BARENBOIM Daniel - Vom Pianisten zum Universalmusiker

  • Liebe Forianer,


    Als unlängst immer wieder der Name Daniel Barsnboim auftauchte, stellte ich mir unwillkürlich die Frage: Warumm postet den niemand im Barenboim-Thread ?
    Die Antwort ist, wie so oft, simpel: Es gibt noch keinen.
    Dabei war ich mir sicher, bereits einen verfasst zu haben - denn hab ich schließlich auch gefunden - aus prätaminoianischer Epoche.



    In meiner Jugend war Barenboim ein Name, der nie vergessen werden durfte, wenn die Rede auf das Thema Pianisten kam. Er galt als einer der ganz Großen.


    Warum, weiß ich nicht, aber irgendwann begann er dann zu dirigieren, und wenn ich mich richtig entsinne, spotteten etliche Kritiker über ihn oder meineten sein Dirigat wäre nicht beeindruckend.


    Dirigenten meinten er wäre ein guter Pianist, Pianisten rechneten ihn dem Lager der Dirigenten zu.


    Ich, wenn ich ehrlich bin, habe ihn bald aus den Augen verloren, vereinzelt gibt es CDs in meiner Sammlung, aber eigentlich ist nichts dabei, was aus meiner Sicht zu den Referenzen zählt. Dieses Schicksal teilt er ja mit vielen Künstlern, in seinem Fall ist es nur besonders auffällig. Als die Beethoven-Klavierkonzerte mit ihm und Klemperer aktuell waren, waren sie in aller Munde, heute jedoch sind sie eher vergessen.


    Ruhm und Ruf eines Künstlers hängen aber sehr oft nicht von den eigentlichen Leistungen, sondern in der Vermarktung durch sein Label ab. Der "Konzertmarkt" ist ja sowieso grundverschieden von der Tonträger-Szene.


    Heute sehe ich in ihm weniger einen Pianisten, denn einen gediegenen Universaldirigenten - aber wie gesagt - das Image eines Künstleres hängt ja weitgehend von der Imagepflege durch seine Plattenfirma statt. Da mag mir manches entgangen sein - oder es hat einfach nicht stattgefunden.


    Daher frage ich euch nach "Refereinzeinspielungen" (im weitesten Sinne) dieses doch sehr bekannten Künstlers. Was möchtet Ihr auf keinen Fall missen ??


    Hier geht es aber bitte um künstlerische Aspekte, die "politischen" wurden bereits in einem anderen Thread gewürdigt


    Freundliche Grüße aus Wien


    Alfred




    Teile des Textes wurden bereits andernorts verwendet, das Copyright liegt jedoch bei mir.--- Copyright by Alfred Schmidt 2004/2005 Wien

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • hallo Alfred,


    da ich nicht der experte sinfonischer musik bin, äußere ich mich hinsichtlich seiner dirigierleistung nicht. seinen höchsten stellenwert in der interpretationsgeschichte sehe ich in der kammermusik mit seinen freunden perlman, zukerman und natürlich seiner damaligen frau. lich kenne rein pianistische aufnahmen aus seiner frühen, mittleren und späten periode. z.b. die diabelli-variationen. es gibt aus all diesen perioden aufnahmen. am beeindruckendsten ist seine frühe aufnahme aus anfang der 60er jahre (von ermitage herausgegeben). pianistisch vollkommen, kantabilität und vehemenz kommen jeweils mit großer geste und einer reife, wie man sie einem etwas über 20jährigen gar nicht so zutraut. dieses pianistische niveau hat er später nicht mehr halten können, wenn auch das werkverständnis enorm ist.


    aktuell ist z.b. seine einspielung des WTK 1 bei warner. man hört, dass er dieses werk vom verständnis voll im griff hat, jedoch sind die pianistischen defizite unüberhörbar. die verzierungen sind ungeschickt, die phrasierungen klingen manchmal, leider, wie bei einem klavierschüler.


    am ehesten erkläre ich mir das dadurch, dass barenboim nie eine harte klavierschule passiert hat. er konnte damals als wunderkind und jüngling von seinem naturtalent gebrauch machen, das vergleichbar eines gieseking oder rubinstein oder auch einer haskil war. dann kam die zeit der hohen belastungen als dirigent mit verpflichtungen an mehreren großen institutionen. nun spielt er öffentlich wieder mehr klavier, aber nun fehlt ihm eine antrainierte technik, die ihn dazu in der lage versetzen würde, sein ursprüngliches niveau wieder zu erreichen. bei ashkenazy, z.b., ist es anders. er spielt immer noch auf weltklasse-niveau. das ist wohl das ergebnis seiner zeit am moskauer konservatorium !


    gruß, siamak

    Siamak

  • Hallo Alfred,


    über Barenboim einen Thread zu eröffnen, ging mir auch schon durch den Kopf. In jungen Jahren wurde er mir nicht nur durch die Klavierkonzerte von Beethoven mit Klemperer bekannt, sondern besonders durch seine Einspielung aller Klavierkonzerte von Mozart. Während ich die Beethoven-Aufnahme im Vergleich zu anderen großen Aufnahmen weniger gelungen fand, gefiel mir Mozart sehr gut, ja öffnete mir überhaupt erst die Ohren für viele Seiten, die ich an diesem „Wunderkind“ vorher nicht gesehen hatte oder nicht sehen wollte. Leider scheint diese frühe Aufnahme jetzt von Markt genommen zu sein und ersetzt durch eine andere, weniger zupackende.


    Barenboim verkörperte für mich damals den 68er auf dem Gebiet der klassischen Musik. Heute ist der Begriff „68er“ fast schon zum Schimpfwort geworden – die Konservativen haben die Lektion der kulturellen Hegemonie gut begriffen -, und auf den „68er“ wird alles abgeschoben, wo jemand die Verantwortung für politische und soziale Fehlentwicklung nicht übernehmen will, als hätten die „68er“ 1968 oder den nachfolgenden Jahren die Regierungsverantwortung inne gehabt. Das Thema wird inzwischen so heiß gekocht, dass ich darauf gar nicht weiter eingehen will.


