Electrola Querschnitte: Rudolf Schock

  • Liebe Musikfreunde,


    glücklicherweise sind bereits mehrere Boxen auf den Markt gebracht worden, welche die Leistungen einzelner Künstler nochmals bündeln und erneut zugänglich machen, wie eben diese Sammlung von Opernquerschnitten, die 1952 - 1961 erst auf Schallplatte, später dann auf CD erschienen. Viele Taminos, die nicht diese Box besitzen, kennen die Aufnahmen bereits als Schallplatte oder besitzen sie als Einzelaufnahme auf CD, so dass sicherlich viele ihre Meinung dazu beisteuern können. Im Idealfall würde dann jede Aufnahme der Box hier rezensiert werden.


    Ich möchte gerne mit dieser Box beginnen, die sich ganz dem Schaffen von Rudolf Schock widmet, eines durchaus nicht unumstrittenen, allerdings von mir sehr verehrten Künstlers.
    Ich habe als erste Aufnahme Puccinis Tosca gehört, eine Einspielung, die vom 28. bis 30. September 1959 vorgenommen wurde. Die Aufnahme wurde liebevoll remastered und klingt für ihr Alter ganz hervorragend. Man hört die Stimmen und das Orchester glasklar und detailreich, etwaiges Rauschen ist minimal, das Klangbild alles in allem sehr zufriedenstellend. Die Einspielung erfolgte in Berlin in der Grunewaldkirche, ein sehr schöner akustischer Raum mit etwas Hall, ohne dass sich der Klang jedoch darin verlöre.
    Die Titelpartie wird von Rudolf Schock mit großem Engagement gestaltet und bietet alles in allem ein für mein Ohr sehr eindrucksvolles Bild. Der glühende, leidenschaftliche Maler Cavaradossi erwacht in ihm überzeugend zum Leben. Die Stimme überzeugt durch ihren Schmelz, ihre samtige Grundierung und ihre Strahlkraft, obgleich hier schon eine sehr offene Tongebung zu beobachten ist und auch die Höhen mit vollem Atemeinsatz gestützt (um nicht zu sagen, gestemmt) werden. Hie geht der Tenor volles Risiko, dank seiner stimmlichen Möglichkeiten, die ihm damals zu Gebote standen, kann er diese schonungslose tour de force auch bewältigen. Was an filigraner, technischer Gestaltung fehlt, wird durch große Ausdruckskraft und Klangfülle kompensiert. Allerdings soll dies nicht bedeuten, dass Rudolf Schock hier nur laut und forciert sänge; es gibt auch Beispiele einer wunderbaren leuchtenden mezza voce und feiner Schattierungen. Sehr zu Herzen gehend etwa und eindringlich seine Gestaltung von "Es blitzten die Sterne".
    Die Partie der Tosca wird von Lisa della Casa gestaltet. Sie verfügt über eine wunderschön leuchtende, glockenklare Stimme von berückender Schönheit. Ihr Timbre ist betörend. Sie verkörpert dabei für mich den Typus einer eher jungen, lyrischen Tosca, die naturgemäß nicht über die dramatische Wucht und Durchschlagskraft verfügt, wie sie Maria Callas und weiteren Ikonen dieser Rolle zu Gebote standen. Ungeachtet dessen gibt sie ein sehr hörenswertes Porträt dieser Rolle, wobei sie mehr die Aspekte der verletzlichen, sensiblen Künstlerin beleuchtet, die zum Opfer finsterer Intrigen wird, als dass sie die heroisch sich aufbäumende, starke Frau verkörpern würde.
    Natürlich ist es, und das gilt dann für alle Partien, schwierig, ein umfassendes Bild der Rollengestaltung zu geben, da auf dem Querschnitt, der auch leider nur knapp über 49 Minuten lang ist, begreiflicherweise viele Elemente fehlen. Da ist dann auch vieles gekürzt, gerafft, umgearbeitet worden.
    Eine weitere wichtige Figur ist natürlich der Antagonist, Baron Scarpia, der hier in genialer Weise verkörpert wird durch Josef Metternich. Hier hat er eine Paraderolle für seine außergewöhnliche Stimme. Sein Bariton ist von großer metallischer Strahlkraft, und durch seine besondere Art zu singen, eine besondere Art der Atemführung ist er in der Lage, gerade in hohen Lagen ein wohldosiertes und kontrolliertes Vibrato zu erzeugen (kein "wobbling", sondern wirklich ganz fokussiert und eng geführt), das eine geradezu elektrisierende Wirkung hat. Seine kraftbetonte Art zu singen, die einen squillo-artigen Ton erzeugt, ist im Übrigen auch recht fordernd, und wird auch nicht jeder Stimme gerecht; Jonas Kaufmann hatte zu Beginn seiner Karriere bei ihm Unterricht, was ihn nach eigener Aussage fast seine Stimme gekostet hätte, so dass er seine Technik von Grund auf umstellen musste, und damit ja dann auch für sich einen überzeugenden, ganz anderen Weg gefunden hat seine vokalen Möglichkeiten zur Entfaltung zu bringen. Hier jedenfalls zeigt sich Josef Metternich (oder Schmetternich, wie er auch scherzhaft genannt wurde) als ein finsterer, von Boshaftigkeit durchdrungener und imposanter Scarpia. Obwohl seine Stimme noch nicht einmal besonders dunkel gefärbt ist, schafft er eine Atmosphäre viriler Stärke und düsterer Bedrohlichkeit.
    In den Nebenrollen wäre noch der Messner hervorzuheben - zu meiner Überraschung niemand Geringeres als der hochkarätige Bassist Wilhelm Strienz, der ja auch abseits der Oper in den Kriegsjahren mit "Heimat, Deine Sterne" große Erfolge erzielen konnte. Hier singt er sehr geschmackvoll und zurückhaltend, sehr dezent und hell, ich hätte ihn kaum erkannt.
    Auch das Orchester, die Berliner Symphoniker, unter Berislav Klobucar, begleiten kompetent und engagiert das Geschehen, erstaunlich gut und detailreich eingefangen von der Tontechnik.


    Fazit: für mich eine äußerst gelungene, wunderschöne Einspielung in deutscher Sprache, die trotz aller Kürzungen für mich ein Juwel ist.

