Sollen sich Opernneulinge vor Besuch der Oper über den Inhalt des Werkes informieren ?

  • In früheren Zeiten des Forums haben mir Mitglieder - freiwillig oder unfreiwillig - so manchen Threadtitel geliefert, soll heissen ein Statement von sich gegeben, welches ich dann schamlos als Threadtiel, bzw -Thema verwendet habe. Das kommt heute nicht mehr so oft vor - gelegentlich aber doch. In einem anderen Thread wurde darüber diskutiert, inwieweit heute junge Leute mit den zeitlichen und politischen Rahmenbedingungen von Opern vertraut seien, und das es das höchst der Gefühle sei, wenn sie voerher Google oder Wikipedia befragten, bevor sie einer Vorstellung beiwohnten.
    Mir hat sich sofor die Frage aufgedrängt, ob dies denn eigentlich anstrebenswert sei. Ich gestehe, daß ich bei diesem Gedankengang immer UNVERFÄLSCHTE Inszenierungen im Hinterkopf habe, wo das Libetto keine Veränderungen an Zeit und Ort erdulden musste und auch die Ausstattung den Intentionen des Librettisten entsprach.
    Nehemen wir dies als gegeben an , dann möchte ich behaupten, daß die "Vorbereitung" auf den Opernbesuch eines Werkes, das man noch nicht kennt (bzw nur den Namen davon) kein idealer Weg ist sich dem Werk zu nähern. Es ist so, als wenn man die psychologische Analyse einer Hauptfigur eines Kriminalromanes liest, bevor man den Roman an sich konsumiert.
    Es wird immer beklagt, daß das Publikum vergangener Tage die Opern anders erlebte, als das heutig. Das mag in einigen Fällen zutreffe - in anderen nicht. Was aber das Premierenpublikum einer Oper von 1860 mit dem jungen unvorbereiteten Erstbesucher einer Oper geminsam haben ist - der Überraschungseffekt. Man weiß nicht wie die Handlung ausgehen wird - und ist dann erleichtert, bedrückt oder entsetzt - je nach Ausgang. Kein Zweitbesuch kann dieses Erlebnis wieder möglich machen. Indem man das Werk vorher zerpflückt, bzw den Ausgang schon kennt hat man sich nicht unbedingt was gutes getan sondern um ein "Urerlebnis gebracht.
    Historische und andere Details nachlesen kann man auch noch zwischen der ersten und zweiten Vorstellung - denn in der Regel sieht man im Laufe seines Lebens ein Werk ja öfter...


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Eine interessante Frage, lieber Alfred.
    Als Opernneuling antworte ich gern mit einem klaren jein ;)
    Ja, weil man sich in der Regel ja die Werke heraussucht, an denen man generelles Interesse hat: wie soll man das entwickeln, wenn man sich überhaupt nicht informiert? Ich meine damit aber nicht zwangsläufig eine bestimmte Zeit oder eine historische Konstellation, sondern durchaus auch Figurenkonstellationen, ein gesellschaftliches Problem, das thematisiert wird etc.
    Nein, weil man es dann auch wieder nicht übertreiben sollte, indem man das gesamt Libretto liest oder sich die Handlung en detail aneignet: dann ist der Überraschungseffekt in der Tat weg. Und dazu gibt es ja auch gut aufgemachte Begleithefte in der Oper. Ich versuche daher, Opern, die ich nicht kenne, zuerst auf der Bühne zu erleben: das gelingt natürlich nur bedingt, weil dann manchmal die Neugier mit mir durchgeht und beispielsweise nicht einmal Verdis Frühwerke regelmäßig auf einer Bühne in der Nähe meines Wohnortes gegeben werden.


    Mit bestem Gruß
    JLang

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

  • Normalerweise würde ich die Frage mit "ja" beantworten, denn meistens fällt es ja doch schwer, den Text zu verstehen, selbst wenn es Übertitel gibt, weil diese gerade den Neuling wahrscheinlich vom Geschehen auf der Bühne ablenken.


    Andererseits würde ich im Hinblick auf das Regietheater dringend davon abraten, weil der Neuling sonst meinen würde, er sei im "falschen Film".


