Welche Passion hört ihr?

  • Man muss kein religiöser Mensch sein um die Musik, die Dramatik und Ausdrucksstärke von Bachs Passionen zu schätzen. Ebenso nicht, um Passionen anderer Meister zu lieben. Ist man religiös, so verstärkt sich dies vielleicht noch durch Zutat der persönlichen Überzeugung.


    Ich habe seit vielen Jahren die Gewohnheit, mir in der Passionszeit eine Passion von Anfang bis Schluss anzuhören. Meist lande ich bei Bach in verschiedenen Aufnahmen, hörte jedoch auch schon Thomas Selle, Heinrich Schütz oder Telemann.


    Heuer wird es wohl wieder einmal die Matthäuspassion Bachs. Ich werde zurückkehren zu jener Aufnahme, die mich als junger Mensch so begeisterte, dass ich tagelang an nichts anderes denken konnte und sogar in meinem Schlaf aufgestört war:



    Damals gab es natürlich nicht so viel Auswahl wie heute und ich war überzeut, man könne dieses Werk gar nicht besser interpretieren !


    Nun jedoch meine Frage:


    Wenn ihr vielleicht auch dieselbe Neigung habt und eine Passion hört, welche ist es ???


    Wieso diese ? Welche Aufnahme hört ihr und warum ? Was verbindet ihr emotionell mit der Musik und der Aufnahme ?


    Dieser Thread soll durchaus keine Besprechung von CDs oder Werken sein, sondern ein subjektiver Austausch von Eindrücken.


    Herzliche Grüße,


    Bachiania :angel::angel::angel:

    Man sagt, wenn die Engel für Gott spielen, so spielen sie Bach, füreinander aber spielen sie Mozart.
    (Sir Isaiah Berlin)

  • Zit.: "Ich habe seit vielen Jahren die Gewohnheit, mir in der Passionszeit eine Passion von Anfang bis Schluss anzuhören."
    Da haben wir etwas gemeinsam, - nur dass es bei mir immer ein und dieselbe ist: Bachs Matthäus-Passion in der DG-Archiv-Produktion von 1980 unter der Leitung vom Karl Richter. Die Solisten sind Edith Mathis, Janet Baker, Peter Schreier, Dietrich Fischer-Dieskau und Matti Salminen.


    Ich habe diese Passion viele Male live gehört und erlebt, und um mich herum stehen noch weitere fünf Aufnahmen derselben. Aber ich habe mich in diese Fassung von Karl Richter regelrecht verliebt, - nicht zuletzt der Solisten wegen. Keiner kann die Worte Jesu Christi so tief anrührend deklamieren wie D. Fischer-Dieskau.
    Ob das Bach-gemäß ist oder nicht - ich weiß, dass es nicht dem heutigen Bach-Verständnis entspricht - , das ist mir dabei völlig gleichgültig.


    Nebenbei: Die hohen Tempi, die den modernen Interpretationen für gewöhnlich zugrunde liegen, sind mir schlechterdings unerträglich.

  • Eine schöne Passion, die durch ihre Schlichtheit besticht, ist die Markuspassion von Reinhard Keiser (zumindest ihm zugeschrieben). Ich habe sie zwei Mal gesungen (und durfte eine winzige Rolle - den Petrus - singen) und bin immer sehr gerührt, dass auch eine einfache Passion so zu Herzen gehen kann.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Da haben wir etwas gemeinsam, - nur dass es bei mir immer ein und dieselbe ist: Bachs Matthäus-Passion in der DG-Archiv-Produktion von 1980 unter der Leitung vom Karl Richter. Die Solisten sind Edith Mathis, Janet Baker, Peter Schreier, Dietrich Fischer-Dieskau und Matti Salminen.

    Da haben wir eine Gemeinsamkeit (siehe Beitrag 1 in der Rubrik "Stimmenliebhabers unverzichtbare Aufnahmen"!). :hello:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"


  • Jedes Jahr höre ich diese Passion in der Fastenzeit vor Ostern.
    Diese CD besitze ich seit Erscheinen.
    Heuer werde ich zusätzlich noch Klemperers Aufnahme aus der neuen EMI-Box hören.

    mfG
    Michael

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  • Na, "Schneewitchen", das ist doch die Aufnahme der Matthäus-Passion, von der ich eben gerade sprach und die ich ausdrücklich als meine "Lieblingsinterpretation" deklarierte. Und nun wüsste ich natürlich gar gerne, warum Du sie auch "jedes Jahr in der Fastenzeit" hörst.


    Ich deutete ja an, dass für mich einerseits das Tempo ein maßgeblicher Aspekt ist, - eben weil darin die "Passion", das Leiden der Kreuzigung also, viel unmittelbar anrührender zum Ausdruck kommt, als dies in den modernen Interpretationen der Fall ist, die viel zu stark auf den daktylischen Grundrhythmus der Bachschen Musik abheben.
    Und zum andern verwies ich auf die singuläre Leistung der Solisten, - wobei für mich die Christus-Darstellung Fischer-Dieskaus herausragend ist. Hier ist das zutiefst menschliche Leiden in einer Weise sängerisch gestaltet und zum Ausdruck gebracht, wie ich das von keiner anderen Aufnahme der Matthäus-Passion her kenne.
    Gewiss, das ist eine "romantisierende" Bach-Interpretation, wie man sie heute kritisiert und nicht mehr praktizieren will.
    Aber ist sie deshalb interpretatorisch nicht sachgerecht und damit verfehlt?

  • Seit Jahren bei mir für die Fastenzeit gesetzt: die Lukas-Passion von Krzysztof Penderecki. Das Erschütternde des Leidens Christi wird hier in seltener Weise deutlich.



    Eine Alternative dazu sind Haydn's "Sieben letzten Worte des Erlösers am Kreuz". Haydn schrieb das Werk ursprünglich für Orchester, arrangierte es aber alsbald für Streichquartett. Bei mir läuft eine besondere Fassung; sie ist 1982 auf dem Calig-Label erschienen. Bertold Hummel -Präsident der Musikhochschule Würzburg- arrangierte seinerzeit die Quartettfassung für Streichorchester und spielte das Werk in der Kirche von Versbach ein. Zwischen den einzelnen Sätzen spricht die Dichterin Luise Rinser Meditationen, die sie zu den einzelnen Sätzen verfasst hat. Das sind sehr ergreifende Texte, von der Autorin ausgesprochen bezwingend gelesen. Leider auf dem Plattenmarkt nicht mehr erhältlich.


    Liebe Grüße vom Thomas

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Ich deutete ja an, dass für mich einerseits das Tempo ein maßgeblicher Aspekt ist, - eben weil darin die "Passion", das Leiden der Kreuzigung also, viel unmittelbar anrührender zum Ausdruck kommt, als dies in den modernen Interpretationen der Fall ist


    Lieber Helmut Hofmann,
    ich könnte es nicht besser ausdrücken.
    So ist es auch bei mir.
    Eine schnelle und hektische Matthäuspassion kommt für mich nicht in Betracht. Also kein Geschwindigkeitsrausch.
    (So höre ich auch Händels Messias mit Scherchen, weil mir das langsame Tempo gefällt. Allein bei Bachs Weihnachtsoratorium habe ich mich an einen schnelleren Anfang gewöhnt, weil "jauchzet,frohlocket" ein Ausdruck der Freude ist und nicht nach Trauermusik klingen soll. )
    Richter hat genau das für mein Befinden richtige Tempo gewählt, sodaß diese Interpretation bei mir auf große Resonanz stößt und Betroffenheit auslöst. Zwar besitze ich auch Richters Aufnahme von 1958, jedoch bevorzuge ich die spätere.
    Was schert es mich, ob andere diese Interpretation als nicht mehr zeitgemäß halten. Mir muß die Musik gefallen, die ich höre.
    Außerdem kann niemand wissen, wie die Matthäuspassion zu Zeiten Bachs geklungen hat.

    mfG
    Michael

  • Also langsam glaube ich, dass es bei mir heuer nicht bei einer Passion bleiben wird....


    Dr. Pingel, ich habe mir die Markuspassion von R. Keiser zum Großteil angehört. Du hast recht: ein sehr schlichtes Werk, das gerade dadurch sehr berührend wirkt. Außerdem: sehr sehr schöne Musik !


    Und auf die Matthäuspassion von Richter habt ihr mich neugierig gemacht. Ich habe die H-Moll Messe, die Johannes Passion und mehrere Bachkantaten in seinen Aufnahmen in meiner Kindheit kennen gelernt, und halte ihn für vielleicht nicht DEN einzigen, aber EINEN DER Standards, was Bach betrifft.


    Eigenartiger Weise habe ich ein völliges Blackout, wenn es darum geht, in welcher Besetzung in die Matthäuspassion in meiner Jugend anfang der Achziger Jahre kennen gelernt habe ...... Eventuell könnte es Karajan gewesen sein. Hat er sie damals schon eingespielt gehabt ?

    Man sagt, wenn die Engel für Gott spielen, so spielen sie Bach, füreinander aber spielen sie Mozart.
    (Sir Isaiah Berlin)

  • Die "Matthäuspassion" höre ich vorzugsweise in der Aufnahme mit Karl Münchinger, die stimmlich opulent besetzt ist: Hermann Prey, Marga Höffgen, Peter Peras, Elly Ameling, Fritz Wunderlich und Tom Krause. Das ist es mir völlig gleichgültig, ob man die "Matthäuspassion" heute noch so aufführen würde.



    Ebenfalls nach Matthäus, diese Passion von Heinrich Schütz und eine sehr schöne, stille Aufnahme, die seinerzeit auf dem ETERNA-Label der DDR erschienen ist:



    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

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  • Ich habe es mir angewöhnt, jedes Jahr eine andere Passionsvertonung zu hören. Neben den Bachschen Werken, zu denen ich auch, obwohl es strittig ist, noch die nach Markus und Lukas zähle (letztere ganz gewiß nicht vom Thomaskantor, aber von einer wunderbaren Melodik!), auch die Matthäus-Passion von Heinrich Schütz, die Johannes- und Brockes-Passion von Händel und drei Werke Telemanns: die Lukas-Passion 1744, die Matthäus-Passion (über deren Entstehungsjahr sich mein Booklet ausschweigt, was mich ärgert, weil es wohl zehn Vertonungen von Telemann gibt) und das Passions-Oratorium (Das selige Erwägen). Aber ich gebe ohne Scheu zu, daß Bachs Matthäus-Passion sozusagen die Kathedrale des Genres ist.


    :hello:

    .


    MUSIKWANDERER

  • Aber ich gebe ohne Scheu zu, daß Bachs Matthäus-Passion sozusagen die Kathedrale des Genres ist.


    Das kann ich nur unterschreiben ! Schöner kann man es nicht sagen !


    Und: Ich freue mich überrascht, so viele Gleichgesinnte in diesem Ritual anzutreffen ! :hello::hello::hello:

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    (Sir Isaiah Berlin)

  • Ich bekenne, dass mir die Johannes-Passion von Bach deutlich lieber ist als jene nach Matthäus. Wenn letztere, dann Klemperer. Bei der Johannes-Passion die alte DDR-Aufnahme von Rotzsch (unveständlicherweise fehlen die Sänger auf dem Cover):



    Es singen Auger, Rieß, Schreier, Adam und Lorenz. Highlight der bestens aufgelegte Thomanerchor. Packender habe ich das "Kreuzige ihn!" nie wieder gehört.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões


  • In dieser Woche habe ich dreimal die Matthäus-Passion des göttlichen Bach gehört, jedesmal mit derselben Verwunderung.
    Wer das Christentum völlig verlernt hat, der hört es hier wirklich wie ein Evangelium.
    Friedrich Nietzsche




    Zur Zeit höre ich diese Einführung zu Bachs Matthäus-Passion

    mfG
    Michael

  • Als ich Jugendlicher war, gab es jedes Jahr die Matthäuspassion in Düsseldorf unter GMD Eugen Szenkar: 8 Kontrabässe, 16 Celli, unzählbare Geigen und Bläser betraten die Bühne. Dann ging es los. Spätestens beim Evangelisten "...und ging heraus und weinte bitterlich..." wurden die Taschentücher gezückt. In diese Kategorie würde ich die Aufführungen einordnen, von denen ihr berichtet. Und wir waren alle ergriffen, ich auch! Aber das ist das Problem, nämlich das der musikalischen Sozialisation. Die aber täuscht uns doch auch.
    Ich würde ganz hart sagen: es handelt sich bei Richter, Marriner, Münchinger und heute bei Kamioka in Wuppertal um romantische Bearbeitungen der Matthäuspassion, das hat mit Bach nicht viel zu tun. Bei Händel ist das klar: spielt man die Mozartsche Bearbeitung des Messias, schreibt man das ins Programmheft.
    Der für mich entscheidende Punkt: bei Bach hat es keinen Sinn und verbessert die Musik nicht, wenn man - so wie Fischer-Dieskau - extrem interpretiert. Die Gefühle sind in der Musik eingebaut. Diese Interpretationen verbessern Bach nicht, sie verschlechtern ihn. Ein Beispiel: hier wird die Geschwindigkeit kritisiert, z.T. zu Unrecht. Die Sopranarien und etwa "Mache dich mein Herze rein" sind auch bei Herreweghe im ruhigen Fluss. Ein konkretes Beispiel aus der Johannespassion: zwei der großartigsten Chöre der gesamten Musikgeschichte sind "Kreuzige, kreuzige.." und "Weg, weg, kreuzige ihn!". Die kann man mit einem großen Chor überhaupt nicht singen, weil die Beweglichkeit, die es braucht nicht erreicht werden kann. Ich weiß, wovon ich spreche, ich habe die Johannespassion in unterschiedlichen Besetzungen gesungen.
    Als ich Cavalli entdeckte, mein Lieblingsopernkomponist nach Janacek, gab es nur die Aufnahmen von Raymond Leppard. Dann kamen die neuen Aufnahmen von Egisto, Didone, Calisto heraus, die um Klassen besser waren.
    Ich besitze die Leppard - Aufnahmen alle noch, aber habe sie nie wieder gehört; ich könnte sie genauso gut wegwerfen.
    Meine Referenzaufnahme der Matthäuspassion ist die Live-Aufnahme vor 2 Jahren aus Köln unter Herrweghe.
    Zwei kleine Orchester (nur alte Instrumente) und Chöre, getrennt aufgestellt; in der Mitte das Continuo und der Evangelist (Christoph Prégardien). Das Besondere: alle Solisten traten aus dem Chor hervor.
    Ich bin kein großer Anhänger der Rifkinschen Theorie, die Paul McCreesh ja umgesetzt hat (1 Sänger pro Partie), aber das Ergebnis ist nicht schlecht.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

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  • bei Bach hat es keinen Sinn und verbessert die Musik nicht, wenn man - so wie Fischer-Dieskau - extrem interpretiert.

    Aber wenn der einzelne Hörer (und es scheinen ja nach den Beiträgen hier nicht wenige zu sein!) bei einer solchen Aufnahme viel ergriffener ist als etwa bei der schon seit einigen Jahren erhältlichen Studio-Einspielung von Herreweghe, wo der Eingangschor für mich eher nach Tanzmusik als nach Passionmusik klingt, kann es subjektiv betrachtet vielleicht doch Sinn machen?

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Spätestens beim Evangelisten "...und ging heraus und weinte bitterlich..." wurden die Taschentücher gezückt. In diese Kategorie würde ich die Aufführungen einordnen, von denen ihr berichtet. Und wir waren alle ergriffen, ich auch!

    Wie furchtbar! ;-)


    (Die Smileys scheinen gerade nicht zur Verfüfung zu stehen.)

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Hier hat sich jemand die Mühe gemacht, die Spieldauern aller Stücke bei 10 Aufnahmen der Matthäuspassion zusammenzustellen. Leider fehlt Richter hier, ebenso die (stark gekürzte) unter Ramin 1941 oder Scherchens aus den 1950ern (die an Dramatik m.E. nach wie vor fast alle hinter sich lässt, allerdings bei einigen bizarren Tempi (langsamste Schlusschöre, die ich je gehört habe, dafür der Eingangschor im "HIP-Tempo"). Aber jedenfalls mal zur Einordnung und gegen Pauschalurteile ganz hilfreich.


    Mich wundert ein wenig, dass hier durchweg der späten Richter-Aufnahme der Vorzug gegeben wird. Ich dachte immer, der "Klassiker" sei die um 1960. (Ich hatte von einer von beiden mal Teile aus dem Radio mitgeschnitten, weiß aber nicht mehr, welche, das war meine erste richtige Bekanntschaft mit dem Stück, zusammen mit einem Querschnitt von Münchingers, seinerzeit proto-historisierender (Knabenchöre, Blockflöten, Peter Pears....) auf schon etwas antiquierten LPs).

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Ich möchte noch mal betonen, dass es mir nicht um eine Bewertung der Gefühle beim Anhören der alten Aufnahmen geht. Wir waren echt ergriffen damals und daran ist auch nichts falsch. Aber wenn ich das heute höre, bin ich nicht ergriffen. Aber eure Ergriffenheit will ich euch nicht absprechen.
    Es geht mir um folgende Punkte:
    1. Diese alten Aufnahmen sind Bearbeitungen in jeder Hinsicht. Dass Bearbeitungen ergreifen können, bestreite ich ja nicht. Es gibt z.B. von Henze eine tolle Bearbeitung des "Ulisse", die ich oft höre. Aber ich sage nicht, dass es der Monteverdische Ulisse ist, sondern der Henzesche nach Monteverdi.
    2. Für meine Ohren ist eine zu starke emotionale Interpretation von Bach kontraproduktiv, weil die Musik so toll komponiert ist, dass sich die Emotionen von allein ergeben.


    Wenn ihr auf meinen Beitrag eingeht, bitte ich um Argumente gegen diese beiden Feststellungen, nicht um eine Feststellung, dass ich euch eure musikalische Sozialisation rauben will.

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    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Ich werde in diesem Jahr, nach der eigenen Mitwirkung in der Karfreitagsliturgie, im Anschluss zu Hause die Johannespassion in dieser "Jahrhundertbesetzung" hören:


    Evangelist:.....Fritz Wunderlich
    Jesus:............Dietrich Fischer-Dieskau
    Sopran-Arien:Elisabeth Grümmer
    Alt-Arien:.......Christa Ludwig
    Tenor-Arien:..Josef Traxel
    Basss-Arien:...Karl Christian Kohn
    Pilatus:..........Karl Christian Kohn
    Magd:...........Lisa Otto
    Diener:.........Horst Schäfertöns
    Chor der St. Hedwigs-Kathedrale Berlin
    Berliner Symphoniker


    Dirigent: Karl Forster


    Im letzten Jahr hatte ich die Matthäus-Passion gehört, ebenfalls mit einem "Who is Who" des Gesangs: peter Pears (Evangelist), Hermann Prey (Jesus), Elly Ameling (Sopran), Marga Höffgen (Alt), Fritz Wunderlich (Tenor), Tom Krause (Bass), unter Karl Münchinger mit den Stuttgarter Hymnus-Chorknaben und dem Stuttgarter Kammerorchester. Vor Jahren bin ich noch regelmäßig in die Kölner Philharmonie gefahren und habe dort im jährlichen Wechsel die Matthäus-Passion und die Johannes-Passion erlebt.


    Liebe Grüße


    Willi :rolleyes:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

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  • Wenn ihr auf meinen Beitrag eingeht, bitte ich um Argumente gegen diese beiden Feststellungen, nicht um eine Feststellung, dass ich euch eure musikalische Sozialisation rauben will.

    Ich glaube, dass da ein Missverständnis vorliegt: ich habe nicht angenommen, dass Du uns -zumindest mir- meine musikalische Sozialisation rauben willst. Es ist auch ferner richtig, dass ide alten Aufnahmen dem heutigen Forschunsgsstand oftmals nicht standhalten. Bei Richter bin ich mir gar nicht ganz sicher: DGG Archiv hat zumeist nach damals aktuellem Forschungsstand aufgenommen (und auf dem Beiblatt der LP's exakt die zugrunde liegende Partiturfassung sowie die Besetzung der Instrumente angegeben). Vor allem ist es sicher unstreitig, dass der Blick auf eine Werk ein anderer ist, wenn man selber aktiver Musiker ist. Insofern gelten die Argumente natürlich vor allem dem Hörgeschmack. Und das ist, wie ich finde, legitim.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

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  • 1. Diese alten Aufnahmen sind Bearbeitungen in jeder Hinsicht. Dass Bearbeitungen ergreifen können, bestreite ich ja nicht. Es gibt z.B. von Henze eine tolle Bearbeitung des "Ulisse", die ich oft höre. Aber ich sage nicht, dass es der Monteverdische Ulisse ist, sondern der Henzesche nach Monteverdi.

    Das stimmt doch einfach nicht. Wenn man nicht schon unterschiedliche Besetzungsstärke und das Ersetzen von Block- durch Querflöten als "Bearbeitung" sieht, sind die allermeisten Aufnahmen der Bachpassionen aus den 1960ern KEINE Bearbeitungen. Wie gesagt, gibt es sogar damals schon vereinzelt korrekte Blockflöten und Knabenchöre (Münchinger, bei Richter weiß ich es nicht). Das mag bei Vorkriegsaufnahmen noch anders gewesen sein, aber bei den verbreiteten traditionellen Aufnahmen dieser Werke handelt es sich eben nicht wie bei Messias nach Mozart oder Beecham um Neuinstrumentierungen.



    Zitat

    2. Für meine Ohren ist eine zu starke emotionale Interpretation von Bach kontraproduktiv, weil die Musik so toll komponiert ist, dass sich die Emotionen von allein ergeben.

    Non sequitur. Woran genau macht man eine "zu emotionale" Interpretation fest? Oder wer legt das fest? Ist Wagners (Mozarts, Händels, Rossinis, Verdis...) Musik nicht toll genug komponiert, so dass sich die Emotionen nicht "von selbst" ergeben und eine "emotionalere" Interpretation notwendig ist?
    Ist das nicht ebenso ein Klischee (der "mathematische" Bach) wie das einer Passion als geistliches Drama? (und m.E. ein weit unpassenderes)

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    (Bob Dylan)

  • Nach dieser Logik wäre Herreweghes Matthäus-Passion ja auch eine Bearbeitung, da sie nicht die historisch korrekten Knabenchöre einsetzt.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • nachdem ich die Matthäuspassion jahrelang links liegen liess, habe ich mich jetzt regelrecht darin verliebt. In den letzten Monaten hörte ich sie rauf und runter (allein dreimal in dieser Woche).


    Bisher habe ich noch keine gehört, die mir nicht gefallen hat. Vermutlich ist die Musik einfach zu gut, als dass man sie verderben könnte. Auf Knabenchöre würde ich aber lieber verzichten.


    Meine Favoriten sind Herreweghe, McCreesh, Gardiner und Rilling.



    LG,
    Thomas

    "Lassen Sie sich ruhig fallen, bei Bruckner fallen Sie immer nach oben"
    Günter Wand

  • Non sequitur. Woran genau macht man eine "zu emotionale" Interpretation fest? Oder wer legt das fest? Ist Wagners (Mozarts, Händels, Rossinis, Verdis...) Musik nicht toll genug komponiert, so dass sich die Emotionen nicht "von selbst" ergeben und eine "emotionalere" Interpretation notwendig ist?
    Ist das nicht ebenso ein Klischee (der "mathematische" Bach) wie das einer Passion als geistliches Drama? (und m.E. ein weit unpassenderes)


    Ich kann jedenfalls sagen, dass mir einige Interpretationen der Bach-Passionen definitiv zu trocken sind (z.B. McCreesh) und ich - Romantisieren hin oder her - sehr gerne zur alten Richter-Einspielung greife. Die Arien sind dort wirklich einmalig eindringlich geraten.

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  • Zitat

    P.S.
    vielleicht kann mir ein Moderator mal begreiflich machen, wie man die
    JPC Bilder hier sichtbar machen kann ?!!?!

    Falls sich noch immer kein Moderator erbarmt haben sollte: die Bestellnummer aus dem oben verlinkten JPC-Onlinekatalog kopieren oder abschreiben, ins Beitragsverfassungsfenster einfügen, markieren und auf den dortigen schwarzen "JPC"-button klicken. Das hat mich übrigens lutgra gelernt ;) - Ehre, wem Ehre gebührt!


    Zitat

    Welche Passion hört ihr ?

    Heute Abend die Bachsche Johannespassion - auf der Probe. Mit dr.pingel-tauglicher-Besetzung, jedoch im Sinne Josephs "bearbeitet", da ohne Knabenchor (seltsam eigentlich - vor rund zehn bis fünfzehn Jahren waren alle in meiner Anwesenheit stattfindenden Aufführungen mit einem Knabenchor besetzt ?? :D ).

  • Das mit dem Knabenchor ist natürlich richtig - nur welcher Knabenchor ist wirklich gut? Die Thomaner unter Biller sind wirklich nur zweitklassig.
    Mit den Bearbeitungen meinte ich auch eher die Chorstärke! 40 ist schon zuviel, 120 wie in Wuppertal sind ... ach, ich sag das jetzt nicht.
    Außerdem zu den Solisten: die Bachschen Arien sind keine Opernarien, wie sie in den von euch favorisierten Aufnahmen z.T. gesungen werden.
    Die Instrumente: ich kann Bach nur mit historischen Instrumenten hören; außerdem sind wie bei den Chören die Orchester viel zu groß.
    Bach hat alles komponiert und muss einfach, beweglich und durchsichtig gespielt werden. Ansonsten entfaltet er sich nicht (dass ich nicht die einzelne Sozialisation kritisieren will, ist doch hoffentlich jetzt deutlich geworden).
    Wer legt die Kriterien fest? Nun, das Bessere ist des Guten feind und setzt sich durch. Außerdem gibt es da doch die hier so verehrte akademische Musikwissenschaft - die gilt hier auf einmal nicht mehr?

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Lieber Herr Doktor,


    heutzutage würde ich bzgl. erstklassiger Knabenchöre im deutschen Sprachraum zuallererst auf den Windsbacher Knabenchor verweisen (der m. W. aber leider nicht die Matthäus-Passion aufgenommen hat; die nach Johannes gibt's aber). Die Thomaner usw. haben doch irgendwie nachgelassen. Ich weiß, dass die Windsbacher öfter in den Schlagzeilen sind wegen der strengen Zucht, doch letztlich interessiert mich dann doch das Ergebnis.


    In England gibt es ja auch ganz hervorragende Knabenchöre. Wobei mir jetzt aus dem Stegreif nicht bekannt ist, ob es von einer Bach-Passion da eine Aufnahme gibt.


    Beste Grüße
    Joseph

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Zitat

    In England gibt es ja auch ganz hervorragende Knabenchöre. Wobei mir jetzt aus dem Stegreif nicht bekannt ist, ob es von einer Bach-Passion da eine Aufnahme gibt.


    Etliche. Von der eben erwähnten Johannespassion z.B. King's College, Cambridge (Cleobury) und New College, Oxford (Higginbottom). Wenn ich recht erinnere, waren die King's auch bei den alten Harnoncourteinspielungen involviert [Matthäus-Doppelchor mit Wiener Sk ?].

  • Außerdem zu den Solisten: die Bachschen Arien sind keine Opernarien, wie sie in den von euch favorisierten Aufnahmen z.T. gesungen werden.


    Witzigerweise wurde Bach von den Leipziger Ratsherren ja gerade vorgeworfen, dass seine Passionen zu opernhaft seien. Von mir aus darf da ruhig etwas Butter bei die Fisch.

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