  • Lieber Don Gaiferos,


    Du hast bereits sehr treffend die stimmlichen Qualitäten von Rudolf Schock herausgearbeitet. Deshalb bedarf es wenig weiterer Analysen, höchsten Ergänzungen und Verstärkungen bringen weitere Erkenntnisse. Rudolf Schock hat ein betörendes Timbre, eine sofort erkennbare, persönlich gefärbte Stimme und eine für ihn typische Gesangstechnik, z. B. die Höhe häufig von oben anzusingen. Warum er allderdings ein Lieblingssänger einer ganzen Generation wurde, erklärt sich aus seiner Gesamtwirkung. Schock traf mit dem ersten Ton mitten ins Herz und erreichte die Seele seiner Hörer wie kaum ein anderer. Am Ende der Karriere bekam er zunehmend Probleme mit der Höhe und Gesangspuristen nahmen ihm seine Ausflüge in die leichte Muse - die allerdings seine ungeheure Popularität weitgehend begründete - übel. Deshalb ist es verdienstvoll und überfällig, dass durch Veröffentlichungen und Besprechungen eine "Schock-Renaissance" eingeläutet wird.
    Lieber Boris, habe ich aus Deinem Beitrag richtig herausgelesen, dass Du die Sammelboxen weiterer Großer der damaligen Zeit ebenfalls analysieren und besprechen willst? Das wäre eine lohnende, uns bereichernde Leistung.
    Mit Josef Metternich und Gottlob Frick hast Du - lieber Boris - zwei Zeitgenossen, häufige Partner und Freunde von Schock bereits genannt, von denen ebenfalls umfangreiche Dokumentationen erschienen sind. Also weiter so!


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • ...und der Vollständigkeit halber auch noch diese Box, obwohl ohne Schock, glaube ich:



    LG

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Lieber Hans,


    ich danke Dir für Deine interessanten und lesenswerten Erläuterungen; natürlich wandere ich gerne weiter auf den Spuren von Gottlob Frick und Josef Metternich; und auch die dankenswerten Anregungen von Bernward und Harald greife ich gerne auf.


    Heute soll es um Mozarts Die Entführung aus dem Serail gehen, eine Aufnahme, die uns auch die Wiederbegegnung mit Gottlob Frick bringt und anderen hochkarätigen Künstlern.



    Nach einer verkürzten Ouvertüre (das sind eigentlich die einzigen Wünsche, die diese wunderbaren Einspielungen offen lassen - das Werk in dieser Besetzung ganz hören zu können) eröffnet Rudolf Schock mit "Wie soll ich Dich denn sehen" den vokalen Part. Er singt auch in dieser Aufnahme wieder mit großem Engagement; die Stimme weist auch hier wieder die bezwingenden Melange aus samtiger, weicher Grundierung und warmer Strahlkraft auf. Seine individuelle Art der Charakterisierung schafft ein stimmiges Rollenporträt. Gelegentlich zeigt der Sänger auch ein sehr schönes Diminuendo sowie seine exquisite, klangvolle mezza voce, was bei dieser lyrischen Partie gut zum Tragen kommt. Bei manchen Passagen würde man sich geringfügig etwas mehr Beweglichkeit bei der ein- oder anderen Verzierung wünschen, da zeigt sich das ein oder andere Glissando, das vielleicht hätte vermieden werden können. Alles in allem jedoch eine sehr hörenswerte, wunderschöne Gestaltung der Rolle.
    Es folgt ein weiterer Höhepunkt nicht nur dieser Einspielung, sondern der Schallplattengeschichte überhaupt (und ich glaube, mit diesem Superlativ nicht zu hoch zu greifen): Gottlob Frick als Osmin. Welch ein vokales Feuerwerk brennt er hier ab! Die machtvolle Stimme wird in dieser anspruchsvollen Rolle umfassend gefordert, Gottlob Frick bewältigt sie mühelos. Er verfügt über die satt-sonore Tiefe, die hier notwendig ist, ebenso zeigt er eine überaus sangliche, klangschöne Höhe, er schaltet bruchlos um vom basso profondo zum basso cantabile. Seine Charaktierisierungskunst zeigt viele Facetten, ob ein locker hingeworfenes parlando, im nächsten Moment wieder machtvoll dröhnend, alle Register werden hier gezogen, mit perfekter Diktion. "O wie will ich triumphieren" zeigt eindrucksvoll, über welche technische Perfektion der schwäbische Sänger verfügt, alle Sprünge, Verzierungen, lange gehaltenen Töne, kurz hingetupften Töne, Tempowechsel werden mühelos und souverän gestaltet.
    Dabei harmoniert er sich auch wunderbar mit seinen Kollegen; das herrliche Duett "Vivat Bacchus!" beschert einem knapp zwei Minuten lang überschäumende Lebensfreude, wobei ihm hier mit Gerhard Unger ein wunderschön leuchtender, hell timbrierter Pedrillo zu Verfügung steht; tatsächlich war dies eine Paraderolle von Gerhard Unger, die er auch über 10 Jahre später in Salzburg mit größtem Erfolg darbieten sollte. Wie schön und lyrisch Ungers Tenor klingt, zeigt sich wunderbar bei der nur von pizzicati begleiteten Arie "Im Mohrenland gefangen".
    Nach der Männerriege sollen nun aber endlich die Damen zu ihrem Recht kommen; da wäre an erster Stelle natürlich die Konstanze zu nennen.
    Die Partie wird von Erna Berger gestaltet; sie verfügt über eine Stimme von großer lyrischer Zartheit und dolcezza, die mühelos in der Höhe anspricht. Sie singt mit edlem, exquisitem Ausdruck und harmoniert hervorragend mit Rudolf Schock in dem Duett "Welch ein Geschick!" Auch ihr "Ach Belmonte! Ach mein Leben!" ist von zu Herzen gehender Schönheit. Auch hier wieder kann man nur den Umstand schmerzlich beklagen, dass so manches auf diesem Querschnitt naturgemäß fehlen muss, zum Beispiel hätte man zu gerne "Martern aller Arten" gehört.
    Leider hört man viel zu wenig von Lisa Ottos wunderschönem Blondchen, eine kristallklare, glockenhelle Stimme, die viele Mozartpartien mit Leben erfüllt hat und von der man gerne auch auf dieser Aufnahme noch mehr gehört hätte.
    Allerdings war die Schallplatte leider nicht länger als die hier auf der CD enthaltenen knapp 52 Minuten
    Die instrumentale Seite wird betreut von den Berliner Symphonikern unter Wilhelm Schüchter. Das Orchester spielt mit Verve und wird von dem Dirigenten schwungvoll vorangetrieben, ohne dass dabei die zarten lyrischen Momente verloren gehen würden; eine sehr ansprechende Leistung, die in idealer Weise mit den Sängern ausbalanciert ist.
    Ein Kuriosum: der Chor, der ganz am Ende zu vernehmen ist, wird lediglich als "Ein Chor" ausgewiesen - damals wohl bei Schallplattenproduktionen durchaus der Fall; öfter liest man da auch nur von "Einem Orchester" oder von "Sängern des Opernhauses xy", ohne dass die Namen näher erläutert würden - in heutigen Zeiten, wo die Namen der Sänger in riesigen Lettern auf den Covern prangen (während der Komponist nur ganz am Rande erwähnt wird) wohl undenkbar.
    Die Aufnahme wurde vom 22. bis 25. September 1953 im Gemeindehaus Berlin-Zehlendorf realisiert und weist dank des Remasterings aus dem Jahr 2000 eine brillante Klangqualität auf; Stimmen und Orchester sind von einer atemberaubenden Plastizität und Klarheit.