    Im übrigen gilt dies selbst für den erfahrenen Operngänger, wenn ein lange in der Versenkung verschwundenes Werk ausgegraben und dann in einer völlig verfremdeten Regietheaterinszenierung auf die Bühne gebracht wird - so geschehen vor gar nicht so langer Zeit in Berlin bei der "Zarenbraut". Ganz abgesehen davon, dass ich bekanntermaßen verfremdenden Regietheatervorstellungen sowieso aus dem Weg gehe, würde ich zumindest ein bis dato unbekanntes Werk gern in einer librettotreuen Inszenierung kennenlernen.


    Viele Grüße


    Mme. Cortese

    Gott achtet mich, wenn ich arbeite, aber er liebt mich, wenn ich singe (Tagore)

  • Als Opernneuling antworte ich gern mit einem klaren jein ;)


    Und dieses "klare jein" gilt m.E. genauso für den Opernaltling! - Z.B. würde ich niemandem guten Gewissens raten, sich unvorbereitet Wagners Ring "anzutun"; mindestens Inhaltsangabe, besser - wenngleich zugegeben ein wenig anstrengender - Libretto lesen. Andererseits dürfte ein unvorbereiteter Besuch von Mozarts Entführung aus dem Serail den Genuß kaum schmälern.


    Das Argument des fehlenden Überraschungseffektes ist m.E. ein wenig eine Typfrage. Ich bereite mich gerne vor, weil es auch Spaß macht, sich mit dem jeweiligen Werk etwas näher zu befassen. Dass ich dann weiß, wie es ausgeht, kann ich verschmerzen. Viel spannender ist für mich die Frage, wie die Geschichte schließlich umgesetzt wird. Im Übrigen hält sich der Überraschungseffekt gerade bei Opernhandlungen ohnehin wohl in Grenzen: Je nachdem, ob es ein eher ernster oder eher leichter Stoff ist, gilt wohl "Tod" oder "Happy End" :untertauch:


    Ähnlich argumentiert übrigens Joachim Kaiser in seiner "Klassik Kunde":


    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • In vielen Theatern gibt es heute vor jede Opernvorstellung eine Einführung, wo man auch auf die jeweilige Inszenierung vorbereitet wird - es gibt zwar keine Garantie, dass das gut ist und lohnt, aber die Chance, dass es lohnt, ist durchaus da. :)

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Ich bin erfreut, daß das Therma auf Resonanz trifft. Ähnlich, wie Herr Kaiser, bin ich mit 19 eher unvorbereitet in die oper gegangen, bzw habe ich sie im Fernsehen gesehen. Ich musste allerdings für keine Zeitung oder ein Forum schreiben und ersparte mir somit so manche Blamage. Aber ich erinnere mich, daß ich die Werke dem Namen nach kannte oft aber nicht den genauen Handlungsverlauf. Das Publikum bei den Erstaufführungen mußte sich letztlich auch am Stück selbst orientieren - ich denke nicht, daß vorher ein Libretto gelesen wurde. Natürlich wird man sich - so überhaupt essentielles Interesse besteht, nach und nach die Feinheiten aneignen (wie Herr Kaiser er tat )
    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ich gehe eigentlich immer nahezu unvorbereitet in die Oper. Entweder überzeugt mich die Oper im Opernhaus (dabei meine ich die Musik) und ich bin gewillt mehr Zeit in den Handlungstrang, das Geschehen zur Entstehungszeit zu investieren oder wenn sie nicht überzeugt nutze ich die Zeit lieber für andere Dinge die mich interessieren. Vor einem Opernbesuch hole ich mir jedoch immer eine Info über den Komponisten, damit ich zumindest weiß, was ich musikalisch erwarten kann. Wenn ich bereits alle Details der Opernaufführung kennen würde, könnte ich das erste Live-Erlebnis wahrscheinlich auch gar nicht genießen, weil ich dort bereits analysieren würde, welche Unterschiede zu Libretto, Interpretation es gibt. So kann ich im nachhinein bei einem eventuell zweiten Besuch dann beginnen an der Aufführung rumzunörgeln, während ich die erste noch unbeeinflusst genossen habe.


