Herzog Blaubarts Burg (Bartok) konzertant in der Laeiszhalle in Hamburg (15.04.14)

  • Im großen Saal der Musikhalle spielte das NDR-Sinfonieorchester zunächst die 5. Sinfonie von Beethoven und
    anschließend Herzog Blaubarts Burg (Leitung Alan Gilbert). Das Podium war etwas weiter in den Saal gezogen,
    um dem Riesenorchester mehr Raum und damit auch mehr durchhörbaren Klang zu geben. Ich gebe es zu,
    die Gewalt der Musik blies einem die Ohren weg. Es ist schon ein gewaltiger Unterschied, ob die Musik solch einer
    Oper aus dem engen Orchestergraben kommt oder auf der Plattform in einem Konzertsaal ausgebreitet wird.
    Als Konzert war es überwältigend, von den dynamischen Abstufungen, von der Durchhörbarkeit der Instru­mente
    und auch von der Klangschönheit her. Zu leiden hatten die beiden Sänger (Michelle DeYoung und John Relyea).
    Sie schlugen sich wacker, soweit ich es beurteilen kann, der Bassbariton vielleicht etwas besser als die
    Mezzosopranistin. Vielleicht lag es auch daran, dass ich die Sängerin von meinem Platz in der zweiten Reihe
    in der Loge im zweiten Rang nicht sehen konnte. Gegen den gewaltigen Klangrausch des Orchesters zu bestehen,
    muss schwer sein. Mit war das schon einmal aufgefallen, als Deborah Voigt in der Laeizhalle den Schlussgesang der
    Brünnhilde (Götterdämmerung) vorgetragen hatte (damals kam sie kaum gegen die Hamburger Sympho­niker an).


    Die Texte der Oper (gesungen wurde auf ungarisch) wurden im Hintergrund auf eine schwarze Projektions­fläche
    übertragen, außerdem die Grundzüge der Handlung angedeutet: Judith verlässt Familie und Verlobten, um mit
    dem Herzog Blaubart in dessen fensterlosem, feuchten und eiskalten Schloss zu leben, sie will es mit ihrer Liebe
    erwärmen. Sie findet sieben verschlossene Türen, die sie geöffnet sehen will (sie will alles von ihrem Mann
    erfahren, selbst die tiefsten und dunkelsten Geheimnisse). Nach und nach gibt Blaubart ihr die Schlüssel, zuletzt
    immer widerwilliger. Sie findet Folter- und Rüstkammern, Schätze und Zaubergärten, weite Landschaften, einen
    Tränensee und zum Schluss, als Judith nach seinen Verflossenen fragt, hinter der 7. Tür drei schöne, in prächtige
    Gewänder gekleidet Frauen, die den Morgen, den Mittag und den Abend repräsentieren. Judith vervollständigt
    nun das Quartett und zieht als Nacht in das 7. Zimmer. Blaubart bleibt zurück, allein in seinem dunklen, feuchten,
    eiskalten Schloss.


    Die Musik untermalt, fast impressionistisch, diese Handlung. Vor dem inneren Auge entstehen starke Bilder, so
    dass ein Bühnenbild nicht vermisst wird. Um ehrlich zu sein, dieser gewaltige Orchesterklang überspielt alles, ein
    fehlendes Bühnenbild und auch die beiden Solisten (ich habe das Stück allerdings auch noch nie in der Oper
    aufgeführt gesehen).

    Oper lebt von den Stimmen, Stimmenbeurteilung bleibt subjektiv

  • Vielleicht lag es auch daran, dass ich die Sängerin von meinem Platz in der zweiten Reihe in der Loge im zweiten Rang nicht sehen konnte.


    Dafür habe ich Dich vermutlich unwissentlich von meinem Platz im zweiten Rang Balkon gesehen :hello: Ich wollte heute wohl abend auch noch ein paar Worte zu diesem Konzert "verlieren".

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • @ MSchenk. ich freue mich schon auf die Rezension. Wegen Deiner informativen Besprechung des Lear von Reimann werde ich mir morgen die letzte Aufführung dieser Oper ansehen.

    Oper lebt von den Stimmen, Stimmenbeurteilung bleibt subjektiv

  • Danke für den anschaulichen Bericht, auf die "paar Worte" von Michael bin auch ich gespannt. Der "Blaubart" gehört zu meinen absoluten Favoriten. Ich habe schon szenische Aufführungen erlebt, bevorzuge aus dieser Erfahrungen heraus aber die konzertante Lösung. Ein solches Seelendrama ist schwer umzusetzen, es geschieht ja eigentlich nichts im Sinne einer sichtbaren Handlung. Diese Tatsache verleitete die Regisseure in "meinen" traditionellen Opernaufführungen zu allem möglichen illustrativem Beiwerk, das nur vom Eigentlichen wegführte. Was sich hinter der fünften Tür musikalisch auftut, ist gigantisch. Gibt es eine prachtvollere Musik? An dieser Stelle liebe ich es auch, wenn die Orgel mit allen Registern hinzutritt. Da sie in Ralfs Besprechung unerwähnt bleibt, dürfte sie in Hamburg auch nicht eingesetzt gewesen sein. Gleiches gilt wohl für den gesprochenen Prolog ganz am Anfang. Der gehört für mich auch mit dazu. Sehr gern erinnere ich mich an eine konzertante Aufführung des groß besetzten Europäischen Jugendorchesters unter Antal Dorati in Berlin, der den Prolog selbst vortrug. Leider ist das Werk nur selten zu hören. Es gibt aber eine ganze Menge guter Einspielungen - mit und ohne Orgel und Prolog. Mindestens zwei stammen von Ferenc Fricsay, der viel für die Verbreitung des Werkes getan hat. Etliche Produktionen sind im entsprechenden Thread genannt und bewertet. Auf diesen Mitschnitt, der heute erscheinen sollte, bin ich ganz besonders gespannt:



    Diese Aufnahmen sollten auch erwähnt werden:



    Eine eindrucksvolle Produktion mit Obraszowa und Nesterenko und dem Ungarischen Staatsorchester unter Ferencsik (mit Orgel) habe ich nur als LP - hat sie es auch auf CD geschafft? Halt, da ist sie ja!
    Einspielung unter Ferencsik mit Obraszowa und Nesternko - stellt sich als Bild nicht dar, deshalb nur der Link


    Eigentlich kenne ich kein Dokument dieser Oper - Andreas Ommer listet 43 auf - , das daneben gegangen ist. :)


    LG Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Dieses Werk gehört auch zu meinen Lieblingsmusiken. Der fünften Tür fiebere ich immer entgegen!

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Wer die Verbindung zwischen den beiden Werken dieses Abends sucht, dem sei gesagt, was uns der Musikwissenschaftler Traber Habakuk in der Einführung erläuterte: Stellt nämlich die 5te Symphonie Ludwig van Beethovens eine Beziehung zur französischen Revolution her, so steht Béla Bartóks einzige Oper A Kékszakállú herceg vara in der Folge der französischen Musikrevolution ... Nun mag dies für den einen nachzuvollziehbar klingen, während der andere verständnislos mit dem Kopf schüttelt - letztlich jedoch war dieses Wissen für den Genuß des Konzertes sicherlich nicht wesentlich.


    Im Rahmen des 1. Internationalen Musikfestes Hamburg lieferte das NDR-Sinfonieorchester unter Leitung seines (noch) ersten Gastdirigenten und u.a. Chefdirigenten des NYPO Alan Gilbert eine von Beginn an durchaus "leicht" anmutende Interpretation der vielleicht bekanntesten Symphonie des klassischen Repertoires überhaupt: Hier klopfte das Schicksal weniger HIP und knallig, sondern eher gemessenen Schrittes, aber nichtsdestotrotz eindringlich an die Tür. Sehr gelungen die beiden Mittelsätze, sowie der attacca-Übergang in das furiose Finale. Dort hätte die Piccoloflöte am Ende etwas weniger herausgestellt sein dürfen. Besonders beachtenswert im Orchester einmal mehr der auswendig spielende Paukist Stephan Cürlis, dessen Spielfreude immer wieder herrlich zu beobachten ist. Insgesamt also eine solide Arbeit, die mit entsprechendem Applaus gewürdigt wurde.


    Im zweiten Teil dann als eigentlicher Höhepunkt des Abends - was keinesfalls gegen Beethoven gerichtet ist, jedoch hört man seine "Schicksals-Symphonie" ja durchaus häufiger - Bartóks einaktige Oper über den frauenmordenden Herzog, der in dieser Version der Geschichte (Libretto B.Balázs) übrigens gar keine Frau umbringt! Tatsächlich scheint mir dieses Werk mit seiner relativen Handlungsarmut und seiner dafür umso größeren inneren Bildgewalt, Psychologie und Symbolik (siehe auch hier) für eine konzertante Aufführung (hier leider ohne den gesprochenen Prolog) geradezu prädistiniert. Und genau so wurde dann auch von dem groß besetzten Orchester (inkl. Spieltisch für die Orgel) musiziert: Die Musiker verstanden es, die Klangsprache der "Dinge hinter den Türen" bis in die feinsten Verästelungen wiederzugeben und damit geradezu plastisch zu machen.
    Da ist den Schülern, die in der ersten Hälfte noch für einige Unruhe auf der Galerie sorgten und im zweiten Teil dann plötzlich verschwunden waren (Hatte man sich bessere Plätze gesucht? Eventuell vor dem heimischen Fernseher?), doch einiges entgangen, denn auch gesanglich hatte der Abend etwas zu bieten: Sehr überzeugend als Blaubart der kraftvoll singende - und optisch ein wenig an den jungen Samuel Ramey erinnernde - Bassbariton John Relyea, während Michelle DeYoung als Judith in manchen Momenten etwas vom Orchester überdeckt zu werden schien. Allerdings habe ich inzwischen, ähnlich wie Ralf Beck es oben schon angedeutet hat, bei aller Liebe zur ausgezeichneten symphonischen Akkustik der Hamburger Musikhalle den Eindruck, sie ist gegenüber Sängern etwas undankbar (so schien mir z.B. auch Andreas Schager, der hier vor kurzem in Mahlers Lied von der Erde zu hören war, gegen diesen Raum angehen zu müssen).


    So ging der Abend mit großem Applaus zuende und es ist anzunehmen, dass die Konzertbesucher in der zu dreiviertel besetzten Musikhalle wesentlich mehr Vergnügen an diesem Ereignis hatten, als zur gleichen Zeit die Freunde des HSV ...


    Wer sich selber von der Qualität der Darbietung überzeugen will, dem sei die sonntägliche Live-Übertragung am 18.05 ab 11:00 Uhr im Radio (NDRkultur) wärmstens ans Herz gelegt.


    Als Aufnahme möchte den von Rheingold genannten noch



    hinzufügen, da mir insbesondere Fischer-Dieskau in den oft rezitativartigen Passagen des Blaubarts gut gefällt.


    Als nächstes steht nun ein Besuch des Stadttheaters Lübeck an, wo es am übernächsten Sonntag zwei weitere Einakter des 20ten Jahrhunderts zu bestaunen gibt: Alexander Zemlinskys Der Geburtstag der Infantin, sowie Eine florentinische Tragödie.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Wegen Deiner informativen Besprechung des Lear von Reimann werde ich mir morgen die letzte Aufführung dieser Oper ansehen.


    Das freut mich außerordentlich!

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.