    Die klassische Musik erschien mir damals überwiegend als eine steife Welt voller unecht gewordener Gefühle. Die meisten wandten sich daher ganz von ihr ab. Aber es stimmt, die Musik hat etwas Unzerstörbares, und das ist immer an Personen gebunden. Etwas Frisches kam herein erst durch die Art, wie Leonard Bernstein in seinen Konzerten für die Jugend die Klassik vermittelte, und dann auch durch die für mich völlig neue Art von Musikbegeisterung von Barenboim und mit ihm Zuckerman und Jacqueline du Pre.


    Besser als viele Worte kann das vielleicht ein Foto verdeutlichen. Jack Robinson, 1928 in der Nähe von New Orleans geboren, ist einer der besten Fotografen der Beat-Generation und spürte mit sicherem Instinkt die innere Verwandtschaft. (Auch über Beat zu reden ist heute ja genau so schwierig wie über die 68er, werden doch damit mehr Mythen als Realität verbunden. Es wäre ein eigenes Thema, das gebrochene Verhältnis zur jüngeren Geschichte aufzuarbeiten, nicht zuletzt in der Musik.).



    Daniel Barenboim, Jacqueline du Pré und Pinchas Zuckermann 1969 nach einem Konzert in der Carnegie Hall


    Aber es stimmt schon, irgendwie scheint danach viel von diesem Schwung verloren gegangen zu sein. Im Internet ist die Information zu finden, dass er bei Igor Markevitch dirigieren und bei Nadia Boulanger komponieren lernte, deren Einflüsse vermag ich in seiner Kunst jedoch kaum mehr zu erkennen. Er scheint sich als einer der „Weltstars und Weltbürger“ wohl zu fühlen, für mich schwer zu verstehen.


    Und doch freut es mich, dass es ihm in seiner mutigen Haltung gegenüber Israel erneut gelingt, die tiefe Kraft der Musik einzusetzen, festgefahrene Strukturen und Vorurteile zu überwinden.


    Viele Grüße,


    Walter

  • Hallo, ich schreibe was zu diesem Thread, damit er in der Liste wieder nach oben rutscht und etwas mehr Aufmerksamkeit bekommt.


    Ich habe Daniel Barenboim bei meinen zahlreichen Berlinausflügen und auch ein Mal in Leipzig gehört, ohne allerdings ein echter Fan von ihm zu sein.
    Ich finde, dass ihm seine vielgerühmte Universalität an manchen Stellen zum Verhängnis wird.


    Früher war er einfach nur ein exzellenter Pianist, der durch die berückende Natürlichkeit seines Spiels fesselte. Heute will er einfach alles sein: Dirigent, musikalischer Nahostbeauftragter und -weiterhin- Pianist, der im reifen Alter zu allem Überfluss auch noch Bach für sich entdeckt hat.
    So viel Breite kann ja nur auf Kosten der Tiefe gehen, wird man da nicht ganz unberechtigt einwenden können.


    Der erste Band des WTK in Leipzig war eine Riesenenttäuschung. Keine Struktur, kein rhythmisches Rückgrat - allenfalls ein Baden im Wohlklang, einfach öde. Trotzdem tobte der saal hinterher. Naja, Barenboim bräuchte nur die Hosenträger unter seinem Frack hervorkramen - Die leute würden trotzdem jubeln...


    Ein ganz anderes Blid vor zwei Wochen beim Mozart-Duoabend mit Radu Lupu in der Staatsoper unter den Linden: Da war auf einmal Lupu (wegen dem ich eigentlich angereist war) der deutlich Langweiligere. Barenboim ergriff die geistige (und pianistische) Führungsrolle und erfreute mit spontanem Witz und unglaublich instinktsicherm, sowie technisch einwandfreiem Klavierspiel. Wieder zu Hause, habe ich in die Mozart-Konzerte (die alte und die Neue Aufnahme) reingehört. Erstaunlicherweise fand ich den späteren Barenboim um Einiges überzeugender - Von einem generellen Qualitätsverlust kann man also nicht sprechen, eher von einem beständigen Auf und Ab.


    Beste Grüße!
    Daniel

  • In diesem von meinem "Vorschreiber" erwähnten Klavierabend in der Staatsoper unter den Linden Berlin mit Lupu war ich auch und empfand diesen Abend als "Sternstunde"!
    Mit großer Bewunderung für den Künstler Barenboim, denn er hatte am Wochenende drauf "Boris" Premiere als Dirigent.
    Ich frage mich wann übt dieser Mann. Toll!!!
    :hello:
    mucaxel

    mucaxel

  • Hallo Mucaxel,


    Dann hast du ja die deutlich weitere Anreise gehabt! Ja, der Abend war wirklich toll! Am besten fand ich die perfekt synchronisierte Sonate für zwei Klaviere nach der Pause - da stimmte wirklich alles!
    Nur diese ätzend engen und harten Sitze und der geringe Reihenabstand in der Lindenoper trüben den Genuss...
    Beste Grüße!
    Daniel

  • Liebe Taminos,


    überzeugt hat mich Barenboims Einspielung von Mendelssohns "Liedern ohne Worte". Barenboims trifft den Ton dieser Miniaturen perfekt und sein "schöner" Ton kommt ihm hier besonders zustatten:



    Wenig begeistert hat mich Barenboims Interpretation von Chopins´ Nocturnes. Barenboim spielt klangschön keine Frage, aber ohne jede Tiefe. Die Zwischentöne dieser "Nachtstücke" kommen so gut wie gar nicht zur Geltung. Man langweilt sich schnell beim Hören.
    Herzliche Grüße,:hello: :hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

  • Von Barenboim als Dirigenten liebe ich seit Jahren diese Aufnahme - allein schon wegen des nicht so alltäglichen Repertoires:




    Vaughan Williams: Oboenkonzert; Fantasia on "Greensleeves; The Lark Ascending
    Walton: 2 Stücke aus "Henry V"; Passacaglia
    Delius: 2 Aquarelle; On Hearing the First Cuckoo in Spring; Summer Night on the River
    Black, Zukerman, English Chamber Orch., Ltg.: Barenboim


    Das Oboenkonzert finde ich besonders schön - es hat mich damals auf "Mehr" von Ralph Vaughan Williams neugierig gemacht.