    Fazit: Eine herrliche Aufnahme, die das Hören immer wieder lohnt und mit einer Fülle von Höhepunkten aufwartet.

  • Eine weitere Folge aus der Box bietet die etwas entlegenere Opéra comique "Wenn ich König wär'".



    Die Ouvertüre, ein Glanzstück, nimmt den Hörer mit heiteren, schwungvollen Melodien ein. Schmissig und schwungvoll führt Wilhelm Schüchter, der ja auch hier im Tamino-Forum erfreulicherweise mit einem eigenen Thread gewürdigt wird, die Nordwestdeutsche Philharmonie durch die Partitur.
    Die Aufnahme wurde 1960 in Berlin eingespielt (die Bonustracks, nämlich die Ouverture zu Boieldieus Kalif von Bagdad sowie die Ouverture zu Ambroise Thomas' Mignon stammen aus dem Jahr 1958) und ist dank des remasterings im Jahre 2004 klanglich exzellent.
    Karl-Ernst Mercker eröffnet den vokalen Part, und sein wunderschöner lyrischer Tenor stellt ein eindrucksvolles Beispiel dar, wie hochkarätig auch die Nebenrollen in dieser Aufnahme besetzt sind. Auf Peter Roth-Ehrang trifft dieses Lob genauso zu.
    Bei Rudolf Schocks erster Intervention in der Ensembleszene des ersten Aktes punktet er mit schönem Timbre, klingt aber ein wenig kehlig und angestrengt.
    Souveräner verströmt er "Kenn nicht ihren Stand, ihren Namen" seinen Schmelz und gestaltet dieses Kleinod einer Arie mit nobler Hingabe und feiner Schattierung. Er zeigt am Ende auch ein schönes Diminuendo.
    Als König hören wir Kammersänger Georg Völker, Sohn des berühmten Tenors Franz Völker, der mit sicher geführtem, schönem Bariton aufwartet. Einige schöne Glanzlichter setzt die mir bis dato unbekannte (shame on me) Schwedin Stina Britta Melander, die einige rasante, launige Koloraturen fein perlen und aufstrahlen lässt.
    Nachdenklich und mit betörender mezza voce, ein wenig angestrengt in der Höhe, setzt Rudolf Schock mit der Arie "Sie ist Prinzessin" das Geschehen fort. Eine sehr schöne Interpretation, die sehr gut Rudolf Schocks Stärken ausspielt und seine eventuellen Schwächen einer bisweilen angestrengt wirkenden Tongebung gut kaschiert und wenig ins Gewicht fallen lässt meiner Meinung nach.
    Ein Wiedersehen gibt es auch mit einem anderen prachtvollen Sänger: dem Bariton Thomas Stewart, der eine untadelige Diktion, ein herrliches Timbre und großes Einfühlungsvermögen zeigt. Eine Wonne, ihn mit Stina-Britta Melander im Duett zu hören: "König sein für einen Tag"...ein wahrhaft königliches Vergnügen.
    Der zweite Akt zeigt höchst vergnüglich Rudolf Schock als einen von seinen Untertanen sehr genervten König. Hier bringt er mit Verve und Temperament einige glanzvolle, mitreißende Momente großer Heiterkeit zuwege.
    Die nachfolgenden Sopranarie bietet eine schöne Gelegenheit für Stina-Britta Melander, ihre glockenhelle, klare Stimme in großem Umfang darzubieten. Das Orchester begleitet sie mit munterem Pizzicato. Auch dass sie virtuos mit der Flöte um die Wette singt, Triller, Läufe und Koloraturen mühelos bewältigt (ich dachte teilweise an Donizetti) macht deutlich, welch hochkarätige Sängerin hier am Werke ist. Herrliche, spritzige, schmissige Musik von Adolphe Adam. Auch die nachfolgenden Ensembleszenen machen Laune und sind von überbordendem Frohsinn; gegen Ende des zweiten Aktes werden sogar noch ein paar dramatische Akzente gesetzt.
    Schon geht es weiter mit dem dritten Akt, der wieder mit Tempo und Witz beginnt. Karl Ernst Mercker hat hier als Ensemblepartnerin die aus Kiel stammende Kammersängerin Ursula Schirrmacher.
    "Hier sitz' ich nun, ich Tor" bietet ein weiteres Porträt mit Rudolf Schock, das leicht melancholisch oder nachdenklich wirkt und einfühlsam gestaltet wird. Im Pianissimo verklingt diese schöne Arie.
    Auch das nachfolgende Duett zwischen Rudolf Schock und Stina-Britta Melander "Mein Herz ist noch beklommen" wird von beiden Sängern wunderschön gesungen: wie beide ihre Strahlkraft zurücknehmen und dann in feinst ziseliertem Piano die Stimmen umeinander flechten und verschmelzen, das ist ganz unerhört, atemberaubend schön und ergreifend, ("ewig gehörst Du mir" ) ein immens schöner Moment, den gar mich oft genug hören kann.
    Auch die restlichen, abwechslungsreichen, farbenreichen Stücke auf dieser CD lassen nur einen Wunsch offen: wäre sie nur länger, diese Aufnahme.


