O Haupt voll Blut und Wunden ... Ein Lied und seine Genealogie

  • Ich möchte heute, am Karfreitag, eines der berühmtesten Lieder der christlichen Welt vorstellen: DAS Lied schlechthin über das Leiden Jesu.


    "O Haupt voll Blut und Wunden" indes war zu seiner Geburt nicht einmal ein Leidenslied !



    Hans Leo Haßler (1564 - 1612) schrieb in seinen "Neue teutsche Gesang, nach Art der welschen Madrigalien und Canzonetten" ein Liebeslied names "Feinslieb du hast mich gfangen".


    Dieses wunderbare Lied besticht durch seine Renaissance-Harmonik und die zu Herzen gehende Einfachheit:




    Dies führte es wohl auch zu jener Beliebtheit, die es quasi in den Status eines Volksliedes erhob und Paul Gerhard, den großen evangelischen Kirchendichter bewog, daraus ein geistliches Lied zu machen.



    Zuvor jedoch noch eine spannende Version, in welcher das Lied als Obertongesang (!) erscheint !


    http://www.youtube.com/watch?v=KWxb3T1bLIs




    Paul Gerhard übersetzte 1656 den lateinischen Hymnus "Salve caput cruentatum" ins Deutsche.


    Johann Sebastian Bach verwendete einzelne Strophen dieses Hymnus in der "Matthäuspassion". Diese sind allerhöchst kunstvolle Harmonisierungen immer derselben Melodie. Bach gelingt es, das einfache Grundgerüst (das unsereins, kennten wir es nicht, wohl als ganz klar zu harmonisieren betrachten würden) immer wieder harmonisch völlig unterschiedlich zu deuten und so stets einen grundlegend anderen Charakter zu erzeugen ! Und das, obwohl er niemals Metrum oder Rhythmus ändert !


    O Haupt voll Blut und Wunden
    Erkenne mich, mein Hüter
    Befiehl du deine Wege
    Wenn ich einmal soll scheiden


    Dies sind die vier Versionen, die in BWV 244 erscheinen. Man vergleiche diese einmal bewusst und wird sehen können, wie kreativ Bach mit Tönen umgeht und immer wieder neue harmonische Deutungen für die selben Stellen findet ! Konventionell jedenfalls erscheint die Melodie nie !


    Besonders hat es mir immer die Version "Wenn ich einmal soll scheiden" angetan. Hier ändert Bach die Harmonie sogar noch auf dem Schusston, indem er ihn liegen lässt und die entsprechende Schlusskadenz gleichsam erst "nachzieht.




    Bach hat die Melodie noch mehrfach in anderen Werken vertont. Besonders sticht für mich BWV 153, der dritte Satz, hervor, "Und obgleich alle Teufel", der eine ähnlich farbige Harmonisierung verwendet, wie "Wenn ich einmal soll scheiden":


    http://www.youtube.com/watch?v=8QtXj3OaWFk


    (Ab 04:53)


    Und ob gleich alle Teufel
    Dir wollten widerstehn,
    So wird doch ohne Zweifel
    Gott nicht zurücke gehn;


    Dieser Kampf gegen die Teufel wird bildlich dargestellt, indem Bach nicht einmal auf dem Grundton beginnt und ein äußerst farbige Harmonisierung zugrunde legt.


    Nun habe ich viele viele Beispiele für die Verwendung dieses Liedes NICHT erwähnt. Auch in späterer Zeit haben sich viele Komponisten dieser Melodie angenommen.



    Ich würde mich freuen, wenn sich auch andere beteiligen, die hier Beispiele nennen, wo Bach oder andere dieses taten !




    Zuletzt noch eine moderne Version aus dem Jahr 1975, die beweist, dass dieses Melodie eine ganz eigene Magie besitzt, die offenbar über Jahrhunderte etwas in uns berührt:


    Paul Simon, American tune


    http://www.youtube.com/watch?v=AE3kKUEY5WU


    Ich wünsche allen Taminos einen besinnlichen Karfreitag !


    :) Bachiania :)

    Man sagt, wenn die Engel für Gott spielen, so spielen sie Bach, füreinander aber spielen sie Mozart.
    (Sir Isaiah Berlin)

  • Ganz ohne Theorie: es ist immer wunderbar, Bachsche Choräle zu singen, besonders, wenn man kein Sopran ist: in den Unterstimmen finden sich die kunstvollsten Sätze.
    Auch in der Motette "Jesu, meine Freude" lässt sich das beobachten: dieses Lied kommt wie ein Refrain mehrfach vor und ist immer ganz anders gesetzt.

    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)

  • Ich darf beisteuern, dass wir, wie alle Jahre, auch heute dieses schöne Lied, das ich seit meiner Kindheit liebe, auch heute wieder mit unserer Chiralschola las festen Bestandteil der Karfreitagsliturge zusammen mit der Gemeinde gesungen haben.
    Ebenfalls tradtionell werde ich mich nachher wieder einer Passion zuwenden, diesml der Johannespassion.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Felix Mendelssohn hat eine wunderbare Version beigsteuert: Die Choralkantate "O Haupt voll Blut und Wunden". Ein "richtiger Mendelssohn", mit polyphonen Elementen und von Streichern umrahmt. Es gelingt Mendelssohn hier, wie so oft, selbst in den so traurigen Text ein hoffnungsvolles, frohes Strahlen zu bringen.



    Die Bass-Arie versinkt ebenfalls nicht im Leiden sondern strahlt versöhnliche und zuversichtliche Töne aus, wenn sie auch das ursprügliche Lied verarbeitet:


    Auch der abschließende Choral ist durch Streicherfiguren in eine angeregte Energie gehüllt:


    Viele Grüße


    :) Bachiania :)

    Man sagt, wenn die Engel für Gott spielen, so spielen sie Bach, füreinander aber spielen sie Mozart.
    (Sir Isaiah Berlin)