Wer fürchtet sich vor Nischenrepertoire? (Sinfonie-Konzert-Kammermusik-Klavier solo)

  • Immer auf der Suche nach neuen Threadthemen stehe ich oft vor relativ unbekannten Komponisten und ihren Werken. Dann überlege ich, was hie denn nun "mehrheitsfähig" sein könnte - bzw überhaupt von jemandem wahrgenommen werden könnte. Viele "Nischenthreads" stoßen auf genau jenes Desinterese, welches der allgemenen Klassikszene von Forianern immer wieder vorgeworfen wird. Glaubt ihr, daß es bei den Forenmitgliedern besser ist ? ich habe da so meine Zweifel ?
    Machen wir eine Bestandaufnahme:
    Wer interessiert sich für Werke unbekannte Komponisten, wer hat hier oft Entdeckungen gemacht, wer Enttäuschungen erlebt ?
    Und aus welchem Genre, bzw, Zeitalter sollten jene unbekannten Werke stammen, die euch begeistern könnten ?
    Bei Interesse an diesem Thema wird ein Schwesternthread (mit Unterthema Oper) gestartet....


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ich kenne das Klassikrepertoire ganz gut, allerdings eher mit dem Schwerpunkt Sinfonie und Oper, weniger Lied, Solokonzert und Kammermusik. Dann aber habe ich das Nischenrepertoire entdeckt, besonders in der Alten Musik. Die Klassiker höre ich nach wie vor, aber meine Liebe gilt eher im Moment der Polyphonie des 16. Jahrhunderts. Ich wäre aber nie dazu gekommen, wenn ich sie in meinen Vokalensembles nicht selber gesungen hätte. Also kann man sagen, dass bei der Auswahl der Lieblingsmusik die persönliche Sozialisation eine große Rolle spielt. Übrigens muss man sagen, dass bei aller Ausrichtung des Forums auf Klassik und italienische Oper das Nischenrepertoire hier vorzüglich besetzt ist. Unglaublich, was ich, der einiges vorher kannte, jetzt aber hier kennengelernt habe, immer mit konkreten CD - Empfehlungen. Und: in diesen Themen sind wir begeisterte Kollegen, da gibt es keinen Streit, sondern nur Anregung.
    Und noch einmal Nischenrepertoire (allerdings heute nicht mehr so wie noch vor 40 Jahren): ich glaube, ich bin immer noch der einzige hier, dessen absoluter Lieblingskomponist Leos Janacek ist. Auch dazu gibt es hier eine breite Literatur!

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Lieber Alfred,


    Furcht allerhöchstens in dem Sinne, daß mein Platz dahinschwindet :)
    Ich muß gestehen, daß mich die "Großen" immer noch sehr interessieren, ich aber versuche, mein Repertoire zu erweitern. Für dieses Jahr – das ist ja kein Geheimnis – habe ich mir die romantischen Klavierkonzerte vorgenommen. Mit Pixis und Thalberg angefangen, über Stenhammar (gut, der ist kein Unbekannter) etc. Von den bisher gehörten CD’s, von denen ich zu berichten versuchte, hat mich keine einzige enttäuscht. Aktuell dürfen/ sollen die Werke gern aus der Romantik sein, da gibt es für mich noch unglaublich viel zu entdecken: Zarebski war mir vor Gewinn der CD kein Begriff: auch bei ihm habe ich etwas verpasst. Andere Namen wie Dittersdorff stehen auf meiner nächsten größeren Bestenliste. Tendenziell darf es gern Musik sein, die irgendwie mit Klavier zusammenhängt. Solo oder nicht spielt keine Rolle. Und da fühle ich mich hier bestens aufgehoben.


    Mit bestem Gruß
    JLang

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

  • Lieber Alfred,


    ich muss fast gestehen, dass ich mich im Nischenrepertoire besser auskenne als im Mainstream. Dies trifft natürlich dort auch nur auf bestimmte Teile zu - nämlich die Musik Skandinaviens - aber mein Interesse ist dort eben doch größer, weil ich weiß, dass ich hier noch überrascht werden kann und neue Schätze zu entdecken sind. Auch wenn ich nicht immer antworte, so lese ich doch gerne die Threads und kaufe auch das ein oder andere (so wie die von Dir angepriesene Sinfonie Donald Toveys) und lasse mich überraschen. Klar sind Mahler, Mozart und Bruckner Genies, aber irgendwie fühle ich mich abseits dieser wohler.
    Enttäuschungen habe ich dabei selten erlebt. Bisher waren es nur die Sinfonien Julius Röntgens, die ich banal und langweilig ohne Ende finde. Die größte Überraschung war die Entdeckung Ludolf Nielsens und Hans Rotts, die beide Werke geschaffen haben, die ich wohl viel zu oft höre! Dies trifft auf die sinfonische Musik zu.
    Kammermusikalisch bin ich hingegen kaum bewandert, habe aber aus Spaß die Trios von Herzogenberg erwoben und bin sehr angetan. Unbekannte Opern finde ich auch sehr interessant. Die größte Überraschung war Zdenek Fibichs Sarka, die ich am Theater in Braunschweig erlebt habe und mich in ihrer musikalischen Sprache sehr beeindruckt hat. Auch einige skandinavische Opern weißt meine Sammlung auf! Mit anderen Worten - weiter so! Die Nischenrepertoirethreads inspirieren und regen an auch über den Tellerrand zu schauen. Wenn mal keine Antwort kommt liegt es gewiss nicht am Desinteresse sondern an der schlichten Unerfahrenheit dem Werk gegenüben!


    Grüße
    Christian

  • Wer interessiert sich für Werke unbekannte Komponisten, wer hat hier oft Entdeckungen gemacht, wer Enttäuschungen erlebt ?
    Und aus welchem Genre, bzw, Zeitalter sollten jene unbekannten Werke stammen, die euch begeistern könnten?

    Ich habe mich gut trainiert, und kann mich für (fast) alles begeistern (aus der "E-Musik").
    :P

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  • Bei mir hat "Nischenrepertoire" vermutlich die beste Chance, wenn es sich um "Nischenbesetzungen" handelt. Ich höre eher ein Septett von Hummel oder Spohr als ein Konzert oder eine Sinfonie dieser Komponisten usw.
    Wie in einem anderen Thread bemerkt, war ich kürzlich recht angetan von Reineckes und Herzogenbergs Trios für Oboe, Horn, Klavier und einem sehr brahmsnahen Quartett mit Klarinette von dem noch weit weniger bekannten Walter Rabl. (Leider ist eine CD mit anderen Werken Reineckes für ähnliche gemischte Besetzungen nur noch sauteuer zu kriegen. Es ist eigentlich erstaunlich, dass sich auch die Bläser fast immer auf die wenigen sehr bekannten Werke für ihre Instrumenten konzentrieren.)
    Auch bei Reicha habe ich an die Sinfonie (obwohl ich sie besitze) keine so genauen Erinnerungen, während die Bläserquintette ohne Zweifel zu den besten Werken für diese Besetzung gehören.


    Ich verwende den Begriff auch nicht nur aus der Perspektive der heutigen Popularität. Schütz oder sogar Dufay ist für mich etwas anderes als Herzogenberg. Denn die ersten waren seinerzeit anerkannte Großmeister (wie Brahms), während wohl kaum jemand Herzogenberg ernsthaft mit Brahms gleichgesetzt hätte (oder jedenfalls nicht mehr aus einem kleinen Abstand heraus, sagen wir 20 Jahre nach Brahms' Tod).

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Wer interessiert sich für Werke unbekannte Komponisten, wer hat hier oft Entdeckungen gemacht, wer Enttäuschungen erlebt ?


    Für unbekannte Komponisten interessiere ich mich bekanntlich ja schon immer.
    :thumbup: Dabei macht man oft überraschend gute Erfahrungen, dass man dort absolute "Hammerwerke" entdeckt = Beispiel - Eshpai, Ämirov, Tscherepnin und kürzlich Chrennikow. Ja, gerade die Russen habe ich beim Nischenrep als aussergewöhnlich gute und unterschätzte Komponisten wahrgenommen.
    Bei vielen "Nordlichtern" nicht anders: Holmboe, Langgaard (da ist aber auch einiges Langatmige dabei (Der nennt ja alles Sinfonien, was gar keine sind!)), Englund (TOP), Rautavaara (Super), Kokkonen, Linde (Hammer), um einige Wichtige zu nennen !
    Während der Romantiker Gade mir schon wieder mit zu viel "romatischem Geplänkel" aufwartet.


    :| Andererseits gibt es genau so viele Beispiele, bei denen ich oft nachvollziehen kann, warum manche Komponisten/Werke eben nur beim Nischenrepertiore geblieben sind. Die kommen einfach nicht an die Grossen heran. Enttäuschungen gibt es da auch - und die verbleiben dann aber auch selten lange in meiner Sammlung.
    Mir fällt jetzt dazu Huber ein; Rubbra (habe ich noch) war auch "nix Dolles".


    :!: Oft wird auch viel Wind um Neues und Unbekanntes gemacht - auch bei Tamino - und am Ende war das doch nur "heisse Luft".
    Wenn ich von unbekannten Komponisten berichte - ;) dann haben die auch "Saft und Kraft" und bieten keine Einschlafmusik!



    Mein letzter Neuzugang waren die Sinfonien von Melartin.
    Da wurde zuvor in entsprechenden Thread etwas von Sibelius, Nielsen und Mahler in Erwartung gebracht, dass meine Aufmerksamkeit dafür erweckte.
    Insgesamt ganz nett; bei der Sinf.Nr.1 noch romantisches Rumgeplänkel, aber ab der Sinf. Nr.3, und besonders die Sinfonien Nr. 5 und 6 ein beachtenswertes Nischenrep, dass man als Hörenswert einstufen kann. Dennoch - an die grossen Vorgenannten -> keine Annäherung!

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Am erfolgreichsten im Aufstöbern interessierender Werke ist man sicher dann, wenn man nahe am eigenen "Spezialinteresse" sucht. Ist man ein Klavierfan, dann sollte man schon mal bei Dussek, Clementi, Field, Reubke, etc.. reinhören. Die Chance etwas zu finden, das einen anspricht und eine wertvolle Erweiterung der eigenen Sammlung darstellt, ist dann recht groß. Wenn man aber, so wie ich, z.B. nicht unbedingt der größte Liebhaber von Symphonien ist, wird man mit den Symphonien von Ries, Spohr oder Vaughan-Williams nicht unbedingt glücklicher (aber es gibt Ausnahmen!). Es gibt auch Genres, die so anspruchsvoll sind, dass weniger bedeutende Komponisten große Probleme haben zu reüssieren, etwa das Streichquartett. Hier finde ich bis jetzt die Ausbeute jenseits des Mainstreams recht mager.

  • Meine Nischenrepertoire- Komponisten sind Ferdinand Ries (Ist der überhaupt noch Nischenrepertoire ??), Antonio Rosetti (Die Hornkonzerte sind einfach umwerfend), Ignace Pleyel (der Unterschied zu Haydn ist größer als man nach Mozarts berühmtem Statement vermuten sollte) Joachim Raff (wunderbar instrumentiert und oft mit volkstümlichem Unterton).
    Im Bereich der Kammermusik kommt hier noch Ignaz Lachner dazu (meiner Meinung nach sind seine Streichquartette die "gefälligsten" der drei Brüder) Luigi Boccherini - einst ein Aussenseiter, kann man vermutlich heute auch nicht mehr zur Nische zählen.
    Bei Hummel werden sich die Geister ebenso scheiden, wie bei Dussek.
    Dittersdorf - auch ein bevorzugter Komponist von mir, gehört leider ebenso in die Nische, wie Vranicky und Vanhal.
    Ich liebe auch die Serien von Mozarts Zeitgenossen (bei Chandos erschienen) und der romantischen Klavierkonzerte (von Hyperion)
    Sicher ist nicht alles Gold was glänzt, aber die anderen Werke funkeln oft auch ganz schön.....
    Und wer das Violinkonzert von Clement nicht kennt - der bringt sich selber um ein großes Vergnügen.


    Ich habe hier bewusst eine Werke und Komponisten gewählt, die man den Leuten "aufdrängen müsste. Die meiusten der hier erwähnten Komponisten misten der Mehrheit des Mainstream-Publikums gefallen - ohne wenn und aber......


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Bei Pleyel stimme ich absolut zu. Mir gefällt das meiste, was ich von ihm bisher gehört habe gut bis sehr gut. Die völlige Vernachlässigung ist schwer nachzuvollziehen, wenn man bedenkt, dass viele Leute durchaus gerne mal leichtere Kost von Mozart oder Beethoven hören. Bei Deiner Ries-Begeisterung kann ich aber leider nicht ganz mitziehen....Ich finde das alles wirklich ordentlich gemacht, aber der zündende Funke will bei mir nicht überspringen (wir hatten hier ja auch mal so eine "Funkendiskussion").


    Die späten Klaviersonaten von Dussek und Clementi sollten eigentlich vielen Leuten gefallen, da sie eine stark romantische Schlagseite haben.


    Meine persönliche Favoriten aus dem Nischenbereich sind Clementi, Pleyel, Volkmann und Raff (Kammermusik). Diverse Franzosen, die in Deutschland de facto Nische sind (Fauré und Dukas etwa), rechne ich hier nicht mit hinein.

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  • Natürlich ist Ries Nischenreperoire. Man sollte nicht nur die Anzahl der CD-Veröffentlichungen betrachten - es gibt auch ein Konzertleben und einen Opernbetrieb ...


    Boccherini ist verglichen mit den anderen schon ein Prominenter. Pleyel ist wohl weiter verbreitet wegen seiner leicht zu spielenden Violinduette, damit hätten wir noch den bislang ignorierten Bereich der Musikpädagogik.


    Wenn man Boccherini und Pleyel feiert, sollten vielleicht auch Carl Friedrich Abel, Padre Antonio Soler, Johann Christian Cannabich, Gaetano Pugnani, Francois-Joseph Gossec, Johann Christian Bach, Carl Stamitz und Giovanni Battista Viotti genannt werden, wenn man die Vokalmusik außen vor lässt, wie es in diesem Thread gewünscht ist. Wobei ich jetzt einmal Viottis Violinkonzerte unterstreichen will, die vielleicht gar nicht so exotisch/kurios sind.

  • Lieber Kurzstückmeister. In Sachen Ferdinand Ries werden wir uns vermutlich nie ganz einigen können. :untertauch:
    Ich gestehe aber, daß hier eine gewisse Begeisterung meinerseits besteht, die vermutlich nicht für jedermann nachvollziehbar ist.
    Die immer wieder (auch von mir) zitierte Beethovennähe bezieht sich vornehmlich auf die Sinfonien, alles andere ist durchaus schwächer - aber gemessen an den sonst komponierenden Zeitgenossen HERVORRAGEND.


    Womit wir bei Carl Maria von Weber wären (Opern sind ausgenommen) Auch er ist ein vorzüglicher Komponist mit durchaus eigenem Profil - auch er ist heute leider Nischenrepertoire.


    Zitat

    Wenn man Boccherini und Pleyel feiert, sollten vielleicht auch Carl Friedrich Abel, Padre Antonio Soler, Johann Christian Cannabich, Gaetano Pugnani, Francois-Joseph Gossec, Johann Christian Bach, Carl Stamitz und Giovanni Battista Viotti genannt werden, wenn man die Vokalmusik außen vor lässt, wie es in diesem Thread gewünscht ist. Wobei ich jetzt einmal Viottis Violinkonzerte unterstreichen will, die vielleicht gar nicht so exotisch/kurios sind.


    In großen Teilen Deiner Aussage kann ich hier beipflichten, möchte aber gerne differenzieren:
    Padre SOLER - Vorzugsweise sind es seine Opern die ihn aussergewöhnlich machen - einen eigen Thread (so er nicht schon existiert) wohl wert


    Johann Christian BACH - auch wenn es nicht allzuviele Einspielungen von ihm gibt - so zähle ich ihn zumindest teiweise schon zum Mainstream


    Carl STAMITZ - ja - das ist wohl traurig, weder das Jahr 1995, noch das Jahr 2001 - beide jeweils ein potentielles Carl Stamitz- Jubiläumsjahr - wurden dazu genutzt den Komponisten ins wohlverdiente Rampenlicht zu setzen. Hier muß man wohl auf eine cpo oder naxos Initiative warten.


    Giovanni Battista VIOTTI Interessant - aber nicht verwunderlich, daß dieser Komponist so im Dunkeln steht - nicht mal Mozarts oder Haydns Violinkonzerte werden ja angemessen gewürdigt und geliebt. - Dazu kommt, daß leider die Viotti-Edition von Dynamic allein auf weiter Flur steht - ein verdiensvolle Projekt - aber der zündende Funke fehlt - Hier würde ich mir eine Serie (sie muß nicht als "Komplettaufnahme " geplant sein) mit Giuliano Carmignola wünschen.....


    Die restlichen hier genannten Komponisten befinden sich zwar in meiner Sammlung, sie sind mit vor Jahren beim Ersthören indes nicht besonders aufgefallen - was teilweise an drögen Interpretatioenen und/oder einer mittelmässigen Aufnahmetechnik gelegen sein kann - oder um Indisposition meinerseits - ich werde ALLMÄHLICH in diese Aufnahmen wieder hineinhören - und sie neu zu bewerten versuchen....
    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • ja - ich hab mich in der Eile geirrt.
    Zur Strafe werde ich in den nächsten Tagen einige dieser Cembalosonaten hören :untertauch::stumm::baeh01:


    Dazu mehr in meinem neuen Thread (startet heute nachmittag oder am Abend) "Vom zu schnellen und oberflächlichen Hören"


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Die immer wieder (auch von mir) zitierte Beethovennähe bezieht sich vornehmlich auf die Sinfonien, alles andere ist durchaus schwächer - aber gemessen an den sonst komponierenden Zeitgenossen HERVORRAGEND.


    Naja, wenn man von Beethoven absieht, waren ja zu Ries' Zeiten auch noch Clementi, Field (Klavierkonzerte), Cherubini, Hummel, Weber, Schubert, Onslow und Spohr aktiv. Wem man den Vorzug gibt ist natürlich Geschmacksache, aber ich denke nicht, dass eine Bevorzugung Ries'gegenüber diesen Komponisten "objektiv" leicht belegbar ist.

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  • Zitat

    Naja, wenn man von Beethoven absieht, waren ja zu Ries' Zeiten auch noch Clementi, Field (Klavierkonzerte), Cherubini, Hummel, Weber, Schubert, Onslow und Spohr aktiv. Wem man den Vorzug gibt ist natürlich Geschmacksache, aber ich denke nicht, dass eine Bevorzugung Ries'gegenüber diesen Komponisten "objektiv" leicht belegbar ist.


    Clementi und Field betrachte ich als durchaus "unterschätzt", wobei man bei sich bei Clementi durchaus die Frage stellen kqnn inwieweit er - speziell in seinem Spezialgebiet - den Klaviersonaten und -Stücken überhaupt der Nische zuzurechnen ist.
    Field habe ich stets als einen der Vorläufer von Chopin gesehen - aber auch der ist ein Spezialfall: Einst hochberühmt, kennt heute jeder Klassikfreund seinen Namen - ohne daß man eine allzu große Beliebheit feststellen kann. Kein Wunder: Keine Sinfonien, keine opern, keine Werke für Violine, keine Lieder, keine Messen etc etc...


    Onslow und Spohr haben mich stets gelangweilt - obwohl ich mich bemüht habe Zugang zu ihnen zu finden..


    Der Einzige, der ausser Ries wirklich Beethovensche Größe erreichte - wenngleich das nicht jeder so sehen mag - ist -Franz Schubert.
    Indes ist sein eigener Stil schon so vertraut, daß wohl niemand auf die Idee kommen könnte, hier einen Beethoven Epigonen zu sehen.
    Ries hingegen ist stets bemüht Beethovens Ton zu treffen, was ihm vor allem in seinen Sinfonien gelingt. Zeitweise erinnern aber seine Sinfonien auch ein wenig an Schubert. Um Ries endgültig qualitativ einstufen zu können müsste man eine Aufnahme mit den Wiener Philharmonikern zur Verfügung haben....


    Und daß Weber in der Nische ist - das ist eine wahre Schande....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Um Ries endgültig qualitativ einstufen zu können müsste man eine Aufnahme mit den Wiener Philharmonikern zur Verfügung haben....


    Das ließe sich über Clementi oder Spohr auch sagen! Ich denke aber, dass Beethovens Symphonien auch in einer Einspielung des Schülerorchesters von Sha'o Zh'en Wu vor Clementi, Spohr oder Ries zu liegen kämen.

  • Das wird mit Sicherheit so sein.
    Aber allein schon in die NÄHE des Komponisten gebracht zu werden, der als einer der bedeutendsten der Musikgeschichte gilt (Ich sehe hier Mozart-Beethoven-Bach Seite an Seite) ist doch durchaus beachtenswert. Dieser Gedankengang ist übreigens nicht von mit, sondern - soweit ich mich erinnere - von einem Autor in den Booklets zu den Ries-Aufnahmen.
    Sinngemäß meinte er damals, daß ein Komponist, dem man nachsagte, er habe Beethoven (erfolgreich) nachgemacht, doch einiges auf dem Kasten haben müsse. Beethoven war übrigens nicht wahnsinnig begeistert, daß Ries seinen Stil "kopierte" - es gibt eine Bemerkung von ihm, die sinngemäß hieß: "Er ahmt mich aber schon ein wenig zu sehr nach" - So kritisch sich dieses Statement im ersten Moment liest - so ist es doch in letzter Konsequenz quasi ein "Adelsbrief".
    Letztlich wird das heute aber anders gesehen.......


    Beste Grüße
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • "Er ahmt mich aber schon ein wenig zu sehr nach" - So kritisch sich dieses Statement im ersten Moment liest - so ist es doch in letzter Konsequenz quasi ein "Adelsbrief".
    Letztlich wird das heute aber anders gesehen.......


    Ich kenne nur vier Symphonien von Ries, kann also nur zur Hälfte seines Oevres etwas sagen, aber mir scheinen Ähnlichkeiten mit Beethoven nur in der Instrumentation zu liegen (und natürlich bewusst gesetzte Beethoven-Zitate), die sonstige Machart empfinde ich jedoch als viel konventioneller als die Beethovens. Weder haben die Werke Beethovens gnadenlose Stringenz, noch ist dieselbe die Plastizität des thematischen Materials gegeben. Wie gesagt, ich finde die Symphonien nicht schlecht, aber keine von ihnen ist so erschütternd wie Beethovens 3,5, und 9 oder so erhebend wie dessen 6 und 7. Dieses Niveau erreichen auch Clementis späte Symphonien natürlich nicht, aber an Haydns Londoner kommen sie mMn schon recht nahe dran.

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  • Ich bin persönlich schon zufrieden, wenn man Ries zubilligt vorne an der Spitze der Komponisten des frühen 19. Jahrhunderts mit dabei zu sein - oder - noch bescheidener - daß er eigentlich in den Mainstream gehören sollte
    Man hat ja nicht mal Schubert zugebilligt mit Beethoven auf einer Stufe zu stehen.
    Auch Clementi ist IMO derzeit unterschätzt. Man könnte dies Mozart in die Schuhe schieben -("ein blosser Mechanicus mit nicht für einen Kreuzer guten Geschmacks") aber ich meine, das liegt eher daran, dass seit ich mich mit Klassik befasse, der Mainstream-Bereich immer kleiner wird - ähnlich wie beim Sesselspiel "Die Reise nach Jerusalem".........
    Andrerseits haben es einige Komponisten geschafft dort hinein zu drängen. Dazu zähle ich Vivaldi, Boccherini und Gustav Mahler - alle drei in meiner Jugend eher geächtet oder zumindest wenig beachtet - heute indes Standardrepertoire....
    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat Alfred Schmidt

    Zitat

    Auch Clementi ist IMO derzeit unterschätzt.


    Das ist sicher so, obwohl er sehr viele überdurchschnittlich gute Sonaten geschrieben hat (z. T. darf/ muß man die als Klavierschüler noch spielen). Ich besitze allerdings nur einige der Aufnahmen von Hyperion (Interpret dürfte Howard Shelley sein), aber nicht einmal alle Sonaten. Mich da vollständig durchzuhören, habe ich mir vorgenommen, aber es bisher aus Zeitgründen noch nicht verwirklichen können. Das Interesse ist aber da.
    Mit bestem Gruß
    JLang

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

  • Ich bin persönlich schon zufrieden, wenn man Ries zubilligt vorne an der Spitze der Komponisten des frühen 19. Jahrhunderts mit dabei zu sein - oder - noch bescheidener - daß er eigentlich in den Mainstream gehören sollte


    Ich denke, da sind wir uns einig. Dass das Konzertrepertoire viel zu beschränkt ist, stellt leider ein ziemliches Problem dar.

  • Es ist natürlich auch noch eine Abgrenzungsfrage:
    Leopold Mozart, Franz Xaver Mozart, Ignace Pleyel, Antonio Rosetti, Cannabich, Vanhal, Kozeluch , Myslivicek und Vranicky wird man vermutlich widerspruchslos der "Nische" zuordnen können - was in vielen Fällen eigentlich ungerecht ist.
    Aber wie sieht es mit Boccherini aus ? Wenngleich er aus dem Schatten des "Ein-Stück-Komponisten" längst herausgetreten ist, so wird er dennoch nicht zu den ganz Großen gezählt (?) obwohl allein seine Streichquartette ausreichend sein sollten ihm einen Platz an der Spitze zu sichern....
    Johann Christian Bach - einst eine Berühmtheit - heuer eine Person am Rand der Musikgeschichte (?) zumindest wenn man seiner Präsenz im Konzertsaal und die Anzahl derzeit vorhandener Aufnahmen auf Tonträger betrifft....


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

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  • Vor Nischen in der Klassik fürchte ich mich schon lange nicht mehr. Früher, als Schüler, ja. Damals kannte ich eben nur das gängige Standardrepertoire (was ja auch schon Jahre brauchte um kennengelernt zu werden), aber in der Zeit nach dem Abitur begann die Ausbreitung des Interesses in unterschiedliche Richtungen und auf abgelegene Nebenpfade, wobei das Standardrepertoire nie vernachlässigt wurde. Heute höre ich eine ständige Mischung aus Standardwerken in unterschiedlichsten Interpretationen und Nischenwerken in einer der wenigen überhaupt verfügbaren Lesarten.
    Ich bin froh, die Nischen entdeckt zu haben und auch noch neue zu entdecken. Von wegen Angst - nix da!


    Grüße
    Garaguly

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  • Ich verstehe durchaus, daß die "breite Masse" die Namen der Nischenkomponisten nicht kennt und sich dafür auch nicht interessiert, ich verstehe auch, daß sich die Mehrheit der sogenannten "Genusshörer" nicht besonders dafür engagiert, allerdings müsste das Nischenrepertoire gerade dieser Gruppe entgegenkommen, weil wir hier oft sehr angenehm zu hörende Werke finden, die aber (angeblich !!) keine echten "Meisterwerke" ohne Tiefgang sind. Umgekehrt finden sich hier wiederum viele "verkannte" Komponisten und ihre Werke, welche zwar eher schwer genießbar sind, aber nach Meinung einiger Experten eben nur unterschätzt sind.
    Was mich allerdings wundert - und gelegentlich auch ärgert, dass gerade in einem Klassikforum das Interesse an selten gehörten Werken sich eher in Grenzen hält.....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ich habe mal abgeschätzt, dass eine Minimal-Auswahl der für mich wichtigen Werke von "Mainstream"-Komponisten (ohne jegliche Werkverdoppelungen) ca. 500 CDs umfassen würde. Selbst wenn da manches dabei wäre (zB von Haydn oder Händel), das für viele andere Hörer nicht zum Standard gehört, wäre so gut wie kein Nischenrepertoire im engeren Sinne enthalten und diese Sammlung wäre schon umfangreicher als die vieler Musikfreunde.


    Wenn man nun noch dazu nimmt, dass manche oft 5-20 alternative Aufnahmen von Lieblingswerken besitzen, kann man nachvollziehen, dass nicht wenige Hörer schlicht keine Zeit für "Nischenrepertoire" haben.
    Es kommt natürlich auch darauf an, wie weit man Nischenrepertoire fasst. Aber ich habe schätzungsweise über 15 Jahre klassische Musik gehört, bis ich mit den mich interessierenden Teilen des Standardrepertoires halbwegs durch war (und selbst dort habe ich, besonders im Opernbereich bis heute, nach gut 25 Jahren Klassikhörens, immer noch Lücken).

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Johannes hat Recht, es gibt einfach zu viel Repertoire außerhalb der Nische.
    Ich habe immer sowohl Nische als auch Mainstream gesammelt und habe immer noch furchtbare Lücken im Mainstream.
    Momentan arbeite ich mich durch Verdi und Puccini und werde von beiden nichtmal die berühmten Werke komplett ansammeln. Trotzdem empfinde ich die Fülle (so eine Oper ist ja nicht kurz) fast als Belastung.
    :hello:

  • Es ist eine Frage der Bewertung. Ich habe lange Zeit fast ausschließlich Wiener Klassik und "angeschlossenes Nischenrepertoire" gehört. Ich habe indes liebend gern auf Schönberg, Webern, Ligeti, Henze, Stockhausen verzichtet. Tschaikowskys Sinfonien (nicht aber die Ballette9 waren mir zu dicht orchestriert, Bruckner war mir zu langatmig und schwerfällig, Brahms zu düster, Mahler wurde mir von verschiedenen Seiten als drittklassig bezeichnet- und auch Richard Strauß war nicht mein Fall - und ist es - was die Opern angeht - bis heute nicht. Meine Komponisten ausserhalb der "vier großen Wiener Klassiker" waren indes Johann Christian Bach, Antonio Vivaldi, Louigi Boccherini, Leopold Mozart, Michael Haydn, Johann Nepomuk Hummel und Carl Maria von Weber. Und im Laufe der Jahre fand ich immer wieder neue Komponisten, von denen ich noch kaum je etwas gehört hatte. Dennoch hatte ich eine Sammlung von einigen hundert Platten (später dann CDs). Erst allmählich kamen dann nach und nach Werke des Mainstreams dazu - von Komponisten, die ich eigentlich nicht mochte.
    Mein Ziel als Sammler war ursprünglich, Werke zu kaufen, welche bei flüchtigem Hinhören nach Mozart klangen. Auch Werke a la Haydn waren willkommen. Von Beethoven und Schubert gab es so gut wie keine Epigonen - umso gieriger sog ich die Werke Von Ries ein, als ich sie kennenlernte.
    Heute ist meine Sammlung (ziemlich) ausgewogen. Mein Herz gehört indes immer noch Werken der Mannheimer und Wiener Klassik bis hin zu frühen Romantik...Das meiste davon ist Nische....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !