Eine wahre Königin hält Hof: Edita Gruberova als Lucrezia Borgia (Hamburgische Staatsoper konzertant, 3.4.2014)

  • Wodurch zeichnet sich eine wahre Königin aus? Durch beständige herausragende Leistung.
    Edita Gruberova
    singt nun schon im 4. Jahrzehnt an der Hamburgischen Staatsoper.
    Ihre Zerbinetta von 1979 empfand ich als Meilenstein in der Koloraturgeschichte,
    ihre Lucia (1981) war unvergleichlich. Später, als sie die „Wahnsinns“arien für sich entdeckt
    hatte, schickte sie glockenreine Töne in den Zenit des Operhauses, die wie Goldregen auf das
    Publikum herunterrieselten. Zuletzt fand ich sie, immer gemessen an ihrer Glanzzeit, nicht
    mehr ganz auf der Höhe ihrer unvergleichlichen Kunst (Beatrice di Tenda 2005, Norma 2007),
    als Violetta (2010, szenisch) wirkte sie schon etwas hausbacken und hatte für meine Ohren
    Probleme mit dem Binden der Töne.


    Heute Abend war sie wie ausgewechselt; lang anhaltende schwebende Piani, runde, volle
    an- und abschwellende Töne, sichere, ausgezierte Koloraturen und ohne Schärfe im Forte
    zeigte die Künstlerin, was sie unter Gesang versteht. Das macht ihr keine andere Sängerin nach.
    Eine enorme physische Leistung, wo nimmt sie bloß diese Luft her. Sie muss ein Naturtalent
    sein, in den knapp 4 Jahrzehnten hat sie alle Vorstellungen, für die ich Karten hatte, gesungen,
    nie abgesagt. Edita Gruberova hielt heute Hof, optisch schlanker als in der letzten Erinnerung,
    trat sie bescheiden von der Seite auf (kein störender Auftrittsapplaus, was bei den offensichtlich
    zahlreich im Publikum vertretenen auswärtigen Anhängern der Sängerin zu befürchten war) und
    stellte sofort ihre gesanglichen Fähigkeiten in den Mittelpunkt der Aufführung.


    Wie bei anderen Vorstellungen auch, hatte sie keinen ebenbürtigen Partner. José Bros (Gennaro)
    wirkte neben ihr fast wie der kleine König aus Alice im Wunderland, nicht unbedingt von der Statur
    her, sondern gesanglich. Technisch gab es nichts auszusetzen, im Piano gelangen ihm auch
    manchmal schöne Passagen, aber schon im Mezzoforte verengte sich die Stimme, als ob ihm
    nur noch der Nasenrachenbereich als Resonanzraum zur Verfügung gestanden hätte. Es klang
    für mich, als ob er ab einer bestimmten mittleren Lautstärke nur noch auf „ä“ verschieden hoch
    gesungen hätte. So blieb die an sich schöne Tenorarie zu Beginn des zweiten Teils ohne Wirkung.
    Wie schön ein Tenor dagegen klingen kann, bewies gleich anschließend der mit einem kleinen
    Soloauftritt bedachte junge koreanische Tenor Jun-Sang Han; für die Übernahme der Rolle
    des Gennaro fehlt es ihm aber wohl noch etwas an Kraft bzw. Volumen (das kommt vielleicht noch).
    Die größte Überraschung des Abends bot Cristina Damian in der Rolle des Maffio Orsini. Hier zeigte
    die Mezzosopranistin volumenstark, was sie wirklich kann: Töne binden, ihnen changierenden Klang
    verleihen, schöne Schwelltöne zum Gehör bringen und dieses alles zum künstlerischen Ausdruck
    zu nutzen. Adrian Sampetrean (Don Alfonso) war wie gewohnt eine Bank, auf die man setzen
    konnte. Er bot (stimmlich und darstellerisch) seiner Gattin Lucrezia durchaus Paroli. Was ihm fehlt,
    ist vielleicht ein spezielles Timbre, wie es der von mir sehr geschätzte Bass Alexander Tsymbalyuk,
    der ähnliche Rollen singt, besitzt.


    Lohnt sich die Oper? Musikalisch handelt es sich wohl nicht um eines der stärkeren Werke Donizettis.
    Das Libretto grenzt an Peinlichkeit (bei geringsten Beleidigungen mörderische Mutter vergiftet
    versehentlich ihren Sohn). Das fällt vor allem bei der konzertanten Wiedergabe auf, die nicht durch
    Bühnenbild und Kostüme von den Übertiteln ablenkt. Wenn man die Rolle der Lucrezia aber mit
    einer Königin besetzen kann, wird aus dieser Oper ein Ereignis, welches das Publikum in einen
    Begeisterungstaumel versetzt (stehende Ovationen für die große Künstlerin). Ein verzweifelt
    klingendes „Buh“ hinter uns ob der Ovationen muss als einzelne Ausnahme von der Regel
    gesehen werden.

    Oper lebt von den Stimmen, Stimmenbeurteilung bleibt subjektiv