    Dies ist natürlich nur bei einem Opernneuling wie mir, der sich Oper fast nur im Opernhaus anhört und ansieht möglich. Bisher war es für mich persönlich eine gute Strategie...


    LG
    Christian

  • Ich glaube, ich war noch nie in einer Oper, die ich verstanden hätte ohne vorherige Informationen. Texte verstehe ich grundsätzlich fast gar nicht, nicht einmal deutsche. Immer auf die Übertitel starren finde ich sehr störend. - Und nacher rauszukriegen, auf was man häte achten sollen ist sowie Frust.


    Wir leben in einer Zeit, wo es nicht mehr normal ist, dass Menschen den Inhalt von Opern eben einfach kennen.


    Tschö
    Klaus

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • Mir kommt die Frage akademisch vor. Genau wie Klaus2 habe ich mich als Opernfan in früheren Zeiten immer vorher mit den Inhalten beschäftigt. Die Frage des Verständnisses, auch da stimme ich Klaus 2 zu, stellte sich nicht, denn in der Oper habe ich Frauenstimmen selten verstanden und Übertitel gab es noch nicht - wozu auch, denn es wurde in deutscher Sprache gesungen.


    Und was frühere Zeiten angeht, ist Alfreds These


    Zitat

    Das Publikum bei den Erstaufführungen mußte sich letztlich auch am Stück selbst orientieren - ich denke nicht, daß vorher ein Libretto gelesen wurde.

    möglicherweise eben nur eine These, denn Textbücher wurden ja damals für Geld angeboten. Wie hoch der Absatz war, ist mir natürlich nicht bekannt. Ob das Publikum das Gekaufte auch gelesen hat, ebenso wenig. Zumindest kann ich mir vorstellen, daß die Interessenten sich schon informiert haben.


    :hello:

    .


    MUSIKWANDERER

  • Mir kommt die Frage akademisch vor. Genau wie Klaus2 habe ich mich als Opernfan in früheren Zeiten immer vorher mit den Inhalten beschäftigt. Die Frage des Verständnisses, auch da stimme ich Klaus 2 zu, stellte sich nicht, denn in der Oper habe ich Frauenstimmen selten verstanden und Übertitel gab es noch nicht - wozu auch, denn es wurde in deutscher Sprache gesungen.


    Und was frühere Zeiten angeht, ist Alfreds These


    möglicherweise eben nur eine These, denn Textbücher wurden ja damals für Geld angeboten. Wie hoch der Absatz war, ist mir natürlich nicht bekannt. Ob das Publikum das Gekaufte auch gelesen hat, ebenso wenig. Zumindest kann ich mir vorstellen, daß die Interessenten sich schon informiert haben.


    Hinzu kommt wohl, dass die Oper, wie wir sie kennen mit ihrem abgedunkelten Zuschauerraum, der Konzentration auf das Werk und auch ihrer intelektuellen "Aufladung" eher ein Phänomen des 20ten Jahrhunderts ist.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

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  • Ich fühle mich mit manchen Fragestellungen provoziert oder sogar auf den Arm genommen - zumal ich Alfred solche Absichten durchaus zutraue. Die Frage: "Sollen sich Opernneulinge vor Besuch der Oper über den Inhalt des Werkes informieren?" ist eine solche absurde Herausforderung. Die Antwort kann doch vernünftiger Weise nur heißen ja und so gründlich wie möglich! Diskutieren können wir über das wie, im Internet, in einem Opernführer, im Programmheft oder in Einführungsvorträgen. Wir beim Heilbronner Sinfonie Orchester haben für jeden Konzertabend einen Einführungsvortrag und ein textlich umfangreich gestaltetes Programmheft. Weil wir selbstverständlich wissen, dass viele Konzertbesucher das Heft vor dem Konzert nicht lesen, haben wir noch eine Seite zur schnellen Einführung, in der die wichtigsten Informationen ganz konzentriert geboten werden. Ein Veranstalter sollte also alles tun, um den Besuchern ein attraktives, modernes Informationsangebot zu bieten. Opernbesuchern und sogar Opernneulingen zu suggerieren, sie könnten Opern ohne Handlungskenntnis und Werkverständnis erfassen und verstehen, ist eine "Entwicklungsverhinderung" von künftigen Opernkennern. Und wo will denn bitte schön Alfred - der so hohen Wert auf das Mitmachen im Forum und hohe Qualität der Beiträge legt - in Zukunft seine Experten-Mitglieder rekrutieren? Also liebe junge und neue Opernfreunde, scheut die Mühe der Vorinformation keinesfalls. Nur wenn ihr über Wissen und Grundkenntnisse verfügt, wird sich Euch der ganze faszinierende Kosmos der Opernwelt erschließen. Einem Blinden bleibt die Wunderwelt der Malerei leider ebenfalls verschlossen.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Lieber operus,


    Die Antwort kann doch vernünftiger Weise nur heißen ja und so gründlich wie möglich!


    so sehr ich dies einerseits unterschreiben möchte, so sehr ist doch auch zu warnen vor der Gefahr der Überladung: Viele von uns kennen dieses Gefühl wohl aus der Schule, namentlich aus dem Deutschunterricht, wenn man irgendwann ob der Werkinformation und -interpretation nicht nur den Blick, sondern auch die Freude am eigentlichen Gegenstand des Diskurses verliert. Auch muss ja eine Basis vorhanden sein; z.B. führe ich da gerne Goethes Faust an, den ich zum ersten Male in der Schule gelesen habe. Die Freude hielt sich durchaus in Grenzen, was u.a. wohl damit zusammenhing, dass mir als achtzehnjährigem schlicht der reale Erfahrungshintergrund für dieses Werk fehlte. Weder war ich auf der Sinnsuche nach dem, "was die Welt im innersten zusammenhält", noch hatte ich ein junges Mädchen geschwängert. Und dann ist und bleibt auch alle Theorie grau.
    Übertragen auf die Oper habe ich folgende Erfahrung gemacht: Zu Beginn meiner "Opernkarriere" vor nunmehr über zwanzig Jahren hat sich meine Vorbereitung zumeist auf das Lesen des Librettos beschränkt. Die Handlung war mir nicht so wichtig, ein grobes Verständnis reichte vollkommen. Im Vordergrund stand die Musik per se. Erst viel später wurden mir auch Werkhintergrund, musikalische Konzeptionen und vor allem die Psychlogie der handelnden Personen wichtig; all dies kann ich nun deuten und mich an den Erkenntnissen erfreuen. - Insofern hat jede Form der Rezeption auch seine eigene, ganz persönliche Zeit.


    Ähnliches gilt m.E. auch für das symphonische Werk und ist dort vielleicht sogar offensichtlicher: Wer wird sich vor dem ersten Hören der Eroica freiwillig mit dem geschichtlichen Hintergrund und z.B. der harmonischen Analyse auseinandersetzen? Wozu muss ich wissen, wer Beethoven oder wer Napoléon gewesen ist? Das Werk spricht sofort für sich, dass sogar Kinder einen Zugang finden können. Alles zusätzliche Wissen könnte sogar eher behindern. Später dann eröffnet die zusätzliche theoretische Auseinandersetzung mit dem Werk eine zusätzliche Dimension, die es möglich macht, immer wieder neue Facetten zu entdecken.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Ich fühle mich mit manchen Fragestellungen provoziert oder sogar auf den Arm genommen -zumal ich Alfred solche Absichten durchaus zutraue. Die Frage: "Sollen sich Opernneulinge vor Besuch der Oper über den Inhalt des Werkes informieren"? ist eine solche absurde Herausforderung. Die Antwort kann doch vernünftiger Weise nur heißen ja und so gründlich wie möglich!

    So ist es. Ich verstehe die Frage nicht. Das ist doch selbstverständlich, gerade beim Opernbesuch, wo meistens fremdsprachig gesungen wird und man außerdem sowieso kaum etwas versteht. Vom ersten Opernbesuch an in meiner frühen Jugend habe ich mich über die Handlung im Opernführer von Ernst Krause, den ich immer noch besitze und nutze, informiert. Es gibt komische und tragische Opern. Da kann ich nicht hingehen wie zum Friseur und abwarten, was hinterher dabei herauskommt, sondern will mich darauf einstellen. Früher waren die Inszenierungen oft auch noch kongruent mit der Opernhandlung. Jetzt sind leider zu oft tiefe Gräben dazwischen. Dennoch bleibt ja der Text, den kann man nicht um zweihundert Jahre verschieben. Man sollte also schon wissen, wie es sein soll, auch wenn die Aufführung dann von der Handlung abweicht. Und man dann merkt, wie man von der Regie verschaukelt wird.



    Zitat

    Ähnliches gilt m.E. auch für das symphonische Werk und ist dort vielleicht sogar offensichtlicher

    . Es geht hier doch um die Oper. Aber wenn schon mal darauf Bezug genommen wird, dann ist das hier ganz anders als bei der Oper, die sich mir nur durch das Wissen um die Handlung erschließen kann. Bei der Musik höre ich nur. Und muss nicht wissen, was den Komponisten dabei bewegt hat. Es gibt keine Handlung, die ich verstehen kann oder nicht. Die Musik gefällt mir oder gefällt mir nicht. Sicher, z.B. bei der "Eroica" kann das Wissen um den Hintergrund der Komposition schon nicht verkehrt sein. Ich lese zwar auch im Orchesterführer nach. Das ist eine nützliche Zusatzinformation, hat man sie nicht, kann man sich dennoch an dem Gehörten erfreuen.


    :hello:

    Wenn schon nicht HIP, dann wenigstens TOP

  • Ich bin in meinem Leben - auch als junger Mensch - nie unvorbereitet in eine Oper gegangen. Das Mindeste war, mich vorher mit dem Inhalt zu beschäftigen. Meist habe ich aber auch das Libretto gelesen. Natürlich kann man manche Opern - selbst fremdsprachliche - auch ohne Libretto verstehen. Aber - da stimme ich mit M.Schenk überein - eine Oper von Wagner oder von Strauss, speziell den Ring bzw. Die Frau ohne Schatten bleiben ohne das Libretto unverständlich. Übertitel stören mich eher, genauso, wie ich gerne im Fernsehen auf die wirklich nervigen Untertitel, die oft noch nicht einmal vollständig lesbar sind, häufig zu schnell wechseln und - speziell bei Aufnahmen in der Totale - das Bild überdecken, allzu gerne verzichten würde.
    Weniger habe ich mich allerdings vorher mit den historischen Hintergründen beschäftigt. In der Regel aber waren sie mir zumindest grob bekannt. Dass die Oper - wie auch das klassische Schauspiel - es damit in der Handlung oft nicht genau nehmen, dürfte jedem bekannt sein. Ich weiß ja auch, wenn ich einen historischen Roman - meine Lieblingslektüre - lese, dass die Handlung frei erfunden ist.
    Ich lese aber häufig im Nachhinein noch Literatur über die Oper.
    Ich kann nicht sagen, dass je die Spannung weg gewesen wäre, auch wenn ich den Ausgang des Werkes bereits kannte. Spannend war für mich immer - abgesehen von einigen gängigen Opern - die mir zum Teil noch unbekannte Musik und die Darstellung. Erst als die Verfälschung der Opern begann bin ich hier und da enttäuscht nach Hause gegangen, weil die Darstellung absolut nicht dem entsprach, was ich vom Inhalt der Oper kannte. Als dann die Interpretitis und Deuteritis immer mehr grassierte, habe ich mein Abonnement aufgegeben und betrete ein Opernhaus nur noch, wenn ich mich eindeutig überzeugt habe, dass die Aufführung - von kleinen Mängeln abgesehen - der Inhaltsangabe entspricht. Das Wort "Neudeutung" schreckt mich sofort ab, weil ich aus Erfahrung weiß, dass da wieder zu einem Werk von einem Scharlatan eine völlig andere, unpassende Handlung künstlich konstruiert wurde.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Zitat

    gerade beim Opernbesuch, wo meistens fremdsprachig gesungen wird


    Das ist nicht immer so gewesen. Bis in die späten 60er Jahre des 20. Jahrhunderts war es durchaus üblich auch italienische oder französiche Opern in deutscher Sprache zu singen, bei tschechischen und russischen Opern sogar noch länger....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Einige Opernhäuser machen das heute noch bei tschechischen oder russischen Opern das sie auf Deutsch gespieltwerden. Nur dann haben die Sänger meistens so einen schrecklichen Akzzent , das ich das Stück lieber in der Original Sprache hören würde. Und es gibt ja schließlich Übertitel. ich bereite mich jetzt nicht mehr so intensiv auf meine Opernbesuche vor wie früher, da ich festgestellt habe, wenn ich z.B. Refernzaufnahmen gehört habe, das ich dann hinterher enttäuscht war, wenn die Sänger live im Opernhaus nicht so gut waren. Heute bereite ich mich soweit vor das ich weiss, in welchen geschichtlichen Hintergründen die Oper spielt und lese mir mein Reclam Heftchen durch. Ich habe nämlich früher den Fehler gemacht, das wenn ich zu gut vorbereit war den Opernabend gar nicht genießen konnte, weil ich immer nur nach Fehlern bei der Aufführung gesucht habe.

  • Ich habe mich in meiner Jugend überhaupt nicht "vorbereitet" sondern das Werk spontan auf mich wirken lassen. Später - nacghdem ich verschiedenen Aufführungen - auch via Fernsehen - beigewohnt habe - oder aber diverse Gesamtaufnahmen in meinem Besitz hatte - hat sich das Thema "Vorbereitung" dann von alleine erledigt.
    Dazu ist zu sagen, daß meine speziellen Vorlieben (Mozart - Belcanto -Verdi, sowie deutsche und französische "Spieloper" und auch Geister- und Zauberopern) mit meinen Entscheidung leichter gemacht haben. Ich bin seit jeher dem Verismo ausgewichen, ebenso wie Opern mit vordergründig gesellschaftkritischen Inhalt und daraus resultierender spröder Musik. Oper sollte auf mich "unmittelbar" wirken und "überwältigen" ich habe sie vorzugsweise als Medium gesehen um in vergangene Zeitalter einzutauchen und eine überwältigende Scheinwelt zu erzeugen, die einen in ihren Bann zieht. Verdi war hier wohl der größte Opernmagier aller Zeiten, er vermochte die blutrünstigsten Szenen mit eingängigsten Melodien zu verbinden ohne unglaubwürdig zu wirken....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Oper sollte auf mich "unmittelbar" wirken und "überwältigen" ich habe sie vorzugsweise als Medium gesehen um in vergangene Zeitalter einzutauchen und eine überwältigende Scheinwelt zu erzeugen, die einen in ihren Bann zieht.

    Dann wundert es mich freilich, lieber Alfred, dass du Richard I. (Wagner) und Richard III. (Strauss) bei deinen Vorlieben ausdrücklich nicht genannt hast, weil mir diese "Stellenausschreibung" gerade für diese beiden doch ganz gut zu passen scheint! ;)

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Verdi ..., er vermochte die blutrünstigsten Szenen mit eingängigsten Melodien zu verbinden ohne unglaubwürdig zu wirken....


    Hallo Alfred,


    über Geschmack Vorlieben kann und sollte man nicht streiten - man kann das nur akzeptieren und für sich bei seiner abweichenden Meinung bleiben


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Als ich vor 35 Jahren begann mich für die Oper zu interessieren, war es für mich selbstverständlich, dass ich mich vor jedem Besuch einer mir unbekannten Oper ausgiebig informiert habe über a) Inhalt, b) musikgeschichtliche Stellung des Werkes und c) diskographische Besonderheiten. In aller Regel bedeutete dies, dass ich auch das Libretto vorher gelesen hatte, denn damals gab es die Texteinspielungen noch nicht. Wie will man denn sonst den Inhalt der meisten Opern verfolgen, der sich häufig nun wirklich nicht nur aus dem sichtbaren Bühnengeschehen erklärt, mal von dessen häufiger Verfremdung, die damals schon einsetzte, abgesehen.

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  • Zitat

    ZItat von Alfred Schmidt: Ich bin seit jeher dem Verismo ausgewichen, ebenso wie Opern mit vordergründig gesellschaftkritischen Inhalt und daraus resultierender spröder Musik.

    Ich bin - abgesehen von einigen modernen Opern, bei denen ich das was aus dem Orchestergraben und von den Sängern auf der Bühne kommt, nicht mehr als Musik empfinden konnte - nie einer Oper ausgewichen und habe mich - zumindest beim ersten Mal, wie schon im Beitrag 14 gesagt - immer über Inhalt und meist über den Text informiert. Bei wiederholten Besuchen bzw. Anschauen im Fernsehen oder auf DVD war ich dann durch Nacharbeiten meist noch etwas besser informiert und habe dadurch vieles noch tiefer gehend wahrgenommen. Ich weiche den Operninszenierungen erst aus, nachdem die Werke so entstellt wiedergegeben werden und beschaffe sie mir - wenn möglich in konventionellen Inszenierungen auf DVD. Ein Glück, dass es das noch gibt. Da meist auch Begleithefte beiliegen, ergänze ich mein Wissen über das Werk auch durch Studium dieser Texte. Speziell mit dem Ring des Nibelungen habe ich mich sehr intensiv befasst, obwohl ich sicherlich noch bei weitem ni8cht in alle Tiefen dieses Werke eingedrungen bin.
    Wenn M.Schenk als Vergleich dem Deutschunterricht heranzieht, muss ich sagen, dass ich das als Jugendlicher ähnlich empfunden habe. Wir hatten einen Deutschlehrer, der uns regelrecht durch alle Werke der klassischen Literatur (von Goethe, Schiller, Hebbel, Kleist usw. mussten wir fast alle Werke kennen) sowie auch der damals modernen Literatur gescheucht hat. Dazu mussten wir ihm alle 14 Tage berichten, was wir zusätzlich persönlich noch in unserer Freizeit gelesen hatten. Erst später erkannte, wie viel Werte mir dieser Lehrer vermittelt hatte und habe ihm, als er bereits im Altersheim lebte, einen längeren Dankesbrief geschrieben.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Wir hatten einen Deutschlehrer, der uns regelrecht durch alle Werke der klassischen Literatur (von Goethe, Schiller, Hebbel, Kleist usw. mussten wir fast alle Werke kennen) sowie auch der damals modernen Literatur gescheucht hat.

    Wir mussten in der 11. Klasse den Don Carlos von Schiller lesen; Mann habe ich das Stück gehasst, diese zwei ollen bösen Männer und dann dieser Typ, der sich in seine Mutter verliebt hat. Es ist Verdi zu verdanken, dass ich viele Jahre später erst das Stück verstanden und zu schätzen gelernt habe. Lange Zeit war das eine meiner Lieblingsopern.

  • Lange Zeit war das eine meiner Lieblingsopern.

    Kann man eine solche verlieren? Gewiss, bei mir kamen im Laufe der Jahre immer wieder auch neue hinzu, aber dass ich eine Oper, die ich früher mal besonders mochte, heute nicht mehr mag, davon bin ich dann Gott sei Dank doch meilenweit entfernt! :)

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Kann man eine solche verlieren? Gewiss, bei mir kamen im Laufe der Jahre immer wieder auch neue hinzu, aber dass ich eine Oper, die ich früher mal besonders mochte, heute nicht mehr mag, davon bin ich dann Gott sei Dank doch meilenweit entfernt! :)

    Meine Begeisterng für Verdi hat in den letzten Jahren deutlich nachgelassen, aber den Don Carlos, wie auch einige andere Verdi Opern (Nabucco, Traviata, Aida, Otello) schätze ich nach wie vor. Der Maskenball, den ich früher gar nicht mochte, ist mir durch eine Aufführung in Wien kürzlich auch sehr sympathisch geworden. Ich höre z.Zt. wahrscheinlich einfach zu wenig Verdi und Oper insgesamt.

  • Ich finde es sinnvoll, die Handlung nicht zu kennen, wenn man eine Oper zum ersten Mal Live sieht und das Glück hat, die Handlung noch nicht zu kennen - damit der Opernabend auch spannend sein kann im trivialen Sinne von: Wie geht es weiter?


    Blöd nur, wenn die Untertitelanlage fehlerhaft funktioniert.
    :cursing:

  • Dazu ist zu sagen, daß meine speziellen Vorlieben (Mozart - Belcanto -Verdi, sowie deutsche und französische "Spieloper" und auch Geister- und Zauberopern) mit meinen Entscheidung leichter gemacht haben. Ich bin seit jeher dem Verismo ausgewichen, ebenso wie Opern mit vordergründig gesellschaftkritischen Inhalt und daraus resultierender spröder Musik. Oper sollte auf mich "unmittelbar" wirken und "überwältigen" ich habe sie vorzugsweise als Medium gesehen um in vergangene Zeitalter einzutauchen und eine überwältigende Scheinwelt zu erzeugen, die einen in ihren Bann zieht. Verdi war hier wohl der größte Opernmagier aller Zeiten, er vermochte die blutrünstigsten Szenen mit eingängigsten Melodien zu verbinden ohne unglaubwürdig zu wirken....

    Das kann ich schwer nachvollziehen, schließlich ist der Verismus schon auch im Timing und durch Wiederholungsvermeidung realistischer und kann daher leichter "unmittelbar wirken", als wenn die Akteure ihre Strophen durchsingen oder den A-Teil wiederholen.

  • Ich finde es sinnvoll, die Handlung nicht zu kennen, wenn man eine Oper zum ersten Mal Live sieht und das Glück hat, die Handlung noch nicht zu kennen - damit der Opernabend auch spannend sein kann im trivialen Sinne von: Wie geht es weiter?


    Blöd nur, wenn die Untertitelanlage fehlerhaft funktioniert.


    Ganz meine Meinung. Der Zauber des ersten Mal ist auch in der Oper durch nichts zu ersetzen. Eine Inhaltsangabe zehn Minuten vor einer Vorstellung mag ja für einen bestimmten des Publikum nützlich sein. Sinn macht sie nicht. Und den Untertiteln kann man schließlich auch nur dann folgen, wenn man weiß, wann und wo sich die Handlung abspielt, wer wer ist und was singt. Sonst nützen sie wenig. Mich stören sie grundsätzlich - vor allem dann, wenn ich als deutscher Muttersprachler in ein deutsches Opernhaus gehe und dort eine deutsch gesungene Oper sehe, die mir dann in Deutsch digital "vorgelesen" wird. Nun gut, ließe sich einwenden: Bei der weit verbreiteten Undeutlichkeit der Sänger kann es nicht verkehrt sein. ;) Vielleicht ist ja das der heimliche Grund für deren Existenz.


    Gruß Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Das kann ich schwer nachvollziehen, schließlich ist der Verismus schon auch im Timing und durch Wiederholungsvermeidung realistischer und kann daher leichter "unmittelbar wirken", als wenn die Akteure ihre Strophen durchsingen oder den A-Teil wiederholen.


    Alfred mag die Nach-Verdi-Musik halt nicht besonders. Darin dürfte die mangelnde unmittelbare Wirkung begründet sein...

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Verdi war hier wohl der größte Opernmagier aller Zeiten, er vermochte die blutrünstigsten Szenen mit eingängigsten Melodien zu verbinden ohne unglaubwürdig zu wirken....


    mfg aus Wien
    Alfred


    Doch der Magier aus Bayreuth auf dem Grünen Hügel konnte das tausendmal besser als er ... :yes:


    Gruß
    Holger

    "Es ist nicht schwer zu komponieren.
    Aber es ist fabelhaft schwer, die überflüssigen Noten unter den Tisch fallen zu lassen"
    Johannes Brahms

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