Liebe Freunde,
heute muss ich mit euch meine Eindrücke eines einzigartigen Opernnachmittag teilen, in dessen Genuss ich völlig unerwartet gekommen bin. Ich muss sagen, ich bin schon ein wenig aus allen Wolken gefallen, als meine Mutter mich zum Uni-Abschluss mit einem Ticket für Aida an der Mailänder Scala überraschte...
Bei der besuchten Aufführung handelte es sich um eine Wiederaufnahme einer Inszenierung, die der greise Maestro Franco Zeffirelli 2006 zur Eröffnung der damaligen Scala-Saison, im selbst entworfenen Bühnenbild herausbrachte, und welche auch auf DVD erschienen ist. Die ganze Schönheit und Musikalität dieser Produktion, kann allerdings erst bei einer Live-Aufführung voll zur Geltung kommen.
Der Vorhang hebt sich unter Szenenapplaus und man sieht ein prächtig-monumentales Palasttor, das mit zahlreichen altägyptischen Figuren geschmückt ist. Hier gelingt es Zeffirelli mit intelligenter Personenregie und genauer Figurenzeichnung geschickt das Drama um die äthiopische Königstochter zu entwickeln - in fesselnder und berührender Weise, ganz aus der Musik heraus. Man glaubt sich in eine ferne Vergangenheit zurückversetzt, und fühlt sich von Anfang an (fast) als Teil dieser herrlichen Verdi-Oper.
Für die zweite Szene des ersten Aktes, dem Tempel des Vulkans, stellt Zeffirelli einen hohen Altar mit Schrein in den Mittelpunkt des Geschehens, umgeben von goldenen Säulen und Gitterstäben, wobei von oben ein mystischer Lichtschein einfällt - man hörte Verdis Musik nicht nur, man sah sie.
Auch das Gemach der Amneris setzt diesen Eindruck fort: in zarten Blautönen umgeben von schattenspendenden Palmen, schmückt sich die Pharaonentochter zur Siegesfeier. Fesselnd und spannend ist die Personenführung während des Duetts der beiden Prinzessinen. Noch nie habe ich an dieser Stelle auch Amneris so verzweifelt gesehen, als sie entdecken muss, dass Radamès Herz wohl ihrer äthiopischen Sklavin gehört und ihr die Situation völlig entgleitet.
In der Triumphszenene hat sich Zeffirelli einmal mehr selbst übertroffen. Er positioniert die prächtig singenden Chöre (Einstudierung: Bruno Casoni) nicht nur akustisch hervorragend, sondern sorgt für eine Szenerie, an der man sich kaum satt sehen kann. Auf einer mehrstöckigen Prachttribüne umgeben von goldenen Statuen und Sphinxen, gelingt ein Tableau von beeindruckender Monumentalität - die jedoch nie zum Selbstzweck gerät, sondern sich stets ausschliesslich in den Dienst der Musik stellt. Trotz der farbenprächtig und z.T. glitzernd kostümierten Chor- und Statistenmassen (die herrlichen Kostüme stammten von Maurizio Millenotti) , gelingt es dem Regie-Maestro stets, die Solisten und ihre Gefühle in den Mittelpunkt des Bühnengeschehens zu stellen. Wunderbar und musikalisch war auch die Choreographie von Vladimir Vassiliev, mit den hervorragnden Solisten des Scala-Balletts.
Der Nilakt, mit seinen herrlichen gemalten Prospekten und Palmen, war an Poesie kaum zu überbieten. Vor dem im Hintergrund gleichgültig dahin fliessendem Fluss, entwickelte sich die nicht mehr aufzuhaltendeTragödie.
Im vierten Akt, sah man wieder das Tempelbild des ersten Aktes, jedoch sorgte die Lichtregie nun für soetwas wie absolute Endzeitstimmung. Dies war der Rahmen für eine beeindruckende und erschütternde Gerichtsszene, die abermals von der musikalischen und sensiblen Personenführung profitierte. So fuhr zur letzten Szene die komplette Szenerie filmreif nach oben und stellte so das Grab von Aida und Radamès dar - genau wie vom Libretto gefordert, um sich zu den letzten Worten der trauernden Amneris, wieder nach unten zu senken. Einfach nur wunderschön und tief bewegend.....
Auch musikalisch war ich an diesem Nachmittag begeistert. Als Aida gefiel mir Liudmyla Monastyrska von Anfang an sehr gut, mit sicher geführtem, dunklem Sopran. Mit himmlischen Piani (Numi pieta! ) und herrlichen Legati hatte sie von Anfang an die Gunst des Publikums auf ihrer Seite, sodass man ihr leichte Schärfen in der Höhe schnell nachsah.
Rundum großartig: Die diesen Sommer als Salzburger Eboli gefeierte Ekaterina Semenchuk als Amneris. Die Stimme ist zwar nicht sehr groß, besitzt aber ein weiches, amgenehmes Timbre. Mit wunderbaren Höhen und großem Temperament begeisterte sie als stolze, unglückliche und verletzliche Pharaonentochter, ohne jemals zu "orgeln" , wie es bei der Amneris leider allzuoft passiert. So setzte Semenchuk nach drei phantastischen Akten, dieser Gesangsleistung im vierten Akt die Krone auf - eine Gerichtsszene von dieser Fulminanz habe ich live noch nicht erlebt! Brava!
Der Radamès war mit dem jungen Spanier Jorge de León mehr als ansprechend besetzt. Leider war der Tenor zu "Celeste Aida" wohl noch nicht ganz eingesungen, sodass diese möderische "Eingangsarie" etwas um den Effekt gebracht wurde. Jedoch steigerte sich de León im Laufe des Abend und sorgte mit seinem männlich timbrierten, sehr schönen Tenor und sicheren Spitzentönen für manchen Höhepunkt, sodass ich diesen Sänger gerne nochmals hören würde.
Alberto Mastromarino legte den Amonasro sehr lyrisch an - so hätte ich mir gerade beim Duett mit Aida und den darin enthaltenen Drohungen im dritten Akt, etwas mehr Attacke gewüscht, was jedoch durch einen phantastischen Aktschluss bei "Tu Amonasro! Tu il Re" mehr als wett gemacht wurde. Marco Spotti als Ramphis bestach mit bedrohlichen Tiefen, wobei die Stimme jedoch etwas belegt klang, während Alexander Tsymbaliuk eine wahre Luxusbesetzung für den König darstellte. Phantastisch auch Sae Kyung Kim in der kurzen, aber anspruchsvollen Partie der Sacerdotessa.
Pier Giorgio Morandi sorgte am Pult des großartigen Scala-Orchesters für einen Höhepunkt nach dem anderen: Stets gefühlvoll, transparent, sowie spannungsreich und sängerfreundlich! So soll es sein!
Das Publikum feierte Sänger, Chor und Orchester frenetisch. Man sah am Ende nur glückliche, berührte Gesichter. Viele Menschen waren extra aus Deutschland und Frankreich angereist, quasi als Regietheaterflüchtlinge. Es herrschte allgemeine Begeisterung über eine Vorstellung, die dem Ideal vom Gesamtkunstwerk Oper sehr nahe kam. Viele, mit denen ich ich den Pausen gesprochen habe, fragten sich, warum etwas so schönes, berührendes und erhabenes nicht auch in Deutschland stattfinden kann. Die Antwort ist einfach aber traurig: Eine solche Inszenierung steht über allen idiotischen Opernhaus-des-Jahres-Wahlen, über dem dümmlichen Propaganda-Geschreibsel deutscher Kritiker, über allen Angriffen und Beleidigungen der Regietheater-Mafia - und würde deren Machwerk zerschmettern wie Sarastros Sonnenkreis es mit dem Machtgebäude der Königin der Nacht, bekanntlich tut. Ein derartiges Szenario würde diese Mafia niemals zulassen - geht es ihnen mit ihrem "Theater" doch weder um Kunst und Bildung, sondern schlicht und einfach ums Geld, Macht und deren Erhalt - mit allen Mitteln!
In diesem Sinne gute Nacht!