    Fazit: immer wieder hörenswert, trotz der deutschen Sprache ist hier nicht etwa steifes, teutonisch biederes Lustspiel entstanden, sondern eine wundervoll beschwingte, lyrisch-schöne komische Oper, die durchaus französischen Esprit atmet.

  • Hallo,


    der Querschnitt mit Schock/Berger/Frick war meine erste Opernplatte überhaupt und hat schon aus diesem Grund immer noch einen Ehrenplatz in meiner Sammlung. Schade eben nur, dass es keine Gesamteinspielung gibt, aber die einzelnen Sänger haben in verschiedenen anderen Gesamtaufnahmen mitgewirkt (Frick und Unger z.B. in der Krips-Aufnahme bei Emi). Den Querschnitt "König für einen Tag" habe ich vor einigen Jahren als Platte für 3 DM auf einem Flohmarkt gefunden, wirklich eine wunderschöne Aufnahme. Schade, dass der Lohengrin-Querschnitt aus der gleichen Sammlung fehlt, auch da ist Schock sehr gut (gibt es als GA bei walhall). Auch die italienischen Opern mit Schock (Butterfly, Tosca, Boheme, Aida, Troubadour, Traviata, Cavalleria, Bajazzo) sind sehr hörenswert - und was für brillante Besetzungen es da in den anderen Rollen gab. Der Querschnitt durch Lucia di Lammermoor, der in dieser Serie erschienen ist, gehört natürlich primär zu Erika Köth, aber auch der eine reine Freude. Vorsicht ist allerdings bei den später erschienenen Eurodisc-Querschnitten geboten, da kann Schock nicht mehr so gut mithalten. Die 60er Jahre waren seine große Zeit nicht mehr.


    Schöne Grüße
    wega

  • Auch die italienischen Opern mit Schock (Butterfly, Tosca, Boheme, Aida, Troubadour, Traviata, Cavalleria, Bajazzo) sind sehr hörenswert - und was für brillante Besetzungen es da in den anderen Rollen gab.

    Lieber Wega,


    dem kann man nur zustimmen. Diesen Hinweis greife ich sehr gerne auf, um mich heute mit Puccinis La Bohème aus er vorliegenden Box zu beschäftigen.


    Im Jahre 1954, genau 30 Jahre nach Puccinis Tod, versammelten sich einige Vertreter der damaligen Sänger-Elite in Berlin, um La Bohème einzuspielen. Der Orchesterpart liegt wieder in den bewährten Händen von Wilhelm Schüchter, der mit den Berliner Symphonikern, von der Aufnahmetechnik etwas in den Hintergrund gerückt, die Sänger einfühlsam trägt und begleitet.
    Rudolf Schock wartet in der weltberühmten Arie "Wie eiskalt ist dies Händchen" gleich zu Beginn mit äußerst kraftvollen, voluminösen Klängen auf - dieser arme Poet ist kein verzärtelter Lyriker - hier versucht ein junger Mann, seine Angebetete mit stimmlicher Prachtentfaltung zu beeindrucken, wie es scheint. Rudolf Schock nimmt selbst die Spitzentöne dieser Partie mit großer Verve und Überzeugungskraft - souverän, triumphierend schmettert er "Denn oh! Hoffnung ist/ in die Seele mir eingezogen... "
    Kurios: bei "Und wie ich lebe? Nun, ich lebe! " singt er den zweiten Teil dieser Phrase nicht, sondern gestaltet ihn als übermütigen Ausruf...
    Alles in allem singt Schocks Rudolf einen sehr kraftstrotzenden Rudolf, wenn er auch durchaus zu Zartheit und differenzierter Gestaltung fähig ist.
    Bei der umgarnten Näherin, Mimi, hören wir, wie auch schon in der Einspielung der "Entführung aus dem Serail", die betörende Erna Berger. Ihre liebliche, mädchenhafte, reine Stimme lässt nicht erahnen, dass die Künstlerin zum Zeitpunkt dieser Aufnahme bereits 54 Jahre alt war! Welche jugendliche Anmut, welche dolcezza in der Stimme. Da die Sänger durch das exzellente Remastering unfassbar präsent sind, sehr in den Vordergrund gerückt, hört man hier jede Nuance dieser überaus feinen, hellen, sicher geführten Stimme. "Man nennt mich jetzt Mimi" wird zu einem Höhepunkt dieser Aufnahme.
    Es folgt das Duett "O du süßestes Mädchen", das auch wieder Momente größter Schönheit enthält; wenn auch stellenweise Rudolf Schock m. E. etwas zu sehr am Anfang auftrumpft, nimmt er sich im zweiten Teil sehr zurück und kreiert zusammen mit Erna Berger durch sein gekonntes Dimuendo und seine mezza voce einen schönen Moment lyrischer Zartheit.
    Dann lernen wir Rodolfos Kameraden kennen: als Marcel einen munteren Dietrich Fischer-Dieskau (der m. E. eh als Opernsänger oft unterschätzt worden ist), ebenso wie Schaunard, den Hermann Prey hier singt - mitreißend und dynamisch. Besonders seine Stimme harmoniert sehr gut mit der von Rudolf Schock, wie ich finde. Als Collin steht niemand Geringeres als Gottlob Frick zur Verfügung - wenn sich diese Stimmen mischen, die Bälle zuwerfen - was für ein Fest. Ich weiß nicht, inwiefern dies im wahren Leben tatsächlich der Fall war -möglicherweise ist da der Wunsch Vater des (naiven) Gedankens - aber hier meint man wirklich, eine Gruppe übermütiger Freunde singen zu hören, die sich gut kennen und daher grandios ergänzen.
    Als Musette singt Erika Köth - immens liebreizend lässt sie mit kristallklarer Diktion, strahlender Höhe und großer Nonchalance ihre Arie "Wie ich allein des Abends" perlen.
    "Dies wär wirklich das Ende? - Lebt wohl ihr süßen Stunden" im dritten Bild gelingt den Sängern sehr anrührend und ergreifend, wenn sich auch hier teilweise die Holprigkeit der deutschen Übersetzung zeigt - Wilhelm Schüchter kostet behutsam die Musik mit langsamem Tempo aus.
    Umso stürmischer geht es übergangslos weiter mit dem Duett Rudolf - Marcel (In einem Wagen?), im Anschluss bringen beide Sänger ihre Sehnsucht und wehmütige Erinnerung (Nie kehrst Du mir wieder) zum Ausdruck.
    Danach hören wir Gottlob Frick (Höre, Du alter Mantel), der nicht nur seine fulminante, sonore, knarrende Tiefe unter Beweis stellt, sondern auch seine sangliche, weiche, sichere Höhe (die Arie liegt stellenweise recht hoch - es gibt sogar eine Aufnahme, in der Caruso sie singt).
    Leider recht schnell geht es dann auch schon auf das Ende zu - innerhalb der nächsten 9 Min 30 stirbt Mimi dann schon - und wie so oft ist das einzige wirkliche Manko, dass die Aufnahme viel zu kurz und keine Gesamtaufnahme ist...
    Fazit: eine sehr hörenswerte Aufnahme, die ein Luxus - Ensemble vereint und eine Vielzahl schöner und ergreifender Momente bietet. Trotz der teilweise ein wenig sperrigen deutschen Sprache und dem, für mein Empfinden, an manchen Stellen etwas hemdsärmligen Rudolf Schock singt er, genau wie alle anderen beteiligten Künstler, eine ganze wunderbare, eindrucksvolle Partie. Eine weitere kostbare Einspielung aus dieser Box, die frisch und lebhaft ist, dass man nur staunen kann - ist doch im gegenwärtigen Jahr 2014 diese Aufnahme bereits 60 Jahre (!) alt... unbedingt eine Hörempfehlung für jeden Opernfreund.

  • Deine plastischen, beziehungsreichen und mitunter leicht ironischen Besprechungen lese ich sehr gern, lieber Don_Gaiferos! Ich habe diese Aufnahmen auch und fühle mich durch Dich immer ermuntert, sie selbst wieder zu hören, was viel zu selten geschieht. Mit den Jahren baute sich bei mir ein etwas gebrochenes Verhältnis zu diesen Aufnahmen auf. Ich kann ihnen nicht mehr so vorbehaltlos und begeistert folgen wie früher. Der Kinderglaube ist weg, ich fühle mich aus meinem Paradies vertrieben. :( Ich entdecke da auch viel Routine und Klischees. Bei aller kritischen Distanz zu dem, was als Regietheater gilt in der Oper, haben mich persönlich manche neue Sichten auch stark dahingehend irritiert, dass ich in dem gestandenen Opernquerschnitt nicht mehr das Maß aller Dinge sehe und höre. Wenn ich denn diese meist exzellent gesungenen Aufnahmen auf mich wirken lasse, dann wie einen Museumbesuch mit den feinsten und erlesensten Exponaten. Das ist für meine persönlichen Maßstäbe eine Hochachtung wie sie nicht höher geht. Du siehst, ich fühle mich durch Dich sehr nachdenklich.


    Gruß und Dank von Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Lieber Rheingold,


    ich danke Dir sehr herzlich für Deine Worte, ich habe mich immens darüber gefreut! Ich kann Dich gut verstehen - wobei ich in einem Punkt ein wenig anders empfinde. Du sagst:


    Ich kann ihnen nicht mehr so vorbehaltlos und begeistert folgen wie früher. Der Kinderglaube ist weg, ich fühle mich aus meinem Paradies vertrieben.

    Ich habe mir dieses Paradies wiedererobert - oder vielmehr, jetzt erst, mit meinen 40 Lenzen merke ich es immer mehr, dass diese Aufnahmen so etwas wie ein Garten Eden sind.


    Zur Erklärung: zum ersten Mal in Berührung kam ich mit diesen Aufnahmen durch meinen Vater, der sie als Schallplatten besitzt, und oft gehört hat (mittlerweile hört er nur noch CDs - anders als ich ;) ) Häufig war er am Bügeln, hatte eine dieser Schallplatten aufgelegt und lauschte intensiv während seiner Hausarbeit, und wenn ich dann ins Wohnzimmer kam, setzte ich mich mucksmäuschenstill aufs Sofa; keiner redete, außer, wenn er mit sporadisch etwas über die Handlung erklärte; viele Opern lernte ich dadurch überhaupt zum allerersten Mal kennen.


    Dann kam eine Phase, als ich mit zunehmendem Interesse für Klassik einen CD - Player bekam -damals noch ganz etwas Neues- Opern dann in der Originalsprache, dazu noch als Gesamtaufnahme hörte - da kamen mir die deutschen Aufnahmen mit einem Mal unzulänglich vor.


    Im Laufe der Jahre kam ich jedoch immer wieder, immer mehr, auf diese alten, gekürzten, deutsch gesungenen Aufnahmen zurück - trotz aller (vermeintlichen und tatsächlichen) Unzulänglichkeiten. Ich hatte zunehmend die Wahrnehmung, dass neben diesen persönlich gefärbten Erinnerungen, die mir diese Aufnahmen teuer und wert machen, auch noch eine andere Qualität da ist, eine zutiefst künstlerische, hochwertige Komponente, die trotz aller Striche, Kürzungen, Bearbeitungen, ungelenken Übersetzungen für mich immer mehr zu Tage tritt, wie die Sonne durch den Nebel. Viel zu voreilig hatte ich die Aufnahmen als nicht mehr zeitgemäß, nicht authentisch, dem Werk nicht entsprechend eingestuft - hatte dabei übersehen, dass man diese Einspielungen nicht auf diese Kritikpunkte reduzieren kann, und das hier trotz allem mit großer Ernsthaftigkeit und Könnerschaft, mit Herzblut und Inspiration musiziert wird, über die man nicht hinweggehen kann.


    Da ist dann auf einmal nichts Altbackenes, Miefiges und Unkorrektes mehr, das im Vordergrund stünde, sondern Musik, die vor 60 Jahren aufgenommen wurde, die ich vor 25 Jahren zum ersten Mal gehört habe, und die mich dennoch begeistert wie am ersten Tag.


    Wenn ich diese Aufnahmen höre, merke ich an vielen Stellen eine emotionale Intensität, die ihresgleichen sucht, höre ich sängerische und instrumentale Leistungen, die hochkarätig, mitreißend, funkelnd sind, und die mich sehr berühren, trotz aller "Uninformiertheit" (spricht man bei Opern eigentlich auch von "HIP"?)


    Von daher sind die Beschreibungen, die ich hier vornehme, ganz zweifellos sehr subjektiv, und natürlich bin ich da auch sehr gefangen von meiner "positiven Voreingenommenheit" - aber wenn es den ein- oder anderen Musikfreund ermutigt, wieder einmal diese Aufnahmen anzuhören, freut mich das über alle Maßen, dann waren meine Besprechungen nicht umsonst und haben ihren Zweck erfüllt.


    Von daher freue ich mich sehr, wenn Du mit mir auf (Wieder-)Entdeckungsreise gehst - mir gefällt auch der Vergleich mit dem Museum, dies sind für mich noch nie langweilige, sondern immer sehr spannende Orte gewesen, Schatzkammern der Menschheit. Und ich denke sogar, dass die Wiederbegegnung mit diesen Aufnahmen, nach der klanglichen Restauration durch die Plattenfirma, umso spannender und erfreulicher ist. Zumal es hier nicht nur um museale Nostalgie geht: auch die heutige Sänger- und Musiker-Generation (manche sind ja sogar von diesen Künstlern unterrichtet worden) muss sich oft an diesen alten Aufnahmen messen lassen, und da kann man nur sagen: die Messlatte liegt da mitunter verteufelt hoch!


    Von daher: auf zur nächsten "Schock"-Therapie!


    Herzlichste Grüße

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Bizet: Carmen


    die vorliegende Aufnahme ist in gewisser Hinsicht kurios, da sie über einen längeren Zeitraum an unterschiedlichen Orten entstanden ist:


    Das Duett Micaela Jose sowie die Blumenarie 1952 in Berlin (Rheingauschule - was für ein kurioser Aufnahmeort für eine Plattenproduktion?! Da würden mich die Hintergründe interessieren),
    Die Habanera,, das Torerolied, das Karten-Terzett sowie die Finalnummern des vierten Aktes 1954 in Berlin (Gemeindehaus und Grunewaldkirche)
    Die Vorspiele zu den jeweiligen Akten wurden wiederum 2 Jahre später, 1956, abermals in der Rheingauschule aufgenommen
    Zuguterletzt wurde wieder 2 Jahre danach, also 1958, eine Arie der Micaela in Bielefeld in der Oetkerhalle aufgenommen.


    Dies ergibt insgesamt eine Aufnahmezeit von 6 Jahren - warum man, anders als bei den anderen Aufnahmen, so viele Anläufe gebraucht hat, ist mir rätselhaft.
    In diesem Zusammenhang sei auch auf folgenden Seite verwiesen:


    http://tenorschock.blogspot.de…-singt-georges-bizet.html


    Hier informiert der niederländische Rudolf Schock - Kenner Krijn de Lege kenntnisreich über Rudolf Schock und seine Bizet -Aufnahmen; es gibt zwei Gesamtaufnahmen und zwei Querschnitte dieser Rolle mit dem Tenor. Warum man diese Fragmente zusammengestellt hat, anstatt eine einheitliche Einspielung vorzulegen, klärt auch er nicht.


    Das Remastering ist, wie gehabt, sehr gut, transparent und detailreich, wird hier das Optimun aus dieser Aufnahme herausgeholt.


    Nach dem schwungvollen Vorspiel, das die Berliner Symphoniker unte Wilhelm Schüchter mit Feuer und Energie nehmen, eröffnet Sieglinde Wagner den vokalen Reigen. Ihre Stimme ist sehr gewinnend, mit vollem, klangschönem Alt, sie singt die Habanera jedoch etwas verhalten, blass: da kennt man natürlich, wenn man an andere Ikonen dieser Rollengestaltung denkt, wesentlich lockendere, sinnlichere, verführerische, kokettere Nuancen, die hier für mein Empfinden etwas auf der Strecke bleiben, zumal die deutsche Übersetzung recht holprig ist und die zahlreichen Konsonsanten sowie schlecht auf die Melodie abgestimmten Silben ihren Tribut fordern.
    Da erscheint Anny Schlemm, die im Duett mit Rudolf Schock singt, fast noch vollblütiger und temperamentvoller als Carmen selbst. Hier ist Micaela eine gestandene, selbstbewusste Frau, beinahe noch mehr als die Protagonistin, möchte man meinen. Aber die großartige Anny Schlemm ist eh eine umwerfende, charismatische Sängerin. Dieses Jahr im Februar feierte sie ihren 85. Geburtstag - herzlichen Glückwunsch nachträglich von dieser Stelle.


    Der zweite Akt bringt uns die Wiederbegegnung mit Josef Metternich, für den der Escamille zweifelsohne eine Paraderolle war. Sein metallisches, viriles Timbre wird hier mit schneidigem, fast schon schneidendem Klang gepaart. Hier steht ein torero, der den "machismo" bis ins Mark verkörpert und vor Selbstbewusstsein nur so strotzt. Eine bravouröse Leistung des Sängers, dem man den feurigen Spanier vokal ohne Weiteres abnimmt.


    Die Blumenarie gelingt Rudolf Schock vorzüglich und wird zu einem Glanzstück der Einspielung. Der Tenor, zum Zeitpunkt dieser Aufnahme Ende dreißig/ Anfang vierzig, befindet sich im Vollbesitz seiner stimmlichen Möglichkeiten. Sein einmaliges, samtenens, mediterran anmutendes Timbre kann hier seine volle Wirkung entfalten. Er phrasiert sehr schön, kraftvoll, jedoch auch sehnsuchtsvoll. Gut, er nimmt das hohe B mit voller Stimme, ohne hier in diminuendo vorzulegen (dass er dies meistelich gekonnt hätte, und über eine wunderschöne mezza voce verfügte, sieht man bereits im Duett des 1. Aktes), aber ungeachtet dessen gefällt mir seine Rollenauffassung hier sehr, ver verkörpert für mich einen sehr glaubwürdigen Don José.


    Im Karten Terzett blüht Sieglinde Wagners Stimme zu voller Prachtentfaltung und Schönheit auf, mehr als am Anfang, sie wird eskortiert von Rosi Schaffrian (mir völlig unbekannt, ich konnte keine weiteren Informationen über sie finden) und Lisa Otto, die leider letztes Jahr in Berlin verstorben ist.
    Einmal mehr kommt Micaela anschließend zu Wort, "Hier in dieser Felsenschlucht - ich sprach, dass ich furchtlos mich fühle") bringt ihre oben genannten Qualitäten erneut zum Tragen - eine schöne, starke, vor allem in der Mittellage energiegeladene Stimme - die "Furchtlosigkeit" ist hier über jeden Zweifel erhaben.


    Schon naht der vierte, letzte Akt, und betrübt denkt man an all die wunderschöne Musik, die bei diesem Querschnitt leider nicht berücksichtigt werden konnte. Nach dem Vorspiel, das Wilhelm Schüchter wie bereits zuvor vom notwendigen Schwung beseelt interpretiert, erklingt der Städtische Chor der Oper Berlin (etwas spitz in den hohen Frauenstimmen, jedoch ansonsten untadelig). Josef Metternich alias Escamillo wartet noch einmal mit verfüherischen Tönen auf. Es naht der große Showdown. Auch hier der Eindruck - Sieglinde Wagner verfügt über eine Prachtstimme, jedoch fehlt bei dieser Rollengestaltung das letzte Quäntchen Verführung, Sinnlichkeit - sie klingt hier stellenweise fast eher mütterlich-streng als verrucht-verlockend, wohingegen zumindest Rudolf Schock weiterhin einen glühenden Don José gibt. Seine bohrende Leidenschaft,Trauer und Verzweiflung werden hier deutlich spürbar.


    Fazit: Eine Einspielung mit, für mein Ohr, stellenweisen Abstrichen, was die Gestaltung angeht, die jedoch wieder soviel schöne, spannende, gelungene Momente aufweist, das ich sie keinesfalls missen möchte und noch oft hören werde.

  • Fazit: Eine herrliche Aufnahme, die das Hören immer wieder lohnt und mit einer Fülle von Höhepunkten aufwartet.


    Lieber Boris,


    bei dieser Beurteilung der "Entführung aus dem Serail" kann man Dir nur zustimmen und danken für die kompetente Kommentierung. Es freut mich immer wieder wenn positiv über Wilhelm Schüchter geurteilt wird. Er war ein sehr temperamentvoller Orchesterleiter und dabei doch äußerst detailgenau mit viel Gefühl für die Feinheiten eines Werkes. Gerade im Opernbereich hat er ungewöhnlich viele Aufnahmen hervorragend gestaltet. Auch Rudolf Schock hat ständige Erinnerung mehr als verdient. Im Vergleich zu der geradezu ungeheuren Popularität, die er in seiner Zeit genossen hat, ist er heute fast unterrepräsentiert. Seine liebste und häufigste Partnerin Margit Schramm ist weitgehend vergessen. So rasch kann dies gehen. Deshalb sind Berichte - wie Du diese jetzt über CD-Boxen und Neuuflagen von Opern machst - so wertvoll. Bitte weiter so.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Dann lernen wir Rodolfos Kameraden kennen: als Marcel einen munteren Dietrich Fischer-Dieskau (der m. E. eh als Opernsänger oft unterschätzt worden ist), ebenso wie Schaunard, den Hermann Prey hier singt - mitreißend und dynamisch. Besonders seine Stimme harmoniert sehr gut mit der von Rudolf Schock, wie ich finde. Als Collin steht niemand Geringeres als Gottlob Frick zur Verfügung - wenn sich diese Stimmen mischen, die Bälle zuwerfen - was für ein Fest. Ich weiß nicht, inwiefern dies im wahren Leben tatsächlich der Fall war -möglicherweise ist da der Wunsch Vater des (naiven) Gedankens - aber hier meint man wirklich, eine Gruppe übermütiger Freunde singen zu hören, die sich gut kennen und daher grandios ergänzen.


    Lieber Boris, Du vermutest richtig - zumindest Schock, Prey und Frick waren gut befreundet und die Erika Köth und der Josef Metternich können gleich zu diesem Freundeskreis dazu gerechnet werden. Ich meine die Beziehungen unter den damaligen Opersnsängern waren damals enger und herzlicher.


    Herzlichst
    Operus

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  • Es waren genau 30 Jahre vergangen seit Puccinis Tod im Jahre 1924, dass sich am 29. November 1954 (wir können also in 2 Tagen sagen, genau vor 60 Jahren...) führende Künstler der damaligen Zeit in Berlin zusammenfanden, um dieses wundervolle, lyrische Opernkunstwerk in deutscher Sprache aufzuzeichnen - genau wie bei "La Bohème"
    Aber genug der Zahlenspielerei. Das Alter hört man dieser Aufnahme jedenfalls nicht an; dank des sorgfältigen Remasterings erstrahlen Stimmen und Orchester in plastischem Klangbild.
    "Im weiten Weltall" bringt uns das Aufeinandertreffen von Rudolf Schock und Dietrich Fischer-Dieskau. Beide Sänger spielen ihre Trümpfe und ihre Charakteristika voll aus: Rudolf Schock singt mit Emphase, Leidenschaft und Überzeugungskraft, seine prachtvolles Timbre schimmert wie das japanische Meer im Schein der Abendsonne, gelegentlich ist die Tongebung leicht kehlig, werden die hohen Töne stark gestützt. Für mich bereits ein sehr einnehmender Pinkerton (der auf dem Cover kurioserweise als "Linkerton" geführt wird), der sich gleich hier zu Beginn mit all seinem Draufgängertum und seiner (ephemären) Liebesglut zeigt.
    Dietrich Fischer- Dieskau singt mit der Einfühlsamkeit und klaren Diktion des Liedsängers, dabei jedoch auch metallisch-sonor seine Einwürfe als Sharpless.
    In der Arie "Bald sind wir auf der Höh'" führt sich Erna Brger als Cio- Cio - San ein. Ihre Stimme weist die Qualitäten der vorherigen Einspielungen auf. Nochmal sei -hoffentlich nicht uncharmanterweise- erwähnt, dass die Sängerin zum Zeitpunkt dieser Aufnahme bereits das 54. Lebensjahr vollendet hatte, was der Makellosigkeit, technischen Sicherheit, Strahlkraft und dem lyrisch-exquisiten Timbre keinerlei Abbruch tut. Mit welcher delikaten Raffinesse sie die Bögen spannt, die Stimme ins diminuendo zurücknimmt, weich schweben und erstrahlen lässt, ist meisterhaft.
    Direkt erfolgt der Sprung zum grossen Liebesduett "Mädchen, in Deinen Augen liegt ein Zauber" bzw. "Wollt Ihr mich nun lieben". Beide Sänger umschmeicheln sich stimmlich, Wilhelm Schüchter trägt die Sänger orchestral wieder auf Händen, die Berliner Symphoniker umgarnen die beiden Sänger kunstvoll und klangschön. Immer wieder erstaunlich, wie detailreich eine Aufnahme klingt, die vor über 6 Jahrzehnten aufgenommen wurde.
    Das wunderbare Duett ist sehr hörenswert, Rudolf Schocks dunkel-samtiger Schmelz verbindet sich in reizvollster Weise mit dem kristallinen, diamanten funkelndem Timbre von Erna Berger. Den letzten, kraftvollen Spitzenton stemmt er etwas arg, die Stimme schwingt nicht locker in der Höhe, sondern wird sehr kompakt geführt.
    Es schließt sich an "Eines Tages seh'n wir", diese sehr berühmte Arie der Butterfly. Hier bringt die Künstlerin ihr enormes vokales Können und ihre Charakterisierungskunst voll zum Tragen - man nimmt ihr die junge, zerbrechlich wirkende, so verletzliche und doch so tapfere und starke Butterfly vollkommen ab. Sie verfügt nicht über die Dramatik und Durchschlagskraft, die andere Interpretinnen an dieser Stelle zeigen (ich denke da an Maria Callas oder Mirella Freni), allerdings über einen weichen, silbrig-perlenden Ton voller Sternenlicht.
    Wir springen wieder ein wenig - und erleben sie nun mit unserer "Carmen", will sagen mit Sieglinde Wagner, die mit ihrer volltönenden, opulenten Stimme eine hervorragende Suzuki singt.
    Viel zu schnell strebt diese Tour de Force ihrem Endpunkt entgegen: mehr als bei andere Opern stören mich die notwendige Beschränkung und Kürzung der Entwicklungslinien, aber was will man machen: es ist nun einmal ein Querschnitt - auch hier wünsche ich mir, einmal mehr, es gäbe diese Einspielung als Gesamtaufnahme.
    Alles in allem eine immens schöne Aufnahme für mein Empfinden. Es mag noch dramatisch angehauchtere Butterflys, noch mühelos perlendere P(L)inkertons geben - indes kaum schöner und exquisit singendere, einnehmendere Sänger, die ihren Rollen auch Leben einhauchen.
    "Leb wohl, mein Blütenreich" bietet in 1: 34 Minuten kondensierte Wehmut und Sehnsucht, berührend gesungen von Rudolf Schock, assistiert von Dietrich Fischer-Dieskau.
    "Ehrenvoll sterbe" wird ergreifend dargeboten, Erna Bergers Stimme wirkt hier auf wundersame Weise gleichzeitig mädchenhaft-fragil und doch zugleich bestimmt und kraftvoll. Verzweifelte Rufe und schroffe Orchestertöne beenden diesen Moment. Eine überaus beeindruckende Schluss-Szene.


    Bliebt noch zu vermerken, dass als "Füllsel" zwei Arien mit Marcel Cordes hinzugefügt worden sind, die im Jahr 1957 bzw. 1958 aufgenommen wurden. Nicht etwa aus der vorliegenden Oper, auch nicht von Puccini: Umberto Giordano und Ruggero Leoncavallo werden hier geboten. Nicht, dass dies in irgendeiner Weise thematisch, inhaltlich oder musikalisch an Madame Butterfly anschlösse - aber zumindest wird auch hier kraftvoll und hörenswert, wenn auch technisch nicht immer filigran, gesungen. Marcel Cordes hat einen charakteristischen, eher hell timbrierten, metallischen Bariton, den er druckvoll führt.


    Fazit: wiederum eine sehr berührende, hörenswerte Einspielung mit zwei schönen "Gustostückerln" als Dreingabe.

  • Das Duett Micaela Jose sowie die Blumenarie 1952 in Berlin (Rheingauschule - was für ein kurioser Aufnahmeort für eine Plattenproduktion?! Da würden mich die Hintergründe interessieren),

    Die Aula der Rheingauschule in Friedenau (heute: Rheingau-Gymnasium) war eines von mehreren provisorischen Aufnahmestudios der Electrola nach dem Zweiten Weltkrieg. Hier wurde seit etwa 1949 vor allem Unterhaltungsmusik produziert, aber hier nahm auch Peter Anders Opernarien auf. Das von Werner Eisbrenner geleitete Orchester bestand aus Mitgliedern der früheren Staatskapelle Berlin. Hier in der Schulaula, übrigens bis heute ein architektonisches Juwel des bekannten Architekten Hans Altmann, gastierte (in den 1920er Jahren) auch der berühmte Pianist Edwin Fischer. Erst ab 1953 konnte Electrola unter Produzent Fritz Ganss im fest gemieteten Studio am Teltower Damm (Saal des Gemeindehauses der Paulusgemeinde Zehlendorf) regelmäßig aufnehmen.

  • Hier in der Schulaula, übrigens bis heute ein architektonisches Juwel des bekannten Architekten Hans Altmann, gastierte (in den 1920er Jahren) auch der berühmte Pianist Edwin Fischer.

    In dieser Aula des Gymnasiums, in dem Musik vorbildlich gepflegt wird, gibt es sogar eine historische Konzertorgel:


    aula.png

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Vielen Dank, lieber Heiko und lieber Rheingold, für Eure kenntnisreichen Ergänzungen! Beim Spaziergang durch diesen Thread, der auch schon wieder mittlerweile 10 Jahre auf dem Buckel hat, ist mir aufgefallen, dass ich noch gar nicht alle Einspielungen aus dieser Box besprochen habe, ein paar fehlen noch - ich hoffe, dass möglichst bald nachzuholen!

  • ... ist mir aufgefallen, dass ich noch gar nicht alle Einspielungen aus dieser Box besprochen habe, ein paar fehlen noch - ich hoffe, dass möglichst bald nachzuholen!

    Darauf freue ich mich, lieber Don. :hello:

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent