Der Stoff aus dem die Opern sind (13) – die verschiedenen Richtungen

  • Ich glaube, es trifft sich gut, daß das heutige Thema gerade die Nummer 13 zugewiesen bekommen hat. Hier sollen die verschiedenen Stil- und Geschmacksrichungen der Oper besprochen werden - denn viele sprechen vom Überbegriff "Oper" - aber oft meint jeder was anderes. Und jeder Opernstil setzt andere Schwerpunkte und ist auf ein anderes Publikum ausgerichtet.
    Was soll denn Oper überhaupt bewerkstelligen ? Die Leute unterhalten? den Souvereign als Gott darstellten? Gesellschaftspolitik machen? Historische Inhalte vermitteln ? - unverfälscht oder verfälscht. Operninhalt als Gerüst für eine Art "Schlagerparade" - ähnlich einem Genre des Unterhaltungsfilms. Oper zu Stärkung des Nationalgefühls ?
    Oh- da gibt es zahlreiche Überschneidungen und Zwischenkategorien - mal sehen was hier dabei rauskommt.....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Oper soll das bewirken, was ihre Schöpfer beabsichtigt haben.

    Arrestati, sei bello! - (Verweile, Augenblick, du bist so schön!)

  • Kurz und klar: Oper soll gefallen, Freude bereiten, Herz und Seele berühren.


    Lieber Siegfried, ich glaube deswegen unterzieht sich ein Komponist keiner solchen Mühe. Jeder Künstler will, dass sich der "Betrachter" im weitesten Sinne mit seinem Werk auseinandersetzt. Aber: "Herr Händel, Sie haben uns ergötzt." "Ich will nicht ergötzen, sondern verändern." Natürlich gibt es "gefällige" Opern; und das meine ich nicht wertend. Adolphe Adam sagte es ganz klar heraus, dass seine Werke sich an ein Publikum richten, das von der Arbeit kommt und etwas "Schönes" im Theater erleben will. Vor einer solchen Haltung kann ich den Hut nicht tief genug ziehen, obgleich das natürlich nicht die einzige Lösung sein kann, vor allem dann nicht, wenn das "geneigte" nur den Narhallamarsch aus der Partitur isoliert und den Rest vergisst. Sehr viel übrig geblieben ist von diesem frühen "Orchestermagier" (so empfinde ich ihn) ja leider nicht.


    "Freude bereiten" hängt auch von der Situation und der momentanten Einstellung ab. Verdis "Un giorno die regno" bereitet auch "Freude". Wer sich aber ein "Meisterwerk erarbeiten" will, greift bei dieser in engerem Rahmen "bewundernswerten" Oper ins Leere. Die "Freude" verfliegt wie bei einem Wein mit flauem Abgang. Ohnehin ist Verdi nie ganz frei von publikumswirksamen "Riffs": drrrrääää, drrrräää -- das ist eine "wolle-mer-se-reinlasse-"Ästhetik, die mir bei einem so großen Mann mehr als rätselhaft daherkommt. Aber er mag es einfach zu gerne, dieses Abtröten. Und bei "Un giorno" ist ihm noch nicht aufgefallen, dass es etwas anderes als einen Dreiviertel-Takt gibt. Natürlich ist es ein frühes Werk, das auf keinen Fall in Vergessenheit geraten sollte. Aber es ist wohl auch ein gutes Beispiel dafür, was eine gute Oper (ein gutes Werk überhaupt) auszeichnet: Der Zuhörer muss Gelegenheiten haben, zum Mitschöpfer zu werden.


    Oper soll das bewirken, was ihre Schöpfer beabsichtigt haben.


    Das ist sehr diplomatisch ;) . Aber was "beabsichtigt" ein Künstler? "Was will der Autor damit sagen?" "Was ist die Message Ihrer Songs, Mr. Dylan?" Nothin'. Just songs! Bei guten Werken tritt der Urheber zur Seite und wird "unsichtbar". Was wollte Verdi mit "Un Giorno" bewirken? Er hatte den Auftrag, eine komische Oper zu schreiben. Fertig. Unter welchen absolut ungünstigen privaten Umständen dies gesehen konnte, ist mehr als bewundernswert, aber mit der Oper hat es nichts zu tun. Dann "Nabucco": Es sollte ein "Kracher" werden, denn Verdi brauchte Erfolg. Aber das ist gewiss keine "Absicht", mit der ein "Mitschöpfer" etwas anfangen kann.


    Gruß Heiko

    Heiko Schröder
    Ahrensburg


    "Wer sich im Ton vergreift, sucht nur in den glücklichsten Fällen nach neuen Harmonien."

  • Gesellschaftspolitik machen? Historische Inhalte vermitteln?

    Das spielt eventuell eine nachrangige Rolle. Man stellte irgendwelche Konflikte dar, mit der Betonung auf irgendwelche, wobei die Probleme und Gefühle, die eben als Vorwand dienen, tolle Musik zu machen, möglichst "zeitlos" sein sollten, also Eifersucht, Ehre, etc. Ich bin zwar kein Experte und höre erst in letzter Zeit mehr Opern aus dem 19. Jahrhundert, aber bislang kommt mir das so vor. Vor dem 19. Jahrhundert ist anstelle der historischen Inhalte die antike Mythologie zu setzen, wodurch es noch klarer wird, dass es nicht um Geschichtsstunden geht. Dass die meisten dieser Geschichten auch den Zweck haben sollen, darüber nachzudenken und sich zu bessern, daran zweifle ich kaum (im Gegensatz zu den klassischen Hollywood-Genres). Naja, in der komischen Opern wohl weniger ...


    Insofern trifft es das ganz gut:

    Kurz und klar: Oper soll gefallen, Freude bereiten, Herz und Seele berühren.


  • Lieber Siegfried, ich glaube deswegen unterzieht sich ein Komponist keiner solchen Mühe. Jeder Künstler will, dass sich der "Betrachter" im weitesten Sinne mit seinem Werk auseinandersetzt. Aber: "Herr Händel, Sie haben uns ergötzt." "Ich will nicht ergötzen, sondern verändern."


    Diese Anekdote bezog sich allerdings auf "Messiah", nicht auf eine Oper (I should be sorry if I only entertained them, I wish to make them better). Der Hinweis ist aber in jeden Falle wichtig, weil wir heute, meine ich, nicht ohne Weiteres nachvollziehen können, wie "Erbauung", "Ergötzung", "Divertissement" usw. im 17. oder 18. Jhd. ineinandergreifen konnten.


    Näher stehen uns wohl Spielarten einer Überwältigungsästhetik wie sie im 19. Jhd. die Grand Opera Meyerbeers verkörperte (da war ein netter Artikel in der letzten ZEIT). Das ist nicht so weit von Hollywood. Aber Wagners Wendung zu einer quasi-religiösen Erfahrung durch musikalische Überwältigung und obendrein Transport philosophischer Vorstellung ist für viele wohl eher ein Stein des Anstoßes. (Sonst würde nicht ständig darüber gemeckert, dass einen heutige Regisseure angeblich "belehren" wollten.)


    Zitat


    Natürlich gibt es "gefällige" Opern; und das meine ich nicht wertend. Adolphe Adam sagte es ganz klar heraus, dass seine Werke sich an ein Publikum richten, das von der Arbeit kommt und etwas "Schönes" im Theater erleben will.


    Ich vermute mal, dass kaum jemand von Monteverdis, Scarlattis und Händels Opernpublikum im heutigen Sinne "von der Arbeit" kam, wenn man ins Theater ging, und von Adams oder Wagners auch nur ein vergleichsweise kleiner Teil... Auch diesbezüglich muss man aufpassen, dass man nicht soziale Strukturen, die uns seit ca. zwei bis drei Generationen selbstverständlich vorkommen (Jeder geht zur Arbeit, jeder hat im Prinzip die Möglichkeit zum Opernbesuch) auf Zeiten extrapolieren, in denen sie gar nicht bestanden.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Lieber Alfred,


    Geschmacksrichungen der Oper besprochen werden


    oh, Geschmack, es ist mir klar, was Du meinst. ;) Aber unter Geschmack versteht tatsächlich jeder etwas Anderes. Für die neue Rechtschreibreform (und es wird sie so sicher geben, wie den nächsten PISA-Test), schlage ich vor, das Wort "Geschmack" aus der deutschen Sprache zu entfernen (das ist KEINE Kritik an Deinem Vorschlag, sondern eine generelle Aussage!!). Denn bei "Geschmack" in der Musik höre ich immer das für alltägliche Ohren "übertriebene" Schlürfen der Teeprüfer. :D


    Und jeder Opernstil setzt andere Schwerpunkte und ist auf ein anderes Publikum ausgerichtet.


    Ja. Aber diesen Satz kann ich leider nicht ganz mit der Überschrift in Verbindung bringen. Geht es um "stoffliche" Inhalte, stünden für mich die Libretti im Vordergrund. Aber der Opern"stil", obgleich zwar nicht davon unabhängig, ist doch etwas Anderes.


    Was soll denn Oper überhaupt bewerkstelligen ?


    Wenn es so viele Opernstile gibt, so bedeutet dies eine Frage nach der "Oper an sich", und damit schließt sich gleich die Frage an, ob es (wieder generell) sinnvoll ist, danach zu fragen, weil es "Oper an sich" nicht gibt. Einen Versuch wage ich trotzdem:


    Eine Oper ist die höchste künstlerische Form überhaupt, die jede "Sprache" (als Spiegel unseres Bewusstseins) "übersteigt". Was immer darunter zu verstehen ist. Denn ich glaube, die "Oper an sich" ist ein Phantom, genauso wie es nicht "den Menschen" gibt. Mit dem Ziel einer höchsten "Form, die alles umfasst" fangen die Probleme an. Jeder Komponist muss zum Beispiel für sich entscheiden, ob er die Oper als ein musikalisches Kunstwerk oder als "dramatisches Werk" betrachten will. Einen "Reißer" komponieren zu wollen, der auf "gesellschaftlichen Erfolg" abzielt, kann allenfalls ein Nebenziel sein, ist aber genau so fragwürdig wie eine Wissenschaft, die nur für den Nobelpreis "lebt".


    Vor einiger Zeit hatte ich versucht, einen Thread zu starten, dem Du zu einer "La vida breve" verholfen hast. Damals ging es um Eure Meinung zu der Einteilung des Publikums a.) Theaterfreunde, die das Drama bevorzugen, b.) Circusfreunde, die sich an der Artistik ergötzen und c.) ein Publilkum, die die Oper als musikalisches Kunstwerk betrachtet (und die Bühne eigentlich nicht braucht).


    Vielleicht sagst Du noch einmal genauer, was das Ziel der eigentlich interessanten Fragestellung ist, bevor es in die falsche Richtung ausufert. Denn genau das passierte mir soeben bei dem ersten Versuch, den ich daher lieber nicht veröffentlichen will. Immerhin lande ich bei der These (von der ich hoffe, dass jemand kräftig dagegen redet, sonst kann der Thread nicht starten, wenn sie "stimmt"):


    Jeder Komponist schafft sich sein eigenes Publikum.


    Und es ließe sich hinzufügen: Die Fanatiker interessieren ihn allenfalls als Geldgeber. Die universellen aber, die sich zu einem Mussorgsky-Debussy-Smetana-Janacek-Mascagni-Weber-Publikum zählen können, sind so wandlungsfähig wie der Künstler selbst und können mit ihm gemeinsam über ein Werk "ins Gespräch" kommen.


    Viele Grüße von
    Heiko

    Heiko Schröder
    Ahrensburg


    "Wer sich im Ton vergreift, sucht nur in den glücklichsten Fällen nach neuen Harmonien."

  • Näher stehen uns wohl Spielarten einer Überwältigungsästhetik wie sie im 19. Jhd. die Grand Opera Meyerbeers verkörperte


    Mit "uns" müssen wir vorsichtig sein. Es gibt eine wachsende Begeisterung für Barock-Opern. Wäre die Überwältigungsästhetik für die heutige Zeit maßgeblich, wundert es mich sehr, dass sozusagen kein Meyerbeer mehr aufgeführt wird.


    Jeder geht zur Arbeit, jeder hat im Prinzip die Möglichkeit zum Opernbesuch


    Genau das gilt aus meiner Sicht gerade heute eher nicht mehr. Die Hamburger Opernpreise führen nicht mehr zum "Hingucker", sondern eher zum "Flachleger". Der Normalverdiener unter den Tschechen wird sich heute allenfalls noch eine einzige Libuse leisten können. Gerade in einer Zeit, in der es gar nicht gut ging, war ein Theaterbesuch für jeden möglich. Und das galt auch für Russland. Davon sind wir heute sehr weit entfernt.


    Ich meinte das Beispiel mit Adam (abgesehen davon, dass ich mich auf ein Zitat von ihm beziehe, dass ich jetzt aber suchen muss, daher nur mit Vorbehalt) auch so, dass der Mensch im Theater nicht noch mit Problemen konfrontiert werden soll, die sozusagen den Alltag noch überhöhen.

    Grüsse von Heiko

    Heiko Schröder
    Ahrensburg


    "Wer sich im Ton vergreift, sucht nur in den glücklichsten Fällen nach neuen Harmonien."

  • Zitat

    Zitat von Siegfried: Kurz und klar: Oper soll gefallen, Freude bereiten, Herz und Seele berühren.

    Ads sehe ich in erster Linie auch so. Ich möchte aber darüber hinausgehen: Manche Oper kann auch geistig anregend sein und zum Nachdenken führen, wobei man wohl kaum Belehrungen über historisch genaue Fakten erwarten kann, aber von einen "Julius Caesar" (als Beispiel) erwarte ich, dass er auch etwa 44 v. Chr. und nicht in der heutigen Zeit spielt. Letzteres ist für einfach eine Verfälschung.
    Was die Gesellschaftskritik betrifft, so lag es sicher bei vielen Opern auch in der Absicht der Autoren, verpackt in eine historische Handlung Kritik an der Gesellschaft seiner Zeit zu üben, aber eben seiner Zeit. Vieles davon lässt sich durchaus auch noch als Kritik der heutigen Gesellschaft auffassen, ohne dass die Handlung unpassen zum Text und zur Musik in die Gegenwart übertragen werden muss.

    Zitat

    Zitat von Johannes Roehl: Aber Wagners Wendung zu einer quasi-religiösen Erfahrung durch musikalische Überwältigung und obendrein Transport philosophischer Vorstellung ist für viele wohl eher ein Stein des Anstoßes. (Sonst würde nicht ständig darüber gemeckert, dass einen heutige Regisseure angeblich "belehren" wollten.)

    In Wagners Werk steckt wahrlich genug an Tiefe, dass es einer zusätzlichen Belehrung durch heutige Regisseure unter Verfälschung des Originalwerks absolut nicht bedarf. Daher ist für mich dieses "Meckern" über die derzeitige krankhafte Interpretitis und Neudeuteritis durchaus berechtigt.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Ich glaube, daß hier versucht wir den Begriff "Oper" auf einen Nenner zu bringen - das wird ja allgemein getan.
    Indes gibt es sowohl bei den Werken, den Komponisten, als auch bei ihrem Publikum gravierende Unterschiede.
    Durch das Regietheater ist es allerdings schwierig diese zu analysieren, weil die Ursprüngliche Richtung ja kaum beibehalten wurde.


    Ursprünglich - so kann men es zumindest immer wieder lesen, war die Oper ein Versuch die Spieltradition des antiken Theaters wieder zu belegen. Ein Versuch der natürlich zum Scheitern verurteilt war, jedoch gravierende Auswirkung auf Theater- und Musikgeschichte hatte. Es ist nun die Frage zu welcher Gattung die ersten Opern zählten, die sich beispielsweise mit der Antike befassten. Ich würde sagen, daß hier der Unterhaltungswert sehr stark im Vordergrund stand. Denn "Bildung" konnte diese Art der Oper ihrem Publikum kaum Bildung vermitteln - denn die wurde einfach vorausgesetzt. Griechische und römische Geschichte und - oft damit vermischt - Mythologie. Das war Standardwissen - und Unterhaltungsstoff der gehobenen Kreise. Die weitere Entwicklung - zeitlich und regional - sowie mancher Sonderfall - kann Threadstoff auf Jahre hinaus bieten.
    Abgesehen von diesem allgemeinen Thread (Nr 13) gibt es bereits 12 weitere Spezialthreads, die - spät aber doch - sich allmählich über Akzeptanz und Beiträge freuen dürfen:



    Der Stoff aus dem die Opern sind (1) - Giuseppe Verdi und seine Librettisten
    Der Stoff aus dem die Opern sind (2) - Sagen des Mittelalters
    Der Stoff aus dem die Opern sind (3) - Vergessene Literaturvorlagen der klassischen Musik und Opern
    Der Stoff aus dem die Opern sind (4) - Librettii nach griechischen und römischen Klassikern
    Der Stoff aus dem die Opern sind (5) - Gekrönte Häupter und welche es gern geworden wären....
    Der Stoff aus dem die Opern sind (6) - Christoph Columbus
    Der Stoff aus dem die Opern sind (7) – Historische Themen in Opern des 20. Jahrhuinderts
    Der Stoff aus dem die Opern sind (8) - Zeitgenössische Themen in Opern des 20. Jahrhunderts
    Der Stoff aus dem die Opern sind (9) – Deus ex machina
    Der Stoff aus dem die Opern sind (10) – Komponisten als Librettisten ihrer Opernkompositionen
    Der Stoff aus dem die Opern sind (11) – Opern der Mozartzeit: Zeitgeist, Gesellschaft und Politik
    Der Stoff aus dem die Opern sind (12) – Komische, leichte, und unterhaltsame Opern


    Weitere werden folgen:
    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred


    clck 124

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  • Das spielt eventuell eine nachrangige Rolle. Man stellte irgendwelche Konflikte dar, mit der Betonung auf irgendwelche, wobei die Probleme und Gefühle, die eben als Vorwand dienen, tolle Musik zu machen, möglichst "zeitlos" sein sollten, also Eifersucht, Ehre, etc.


    Im 19. Jahrhundert gibt es durchaus Beispiele von Opern, die eine kulturpolitische Bedeutung haben (Iwan Sussanin, Dalibor, zum Beispiel), die nicht unbedingt eine Nebensache genannt werden kann. Aber im Großen und Ganzen stimme ich Dir zu. "Irgendwelche Konflikte" trifft ganz gewiss auf die meisten Opern der ersten Hälfte des Jahrhunderts zu. Bei Wagner sehe ich das anders. Und auch bei den nationalen Schulen. Verismus sowieso. Aber Du sprichst für mich den Kern an: Die Oper halte ich ebenfalls in erster Linie für ein musikalisches Kunstwerk. Der Versuch, Dichtung durch Musik ergänzen zu wollen, ist ein Witz. Text, der eine Ergänzung durch die Musik benötigt, kann nur "nicht ganz dicht" im Sinne von Oskar Werners Ausführungen sein (Sinngemäß: Bei einem schriftstellerischen Text lässt sich die Jalousie verschieben, um in die Werkstatt des Urhebers zu schauen. Bei einer Dichtung ist das nicht mehr möglich.)


    Vor dem 19. Jahrhundert ist anstelle der historischen Inhalte die antike Mythologie zu setzen, wodurch es noch klarer wird, dass es nicht um Geschichtsstunden geht.


    Ja, es geht um den Menschen. Und im Laufe der Zeit wurde immer deutlicher: Um den einzelnen Menschen. Bei Rossinis "Wilhelm Tell" steht zum ersten Mal das Volk im Zentrum, was sich im slawischen Raum dann immer stärker fortsetzt (vor allem in Russland). Später kommt auch noch die Natur dazu. Eigentlich ein sehr schöner Trend ^^


    Dass die meisten dieser Geschichten auch den Zweck haben sollen, darüber nachzudenken und sich zu bessern


    Die moralische Komponente bleibt niemals aus, wird aber nicht betont verfolgt, um das Publikum zu belehren (das geht mit einer Predigt sehr viel besser). Beim "Freischütz" habe ich mich beim ersten Mal wirklich gefragt, woher Max die Gewissheit nimmt, dass er sich nicht mit der siebten Kugel selbst über den Haufen schießt. (Das liegt daran, dass mir der Schluss der Oper nicht sonderlich gefällt. Wäre sie mit dem Probeschuss zu Ende, dürfte das für das Publikum ein zwar ein "Knalleffekt" sein, der aber eher als "unmoralisch" empfunden werden dürfte. Der Verismus hatte später weniger diese Probleme.) Das bei uns leider viel zu wenig bekannte "Schneeflöckchen" enthält (obgleich sicherlich nicht die "Hauptsache") eine sehr große Anregung, sich zu bessern: Die Natur kommt aus dem Gleichgewicht und stellt es wieder her, wobei der Mensch auf der Strecke bleibt. Leider wird aber das Ganze nur als russisches Frühlingsmärchen abgetan (selbst der große Kurt Pahlen scheint die Oper nicht wirklich zu kennen). Der Mensch sieht sich zu gerne als Mittelpunkt, und deswegen sind Einzelschicksale sehr viel zugkräftiger als ein Hans im Glück (von Hans Albers mal abgesehen). :D

    Heiko Schröder
    Ahrensburg


    "Wer sich im Ton vergreift, sucht nur in den glücklichsten Fällen nach neuen Harmonien."

  • Es ist nun die Frage zu welcher Gattung die ersten Opern zählten, die sich beispielsweise mit der Antike befassten. Ich würde sagen, daß hier der Unterhaltungswert sehr stark im Vordergrund stand.


    Sicherlich, aber hinter diesem vordergründigen Unterhaltungswert steht bei den "anspruchsvolleren" Werken (Gluck) auch noch sicherlich eine zeitgemäße "Wiederbelebung" der Antike.


    In Wagners Werk steckt wahrlich genug an Tiefe


    Wie in jedem guten Werk. Und jeder muss für sich selbst bewerten dürfen, was er nach dem Tauchgang an die Oberfläche holt. Es gibt leider Regisseure, die das nicht begreifen und in ihrer diesbezüglichen Dummheit sich erdreisten, den Zuhörer als Dummkopf hinzustellen. Es wird höchste Zeit, dass es zu einer Regisseurdämmerung kommt.


    Gruß
    Heiko

    Heiko Schröder
    Ahrensburg


    "Wer sich im Ton vergreift, sucht nur in den glücklichsten Fällen nach neuen Harmonien."

  • Wie ich oben versucht habe anzudeuten, liegt die Schwierigkeit in der Vieldeutigkeit von "Unterhaltung". Da "Unterhaltung" so unterschiedliche Dinge umfasst wie Zusehen, wenn religiöse Minderheiten von Löwen gefressen werden, 22 junge Männer einen Ball mit Füßen und Köpfen befördern oder eben auch lyrische Gedichte zu rezitieren, bringt es nicht viel weiter, wenn man sagt, Oper sei "Unterhaltung".


    Die "Opernerfinder"in Florenz, Mantua usw. Ende des 16. Jhds. wollten dort anknüpfen, wo sie ein vorbildliches Gesamtkunstwerk sahen, nämlich in der über 2000 Jahre alten griechischen Tragödie. Natürlich war das ein vollkommen anderer Rahmen als der staatlich-kultische im alten Griechenland. (Unpolitisch war das aber schon damals nicht, man nehme "Die Perser".) Die Operninteressenten waren zunächst eine kleine, elitäre Gruppe an kleinen Fürstenhöfen, die oft selbst nach dem Vorbild von inzwischen schon klassischen Dichtern ihrer Sprache wie Petrarca Gedichte verfassten. Sprache stand im Vordergrund, weniger die Musik und man erhoffte, mit dieser Kunstform in der eigenen Sprache an die Vorbildkultur der Antike anzuknüpfen. Es waren überhaupt keine anderen Themen denkbar als Mythologie, Antike und vielleicht noch mittelalterliche Epenstoffe (wie Tancredi e Clorinda, Orlando furioso usw.) Aber gerade die Dominanz solcher Stoffe hängt mit dem Selbstverständnis dieses Publikums als Erben einer verfeinerten Dichtkunst und Kultur zusammen, von der man natürlich meinte, dass sie allgemein-menschliche Konflikte, Leidenschaften usw. vorbildlich darstellte.


    Offensichtlich war das ein anderes Publikum (das eine sehr verschiedene Vorstellung von Unterhaltung hatte) als das der Grand Opera 240 Jahre später und wieder ein anderes als das des italienischen Risorgimento oder der Nationalopern in Mittel/Osteuropa. Bei letzteren reflektiert das kulturelle Bewusstsein, das diese Opern artikulieren, selbstverständlich auch das politische Bewusstsein des Publikums.

    Struck by the sounds before the sun,
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    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • bringt es nicht viel weiter, wenn man sagt, Oper sei "Unterhaltung".

    Trotzdem bleibe ich dabei zu sagen: Oper ist immer auch Unterhaltung! Manchmal nur das, manchmal weit darüber hinausgehend, aber niemals unterhaltungslos.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Trotzdem bleibe ich dabei zu sagen: Oper ist immer auch Unterhaltung! Manchmal nur das, manchmal weit darüber hinausgehend, aber niemals unterhaltungslos.


    Na ja, für vielleicht die Hälfte der Besucher ist die Oper entweder nur lästige Pflicht oder eine willkommene Ausrede, die eigene Garderobe auszuführen. Aber ich stimme Johannes zu, dass der Begriff "Unterhaltung" alles andere als leicht zu definieren ist. Wir fühlen uns "unterhalten", wenn wir uns mit Interesse einer Sache widmen - im Gegensatz zu "Zerstreuung".

  • Es gibt anspruchsvolle und weniger anspruchsvolle Unterhaltung. "Zerstreuung" ist m.E. in jedem Fall auch eine Art der Unterhaltung und keinesfalls ihr Gegenteil.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Es gibt anspruchsvolle und weniger anspruchsvolle Unterhaltung. "Zerstreuung" ist m.E. in jedem Fall auch eine Art der Unterhaltung und keinesfalls ihr Gegenteil.


    Das Problem ist, dass "weniger anspruchsvolle Unterhaltung" sehr oft gar nicht unterhaltsam ist. Da beisst sich die Katze doch in den Schwanz! Alles, was nicht völlig vorhersehbar ist, kann unterhaltsam weil interessant sein. Obwohl: nicht mal dieses Argument stimmt, denn manche Menschen sehen sich mit Freude 100x denselben Film an, obwohl sie ihn von A - Z auswendig kennen.


  • Das Problem ist, dass "weniger anspruchsvolle Unterhaltung" sehr oft gar nicht unterhaltsam ist. Da beisst sich die Katze doch in den Schwanz! Alles, was nicht völlig vorhersehbar ist, kann unterhaltsam weil interessant sein. Obwohl: nicht mal dieses Argument stimmt, denn manche Menschen sehen sich mit Freude 100x denselben Film an, obwohl sie ihn von A - Z auswendig kennen.

    Das ist eben alles sehr subjektiv. Vielen ist anspruchsvolle Unterhaltung zu anspruchsvoll und sie langeweilen sich, manche langweilen sich bei Unterhaltung, die ihren Ansprüchen nicht genügt. Natürlich kann dieselbe Oper sogar beim 50. Live-Erlebnis noch unterhalten. Sogar manche Inszenierungen habe ich bis zu 40x gesehen und fühlte mich auch beim 35. oder 40. Mal bestens unterhalten (sonst wäre ich ja auch nicht immer und immer wieder reingegangen).

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Hier wurden einige interessante Aspekte aufgegriffen, bzw darauf fokussiert - oder vielleicht sogar entwickelt.
    Ich bin das Problem von einer anderen Seite angegangen. EIGENTLICH ist es völlig gleichgültig WARUM man sich unterhalten fühlt - und auch in welcher Form. Wie ist das zu verstehen ?
    Mancher wird in die Oper gehen um in den Pausen (und nicht nur dann) Rivalen, welcher Form auch immer mit dem Opernglas zu observieren und spitze Bemerkungen über deren oder dessen Toilette - Aussehen oder Begleitung - von sich zu geben.
    Andere interessiert die Handlung der Oper nur am Rande - sie sei ohnedies eher simpel gestrickt, das Ende bekannt: ABER der Tenor YZ habe halt so eine berückend schöne Stimme - man könne die Arie XY zigmal hintereinander hören (man denke an die einstige Sitte von Da-Capo-Arien) Wieder andere begeistern (bzw begeisterten) sich an der schönen Ausstattung, dem historischen Ambiente oder an Bühneneffekten. Geschichte kann man aus Opern ohnedies nicht lernen, denn sie verfälschen sie meist bis an die Grenzen des Erträglichen.
    Mögen die Motive und Schwerpunkte im Einzelnen auch unterschiedlich sein, so würde ich davon ausgehen, daß mit einem Opernbesuch stets ein LUSTGEWINN angestrebt wird. Kaum je aber ist man erpicht auf moralische Spiegel oder Aussagen die die eigene Lebensführung in Frage stellen.
    Ob hier "Neues" und "Überraschung" der einzig gangbare Weg ist, das wage ich als Wiener zu bezweifeln, denn wegggleich ich nicht für alle Einwohner dieser Stadt sprechen kann und will, so gibt es dennoch einen gewissen Grundkonsens in der Ablehnung alles "Neuen"
    Interessant wäre, hier herauszufinden warum einzelne Mitglieder - oder aber auch Gruppen gerne in die Oper gehen (oder gingen), bzw was ihre Motivation dazu ist (oder war).Es gibt natürlich vorzugsweise Mischformen - dessen bin ich mir natürlich bewusst....
    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Als ich die Überschrift das erste mal gelesen habe, war ich der Meinung das Alfred damit die verschiedenen Stiele wie Barock, verismo, Belconto oder deutsche romantische Oper gemeint hat. Ich möchte einfach einen schönen Abend haben und die wunderbare Musik genießen. Außerdem lernt man auch immer wieder interessante Leute kennen die man so sonst nie kennengelernt hätte. So wie wird as Vergüngen hatten Christian Theielemann in Bayreuth kennen zu lernen. Interessant wird es wenn man die Möglichkeit hat, hinter die Kulissen zu blicken. Ein Abend hinter der Bühne kann oft viel interessanter sein als im Zuschauerraum. Ich gehe überwiegend alleine in die Oper, habe aber nie Schwierigkeiten mit Leuten ins Gespräch zu kommen. Und ich habe durch die Oper gelernt mich für für ein Thema zu interessieren und mich intensiver damit zu beschäftigen

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  • Trotzdem bleibe ich dabei zu sagen: Oper ist immer auch Unterhaltung! Manchmal nur das, manchmal weit darüber hinausgehend, aber niemals unterhaltungslos.


    Da so unscharf ist, was man unter "Unterhaltung" versteht, kann ich dem kaum widersprechen. ;)
    Mir ging es nur darum, darauf hinzuweisen, dass man vielleicht davon ausgehen sollte, dass Monteverdi für ein anderes Publikum komponierte als Rossini und dass Beethoven mit "Fidelio" andere Absichten verfolgte als Händel mit "Rinaldo".
    Natürlich sollte das Publikum begeistert werden. Aber die ersten Hörer des Orfeo, die in ihrer Freizeit Verse a la Vergil oder Petrarca schmiedeten, hätten über Effekte (Starkastraten und -diven, lebende Vögel, feuerspeiende Drachen usw.), die für Händels Opern in London eingesetzt wurden, vermutlich die Nase gerümpft. Es hat nach einigen Jahren ja ein gut Teil des englischen Publikums die Nase gerümpft, so dass Händel zu den ernsteren "erbaulichen" biblischen Oratorien überging. (Auch wenn der Gegensatz vielleicht nicht so stark war, wie es uns heute vorkommen mag, weil eben "Erbaung" und "Unterhaltung" nicht in dieser Weise getrennt waren wie vielleicht? bei Mendelssohns Paulus ggü. einer Opera comique.)
    Und Beethoven war es offenbar ein Anliegen, seine "Message" dick aufgetragen rüberzubringen, während es bei Rossinis Barbiere wohl verfehlt wäre, eine solche offensichtliche Message überhaupt zu unterstellen.

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