Wodurch zeichnet sich eine wahre Königin aus? Durch beständige herausragende Leistung.
Edita Gruberova singt nun schon im 4. Jahrzehnt an der Hamburgischen Staatsoper.
Ihre Zerbinetta von 1979 empfand ich als Meilenstein in der Koloraturgeschichte,
ihre Lucia (1981) war unvergleichlich. Später, als sie die „Wahnsinns“arien für sich entdeckt
hatte, schickte sie glockenreine Töne in den Zenit des Operhauses, die wie Goldregen auf das
Publikum herunterrieselten. Zuletzt fand ich sie, immer gemessen an ihrer Glanzzeit, nicht
mehr ganz auf der Höhe ihrer unvergleichlichen Kunst (Beatrice di Tenda 2005, Norma 2007),
als Violetta (2010, szenisch) wirkte sie schon etwas hausbacken und hatte für meine Ohren
Probleme mit dem Binden der Töne.
Heute Abend war sie wie ausgewechselt; lang anhaltende schwebende Piani, runde, volle
an- und abschwellende Töne, sichere, ausgezierte Koloraturen und ohne Schärfe im Forte
zeigte die Künstlerin, was sie unter Gesang versteht. Das macht ihr keine andere Sängerin nach.
Eine enorme physische Leistung, wo nimmt sie bloß diese Luft her. Sie muss ein Naturtalent
sein, in den knapp 4 Jahrzehnten hat sie alle Vorstellungen, für die ich Karten hatte, gesungen,
nie abgesagt. Edita Gruberova hielt heute Hof, optisch schlanker als in der letzten Erinnerung,
trat sie bescheiden von der Seite auf (kein störender Auftrittsapplaus, was bei den offensichtlich
zahlreich im Publikum vertretenen auswärtigen Anhängern der Sängerin zu befürchten war) und
stellte sofort ihre gesanglichen Fähigkeiten in den Mittelpunkt der Aufführung.
Wie bei anderen Vorstellungen auch, hatte sie keinen ebenbürtigen Partner. José Bros (Gennaro)
wirkte neben ihr fast wie der kleine König aus Alice im Wunderland, nicht unbedingt von der Statur
her, sondern gesanglich. Technisch gab es nichts auszusetzen, im Piano gelangen ihm auch
manchmal schöne Passagen, aber schon im Mezzoforte verengte sich die Stimme, als ob ihm
nur noch der Nasenrachenbereich als Resonanzraum zur Verfügung gestanden hätte. Es klang
für mich, als ob er ab einer bestimmten mittleren Lautstärke nur noch auf „ä“ verschieden hoch
gesungen hätte. So blieb die an sich schöne Tenorarie zu Beginn des zweiten Teils ohne Wirkung.
Wie schön ein Tenor dagegen klingen kann, bewies gleich anschließend der mit einem kleinen
Soloauftritt bedachte junge koreanische Tenor Jun-Sang Han; für die Übernahme der Rolle
des Gennaro fehlt es ihm aber wohl noch etwas an Kraft bzw. Volumen (das kommt vielleicht noch).
Die größte Überraschung des Abends bot Cristina Damian in der Rolle des Maffio Orsini. Hier zeigte
die Mezzosopranistin volumenstark, was sie wirklich kann: Töne binden, ihnen changierenden Klang
verleihen, schöne Schwelltöne zum Gehör bringen und dieses alles zum künstlerischen Ausdruck
zu nutzen. Adrian Sampetrean (Don Alfonso) war wie gewohnt eine Bank, auf die man setzen
konnte. Er bot (stimmlich und darstellerisch) seiner Gattin Lucrezia durchaus Paroli. Was ihm fehlt,
ist vielleicht ein spezielles Timbre, wie es der von mir sehr geschätzte Bass Alexander Tsymbalyuk,
der ähnliche Rollen singt, besitzt.
Lohnt sich die Oper? Musikalisch handelt es sich wohl nicht um eines der stärkeren Werke Donizettis.
Das Libretto grenzt an Peinlichkeit (bei geringsten Beleidigungen mörderische Mutter vergiftet
versehentlich ihren Sohn). Das fällt vor allem bei der konzertanten Wiedergabe auf, die nicht durch
Bühnenbild und Kostüme von den Übertiteln ablenkt. Wenn man die Rolle der Lucrezia aber mit
einer Königin besetzen kann, wird aus dieser Oper ein Ereignis, welches das Publikum in einen
Begeisterungstaumel versetzt (stehende Ovationen für die große Künstlerin). Ein verzweifelt
klingendes „Buh“ hinter uns ob der Ovationen muss als einzelne Ausnahme von der Regel
gesehen werden.