    "Es ist mit dem Witz wie mit der Musick, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man."
    (Georg Christoph Lichtenberg, 1773)

  • Hallo Marc,


    schön, daß es Dir auch so geht. Ich wollte gerade diesen Vorschlag posten, denn diese CD gehört zu meinen ABSOLUTEN LIEBLINGEN in meiner Sammlung.
    Barenboim at his best.
    Den Delius, v.a. "On hearing the first cockoo in spring" finde ich sogar noch gelungener als die immer wieder erwähnte Beecham-Referenz (sicherlich großartige Aufnahmern und fabelhafter Verdienst des Hr. Beecham, zweifelsohne!)
    Die Zuammenstellung ist ebenso wundervoll. Das Oboenkonzert Vaughan-Williams liebe ich ganz besonders!


    Echt toll, daß ich nicht der einzige bin :yes::)


    LG
    Wulf.

  • Ich kenne Barenboim als Dirigenten beim Cellokonzert op. 104 von Dvorak (mit du Pre als Cellistin). Und auf der gleichen CD ist auch das 1. Cellokonzert von Haydn.


    Ich habe aber bei diesen Aufnahmen bisher nicht auf Spezifisches beim Orchesterspiel geachtet. Daher ist mir auch nichts besonderes zum Stil von Barenboim aufgefallen.


    Was mir aber an ihm als Menschen imponiert, ist, wie er sich für die Verständigung zwischen Israel und Palästina einsetzt. Wie es ihm darum geht, Vorurteile zu überwinden, Feindbilder abzubauen, einander kennen zu lernen, das Verbindende im Verschiedenen zu entdecken, zur Versöhnung beizutragen.
    Mit seinen Mitteln, mit dem West-Eastern Divan Orchestra


    Und übers Internet habe ich Interessantes zu seinem Werdegang gefunden:


    Er ist der Sohn russisch-jüdischer Emigranten, der 1942 in Buenos Aires geboren wurde.
    In den 50er Jahren galt er als pianistisches Wunderkind, das erst in Argentinien, dann in Europa für Begeisterung sorgte. Gerade mal sieben gab er sein erstes Klavier-Konzert in Buenos Aires, drei Jahre später folgten erste Auftritte in Salzburg und Wien. Später begegnete er Edwin Fischer, bei dem er Unterricht nahm, und seinem Idol Wilhelm Furtwängler, der sich von dem jungen Talent begeistert zeigte.


    Doch dabei wollte er es nicht belassen. Schon bald besuchte er Dirigentenkurse bei Igor Markevich, holte sich den letzten Schliff bei Nadia Boulanger und begann seine Laufbahn als Dirigent 1961 zuerst in Israel, später in Österreich. Seitdem sorgt der Vollblutmusiker auf beiden Gebieten seines künstlerischen Schaffens für Aufsehen – am Klavier ebenso wie mit dem Taktstock in der Hand.
    So spielte er 1964 mit dem English Chamber Orchestra zum ersten Mal in London, Paris und New York sämtliche Konzerte für Klavier von Wolfgang Amadeus Mozart. 1973 wurde er Nachfolger von Sir Georg Solti an der Spitze des Orchestre de Paris. Er dirigierte seit dieser Zeit die wichtigsten Orchester der Welt, vor allem in London, wo er seinen ständigen Wohnsitz hatte.
    1981 leitete er mit Richard Wagners „Tristan und Isolde“ seine erste Bayreuther Aufführung. Bemerkenswert auch seine Einspielung der 32 Sonaten und der fünf Konzerte für Klavier Ludwig van Beethovens, einmal als Pianist unter der Leitung von Otto Klemperer, einmal als Dirigent mit Arthur Rubinstein am Flügel. Ob Johann Sebastian Bach, Frédéric Chopin, Johannes Brahms oder zeitgenössische Klavierliteratur.
    1989 legte er die Leitung des Orchestre de Paris nieder, um die der neuen Opéra de Paris zu übernehmen. Aufgrund von Streitigkeiten mit dem Intendanten trat er diese Stelle jedoch niemals an. 1991 übernahm er stattdessen die Leitung des Chicago Symphony Orchestra und wurde ein Jahr später Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper Unter den Linden.


    Es gibt auch eine von ihm selbst verfasste Lebensbeschreibung, die ich aber nicht kenne. Ich werde bei Gelegenheit mal reinschauen. Und genauer auf von ihm dirigierte Werke achten.

    Anna-Beate

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner

  • Der Dirigent Daniel Barenboim soll für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen werden. Das teilte eine Initiative in Buenos Aires mit. Damit sollen seine Verdienste um die Aussöhnung im Nahen Osten gewürdigt werden.
    Der israelisch-argentinische Pianist und Dirigent hatte 1999 zusammen mit dem inzwischen verstorbenen palästinensischen Intellektuellen Edward Said das West-Eastern Divan Orchestra gegründet, in dem junge Araber und Israelis gemeinsam musizieren.
    Barenboim ist seit 1992 Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper Unter den Linden.

    (Quelle: WDR)


    LG

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Der Dirigent und Pianist Daniel Barenboim wird neuer Musikdirektor der Mailänder Scala. Ein Sprecher des Opernhauses erklärte, Barenboim werde die Aufgabe im Dezember für fünf Jahre übernehmen. Der argentinisch-israelische Musiker habe sich verpflichtet, jährlich etwa vier Monate an der Scala zu arbeiten. Der 68-jährige Barenboim ist Generalmusikdirektor der Staatsoper Unter den Linden in Berlin und der Staatskapelle Berlin. Bereits seit Jahren ist er auch der Hauptgastdirigent in Mailand.

    (Quelle: WDR)


    LG


    :hello:

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Hin und wieder spielt er auch noch Klavier, das kann er ja auch ganz gut. Der große Aktionsradius sei ihm gegönnt, hoffentlich tut es seiner Gesundheit gut.


    LG, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


  • Von vielen dieser Dinge wusste ich nichts. Sollte es stimmen, was dort steht- und ich habe jetzt keinen Anlaß, das in Zweifel zu ziehen, dann finde ich es bedauerlich, dass er sich manchmal so verhält.


    Man sollte die Führungsperson Barenboim vom Dirigenten, und den Dirigenten wieder vom Pianisten trennen, wobei es bei den musikalischen Berufen auch gemeinsame positive Eigenschaften gibt.


    Mich hat dieser Thread an sich nur interessiert, weil ich in den letzten Monaten diesen Musiker für mich an sich neu entdeckt habe, hier allerdings den eher reifen bis späten Dirigenten. Seine früheren Aufnahmen, etwa der Brahms-Violinsonaten mit ihm als Pianisten konnten mich im Vergleich zu Anderen nicht besonders überzeugen.


    Sein Repertoire und seine musikalischen Interessen sind ja faktisch wesentlich breiter ausgeprägt, als der Bereich, den ich musikalisch an mich heranlassen möchte. Ich äußere mich zu ihm jetzt also als Interpreten für die deutsche Romantik, sprich Brahms , Schumann und Wagner.

    Hier habe ich für die entsprechenden Werke nicht nur eigene Aufnahmen im Bestand, die ich gut kenne, sondern kann über Spotify-Premium in guter Qualität sehr umfangreiche Vergleiche anstellen. Dabei ist mir aufgefallen, dass ich Barenboims Ansatz als späten Dirigenten überaus mag und bei vielen Vergleichen vorzog, was mich selbst überraschte.


    Das Orchester klingt bei ihm voll, warm und dunkel. Nie nervt er mit übereilten Tempi, sondern ist in der Lage, innerhalb eines ausgewogenen Zeitmaßes die Musik zum Aufblühen und zum Atmen zu bekommen.

    Er setzt die musikalischen Mittel mit großer Erfahrung und Weisheit ein - z.B. nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig Agogik.


    Seine neue Gesamtaufnahme der Brahms-Symphonien finde ich zum Niederknien.




    Für mich ist das die erste echte Alternative zu den von mir bevorzugten Aufnahmen Karajans, Abbados und Rattles, die alle aus dem "Karajan-Klang" und seinem typischen Ansatz hervorgegangen sind.

    Bei Barenboims "neuen Brahms" sind es z.B. die leisen Stellen, bei denen er eine derartige Spannung erreicht, dass ich beim Hören die Luft anhalte. Wo andere noch mf-"durchsägen" dirigiert er ein wunderbares weiches piano, jedoch mit mindestens der gleichen Energie, die von einer Note zur nächsten erkennbar wird und aus der Bewegung der Phrase sowie der Harmonik/Melodik herrührt.


    Seine Aufnahme des Parsifal mit den Berliner Philharmonikern verdient wirklich den Status einer Referenz.




    Schmeichelnd dahinströmender Luxusklang im Orchester, durchaus auch mit enormen Ausbrüchen; und musikalisch gesehen finde ich das, was er da macht, äußerst hochwertig und nachvollziehbar. Wenn dann noch gute Sänger, wie die unvergleichliche Waltraud Meier dazukommen, dann freue ich mich schon auf die nächste Mußestunde, bei der ich wieder Zeit für diese Aufnahme habe.


    Auch seine letzte Aufnahme der Schumann-Symphonien ist jene, die ich im Vergleich mit all den anderen großartigen Aufnahmen am Ende behielte, wenn ich nur eine behalten dürfte.




    Für mich ist er als später Dirigent vom Orchesterklang und interpretatorisch klar in der deutschen, von Wagner und Furtwängler geprägten Tradition angesiedelt. Das schätze ich sehr.


    Was den Pianisten Barenboim anbelangt: es gibt wohl kaum einen Dirigenten, der pianistische so gut "drauf" ist, wie eben Barenboim. Da er aber sehr viel macht, sich aber dennoch durchaus sehr schwere Dinge aufs Programm setzt, macht er sich damit natürlich auch mit Leuten vergleichbar, die außer Klavierspielen nichts anderes im Bereich der Musik machen.


    Nicht immer tut er sich damit einen Gefallen.

    Neulich hörte ich ein Mozart-Klavierkonzert mit ihm und den Berliner Philharmonikern......ich glaube, es war auch YouTube. Das Orchester spielte vom Klang einfach edel und wunderbar, eben beseelt und perfekt. Dass er daran auch einen Anteil hat, glaube ich schon. Allerdings habe ich dann doch z.B. Uchida, Brendel oder Gulda im Ohr. Dagegen hörte sich sein nahezu fehlerfreies Live-Spiel dann noch eher danach an, dass man froh war, dass er ohne hörbare Negativa durchaus anständig und passabel durchkam, also nicht steckenblieb, bzw. herauskam.

    Auf dem Niveau der "Nur-Pianisten" hörte ich seine Klavieranteile nicht. Auch das Orchester hörte sich in meinen Gehörgängen einen Hack "höherwertiger" als sein - wie gesagt immer noch enorm gutes- Klavierspiel an.

    Nun lässt er sich offensichtlich von kaum jemanden etwas sagen, schon gar nicht von mir, den er nicht einmal kennt.

    Hätte es aber doch einen Sinn, dann riete ich ihm, das Klavierspielen im Live-Konzert den Spezialisten zu überlassen und sich aufs Dirigieren zu beschränken.


    Wie dem auch sei: Am Ende ist es für unsereiner egal, ob der Mann nett ist oder nicht. Wie es im Konzert und auf den Aufnahmen klingt, ist für uns jedenfalls das Entscheidene.


    Das ist bei Wagner ja nicht anders: es ist am Ende egal, was der damals für Meinungen und Charaktereigenschaften hatte. Neulich las ich, wie jemand sich über Thielemann echauffierte, der es sich "zu einfach" mache, wenn er dazu sagt" C-Dur ist C-Dur". Nein, er macht es sich nicht "zu einfach", sondern er übt seinen Beruf aus. Es geht ja nicht anders. Entweder dirigierst Du Wagner oder Du lässt es gleich bleiben und verfasst Texte , in denen Du all Deinen "Bauchschmerzen" mit Wagner Ausdruck verleihst.

    Du kannst aber nicht mit 2568 Bedenken und Bauchschmerzen in die Probe gehen und dann den Einsatz für die Bässe im Vorspiel zum Rheingold geben. Da muss man voll in der Musik sein.Du brauchst nicht den Wagner als Person zu lieben oder gar anzuhimmeln, aber es ist sehr hilfreich, wenn man diese Musik liebt, denn sie ist nun einmal sehr sehr gut.


    So extrem wie für Dirigenten ist die Situation für den "Nur-Hörer" nicht. Aber auch CD-Hörern kann, ja muss es am Ende egal sein, ob der Chefdirigent auch öfters schlechte Seiten an den Tag legt oder legte. Böhms Proben sollen die Nervenkraft seiner ja durchaus extrem professionellen Musiker hier und da überfordert haben. Mag sein - aber ich kann ja gar nicht anders, als bei seiner Spätaufnahme der 5. von Schubert mit den WPO dies alles zu vergessen und mich der wunderbar zelebrierten Musik hinzugeben. Mein Interesse für Barenboims Musizieren ist unabhängig von seiner privaten (Un-)Art.


    Zudem stehen ja wenigstens einige wenige positive Sätze im Text:


    "In Proben mit Musikern kann Daniel Barenboim außergewöhnlich geduldig und ruhig sein, an ein unbekanntes Stück extrem langsam herangehen, um Musikern die Möglichkeit zu geben, die Noten zu lernen. Er kann auch elektrisieren: Über eine Probe von Tschaikowskys Vierter Symphonie erzählt ein Musiker: »Es war unmöglich, sich nicht voll reinzuknien. Er war sorgfältiger und hatte mehr Energie als die meisten 40-jährigen Dirigenten.« »Ich habe als junge Musikerin bei ihm eine Wagner-Oper sofort verstanden«, erzählt eine Akademistin. »Bei ihm entsteht das ganz natürlich, als ob es gar kein riesiges Werk wäre.« "


    Nun denn- da haben wir ja die Dinge, auf die es am Ende besonders ankommt.


    Gruß

    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Alfred_Schmidt

    Hat den Titel des Themas von „Daniel BARENBOIM - Vom Pianisten zum Universalmusiker“ zu „BARENBOIM Daniel - Vom Pianisten zum Universalmusiker“ geändert.
  • Ich habe es schon im Einstiegsthread geschrieben: In meiner Jugend und seinen frühen Jahren war er - vor allem in Amerika als PIANIST angesehen. Irgendwann begann er dann auch zu dirigieren, was teilweise hämische Reaktionen von deutschen Kritikern hervorrief (Tempowahl)

    Ich selbst - sei dies richtig oder falsch - habe stets ein flaues Gefühl, wenn ein Solist oder Sänger in den Dirigentenbereich wechselt.

    Und so habe ich gelegentlich CDs von Barenboim gekauft - und fand nichts zu beanstanden - aber eben - weil sie entweder günstig waren, oder weil ich Programmlücken schliessen wollte, nie aber der Person an sich willen.

    Am Ende ist es für unsereiner egal, ob der Mann nett ist oder nicht.

    Insbesondere ist hier anzumerken, daß die wenigsten Leute, die mit "klassischer Musik" zu tun haben "nett" sind (Ich bin hier eine AUSNAHME :baeh01: )

    Egal ob Komponist, Instrumentalvirtuose, Sänger, Dirigent, Kritiker oder Klassikforum-Mitglied: Der Anteil an Mißmut, Frust und teilweise Bösartigkeit ist bemerkenswert.

    Allerdings - in der Öffentlichkeit wird das (zumeist) kaschiert.


    mfg aus Wien

    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Auch ich bin stets der Meinung gewesen, dass Dirigenten dirigieren und keine netten Menschen sein sollen. Nett sein können viele (Hallo Alfred :hello:), gut dirigieren aber nur ganz wenige. Das Problem ist, dass dieser Dirigent inzwischen für ein System steht, das langsam erstarrt bzw. selbst eines geworden ist. Es werden bald 30 Jahre, dass er dem Haus und dem Orchester vorsteht. Bleibt er einigermaßen gesund, was ihm zu wünschen ist, kommen nochmal viele weitere Jahre hinzu. Heute Vierzigjährige kennen nichts anderes als ihn. Bald werden sie fünfzig sein - und nichts anderes gekannt haben. Wenn kulturelle Institutionen in einem demokratischen Staat zum Patriarchat verkommen, kommt auch irgendwann keine Kunst mehr heraus. Alle verschwören sich. Und das alternde Publikum will irgendwann auch nichts neues mehr haben und feiert mit dem Familienoberhaupt auch immer sich selbst. Ja nichts verändern! Machterhalt ist ein sonderbar Ding. Es soll immer alles so bleiben wie es ist. Brahms hin, Brahms her. Leider hat Berlin aus anderen vergleichbaren Beispielen bei der Deutschen Oper und den Philharmonikern nichts gelernt. :(

