Polarisierende und weniger polarisierende Dirigenten

  • Die Anregung kam von rolo betman, dafür danke. Ich fand die Idee auch gut, daher nun dieser neue Thread.


    wir haben doch da einen Thread über Komponisten, die polarisieren. Vielleicht sollten wir auch einen solchen über Dirigenten aufmachen - da gibt es doch einige, die die Massen spalten.


    Frage: Welche Dirigenten (und Dirigentinnen) polarisieren eures Erachtens, welche tun dies weniger oder nicht? Warum könnte dies so sein?


    Ich bin mir sicher, dass hier etliche Nennungen erfolgen werden.


    Liebe Grüße
    Joseph

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Das Leben ist ein permanenter Lernprozeß. Ich entsinne mich, dass ich vor Jahrzehnten doch sehr intolerant war, denn jede Lesart eines Dirigenten, die meiner Auffassung zuwiderlief, fand meine ausdrückliche Missbilligung. Im Laufe der Jahrzehnte jedoch begann ich mir zu sagen, dass jeder Dirigent das Recht haben muß, seine persönliche Lesart (Interpretation) haben zu dürfen. Ob mir diese auch zusagt oder nicht, ist dann meine persönliche Meinung. Aber sagen, in diesem Fall mit dem Orchester zu realisieren, das muß man ihm wohl gestatten.

    Arrestati, sei bello! - (Verweile, Augenblick, du bist so schön!)

  • Einer der wichtigsten Polarisier aus der gegenwärtig aktiven Dirigentenzunft ist sicherlich Christian Thielemann. Grob unterteilen kann man die Konfliktlinien rund um seine Person in die alten Kategorien von "rechts/konservativ" (pro Thielemann) und "links/fortschrittlich" (contra Thielemann). Manchmal scheint es mir so zu sein, dass die Beurteilung der tatsächlichen künstlerischen Leistung dieses Dirigenten sehr stark von gewissen politischen Zugehörigkeitsgefühlen beherrscht wird.


    Grüße
    Garaguly

  • Ich will nur ein paar Dirigenten nennen, die m. E. stark polarisieren, jeweils mit einer möglichen Erklärung hierfür:


    - Hans Knappertsbusch: eigenwillige (oft sehr langsame) Tempi; knorrige Persönlichkeit mit Hang zur sehr direkten Art
    - Karl Böhm: (angebliche) politische Einstellung und "Betulichkeit"
    - Sir Reginald Goodall: sehr langsame Tempi; eigene Vergangenheit (während des II. Weltkriegs offen pro-faschistisch)
    - Leopold Stokowski: sehr eigenwillige Interpretationen, oft am Rande der Bearbeitung
    - Sergiu Celibidache: extreme Tempovorstellungen im Alter; "Pultdiktator"
    - Leonard Bernstein: für manch einen oft dem Kitsch nahe, sehr persönlich gefärbte Interpretationen

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • In der Tat ist es von Vorteil, wenn ein Dirigent nicht nur sein Handwerk versteht, sondern wenn er ein gewisses - notfalls auch künstliches - Profil vorzuweisen hat. Das hat teilweise dazu geführt, daß man mittelmäßigen Dirigenten Eigenschaften angedichtet hat, diesie gar nicht hatten, in der Hoffnung, Aufmerksamkeit zu erregen. Das hat aber nicht funktioniert, BEIDES ist notwendig, die künstlerische Aussage UND ein unverwechselbarer Charakter, bzw Personalstil. Damit sind auch schon die wichtigsten Kriterien für einen POLARISIERENDEN Dirigenten gegeben. Er muß Eigenschaften aufweisen, künstlerische, menschliche oder weltanschauliche, welche stets EINE Personengruppe anziehen - und EINE ANDERE abstoßen. Das Spannungspeld der beiden Gruppen erzeugt bei vielen, die sich keiner der beiden Gruppen verbunden fühlen, INTERESSE. Diese Interesse ist sicher ein guter Ansatz - aber es würde nicht ausreichen einen guten Dirigenten an die Spitze zu katapultieren. Ist der Dirigent aber an sich musikalisch AUSSERGEWÖHNLICH, UND kann er das von ihm gezeichnete Image (das durchaus auch falsch oder negativ sein kann)PR-mässig ausnützen - dann ist ein Idealfall gegeben, der die Tonträgerindustrie jubeln lässt. Christian Thielemann - schon weiter oben genannt - ist einer der wenigen auf die dies alles zutrifft. Zusätzlich zu seinen unbestreitbaren musikalischen Vorzügen kam eine Macht ins Spiel, die immer wieder auf ihn hinwies und wirklich berühmt machte. Seine GEGNER.....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Robert Heger: kann nur Spieloper.


    Bei Heger ist es für mein Dafürhalten nicht nur das. Als ich vor Jahren versuchte, in diesem Forum auf ihn aufmerksam zu machen, bildete sich gleich eine Allianz dagegen, bestehend aus mittlerweile ausgeschiedenen Mitgliedern, die ihm sein Verhalten während der NS-Zeit vorwarf und schon deswegen für untragbar hielt.

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    – Luís de Camões


  • Robert Heger: kann nur Spieloper.

    Die konnte er aber ganz besonders gut! Aber er konnte noch mehr: Während seiner achtjährigen Tätigkeit an der Wiener Staatsoper übte er gleichzeitig das Amt des Konzertdirektors der Gesellschaft der Musikfreunde aus.
    Der Elsässer Robert Heger hinterließ ferner ein umfangreiches kompositorisches Erbe, darunter allein mehrere Opern, drei Sinfonien, Instrumentalkonzerte, Chorwerke, Lieder und Kammermusikwerke.


    LG

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Die konnte er aber ganz besonders gut!


    Außerdem war er bis zum Kriegsende auch Wagner-Dirigent.


    Ob er es danach auch noch war, weiß ich nicht. Vermutlich nicht, denn es hätte womöglich seinem Image geschadet.

  • Ich hab mal zusammengeknotet, was zusammengehört. Ging in diesem Fall, weil es noch keine zeitlich Überlappungen gab. Reinhard




    guten Abend allerseits,


    nachdem wir seit kurzem den Thread über polarisiernde Komponisten haben, dachte ich mir beim Anhören von Bruckners Achten mit Venzago, so einen Thread brauchen wir auch über Dirigenten. Denn, so dachte ich mir, es wird auch sicher Zuhörer geben, denen Vezangos Interpretation gefällt (womit ich kundgetan haben dürfte, was ich von ihr halte).


    Aber Venzago ist ja nur ein kleines Licht, es gibt natürlich auch Maestros ganz oben auf der Erfolgsleiter, die differierende Meinungen hervorrufen. Ich denke da nur an Celibidache, Karajan oder Bernstein. Oder, um ein paar Lebende zu nennen, Nézet-Séguin, Luisi oder Thielemann. Haitink, Maazel oder Jansons.


    Nun denn, die Tafel ist eröffnet, es darf zugeschlagen werden

    Es wird immer weitergehn, Musik als Träger von Ideen.

    Kraftwerk

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  • Dass Karajan polarisiert, hat sich ja schon in diesem Thread gezeigt: Was hatten Karajan und Co, das heutigen Interpreten fehlt ? Und auch über Thielemann sind dort sehr gegensätzliche Meinungen zu lesen. Ich frage mich, welche Eigenschaften eines Dirigenten dazu führen, dass er polarisierend wirkt. Eigenwillige Interpretationsansätze - man denke an Celibidaches vieldiskutierte Tempi bei Bruckner? Ein exzentrisches Auftreten? Eine kontroverse Haltung zu musikästhetischen Fragen? Politische Bekenntnisse (z.B. das von Thielemann zum Konservatismus)?

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Zit:"Gibt es diesen Thread nicht schon?"
    Das habe ich mich auch gefragt, und mich wieder mal altersbedingten Zweifeln an meinem Verstand ausgesetzt gesehen. Dank Harald Krals - wie immer archivarisch höchst zuverlässiger - Klarstellung bin ich nun beruhigt.
    Aber überdies: Gibt es das wirklich, - "polarisierende Dirigenten"? Ich habe nur solche kennengelernt, die interpretatorisch und musikalisch zu begeistern vermochten (Bernstein zum Beispiel ganz besonders, aber auch Karajan), und daneben solche, die zwar durchaus werkgerecht arbeiteten, aber den Hörer im Konzertsaal im Grunde kalt ließen (die nenne ich hier nicht).
    "Polarisieren" können vielleicht wirklich Komponisten, weil sie mit ihren musikalischen Schöpfungen auf vorgegebene Erwartungshaltungen, Prägungen, Vorlieben und musikhistorische Kenntnisse bei den Rezipienten stoßen.
    Aber Dirigenten?

  • Heute stieß ich auf einen alten Thread, der perfekt zu dieser Thematik passt: Sir Reginald Goodall - Ein Leben für Wagner


    Man lese sich nur mal die Diskussion ab Beitrag Nr. 5 durch. Fazit: Kunst und Politik sind für viele scheinbar doch nicht zu trennen.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Das habe ich mich auch gefragt, und mich wieder mal altersbedingten Zweifeln an meinem Verstand ausgesetzt gesehen.


    So ging´s mir auch. Bin jetzt um 500 Euro reicher, da ich den Termin beim Psychiater absagen konnte.

  • Aber überdies: Gibt es das wirklich, - "polarisierende Dirigenten"?


    Mir scheint, wir haben hier ein semantisches Problem.
    Sollte man sich bei der Definition für die Spaltung der Meinungen in 2 Lager entscheiden, so trifft sie jedenfalls auf 2 berühmte Dirigenten zu.


    Toscanini und seine unbedingte Exaktheit gegen die künstlerische Freiheiten der Furtwängler-Interprätationen. Es handelt sich hier um zwei permanent grundverschiedene Deutungsansätze.

  • Die beiden Thread wurden inzwischen ja schon zusammengelegt - in nächster Zeit werden dann alle Bemerkungen in Bezug auf die Doppelung gelöscht. Sie waren notwendig stören aber letztlich den Themenfluß... Auch MEIN Modtest fliegt dann rausMOD 001 Alfred


    Zitat

    Ich frage mich, welche Eigenschaften eines Dirigenten dazu führen, dass er polarisierend wirkt. Eigenwillige Interpretationsansätze - man denke an Celibidaches vieldiskutierte Tempi bei Bruckner? Ein exzentrisches Auftreten? Eine kontroverse Haltung zu musikästhetischen Fragen? Politische Bekenntnisse (z.B. das von Thielemann zum Konservatismus)?


    Eigentlich sind das ja schon Antworten - keine Fragen
    Aber man kann das natürlich noch schärfer formulieren


    Zum einen ist eine sehr individuelle, bzw radikale Auslegung des Notentextes von Vorteil - wobei man sich aber immer im "im Rahmen bewegen sollte. Harnoncourt - Celibidache - Norrington - Toscanini.


    Man breche einige Tabus - aber bitte nur ungeschriebene


    Man sorge dafür - als "schwierig" dazustehen


    Man suche sich einen "Gegner" den man auf subtile Art angreifen, bzw ihn lächerlich machen, als Stümper dastehen lassen kann.


    Ein auffallender Lebensstil (Buddhismus, Vegetarier, Kommunist, Paradelinker, tendenziell Reaktionärer oder Partylöwe, introvertierter Einzelgänger, Zyniker oder Spötter) der einen oft als Zielscheibe für Andersdenkende erscheinen lässt - all das ist von Nutzen - denn es wird sich immer eine Gruppe finden die sich mit einem solidarisch fühlt.


    Die Musik ist dann nur mehr Nebensache.. :baeh01:


    Natürlich ist das maßlos übertrieben - denn genau auf diese Weise versuchten Tonträgerkonzerne aus mittelmäßigen bis guten Künstlern "auffallende Persönlichkeiten, Weltstars" zu formen - und das hat nie wirklich funktioniert - denn die Künstlerpersönlichkeit muß authentisch sein UND über einen eigenen musikalischen Stil, bzw Aussage verfügen.....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Außerdem war er bis zum Kriegsende auch Wagner-Dirigent.
    Ob er es danach auch noch war, weiß ich nicht. Vermutlich nicht, denn es hätte womöglich seinem Image geschadet.

    Warum nicht: Diese Aufnahme entstand 1962!



    Daneben gibt es noch einen Tannhäuser und einen Rienzi.....

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Setzen wir mit dem eigentlichen Thema fort:

    Zitat

    Ich frage mich, welche Eigenschaften eines Dirigenten dazu führen, dass er polarisierend wirkt.

    Das ist durchaus unterschiedlich - sowohl von der Ursache her, als auch vom Zeitpunkt der Betrachtung, bzw welche Bevölkerungsgruppe ihn für polarisierend hält.



    Zitat

    Karl Böhm: (angebliche) politische Einstellung und "Betulichkeit"

    Karl Böhm ist hier ein gutes Beispiel, weil er nämlich auf dem Zenith seines Ruhmes völlig unangefochten war - und es in Wien - Jahrzehnte nach seinem Tod - eigentlich immer noch ist.
    Böhms (angebliche) politische Einstellung hat nach dem Krieg hier in Österreich (und auch bei der deutschen Grammophon Gesellschaft) nicht wirklich jemanden interessiert. Interessiert hat sein farbiges Bild der "Wiener Klassik" das bis nach Japan bekannt und bejubelt war."Betulich" war dieser Perfektionist mit der scharfen Zunge und dem nörgelnden Unterton, den er gnadenlos einsetzte, wenn ein Ergebnis seinen Ansprüchen nicht genügte, zu keiner Zeit.
    Das wurde ihm angedichtet um ihn zu diskreditieren, nachdem man ihm auf andere Weise nicht schaden konnte.
    Böhm war natürlich ein "konservativer" Dirigent mit einem Naheverhältnis zu den obersten Gesellschaftskreisen Wiens.
    "Demokratie" in Zusammenspiel mit dem Orchester war ihm fremd, aber er wusste auch, daß seine beiden "Leiborchester, die Wiener und die Berliner Philharmoniker durchaus Starallüren entwickeln konnten - und behandelte sie nicht wie ein Orchester, sondern wie "Herren" (bei den Wienern gab es damals keine Damen - und bei den Berlinern wahrscheinlich nicht allzu viele)
    Ich würde also davon ausgehen, daß es eher weltanschauliche Gründe sind, wenn jemand Karl Böhm ablehnt. Meist wird nur nachgeplappert was vorgesagt wird.
    Schaun wir uns in weiterer Folge andere Dirigenten, welche polarisieren an. Wir werden sehen, dass sowohl Karajan, als auch Thielemann manchen Leuten Unbehagen bereiten, weil sie sich einen elitären Anstrich geben, bzw die Gesellschaft ihnen einen elitären Anstrich gibt......
    Das führt in allen drei Fällen zur Polarisierung. Über weitere Gründe der Polarisierung schreibe ich demnächst in diesem Thread


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Hallo,


    ich hatte schon in einem anderen Thread festgestellt, daß immer dann, wenn einem Künstler von irgendeiner Gruppe ein hautgout angeheftet werden soll, mit der Technik des Innuendo gearbeitet wird, gegen die man sich kaum wehren kann.
    Die künstlerische Leistung eines Dirigenten kann durchaus polarisierend sein, worauf in den Beiträgen oben bereits hingewiesen wurde, aber diese Diskussionen führen in der Regel Musikkenner unter sich und fern von allen politischen Implikationen.
    Für die journalistische Verwertung eignet sich dies eher nicht, und hier öffnet sich für entsprechend interessierte Kreise das Paradiesgärtlein der Verdächtigung einer -wahlweise- rechten oder linken Gesinnung, welches gegenüber einem mißliebigen Künstler ungeachtet der historischen Tatsachen immer genügend "Material" bereithält.
    Ein klassisches Beispiel ist Wilhelm Furtwängler, dem immer eine Nähe zum Regime des Dritten Reiches nachgesagt wurde, die absolut nicht bestand, was seine Biographen auch bestätigen. Es wurden in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg gewissermaßen Stellvertretertribunale gegen Kulturschaffende abgehalten, hinter denen andererseits wirklich schwer belastete Personen wichtige Positionen in Staat, Rechtsprechung, Verwaltung und leider auch in der Medizin wieder einnehmen konnten, während an das Verhalten der in Deutschland und Österreich verbliebenen Künstler höchste moralische Maßstäbe angelegt und dementsprechend heftige "Verurteilungen" ausgesprochen wurden.
    Selbstverständlich haben auch Künstler, z.B. Dirigenten eine moralische Verantwortung wie jeder in der Öffentlichkeit tätige Mensch, aber was wiegt eine solche gegen das schuldhafte und verbecherische Verhalten von Richtern, die das Recht gebeugt haben, militärischen Kommandeuren, die gegen Kriegs- und Menschenrecht verstoßen haben, Ärzte, die verbrecherische Experimente durchgeführt haben u.v.a.? Dennoch wurden von diesen Gruppen nicht nur grotesk wenige Personen bestraft, sondern es konnten die meisten ihre alten oder ähnliche Positionen nach einer kleinen Übergangsfrist wieder einnehmen.


    Mir ist bewusst, daß diese Argumentation in diesem Forum etwas weit geht und teilweise off-topic ist, aber ich habe mich schon oft gefragt, ob denjenigen, die bedeutende Künstler wegen ihrer angenommenen oder tatsächlichen) politischen Haltung bewerten wollen, nicht oft die Maßstäbe etwas abhanden gekommen sind.


    Viele Grüße


    J.Schneider

    "Die Musik steht hinter den Noten" (Gustav Mahler)

  • Der nächste von mir nominierte Dirigent ist ein Grenzfall, denn eigentlich polarisiert er nicht wirklich:
    Einer relativ großen Schar von weitgehend kritiklosen Anhängern stand und steht ein kleines, aber lautes Häuflein von Gegnern gegenüber, die mit immer neuen Methoden versuchen, die Reputation des Maestro zu zerstören, zu unterminieren oder zumindest in Frage zu stellen. Das ist meines Erachtens nach auf allen Ebenen mißglückt, denn der Stern des Meisters leuchtet heute, gut 25 Jahre nach seinem Ableben (am 25. Juli ist sein 25. Todestag) weitgehend unvermindert. Natürlich gibt es da Extravaganzen, aber sind es nicht gerade die "Karajanismen", welche ihn so unverwechselbar machen ?- Das Thema bitte ich hier nicht allzu akribisch zu behandeln, denn es wird einen weiteren Karajan -Thread, anlässlich seines 25. Todestages geben. Und ausserdem - ich schrieb es bereits zu Beginn meines Beitrags - polarisiert Karajan eigentlich nur bedingt....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Der nächste polarisierende Dirigent ist Sergiu Celibidache. Wie soll man ihn einstufen ?
    Ein mittelmäßiger Dirigent, der - weil als Chefdirigent der Berliner Philharmoniker verschmäht - sein Leben Lang nur Orchester zweiter Klasse dirigiert hat und sich aus Trotz der Plattenindustrie verweigerte?
    Ein gekränktes Genie, das lediglich verkannt wurde, und deshalb über andere Dirigenten stets nur böses sagte ? (Oder ist eine positive Aussage über irgendeinen Kollegen überliefert ?)
    Ein weltfremder Musiker mit esotherischen Vorstellungen, die er allerdings mit den Münchner Philharmonikern realisieren konnte.?
    Ein Pulttyrann mit Hang zum Extremen ?
    Ein unsympathischer Egomane, der immer nur sich in den Vordergrund spielen will ??
    Oder aber - neben Harnoncourt - der einzige, der Musik wirklich verstand und zum Blühen bringen konnte ?


    Es gäbe noch zahlreiche Alternativen....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Auch Nikolaus Harnoncourt ist ein Dirigent, der immer wieder polarisiert.
    Wenn Lutgra meint - die Interpretation seiner Lieblingssinfunie von Mozart käme einer Hinrichtung gleich, und dem wird sofort von anderer Seite heftig widersprochen, so ist dies ein klares Indiz auf eine polarisierende Künstlerpersönlichkeit, vor allen, weil die Angriffe auf Harnoncourt ja Tradition haben und er andrerseits doch eine große Fangemeinde hat.
    Harnoncourt wäre vermutlich über diese Einstufung hocherfreut, denn alle diese "Extremisten" der klassischen Musik konnten zumindest EINES für sich verbuchen: Sie haben das Thema "Klassische Musik" - oder meinetwegen im speziellen Falle "Mozart" am Köcheln gehalten, das gilt für Harnocourt ebenso wie für Glenn Gould, Olli Mustonen, Friedrich Gulda und Nigel Kennedy, aber auch Celibidache. Über Roger Norrington folgt in kürze hier ebenfalls ein kurzer Beitrag.
    Harnoncourt ist (IMO) ein unruhiger Geist, der immer alles hinterfragt und oft zu unorthodoxen Antworten kommt, die nicht immer alle überzeugen. Aber das war schon immer der Preis von unruhigen Geistern, und ich glaube, Hartnoncourt betrachtet die Tatsache, daß er umstritten ist, als Auszeichnung. Daß MIR persönlich seine Interpretationen zumeist nicht gefallen - ich glaube das kann er lächelnd verschmerzen.


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Wenn Lutgra meint - die Interpretation seiner Lieblingssinfunie von Mozart käme einer Hinrichtung gleich, und dem wird sofort von anderer Seite heftig widersprochen, so ist dies ein klares Indiz auf eine polarisierende Künstlerpersönlichkeit, vor allen, weil die Angriffe auf Harnoncourt ja Tradition haben und er andrerseits doch eine große Fangemeinde hat.

    Wobei mir der Widerspruch etwas zu reflexhaft kam. Ich habe den Eindruck, dass bisher nur Bachiana und ich die inkriminierte Live-Aufnahme tatsächlich gehört haben und wir sind uns einig. Von den Gegenrednern wurden eher Allgemeinplätze über Harnoncourt angeführt bzw Tonschnipsel seiner neuen CD ins Feld geführt. Diese ist - wie schon gesagt wurde - nicht identisch mit der Live-Aufnahme.

  • ....wurden eher Allgemeinplätze über Harnoncourt angeführt bzw Tonschnipsel seiner neuen CD ins Feld geführt. Diese ist - wie schon gesagt wurde - nicht identisch mit der Live-Aufnahme.


    Ist es denn nicht der Themensteller, der bestimmt, worüber wir hier in einem jeweiligen Thread reden?
    Und Joseph II hat in dem entsprechenden Thread folgendes in seinem Eröffnungsposting geschrieben:


    "
    Das Corpus Delicti:



    Wie so oft, wird Nikolaus Harnoncourt auch diesmal die Klassikwelt spalten. Man mag davon halten, was man will, aber er schafft es auch noch mit fast 85 Jahren, dies zu Wege zu bringen. Konkret: Harnoncourt behauptet, die drei letzten Symphonien von Wolfgang Amadeus Mozart bildeten eine enge Trias, die eigentlich nicht zu trennen sei."


    Da Joseph II zunächst eben diese CD anführte, sehe ich es nicht als Fehler oder Unaufmerksamkeit an, wenn ich mich auf die gehörten Auschnitte dieser als "Corpus Delicti" genannten CD erst einmal bezog und das später genannte Livekonzert nicht streamte (wahrscheinlich geht das auch mittlerweile nicht mehr..?)


    Ich meine auch nicht, in meinen Beiträgen bloss reflexhaft Allgemeinplätze geliefert, sondern mich so konkret wie meiner jetzigen Situation möglich (habe ja die CD noch nicht) auf bestimmte, in den Auschnitten hörbare und mir natürlich sehr bekannte Stellen bezogen zu haben. Beispielhaft nenne ich die Ausführungen zur dualen Affektgegenüberstellung im ersten Satz der Jupiter-Symphonie und auch die Gegenüberstellung der Charaktere des A- und B Teils im Trio des Menuettos der grossen g-moll-Symphonie. Natürlich gibt es auch gerade bei Harnoncourt bestimmte grundsätzliche Dinge, die man in einem solchen Thread m.E. durchaus ansprechen muss, und wegen derer die einen ihn halt sehr mögen und die anderen eben nicht. Solche speziellen Eigenheiten gibt es übrigens bei Celi, Karajan oder auch Furtwängler natürlich auch, wie es Alfred schon treffend beschrieb.


    Solche hingeworfenen Anwürfe jedoch, in denen von "Hinrichtung" oder "seit 2005 meistens unerträglich" die Rede ist, kommen mir nun wieder - ehrlich gesagt - recht pauschal vor...


    Die Aussage, dass die grundsätzliche Auffassung zu den Tempi der Sätze mit den alten Aufnahmen (Concertgebouw Orkest) ungefähr übereinzustimmen scheinen, wurde ja schon von Johannes Roehl bestätigt und wird sich wohl erhärten, wenn erst einmal die Spielzeiten verglichen werden können.
    Nach erneutem Reinhören kann ich nicht anders, als auch dabei zu bleiben, denn es ist einfach so.


    Gruss
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Offensichtlich schätze ich aus musikalischen Gründen besonders Dirigenten, die im Allgemeinen als polarisierend gelten:


    Harnoncourt, Karajan, Celibidache, Furtwängler, Thielemann......aber eben auch Abbado und Rattle, denen man das eher nicht anhängt. Trotzdem kann man von denen keineswegs behaupten, sie wären profillose Langeweiler - ganz im Gegenteil !


    Ich finde eigentlich nicht, dass die o.g. Herren wirkliche Extremisten währen, sondern starke Persönlichkeiten mit einem ausgeprägtem, genialischen Musikantentum. Wirkliche Extreme mag ich auch eigentlich nicht, wobei Karajan seinen Sostenuto-Stil tatsächlich manchmal sehr extrem und durchzog. Wenn es aber dem Werk nicht schadete, kann ich es durchaus mit Wohlgefallen hören.


    Es gäbe da durchaus andere Dirigenten, die zwar ebenfalls polarisieren, aber m.E. tatsächlich auch extreme Dinge getan haben: Reinhard Goebel, Roger Norrington oder sogar auch Chailly (im metronomischen Hinblick auf das, was er mit den Beethovensymphonien machte, sonst eher nicht). Diese Resultate schätze ich dann genau so wenig, als wenn irgendwelche Alte-Musik-Gruppen bei den Brandenburgischen Konzerten hinsichtlich Tempo und dergl. noch eine Schippe drauflegen (wo es doch schon bei Goebel teilweise wie eine Karikatur klang), wahrscheinlich weil man damit recht beeindruckend kaschieren kann, wie wenig man vom eigentlichen Inhalt, von der künstlerischen Aussage der Werke verstanden hat.


    Gruss
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Bitte streitet Euch nicht. Die Gemeinde der Klassikhörer ist viel zu klein, als dass sie es sich leisten könte UNTEREINANDER zu streiten.
    Indes - einige allgemeine Bemerkungen von mir:
    Es liegt quasi in der Natur der Sache, daß "polarisierende" Dirigenten "Reflexe" auslösen. Niemand kann behaupten, dagegen immun zu sein. Wenn beispielsweise jemand Karl Böhm angreift, so wird bei mir ein Reflex ausgelöst, der auf "KONTRA" programmiert ist - unabhängig davon, ob der Angriff aus Unkenntnis, des Weltbildes wegen, oder (in Ausnahmefällen !!) wirklich berechtigt stattgefunden hat. Denn - egal ob Karl Böhm eine Sinfonie nun mal hervorragend oder vielleicht nur routiniert dirigiert hat - er verkörpert für mich das Idealbild eines Mozartdirigenten. Jeder Dirigent der radikal davon abweicht löst automatisch einen Abwehrreflex bei mir aus. Als Forenbetreiber, der möglichst mit vielen Mitgliedern in Frieden leben will (und muß) habe ich gelernt, diese Reflexe zu zähmen und meine Ausdrucksweise zu mäßigen, was oft, aber nicht immer gelingt, Beispielsweise bei Reizthemen wie Regietheater und EU......
    Fürs Forum - man mag sie lieben oder nicht - sind polarisierende Interpreten aller ideologischen und künstlerischen Richtingen stets ein dankbares Material.....


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Offensichtlich schätze ich aus musikalischen Gründen besonders Dirigenten, die im Allgemeinen als polarisierend gelten:


    Harnoncourt, Karajan, Celibidache, Furtwängler,

    Die schätze ich durchaus auch. Ich habe gerade die Gegenprobe gemacht und mir die Aufnahme von KV 543 von Harnoncourt und dem Concertgebouw Orchester angehört. Dort finde ich nichts von den vielen Ritartandi, den merkwürdigen Betonungen und den Luftpausen wie in der von mir gescholtenen Live-Aufnahme, von der Orchesterleistung mal ganz abgesehen. Sicher nicht meine Lieblingsaufnahme, aber für mich eine gültige Interpretation. Vielleicht hatte Harnoncourt bei der Styriarte einen schlechten Tag, das Orchester war noch nicht warm gespielt oder er hat experimentiert und es ist halt misslungen. Kann doch alles sein, und ist auch nicht schlimm. Trotzdem sollte man es klar sagen dürfen.