmung der Gesichter/Mimik, rest weglassen.

  • die extremste Ausprägung ist es, die Bühne leer zu lassen.


    wenn die Kostüme zusätzlich sich nicht zuordnen lassen, fallen soziale Vergleichsmuster weg, und man ist gezwungen, sich auf das wenige zu konzentrieren, was man sieht, nämlich den Bezug zwischen den handelnden Personen.
    gerade bei emotional sehr starken Szenen schätze ich es sehr, wenn wie bei einer Grossaufnahme quasi nur mehr zwei Gesichter oder zwei Körper zu sehen sind, die Mimik, und die jeweiligen Reaktionen.

    Lieber Wolfgang,


    im Theater gibt es eine solche Ästhetik ja. Sie sagt: Reduktion auf das Wesentliche, das ist das gesprochene Wort. In der Oper wäre es: Das gesprochene und gesungene Wort. Dann überläßt man die Veranschaulichung der Handlung durch Bilder der Phantasie des Zuschauers - vergleichbar einem Buch ohne Buchillustration, das man liest, wo man sich die Szenen "im Geiste" ausmalt. Vertreten kann man das und es hat auch etwas für sich finde ich. Zur Tradition der Oper gehört allerdings eine üppige Bühnenausstattung, schon im Barock. Oper ist als Kunst "gesellschaftlich" in hohem Maße immer gewesen - die Inszenierung hatte auch etwas von einer Modenschau und war so was wie Werbung - wo man die aktuellen Trends erfuhr wie Frisuren z.B. Letztlich ist die Oper ein Gesamtkunstwerk. Auch das Bühnenbild, die Kostüme usw. haben einen eigenen ästhetischen Wert. Warum sollte man sich generell selber einer solchen Ausdrucks- und Gestaltungsmöglichkeit berauben? Als Experiment fände ich eine solche abstrakte Inszenierung aber durchaus mal spannend, weil man so doch vielleicht vieles bewußter und klarer wahrnimmt wegen des Wegfalls gleichsam störender Komplexität.


    Schöne Grüße
    Holger

  • zur Züricher Inszenierung folgendes Video



    oder z.B: folgender Bühnenbildner http://www.stefanopoda.com/#!/


    abstrakt ist in seinem Fall der falsche Begriff, eher surrealistisch... aber ich möchte auch herausfinden, wie es um den Wert dieser Bilder bestellt ist...

    Im übrigen bin ich der Ansicht, dass gepostete Bilder Namen des Fotografen, der dargestellten Personen sowie eine genaue Angabe des Orts enthalten sollten.
    (frei nach Marcus Porcius Cato Censorius)

  • Vor einigen Jahren hatten wir in Hamburg, eine halbszenische Frau ohne Schatten auf der Bühne gehabt, vieles wurde wenn überhaupt nur angedeutet und es wurde sehr sporadisch mit Lichteffekten gearbeitet.
    Zwei oder drei Jahr später gab es dann eine szenische Aufführung der gleichen Oper und hier muß ich ganz ehrlich Zugeben, das diese szenische Umsetzung nicht die Kraft und Ausstrahlung hatte wie die halbszenische.
    Ich empfang die szenische Umsetzung verglichen mit der halbszenischen erschreckend blaß, die Charaktere wurde in der szenischen Umsetzung leider nicht so gut herausgearbeitet wie es vor ein paar Jahren noch in der halbszenischen der Fall war, zumindest empfand ich das so.

  • im Theater gibt es eine solche Ästhetik ja. Sie sagt: Reduktion auf das Wesentliche, das ist das gesprochene Wort.

    seitdem Schauspielregisseure in der Oper tätig sind, sind auch diese Bühnenbilder als Begleiterscheinung mitgekommen...



    Letztlich ist die Oper ein Gesamtkunstwerk. Auch das Bühnenbild, die Kostüme usw. haben einen eigenen ästhetischen Wert.

    das Stichwort Gesamtkunstwerk bringt mich darauf, dass hier ja 3 Kunstrichtungen zusammenarbeiten, um ein gemeinsames Werk zu schaffen.


    also hat doch die Regiekunst, bzw. Schauspielkunst, gesondert vom Gesang gesehen, sehr wohl eine Berechtigung.
    musikalische Leitung, die szenische sowie Bühnen- und Kostümbildner sind als gleichwertig zu betrachten.
    Je nach künstlerischer Potenz hat mal die eine, mal die andere Richtung die Oberhand, auch das ist eine Tatsache...


    Entwicklungen in den jeweiligen Richtungen können nicht nach Belieben rückgängig gemacht werden...
    wer würde von einem Dirigenten verlangen, exakt im Stil von Furtwängler zu dirigieren?? (mitsamt dem berühmten "Auftakt" ;) )

    Im übrigen bin ich der Ansicht, dass gepostete Bilder Namen des Fotografen, der dargestellten Personen sowie eine genaue Angabe des Orts enthalten sollten.
    (frei nach Marcus Porcius Cato Censorius)

  • Lieber Dr. Holger Kaletha!


    Ich bin mir offengestanden nicht ganz sicher ob Wieland Wagner seine Wurzeln wirklich im Schauspiel hatte, ich kenne vom Hörensagen und auch bedingt durch ein paar Bilder nur Operninszenierungen von ihm auch auch hier ( zumindest bei denen, die mir bekannt sind ) kam es auf der Bühne schon zu diesem Zeitpunkt zu einer Reduktion auf das wesentlich.
    Original Zitat (zumindest vom Sinn her): Wozu brauche ich einen Baum auf der Bühne, wenn ich Martha Mödl habe?

  • Sorry - ich steige recht spät in diesen Thread ein - möchte aber eine essentiele Behauptung in Frage stellen.


    Zitat

    moderne abstrakte Bilder können unschätzbaren Wert haben


    Meiner Meinung haben die ihn genau so wenig wie "moderne Bühnenbilder".


    Es ist ja schon fraglich ob alte Ölbilder nicht zumeist überschätzt sind. Aber es ist zumindest einigermassen nachvollziehbar, daß sie einigermaßen wertvoll sind.


    Abstrakte Bilder benötigen oft keinerlei handwerkliches Können, und inwieweit es eine künstlerische Großtat darstellt zwei Quadrate und einen Kreis auf eine weisse Leinwand zu pinseln (auf Details anderer Malthemen und Techniken lasse ich mich nicht ein) das ist zumindest fraglich.
    JEDOCH hat sich ein gewisses Biotop gebildet wo Maler, Kunstkritiker, Zeitschriften und Leute mit viel Geld eine wunderbare Symbiose bilden: Es geht hier ja meistens nicht um Kunstkenner, sondern um zweierlei Klientel.
    Gruppe A hat zuviel Geld und ein schlechtes Gewissen deswegen und möchte daher gerne wie die Fürsten vergangener Jahrhunderte "ZEITGENÖSSISCHE Kunst" fördern. Sie lässt sich das was kosten und geniesst die damit verbundenen öffentlichen Auftritte ("Man ist wer und hat was und ist sich seiner Verantwortung in Sachen Kultur gegenüber der Gesellschaft bewusst")
    Diese Grupope ist durch ihre Galeristen bestens informiert und so vermitteln sie den Eindruck von "Kennern" - weil ihre Aussagen mit denen ihrer "Lieferanten" und deren "Mentoren deckungsgleich sind.....


    GRUPPE B hat mit Kunst überhaupt nichts am Hut: Sie kaufen Bilder, in der Hoffnung auf "Wertsteigerung" und die Hoffnung auf Wiederverkauf. Sie haben Berater die sie beim Kauf beraten und ihnen beim Wiederverkauf unter die Arme greifen, wobei sie für ihre Beratung natürlich Spesen verrechnen müssen.


    Ob die Bilder dereinst von einem Museum auf Anraten eines politich opportunen Beraters gekauft werden oder nach einer Wernde in der Kunstlanschaft in der Mülltonne landen werden - da wage ich keine Prognose....


    Moderne Bühnenbilder indes sind sperrig, nutzen sich ab und haben keinen Prestgewert, man könnte sie - wäre man bösartig - mit den Sozialbausilos der 60er Jahre vergleichen, welche heute teilweise schon wieder gesprengt werden.....


    Ephraim Kishon hat sich auch für das Thema "Moderne Kunst" engagiert


    http://www.ephraimkishon.de/Picassokishausschnitt.htm
    http://www.ephraimkishon.de/picasso_war_kein_scharlatan.htm


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !