BLACHER, Boris: DER GROSSINQUISITOR


  • Boris Blacher (1903–1975):


    DER GROSSINQUISITOR

    Oratorium in zwei Teilen für Bariton, Chor und großes Orchester
    Libretto von Leo Borchard nach Fjodor Michailowitsch Dostojewski
    Komponiert 1942, uraufgeführt am 14. Oktober 1947 im Berliner Admiralspalast



    INHALTSANGABE


    Erster Teil


    Der erste Teil des Oratoriums wird nur durch den Chor gestaltet. Dessen Bericht beginnt mit dem Hinweis, dass der Gottessohn „nach seiner unendlichen Barmherzigkeit“ noch einmal auf die Erde zurückkam, auf der er vor „fünfzehn Jahrhunderten“ schon einmal über „dreiunddreißig Jahre“ wandelte. Und er kam nach Sevilla, wo am Tage vorher unter der Teilnahme des Königs, seines Hofstaates und der Kardinäle ein ganz „prächtiges Autodafé“ veranstaltet wurde, bei dem unter großem Jubel der Bevölkerung einhundert Ketzern „ad majorem gloria Dei“ der Tod ereilte.


    Nach einem ruhigen Anfang greift der Komponist zu äußerst drastischen musikalischen Mitteln, als der Bericht das Autodafé erwähnt: Der Chor singt ineinander übergehende Durakkorde. Der ekstatische Aufschrei, in den das Volk bei der Verbrennung der Ketzer ausbricht, wird mit wilden Koloraturketten unterlegt, einige davon in Sextparallelen.


    Im zweiten Chorsatz wird das fast unmerkliche Erscheinen Christi in der Stadt mit zarten Tönen beschrieben, aber auch erwähnt, dass sich die Menschen schnell zu Tausenden um ihn scharen und er sie mit ausgestreckten Armen segnete. Obwohl Jesus schweigend durch die Stadt ging, ist den Menschen sein mildes Antlitz Beweis genug für seine Göttlichkeit und es entsteht der Wunsch nach Berührung seiner Hände und seines Gewandes - mit der Hoffnung auf Heilung seelischer und körperlicher Gebrechen.


    Der dritte Satz erzählt von der wundersamen Heilung eines von Kindheit Blinden, dessen dreimaliger Hilferuf mit der Bitte um Heilung von Jesus erhört wird und er dem alten Mann das Augenlicht wieder gab. Das Volk weinte vor Ergriffenheit, die Kinder streuen Blumen auf die Wege und alle rufen das „Hosianna“- dieser Mann muss der Heiland, muss der Sohn des Höchsten sein!


    Die Orchesteruntermalung des Geschehens erinnert anfänglich durch synkopierte Noten an ein Ragtime. Das Wunder der Blindenheilung deutet Blacher durch Chor-Akkorde im pianissimo an, und als der Greis seinen Wohltäter tatsächlich sehen kann, wird dessen Freude durch einen Oktavsprung im Chor-Sopran und -Tenor belegt, der wie ein „Juchzer“ klingt. Der Jubel des Volkes und der Kinder, das „Hosianna“, greift auf die Streicherfiguren des Anfangs zurück, bevor der Satz in strahlendem D-Dur ausklingt.


    Der vierte Chorsatz hat die Wiedererweckung eines siebenjährigen toten Mädchens zum Thema; Jesus geht auf den Dom von Sevilla zu, wo gerade ein Kindersarg hineingetragen wird. Die Menge ruft der verzweifelten Mutter zu:

    „Er wird dein Kind zum Leben erwecken.“

    Die Trauernde wirft sich voller Hoffnung auf Hilfe zu Jesu Füßen nieder und bittet ihn, ihr Kind ins Leben zurück zu rufen. Und der so Angesprochene geht auf den Sarg zu und sagt

    „Mägdlein, ich sage dir, stehe auf!"

    Das Kind erhebt sich und blickt staunend in die Runde, während die Menschen verwirrt mit Weinen reagieren.


    Für den Ausdruck der Trauer im vierten Satz setzt Blacher breite Streicherkantilenen ein und wechselt dann zu Pizzicati in den Bässen über, um den Eindruck eines Trauerzuges zu erwecken. Der Hoffnung ausdrückende Satz „Er wird dein Kind zum Leben erwecken“ wandert im Chor sechsstimmig von Stimme zu Stimme, während der Chorsopran der verzweifelten Mutter seine Stimme leiht. Blacher setzt dazu die Streicherkantilenen vom Anfang ein. Wie in barocken Passionen übernimmt der (Chor-)Bass die Worte Jesu.


    Nun tritt, wie der Chor berichtet, der neunzigjährige Großinquisitors auf die Szene. Trotz seiner vielen Gesichtsfalten, trotz seiner eingefallenen Augen, strahlt er eine unbändige Energie aus. Und er kommt nicht mit prunkvollen Kardinalsgewändern daher (die er beim Autodafé am Vortag noch trug), sondern in einer einfachen Mönchskutte, trotzdem (oder gerade deswegen) Angst und Schrecken verbreitend. Ihm folgen finstere Gestalten, die das Volk jedoch als seine Wachen und duckmäuserischen Helfershelfer kennt. Von denen hält man sich am besten fern, mit denen hat man hoffentlich nie etwas zu tun! Der Chor erzählt, dass der Greis genau, aber mit finsterer Miene, beobachtet, was da geschieht. Und dann zeigt er mit einer einzigen Fingerbewegung seine Macht: Die Wächter nehmen Jesus fest! Die Angst der Umstehenden vor diesem Greis lässt keinen Protest aufkommen, im Gegenteil, alle weichen vor den Wachen zurück; der Heilende, der mitleidige Erwecker von den Toten wird abgeführt.


    Zu einer sparsamen Streicherbegleitung wird das Äußere des Großinquisitors geschildert und die verängstigten Frauen schweigen, während die Männerstimmen zum Geschehen nur noch die Vokalise „O“ stammeln können. Die Verhaftung Jesu begleitet ein Forte des Orchesters, dann verhallt der Satz leise in der Tonart h-Moll.


    Das nächste Stück ist ein ein kurzes, von Bläsern dominiertes „Allegro marcia“, das zum letzten Satz des ersten Teils überleitet, in dem geschildert wird, dass die angstvolle Menge sich vor dem greisen Großinquisitor verneigt, der über sie das Kreuzeszeichen schlägt, die Soldateska den Gefangenen in einen düsteres Verlies des Heiligen Gerichtshofes verbringt.


    Der Chor wird bei seinem Bericht durch Gegenbewegungen der Außenstimmen immer wieder eingeengt, bei der Schilderung von der Einkerkerung Jesu äußert er sich nur noch im Unisono. Der Ausklang des ersten Teils verhallt mit einer leeren Quinte.


    Zweiter Teil


    Der Tag neigt sich dem Ende zu; in Sevilla bricht die übliche stickige Nacht an. Chorisch wird der Bericht mit dem neunten Satz fortgesetzt: Im Kerker öffnet sich, wie von unsichtbaren Händen, die Tür und der Großinquisitor kommt ohne Begleitung zu Jesus. Nachdem sich hinter ihm, abermals wie von Geisterhänden bewegt, die Tür wieder geschlossen hat, bleibt der Alte vor Jesus stehen und fixiert ihn mit kalten Augen. Dann aber spricht er - kalt, unmenschlich, klingt seine Stimme:

    „Warum bist du gekommen, uns zu stören? (…) Ich weiß nicht, wer du bist und will es auch nicht wissen, ob du es selber bist oder nur sein Ebenbild. Doch morgen werde ich dich richten und auf dem Scheiterhaufen verbrennen, wie den schlimmsten aller Ketzer.“

    Und das gleiche Volk, so sagt er weiter, das heute „Hosianna“ rief, wird schon morgen auf „meinen Wink“ hin den Scheiterhaufen für dich aufrichten. Und dann ergänzt der Greis kaltschnäuzig:

    „Du würdest sonst den Menschen die Freiheit rauben, für die du doch so eintratest einst, da du noch auf Erden wandeltest. (…) Wisse denn, jetzt haben die Menschen selber ihre Freiheit uns dargebracht. Du verschmähtest den einzigen Weg, auf dem das Glück der Erde sich gründen ließ, doch uns zum Heile legtest du (...) dein Werk in unsre Hände.“


    Der den zweiten Teil einleitende Chorsatz erhält seine instrumentale Struktur durch auffällige Flötenkantilenen, die in Verbindung mit Quinten im Bass südländische Folklore evozieren. Während der Rede des Großinquisitors nutzt Blacher als musikdramatische Verstärkung des Textes sogar diatonische Reihen. In den Redepausen setzt der Komponist zunächst in Terzen geführte Flöten (später auch andere Holzbläser) ein, deren Spiel vielleicht die stummen Reaktionen Jesu symbolisieren sollen.


    Der zehnte Satz beinhaltet die Schilderung von Jesu Versuchungen durch den Teufel in der Wüste. Zunächst spricht der Großinquisitor Jesus auf die Begegnung mit dem „furchtbaren und klugen Geist der Selbstvernichtung“ in der Ödnis an und nennt diesen in der Heiligen Schrift überlieferten Bericht „die ganze Geschichte der Menschheit bis in alle Ewigkeit“, weil darin alle „unlösbaren Widersprüche der menschlichen Natur auf Erden“ niedergelegt sei.


    Die erste Versuchung Satans, Jesus solle doch, wenn er Gottes Sohn sei, aus Steinen Brot machen, kennt der Großinquisitor natürlich und zitiert Jesu Antwort, dass „der Mensch nicht vom Brot allein“ lebe. Die Fortsetzung des Satzes („Sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht") lässt er allerdings hinterhältig aus, geht dafür zum Angriff über und behauptet, ihm sei Jesu Abweisung der teuflischen Forderung zu keinem Zeitpunkt verständlich gewesen. Denn: Der „Geist der Erde“ habe das zum Anlass für seine Empörung gegen Gott aufgefasst, habe den „Hunger in der Welt“ als Kampfmittel eingesetzt, was „uns“ den Weg zu den Menschen erleichtert habe. „Wir“ werden wie bisher die Menschen satt machen und „uns“ dabei sogar der Lüge bedienen, in „deinem Namen zu handeln“.


    Auch die Schilderung der zweiten Versuchung in Satz elf, in dem der Teufel Jesus zu den Tempelzinnen führt und ihn auffordert, in die Tiefe zu springen und darauf hinweist, dass Gott die Engel senden werde, die ihn unversehrt zur Erde bringen würden, ist dem Chor übertragen. Natürlich kennt der bibelfeste Großinquisitor Jesu ablehnende Antwort, hält das auch für die eines Gottes würdige Reaktion - aber die armen Menschen? Die sind keine Götter, auch nicht gottgleich, sie sind in der Masse unfähig, ihrem Vorbild nachzueifern.


    In der dritten Versuchung führt der Teufel Jesus auf den höchsten Berg dieser Erde und trägt ihm die Weltherrschaft an:

    „Das alles will ich dir geben, so du niederfällst und mich anbetest."

    Auch zu diesem Punkt gibt der Großinquisitor in seiner Antwort sich nicht als Gottesmann, sondern als säkularer Herrscher, denn „Rom übergab uns Cäsars Schwert“ und damit die Herrschermacht. Seine weiteren Worte klingen wie der reinste Hohn:

    „Wärest Du dem dritten Rat des mächtigen Geistes gefolgt, Dir wäre es gegeben sein,
    alles zu erfüllen, wonach der Mensch auf Erden sucht, vor wem er sich zu verneigen hat, wem er sein Gewissen anvertrauen soll, und wie endlich alle sich vereinen können zu einem gemeinsamen, einträchtigen Ameisenhaufen;
    denn die Sehnsucht nach Weltvereinigung ist die dritte und letzte Qual der Menschheit.“


    Die Schilderung der Versuchung Jesu (aus Matthäus 4, 1-11) übernahm Boris Blacher auf Anregung des Librettisten (und Dirigenten) Leo Borchard in den Text auf. Borchard war übrigens nach dem Krieg für kurze Zeit Dirigent der Berliner Philharmoniker, ehe er irrtümlich von einem amerikanischen Soldaten erschossen wurde.


    Bevor der Monolog des zehnten Satzes anhebt, lässt Blacher das Orchester mit einer auffälligen Abwärtsfigur über mehr als zwei Oktaven in das Geschehen einstimmen. Diese rasante Musik kommt bei der Nennung der drei Versuchungen nochmals auf und sie beschließt auch den Satz.


    Die Schilderung der Versuchungen übernimmt der Chor in der Art von Turba-Chören. Bei einem Choreinwurf, der die Bitte um Sättigung beinhaltet, verwendet Blacher eine fallende None, die im weiteren Verlauf durch aufwühlende Koloraturen wieder aufgefüllt wird, was man als „Sättigung“ deuten kann. In der dritten Versuchung, in der Satan Jesus die Weltherrschaft anträgt, wenn er niederkniet und ihn anbetet, werden die Worte des Teufels nur vom Chortenor vorgetragen, von den anderen Stimmen allerdings in einer Art Sprechgesang begleitet. Der Ausklang ist homophon gestaltet, aber wiederum mit ineinander verschachtelten Durakkorden.


    Der dreizehnte Satz ist eine einzige Verhöhnung Jesu' durch den Großinquisitor und als dramatischer Höhepunkt des Oratoriums anzusehen. Der Alte wirft dem Gefangenen vor, sich nur für seine „Auserwählten“ einzusetzen, doch „wir hingegen werden Frieden bringen allen“. Und er wird mit seinen Vorwürfen deutlich:

    „Es ist gesagt und prophezeit, du werdest wiederkehren und von neuem den Sieg erringen, du werdest kommen mit deinen Auserwählten (…) Dann werden wir aufstehen und dem Volke verkünden, dass diese nur sich selbst erretteten, wir aber die Erlösung brachten allen. Dann will ich dich auf die tausend Millionen glücklicher Kinder hinweisen, die die Sünde nicht kennen. Und wir, die wir ihre Sünden um ihres Glückes willen auf uns nehmen, wir werden vor dich hintreten und zu dir sprechen: Richte uns, wenn du es kannst und wagst!“


    Die letzte Aussage ist dem sechsstimmigen Chor anvertraut und das „Richte uns“ besteht aus sechs aufeinander folgenden Tönen, einem Hexachord von d-Moll ausgehend. Die Worte „wenn du es wagst und kannst“ werden abwechselnd über sich vermindernde Septakkorde und durch Überlagerung mehrerer Tonarten (polytonale Technik) geformt. Weil der Chor im folgenden Ablauf abwärts geführte Terzparallelen singt, die im übrigen dem neunten Satz entstammen, entsteht auch musikalisch der Eindruck des Verhöhnens.


    Im letzten, dem vierzehnten Satz, läuft der Großinquisitor mit seiner kaltschnäuzigen Rede zu wahrer Höchstform auf:

    „Wisse denn, ich fürchte dich nicht. Unser Reich wird kommen. Schon morgen wirst du diese gehorsame Herde erblicken, wie sie auf meinen ersten Wink herbei stürzt, um feurige Kohlen für den Scheiterhaufen zusammen scharren, auf dem ich dich verbrennen werde, weil du gekommen bist, uns zu stören; denn wenn einer unseren Scheiterhaufen verdient hat mehr denn alle anderen, so bist du es. Morgen werde ich dich verbrennen. Dixi! (Ich habe es gesagt!)“


    Aber: Wie bisher schweigt der Gefangene; die Erwartung des Greises, ihm werde auf die schwerwiegende Anklage eine Antwort gegeben, erfüllt sich nicht. Und das Schweigen, so drückt es der Chor aus, lastet schwer auf seinem Gemüt. Was aber schon die ganze Zeit in dem Großinquisitor nagt, ist der durchdringende Blick, den ihm Jesus unentwegt zuwirft.
    Plötzlich geschieht es: Der Gefangene steht auf, geht auf den Alten zu und küsst ihn „sanft auf die blutleeren neunzigjährigen Lippen.“ Konsterniert reagiert der Großinquisitor nach einer kurzen Zeit, in dem er auf die Tür zugeht, sie öffnet und Jesus auffordert, zu gehen, und „kehre nicht zurück, kehre nie wieder, niemals.“ Die letzte Äußerung trifft der Chor:

    „Und er lässt ihn hinaus auf die heißen Fliesen der südlichen Stadt. Der Gefangene geht.“


    Der Schluss nimmt die musikalischen Mittel aus dem Anfang des zweiten Teils (mit der Flötenkantilene und den Quinten im Bass) und Musik vom Anfang des ersten Teils auf. Der Chor hat die Funktion des Erzählers und, nachdem Jesus den Großinquisitor wortlos küsst und von dem überrascht fortgeschickt wird, schließt das Oratorium mit der schon bekannten Flötenkantilene, die sich aber immer mehr verliert.




    INFORMATIONEN ZU KOMPONIST UND WERK


    Boris Blacher wurde 1903 als Sohn deutsch-baltischer Eltern im chinesischen Newchwang geboren. Seine Kindheit und Jugend verbrachte er in China und Russland. Er wuchs, nicht verwunderlich, mehrsprachig auf; die Musik spielte bei seiner Erziehung eine wichtige Rolle. Nach dem Abitur ging Blacher 1922 nach Berlin. Dort gab er das (auf elterlichen Wunsch) begonnene Studium der Architektur nach kurzer Zeit auf, um sich ganz der musikalischen Ausbildung zu widmen.


    Der Durchbruch als Komponist kam 1937 mit der „Concertanten Musik“ und dem Ballett „Fest im Süden“. 1939 musste er die ein Jahr zuvor begonnene Arbeit als Kompositionslehrer am Dresdner Konservatorium aufgeben, weil er sich mit verfemten Komponisten wie Hindemith und Milhaud beschäftigt hatte, was damals als Sakrileg galt. Vor allen Dingen, als die jüdische Herkunft eines seiner Großväter bekannt geworden war und er mithin als „Mischling zweiten Grades“ galt, war seine Karriere als Komponist beendet. Werke wie der hier besprochene „Großinquisitor“ hatten von daher keine Chance auf Aufführungen.


    Nach 1945 wurde Blacher an die Berliner Musikhochschule berufen, deren Rektor er von 1953 bis 1970 war. Zu seinen berühmtesten Schülern zählen Gottfried von Einem, George Crumb, Giselher Klebe, Heimo Erbse, Isang Yun und Aribert Reimann. Auch der Dirigent Herbert Kegel zählt dazu.


    Blacher sah sich nicht als dogmatischer Komponist. Seine Musik lässt sich nicht einfach in eine Schublade einordnen. Er sagte von sich selbst, dass es ihm Vergnügen bereite, sowohl leichte und rein unterhaltende als auch experimentelle Musik zu schreiben. Dass es auch Stimmen gab und gibt, die Blachers Lehrtätigkeit höher bewerten als seine Kompositionen, sei nicht verschwiegen.


    Boris Blacher starb am 30. Januar 1975 in Berlin.


    „Der Großinquisitor“ darf als eines der stärksten Werke aus Blachers Feder bezeichnet werden. Gottfried von Einem konstatierte, dass es überall dort, wo man es aufführt, „Betroffenheit und Ergriffensein“ auslöst. Die Autoren Blacher und Borchard verarbeiten eine Episode aus Fjodor Michailowitsch Dostojewskis Roman „Die Brüder Karamasow“, die von der utopischen Rückkehr Jesu in das Sevilla des 16. Jahrhunderts berichtet. Die düsteren Bilder der Ketzerverbrennung (Autodafé = Glaubensakt) während der spanischen Inquisition sowie die Unfähigkeit der Menschen zur Opposition gegen die staatliche Macht waren zum Zeitpunkt der Komposition (1942) von beklemmender Aktualität. Zwangsläufig konnten die Autoren nicht mit einer Aufführung rechnen. Die Uraufführung fand daher erst am 14. Oktober 1947 im Berliner Admiralspalast statt. Der Musikverlag Boosey & Hawkes nennt Johannes Schüler als Dirigenten der Premiere, in der Jaro Prohaska den Solopart sang und die Staatskapelle Berlin spielte, während der Chor nicht erwähnt wird.


    Das Amt des Großinquisitors gab es in Spanien seit 1478. Zwischen 1481 und 1808 wurden dort über 300.000 Urteile gesprochen und 31.000 Menschen verbrannt. Der Feuertod sollte die Seele des Ketzers vor der Verdammnis bewahren.


    © Manfred Rückert für den Tamino-Oratorienführer 2014
    unter Hinzuziehung folgender Quellen:
    Partitur des Musikverlags Boosey & Hawkes (früher Bote & Bock)
    Aufnahme des DDR-Labels Eterna (heute: Edel/Brilliant) von 1986

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  • Die nebenstehende Einspielung ist bei jpc erhältlich. Siegmund Nimsgern (*1940) sang bei dieser Produktion die Titelrolle und wird wird begleitet vom Rundfunkchor Leipzig und der Dresdner Philharmonie unter der Leitung von Herbert Kegel, dem letzten Schüler Blachers. Die Aufnahme entstand im Mai 1986 in der Dresdner Lukaskirche ursprünglich für das DDR-Label Eterna. Für das Musikmagazin Klassik.com schrieb Dr. Jürgen Schaarwächter im August 2013:
    Kegels Interpretationen sind oft sehr gut, und diese Einspielung stellt keine Ausnahme von der Regel dar. Siegmund Nimsgern (…) ist bestens bei Stimme und vermag auch hier jeden Manierismus, den man in anderen Einspielungen erleben kann, zu vermeiden. Das Ergebnis ist ein ungemein eindringliches Musikerlebnis, ein Musikerlebnis, das man sich kaum optimaler umgesetzt vorstellen könnte. Da auch die Aufnahmetechnik exemplarisch ist, haben wir hier eindeutig eine Referenzeinspielung des Werkes, die heute nur schwer zu überbieten wäre. Der Kritiker vergibt für die Interpretation und den Repertoirewert, aber auch für die Klangqualität, von fünf möglichen Punkten vier, für das Booklet drei.


    :hello:

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