Liebe Taminos,
ich möchte heute einen Neuzugang in meiner Sammlung Alter Musik vorstellen.
Cantiga d'amigo von Martin Codax, eine besondere, einzigartige Form
galicisch-portugiesischer, mittelalterlich-höfischer Lieder. Die Kunst der
höfischen Lieder, ursprünglich gedichtet und komponiert von Troubadouren
aus Südfrankreich, hat sich bekanntlich im Mittelalter über Nordfrankreich
ausgebreitet und dann in ganz Europa. Aufgrund der Nähe zu Frankreich, der Pilgerwege
nach Santiago de Compostela und weil viele Troubadoure wegen der Albingenser-Kreuzzüge
nach Spanien geflohen sind, erreichte die Tradition der Troubadoure auch Spanien.
Erhaltene Manuskripte, wie das Vindel oder das Sharrer Manuskript, geben einen
Einblick in die höfische Dichtkunst des mittellalterlichen Galiciens und Portugals,
die damals vereinte Regionen waren. Das Vindel Manuskript ist nur noch in Form
eines einzelnen Blattes erhalten und beinhaltet die sieben Lieder mit Musikbegleitung
von Martin Codax. Vier weitere und umfangreichere Manuskripte aus dieser Zeit
geben einen Einblick, welche Instrumente damals verwendet wurden und dienen zugleich
auch als Orientierung, wie die Musik früher gespielt wurde. Neben dem Gesang hört man
Flöten, Mittelalter Fiedel, Cister, Oud (keine Laute) und ganz wichtig Trommelwerk.
Hier ein Link zum Manuskript:
http://de.wikipedia.org/wiki/Martim_Codax
Für mich ist diese Interpretation weniger eine Musik, die man nicht nur in den CD Player
legt und genießt, sondern vielmehr ein Stück Musikgeschichte. Die Nähe
Spaniens und Portugals zum arabischen Kulturkreis erkennt man Stil des Klanges der Instrumente,
der Gesang ist leidvoll und traurig. Der wunderschöne Gesang erinnert mich ein wenig
an den portugiesischen Fado, den ich in Lissabon ein paar Mal erleben durfte.
In den Cantiga d'amigo geht es um ein junges Mädchen, das sich nach ihrem Geliebten sehnt,
sitzend am Atlantik bei Vigo, wo sie auch dessen Rückkehr erwartet.
Die Interpretation kann als "frei" bezeichnet werden, da man heute nicht mehr genau weiß,
wie die Musiker damals ein Lied verziert haben. Man muss also den erfahrenen Musikern des
Ensembles Fin Amor, die sich diesem Genre widmen, vertrauen und sich frei von Vorurteilen
in das Mittelalter zurückversetzen lassen. Das Problem der nicht aufgezeichneten, musikalischen
Ornamentik begleitet uns ja ohnehin auch in der Renaissance oder im Barock.
Viel Vergnügen!
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Zitat aus dem Booklet:
The Vindel Manuscript is interesting in more ways than one. It not only provides us with
one of the few known musical scores of cantigas de amigo, but by presenting them together,
it also contributes to the notion of a cylce, which, if true, would be the first example in
the history of music.
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Zitat aus Wikipedia (http://de.wikipedia.org/wiki/Cantiga_de_amigo)
Die inhaltlichen und formalen Elemente dieser Liedform, Wiederholungen und Parallelismen,
sind von äußerster Schlichtheit. Die Strophen sind dreizeilig und oft unterscheidet sich ein
Vers vom anderen nur in einem Wort. Die quälende Frage kehrt in der dritten Zeile als
Kehrreim wieder und verstärkt so den Ausdruck unerfüllter Sehnsucht.
Typisch für diese Dichtungsgattung ist die strophische Form des Leixa-pren:
„Dem Leixa-pren als Prozess strophischer Artikulation kommt eine außerordentliche Bedeutung
in der parallelistischen Konstruktion der galaeco-portugiesischen Schule zu, besonders in der
stärker der volkstümlichen Tradition verbundenen Cantiga de amigo. Normalerweise operiert es
auf einem Distichon mit Refrainzeile. Die zweite Strophe wiederholt den Text der ersten,
außer den Reimwörtern, aufgrund einer Veränderung der Wortstellung oder durch synonymische
Ersetzung; die dritte Strophe beginnt mit der Wiederholung des zweiten Verses der ersten und
endet mit einem darauf reimenden neu geschaffenen, die vierte Strophe nimmt dieselbe Operation
mit dem zweiten Vers der zweiten vor, und so fort, maximal acht Strophen lang, wobei jede
Strophe sich auf den Refrain öffnet.“
– Roman Jakobson: Poesie der Grammatik und Grammatik der Poesie. Sämtliche Gedichtanalysen.
Diese formalen poetischen Kunstgriffe verleihen den sprachlich schlichten Cantigas de amigo
ihre starke magisch-suggestive Wirkung.