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Ich habe den Artikel mit großem Interesse gelesen und fand ihn sehr ausgewogen, weil er positive wie negative Stimmen zu Worte kommen lässt. Dass Barenboim nicht unbedingt ein umgänglicher Mensch ist, habe ich auch vor Lesen des Artikels schon vermutet. Immerhin bestreiten auch die kritischen Stimmen nicht seinen Rang als Dirigenten, im Gegensatz zu manchen Beiträgen hier im Forum. Ansonsten stimme ich Rheingold vollauf zu, es wird Zeit für einen Wechsel. Nur wird der nicht kommen, weil Barenboim offenbar weiter dirigieren will, bis er am Pult umfällt, und er durch seine politischen Kontakte sakrosankt ist, solange nicht Dinge passieren bzw. bekannt werden, die ihn untragbar machen. Das ist umso unverständlicher, als es nun wahrlich genug jüngere Dirigenten gibt, die sich auch schon einen Namen gemacht haben und die man sich sehr gut an der Spitze einer renommierten Institution wie der Berliner Staatsoper vorstellen könnte. Leider erkennt nicht jeder, wann es Zeit ist, zurückzutreten und anderen das Feld zu überlassen, ob nun in der Musikwelt oder in der Politik. Da lobe ich mir den anderen Berliner Pultstar Simon Rattle.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Ich habe den Artikel mit großem Interesse gelesen und fand ihn sehr ausgewogen, weil er positive wie negative Stimmen zu Worte kommen lässt.

    Absolut d'accord.


    Bei Barenboim bin ich (künstlerisch) auch immer sehr gespalten. Manches ist wirklich fulminant, anderes doch eher mittelmäßig gelungen. Aber wie könnte es anders sein bei dem Arbeitspensum, das er sich selbst verordnet hat.


    In gewisser Weise ist Barenboim zu einem neuen Karajan geworden. Seit dessen Ableben gab es in Berlin wohl keinen Dirigenten mit einer solchen Machtfülle. Man kann nur hoffen, dass Barenboim ein würdigerer Abgang gegönnt sein wird. Nach Lektüre des Artikels habe ich da aber so meine Zweifel. Er wird wohl bis zum bitteren Ende weitermachen.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Ich habe Barenboim sowohl als Dirigent (2 Konzerte bei Musikfestspielen, 1x mit Mozartsinfonien, 1x mit Strauss, R. und Wagner) als auch Pianisten erlebt (Chopin), alles in guter Erinnerung und habe seine Aufnahme der Lieder ohne Worte von Mendelssohn-Bartholdy, die mir sehr gut gefällt.

    Ich habe auch Verständnis, wenn ein großer Künstler einige Launen und vielleicht auch einige problematische Charakterschwächen zeigt, die dem Arbeitspensum und Stress im Musikleben geschuldet sind, aber für die im Artikel beschriebenen Entgleisungen seinen Musikern und Mitarbeitern gegenüber fehlt mir doch das Verständnis. Das ist meiner Meinung etwas zuviel und dürfte eigentlich nicht mehr toleriert werden.

  • Man muss sich, so glaube ich, immer auch fragen, mit welcher Motivation ein Artikel wie dieser überhaupt geschrieben und (weiter-)veröffentlicht wird. Darüber kann man nur mutmaßen.

    Tatsache ist jedoch, dass hier durchaus Negativa aus dem persönlichen Bereich zusammengetragen wurden, wenn auch Lobendes aus dem künstlerischen Bereich anstandshalber hinzugefügt wurde.


    Wäre es möglicherweise etwas naiv anzunehmen, dass das bewusste Bekennen von Sünden, die ein Anderer beging, hier nur aus rein informativen Gründen erfolgte, sozusagen um Öffentlichkeit zu schaffen, damit Missstände abgestellt werden können?

    Es könnte ja schließlich auch sein, dass manche Leute ihn aus bestimmten Gründen einfach nicht mehr an dieser Stelle sehen und hören wollen. Wenn man da mit triftigen künstlerischen Gründen nicht punkten kann, weil man sich damit auf das Glatteis des Fachgebietes begeben müsste, dann nimmt man ggf. auch andere Dinge her, um den erwünschten Abgang des Mannes zu erreichen. Ausschließen möchte ich jedenfalls nicht, dass es sich vielleicht nur um eine Intrige handelt, bei der gezielte Informationen an die Presse durchgestochen wurden.


    Dass Barenboim bei einer Aufführung angeblich den größeren Zusammenhang nicht so richtig herstellen konnte, sei doch einmal dahingestellt. Ob man es selbst auch so gehört hätte, ist nicht sicher, eben weil es auch stark von der eigenen Konzentration des Hörers abhängt. Wenn ich mit hoher Konzentration die gesamte 5. oder 9. in Karajans Interpretation höre, dann erfahre ich auch, dass er es tatsächlich schaffte, einen Bogen vom ersten bis zum letzten Takt zu spannen. Das geht mir aber nicht so, wenn ich mitten in der Symphonie mit dem Hören einsteige, oder wenn ich z.B. spät abends nicht mehr so konzentriert zuhören kann.


    Ich weiß nicht, wie ich es hinsichtlich der hier im Mittelpunkt stehenden Wutausbrüche sähe, wenn ich mir über längere Zeit als unsichtbarer Beobachter ein Bild von all diesen Dingen machen könnte. Wie jedoch der Verfasser des Artikels an die Informationen kam, bleibt unerwähnt. Ebenso bleibt die Frage unbeantwortet, ob es sich hier um belastbare und bestätigte Fakten oder um akribisch zusammengetragene Gerüchte handelt. Aufgrund der Presseskandale der letzten Zeit ( nicht nur wegen Relotius) sehe ich es so, dass man Presseartikel oder Fernsehnachrichten mit einer gesunden Skepsis genießen sollte.

    Wer sich natürlich den Terminkalender derart vollpackt, wird wohl nervlich etwas angespannter sein, als jemand, der sich viel Zeit für Freizeit, Entspannung und Urlaub nimmt. Aber ein eigenes Bild von der Lage kann man sich ja selbst nicht machen.


    "Brahms hin, Brahms her" - das sehe ich aber nicht so!

    Wenn hier ein wunderbarer Brahms als neue CD vorgelegt wurde, was den Katalog der wahrlich nicht wenigen Aufnahmen sehr bereichert, dann ist das keineswegs ein Ausdruck von künstlerischem Stillstand. Dieser Brahms ist - wie ich finde, glücklicheweise- keine Revolution, sondern eine Evolution, d.h. ein reifer Ausdruck eines Lebens mit diesen Werken.

    Wenn es stimmt, dass es wegen Nichtigkeiten Wutausbrüche gab, dann ist das bedauerlich und sollte abgestellt werden.


    Wie jedoch der Brahms ( oder der Wagner, oder der Schumann....) klingt, wird auch nach Jahrzehnten und darüber hinaus die bei weitem bedeutendere Frage sein.


    Gruß

    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Bei BR-Klassik äußern sich drei Musiker namentlich zu kritisierten Führungsstil Barenboims.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • In gewisser Weise ist Barenboim zu einem neuen Karajan geworden. Seit dessen Ableben gab es in Berlin wohl keinen Dirigenten mit einer solchen Machtfülle. Man kann nur hoffen, dass Barenboim ein würdigerer Abgang gegönnt sein wird. Nach Lektüre des Artikels habe ich da aber so meine Zweifel. Er wird wohl bis zum bitteren Ende weitermachen.

    Was ist das bittere Ende? Das Problem ist: Barenboim hat einen Vertrag auf Lebenszeit. Da kann er sich schon mal als absoluter Herrscher aufspielen. Es gibt drei Opernhäuser in der Hauptstadt, davon ist die Staatsoper überproportional finanziell bevorzugt. Musiker der Deutschen Oper und der Komischen Oper sehen mit großem Groll, was die Kollegen bei Herrn Barenboim so abräumen. Es muss Gründe geben, warum er seitens der Politik so überaus alimentiert wird, was ja auch die kostspieligen Extrawünsche beim Umbau des Staatsopernhauses belegen. Ich will mich hier nicht mit den beschriebenen Allüren befassen. Da ist er in guter Gesellschaft mit anderen Platzhirschen allerdings vor seiner Zeit. Heute ist das ein absolutes No Go, warum ist das niemals publik gemacht worden? Künstlerisch pendelt er zwischen Großartigem und Mittelmaß. Die hier beschriebene neue Brahms-Aufnahme gehört unbedingt zum Ersteren. Seine pianistische Tätigkeit soll sicher einen Ausgleich zur Arbeit als Dirigent darstellen. Es stimmt, dass er hier oft wenig überzeugen konnte. In der Digital Concert Hall habe ich kürzlich das 1. Brahms (2014) mit ihm erlebt, das war z.B. um Längen besser, als was ich im Herbst von Leif Ove Andsnes hörte. Insgesamt ist sicher zu sagen: Es gibt eben Licht und Schatten, auch bei König Barenboim. Die Alimentierung der Staatskapelle wird man nicht zurückfahren können, aber den Konkurrenten sollte man den Anschluss ermöglichen.

    :hello:

    Wenn schon nicht HIP, dann wenigstens TOP

  • Zitat: "Dieser geniale Künstler, der auch alles darf, weil er ja genial ist. Diese Vorstellung ist überkommen."


    Diesem Satz kann man gar nicht nachdrücklich genug zustimmen.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Zitat: "Dieser geniale Künstler, der auch alles darf, weil er ja genial ist. Diese Vorstellung ist überkommen."


    Diesem Satz kann man gar nicht nachdrücklich genug zustimmen.

    Das ist eine Frage der persönlichen Einstellung

    Große Leistungen wurden - von Ausnahmen abgesehen - üblicherweise nur von unangenehmen Menschen erbracht.


    Diese haben ihre Mitarbeite, die dem angestestrebten Ziel im Wege standen entweder auf Vordermann gebracht oder ausgewechselt.

    Sehen wir uns das Ergebnis an;

    Fast alle "Referenzaufnahmen" der Vergangenheit wurden von "Diktatoren" "Perfektionisten" oder Inerpreten gemacht, die die Sache, das Ziel etc über den Menschen stellten. Frei nach dem Motto:

    "Orchestermusiker sind austauschbar - 'mein' Beethovenzyklus hingegen nicht -

    das ist die Priorität - alles andere ist Nebensache"


    Für Empfindlichkeitn ist da natürlich kein Platz


    Wir leben derzeit in einem Zeitalter des Mittelmaßes. Wirklich Schlechtes gibt es ebensowenig, wie Hervorragendes.

    Man dümpelt freundlich so dahin und ist mit allem zufrieden, lächelt mit amerikanischer Freundlichkeit.

    Jene aber, die mit (angeblich überholtem) Fantismus UND dem was man allgemein mit "Genialität" bezeichnet ohne Rücksicht auf Verluste ihr Ziel verfolgen - die werden erfolgreich sein. Sehr zum Missfallen aller "netten" und "Durchschnittlichen", die den Erfolg solcher Leute als ungerecht empfinden.


    Die Frage von Daniel Barienboim "Warum beschweren sich die Leute erst heute ?"

    Ich leicht zu beantworten: hauptsächlich, weil das Wort SUBORDINATION den meisiten gar kein Begriff mehr ist.

    die bedeutungslosen Zwerge wollen plötzlich "auf Augenhöhe" mit den Giganten kommunizieren.


    Barenboim, Levine, Kuhn, Böhm, Karajan und andere wurden als Götter gesehen -und so fühlten siesich auch.

    Gegen Ende ihrer Kariere (vor allem wenn da schon Nachfolger auif den Posten warteten - suchte man dann Mittel und Wege sie loszuwerden - oder so schon verstorben - ihr Andenken zu beschmutzen. Da waren es dann die politischen Zugehörigkeiten die vorgeworfen wurden, die angeblichen "Belästigungen" (die oft provoziert wurden um den "großen Männern " zu gefallen und die eigene Karriere begünstigte. - natürlich nicht immer - aber die "Giganten" konnten die dank ihrer Selbsteinschätung gar nich bemerken, wer sie mochte - und wer nicht) Tatsache ist- daß es immer wieder dieselben Strickmuster sind, die verwendet werden

    Es wird ja vermutlich nicht die Unwahrheit gesagt - aber viele ist maßlos übertieben. Ich denke nur an einige Musiker, die eine Zeitlang in diesem Forum aktiv waren. Die reinsten Mimosen. Orchestermusiker leiden ja oft daran, daß ihnen eine Solistenkarriere versagt geblieben ist. Sie meinen - und haben in etlichen Fällen sicher recht - daß sie ebensogut spielten die der Star X oder Y. Was ihnen fehlt ist allerdings oft nicht das musikalische Können, sondern das Nervenkostüm, das bei Solisten - und somit auch Dirigentenkarrieren oft bis an die Grenzen des Erträglichen strapaziert wird....


    mfg aus Wien

    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Die Staatskapelle Berlin wollte Barenboim 1992 auf Gedeih und Verderb, er bekam sogar noch einen Vertrag auf Lebenszeit. Damit hat man doch genau diese Entwicklung selbst befördert. Natürlich wird vor fast 30 Jahren keiner an die langfristigen Konsequenzen gedacht haben. Man wusste wohl, dass er gerne in Berlin ein festes Standbein bekäme. Und da er bei den Berliner Philharmonikern zweimal durchfiel (1989 und 1999), wurde bzw. blieb es eben die Staatskapelle. Jetzt hat er mehr Macht als Abbado und Rattle, denen er bei den Philharmonikern unterlag, je hatten. Es ist nun schon etwas einseitig und arg einfach, alles auf Barenboim abwälzen zu wollen. In 50 Jahren wird kein Mensch mehr über seine "diktatorischen" Methoden sprechen. Was bleibt, ist der künstlerische Output. Und dass er selbst in jüngster Zeit noch zu Großtaten fähig ist, belegt doch z. B. der bereits genannte Zyklus der Brahms-Symphonien. Ich bin gar kein sonderlicher Fan dieses Dirigenten, aber seine wirklich genialen Aufnahmen schätze ich durchaus. Und das wird sich auch nicht ändern, selbst wenn jetzt irgendein Skandal zu seinem vorzeitigen Rückzug führen sollte.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Allerdings, lieber Joseph, leben wir nicht "in 50 Jahren", sondern heute. Und heute müssen offenbar Musiker unter seinem Führungsstil leiden. Barenboim selbst sieht in der derzeitigen Diskussion den Versuch, ihn aus Berlin "zu verteiben".

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Ea wird auch eine Altersfrage sein und eine der Nationalität- Ich habe hier im Laufe der Jahre vieles gelesen worüber sich in meiner Jugend in Wie kein Mensch aufgeregt hötte, aber hier wurde stets aus der Mücke ein Elefant gemacht. In meiner Jugend - auich wenn es mich nciht getroffen hat - haben Chef sie Angestelltn gelegentlich angefaucht oder anderswie fertig gemacht, (Beispiel bei einer Filialinspektion durch den Chef einer 120 Mann Firma vor versammelte 5 köpfiger Filialbesetzung: "Herr XY, wenn schon ihre Filialleiterin eine Drecksau ist, dann kümmern vielleicht wenigstens SIe sich drum, daß der Lehrling die Regale abstaubt") Kein Mensch hat sowas irgendeine Bedeutung beigemessen, es war auch keine Gefahr für ihrgendeinen Arbeitsplatz. Wenn der Chef gegangen war, hiess es dann "Der Alte spinnt heute wieder mal - - Wer will einen Kaffe ?"

    Diese Gleichgültigkeit schein heutzutage irgendwie verloren gegangen zu sein.....

    80 Jährige werden sich aber nicht mehr anpassen. Daher ist es nicht günstig über das Pensionsalter in einer Firma aktiv zu bleiben -man passt nicht mehr dazu.

    Das heisst nicht, daß man nicht anderswie aktiv sein kann.....


    mfg aus Wien

    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Nun gibt es diese Presseberichte:

    https://www.welt.de/kultur/bue…ten-Daniel-Barenboim.html

    https://www.bz-berlin.de/kultu…ensch-aber-kein-perfekter

    Dass sogar die Boulevardpresse einen ganzseitigen Artikel über den "Fall" Barenboim bringt, zeigt, dass uns das Thema womöglich länger beschäftigen wird. Ungeachtet dessen, dass ihn die Staatskapelle als Chefdirgenten auf Lebenszeit gewählt hat, läuft nämlich sein Vertrag im Jahre 2022 aus. Dann hat er immerhin schon 82 Jahre auf dem Buckel. Höchste Zeit für eine Verjüngung an der Spitze dieses renommierten Hauses! Vielleicht geht er aber selber schon früher???

    :hello:

    Wenn schon nicht HIP, dann wenigstens TOP

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