25.05.2014 (Theater Lübeck) Alexander von Zemlinsky "Der Zwerg" & "Eine florentinische Tragödie"

  • Der Zwerg (Ein tragisches Märchen nach Oscar Wilde)


    Infantin : Noa Danon (Steffi Lehmann)
    Ghita : Evmorfia Metaxaki
    Don Estoban : Taras Konoshchenko
    Der Zwerg : Erik Fenton


    Eine florentinische Tragödie (Oper in einem Aufzug nach Oscar Wilde)


    Bianca : Wioletta Hebrowska
    Guido Bardi : Wolgang Schwaninger
    Simone : Gerard Quinn


    Philharmonisches Orchester der Hansestadt Lübeck und Chor des Theater Lübeck unter der musikalischen Leitung von GMD Ryusuke Numajiri; Inszenierung Bernd Reiner Krieger, Bühnenbild und Kostüme Roy Spahn.


    (Premiere am 18.April 2014)


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    Einmal mehr setzt das Haus inmitten der Lübecker Altstadt auf (leider viel zu) selten gespieltes Repertoire und läßt nach Korngolds Die tote Stadt nun zwei Werke des Zeitgenossen und Konrngold-Lehrers Alexander von Zemlinsky folgen. Das passt schon deshalb, weil beide Einakter (zumindest lt. Wikipedia) schon ihre Wiederentdeckung in Norddeutschland erlebt haben: So begann die Zemlinsky-Renaissance 1977 mit Aufführungen in Kiel und setzte sich 1981 an der Hamburger Staatsoper mit Inszenierungen von Adolf Dresens fort. Letztere wurden meiner Erinnerung nach irgendwann sogar auf 3sat gezeigt; für mich Anlaß genug, in den späten 80ern eine Aufführung unter Gerd Albrecht mit dem großartigen Kenneth Riegel in der Rolle des Zwerges zu besuchen. Nun, ein gutes Vierteljahrhundert später also Lübeck:


    Wie auch in den vergangenen von mir besuchten Aufführungen (z.B. Don Carlo, Tristan und Isolde) vermochte das Ensemble durch mindestens gute, zum Teil sehr gute Gesangsleistungen zu überzeugen. Etwas besser dabei die Besetzung der florentinische Tragödie, wo es vor allem Gerald Quinn (zuletzt als beeindruckenden Posa erlebt) gelang, dem vom Pantoffelhelden zum Heroen seiner Ehe mutierenden Simone eine ausgewogene Glaubwürdigkeit zu verleihen. Neben ihm eine geradezu berückende Wioletta Hebrowska (spätestens seit ihrer Brangäne für mich eines der tragenden Ensemblemitglieder in Lübeck) als Bianca, sowie ein leichthin gesungener Frauenheld Bardi (Wolfgang Schwaninger). Alle drei vermochten dem als Konversationsstück beginnenden Ehedrama mit unerwartetem Ausgang so viel Spannung zu verleihen, dass es keinen Moment langweilig wurde. Zum Stück selber, dass sicherlich einigen bekannt sein dürfte (Eine florentinische Tragödie im TAMINO-Opernführer) habe ich mir im Nachhinein die Frage gestellt, ob nicht ein Vergleich mit dem ersten Aufzug der Walküre interessante Einsichten liefern könnte; vielleicht komme ich irgendwann einmal darauf zurück.


    Der erste Teil des Abends gehörte jedoch dem Zwerg, gefeiert wurde also Der Geburtstag der Infantin (auch hier sei auf den TAMINO-Opernführer verwiesen). Leider konnte Noa Danon aufgrund einer Bronchitis nur spielen. Den Gesangspart übernahm von der Bühnenseite die junge Sopranistin Steffi Lehmann, was allerdings ausgezeichnet funktionierte. Sehr warm und lyrisch die Ghita gesungen von Evmorfia Metaxaki, während Taras Konoshchenko als Haushofmeister nicht immer zu verstehen war. Zu Beginn etwas "dünn" und unsicher konnte sich Erik Fenton in der schwierigen Rolle des Zwerges zum Ende hin steigern und lieferte eine anrührende Darstellung ("Nein! Sag', daß es nicht war ist ...").


    Auch das Regiekonzept Bernd Reiner Kriegers konnte überzeugen: Als verbindendes Glied beider Werke mochte der Komponist Alexander von Zemlinsky gelten. Angelegt in der Zeit der Werkentstehung um 1920 herum sehen wir zu Beginn einen Komponisten (Zemlinsky(?)) (dargestellt durch Gerard Quinn/Simone) im Beisein seiner Muse (Alma Schindler(?)/Bianca/Infantin) am Flügel. Sie verlassen die Bühne und das Märchen vom Zwerg beginnt wie aus einem Traum heraus. Später wird der Zwerg durch die Infantin geschminkt und ist wiederum klar als Zemlinsky zu erkennen. Es läßt sich vielleicht sagen, dass der Zwerg, der ja nicht um seine Gestalt weiß, erst in diesem Moment zu einem Zwerg bzw. Außenseiter wird.
    In der florentinischen Tragödie erscheint dann wieder Zemlinsky in der Gestalt des Simone (oder umgekehrt), während Bianca im selben Kostüm, wie zu Beginn und auch, wie die Infantin auftritt. Alles scheint miteinander verwoben ...
    Das Bühnenbild (Roy Spahn), eine in dunkler Holztäfelung gehaltene Eingangshalle einer herrschaftlichen Villa mit Kamin und seitlichem Treppenaufgang bleibt dabei zum einen unaufdringlich, bietet jedoch andererseits genug "Spielraum" sowohl für die Phantasiehandlung des Märchens, als auch für die Tragödie.


    Jetzt neugierig gewordene haben noch am 14.06.2014 die Möglichkeit, die letzte Vorstellung der Saison 2014/15 zu besuchen.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Lieber Michael,


    nachdem Du diesen Thread eingestellt hattest, kam schon nach drei Minuten keine Antwort. Und vor einer Viertelstunde wieder nicht.
    Dabei hatte ich während der ganzen Zeit, das Bedürfnis, mich selbst zu melden.
    Zuerst des Mitleids wegen, dann aus Neugier und schließlich aus purem Neid.
    Es wurmt mich eben, wenn ein norddeutsches Dorf Dinge zuwege bringt, die in der schwedischen Metropole nicht denkbar sind.


    Das Mitleid können wir jetzt vergessen, der Neid ist erklärt und so bleibt die Neugier.
    Das Wort "Zwerg" hat mich von jeher fasziniert.
    Zum ersten, weil die gleichnamige Schubert-Ballade zu meinen Lieblingsstücken gehört,
    zum zweiten, weil ich mit Pär Lagerkvists Roman "Der Zwerg" oft missionieren gehe (muss man geslesen haben!!!)
    und zum dritten, weil ich einen Verwandlungskünstler kenne, der sich in Sekundenschnelle vom kleinsten Riesen in den größten Zwerg verwandeln kann.



    Ein großes Lob jedenfalls für Deinen Bericht. Habe Zemlinsky kaum jemals gehört und bin nun nach diversen Geschmackproben ganz begeistert. Spätromantik mit herrlichen Orchesterfarben. Ist ja auch - jetzt spricht der Laie - nicht soweit von Korngold.


    Oscar Wildes Vorlage, die Tragik des Hässlichen, ist ja eine bitterböse Satire mit vielen Seitenhieben auf den spanischen Hof und die Inquisition mit ihrer Versteinerung der Gefühlswelt und der Umkehrung ihrer Werteskala. "Der Zwerg tanzt wunderbar, wenn auch nicht so ganz natürlich wie die Marionetten".
    Die Eidechsen erweisen sich als Philosophen: Eigentlich ist er gar nicht so hässlich, vorausgesetzt man schließt die Augen und sieht ihn nicht an.
    Das ist ja schon ein Stück Quantenmechanik vorausgenommen.


    Die bittere Pointe der Prinzessin nachdem der Zwerg an gebrochenem Herzen gestorben ist:


    Und die Infantin runzelte die Stirn und warf in reizender Verachtung
    die hübschen rosenblättrigen Lippen auf. »In Zukunft lasst die,
    die zu mir spielen kommen, keine Herzen haben", rief sie und lief
    hinaus in den Garten.


    Wieviel, glaubst Du, fließt von der Wilde-Satire in die Oper?


    Der Schwerpunkt wird sicher die unglückliche Liebe des Zwerges und die Entdeckung der eigenen Hässlichkeit sein.

  • Welches soll denn das norddeutsche Dorf und welche die schwedische Metropole sein? Wenn Lübeck gemeint sein sollte, diese Stadt war sicher jahrhundertelang bedeutender, auch vom Musikleben her, als jede schwedische Metropole. Inwieweit Lücbeck schwedische Metropolen heute noch übertrifft, müsste jemand beantworten, der das Lübecker Musikleben besser kennt als ich.

    Oper lebt von den Stimmen, Stimmenbeurteilung bleibt subjektiv

  • Wenn Lübeck gemeint sein sollte, diese Stadt war sicher jahrhundertelang bedeutender, auch vom Musikleben her, als jede schwedische Metropole.


    Eben, das ist es ja. Da wird sich auch nichts geändert haben, wie ich aus MSchenks Bericht entnehmen kann.

  • Da ich den "Zwerg" für das weit stärkere Werk halte als die "Florentinische Tragödie", bin ich über die Reihenfolge der Aufführung verwundert. Homoki hat es 2002 an der Komischen Oper (alles andere als gut) in umgekehrter Reihenfolge inszeniert.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Ich habe schon mal Giannic Sciccci und die florentinische Tragödie an einem Abend gesehen. Ich frage mich immer nach welchen Kritterien diese Opern zusammengewürfelt und gespielt werden. Wobei ich immer die Befürchtung habe das dann so Opern wie der Zwerg oder die florentiinische Tragödie nur als Mussoper gedacht sind um den Abend voll zu bekommen.

  • Lieber hami1799,


    ersteinmal vielen Dank für Deine Einlassungen zu meinem kleinen Bericht!


    Es wurmt mich eben, wenn ein norddeutsches Dorf Dinge zuwege bringt, die in der schwedischen Metropole nicht denkbar sind.


    Seien wir also froh, dass Lübeck nicht Wismar ist, was die Sache mit den Schweden wohl unnötig komplizieren würde ... ;)


    Oscar Wildes Vorlage, die Tragik des Hässlichen, ist ja eine bitterböse Satire mit vielen Seitenhieben auf den spanischen Hof und die Inquisition mit ihrer Versteinerung der Gefühlswelt und der Umkehrung ihrer Werteskala. [...] Wieviel, glaubst Du, fließt von der Wilde-Satire in die Oper?


    Hier bin ich jetzt der Laie (mit der wohlfeilen, aber (noch) zu wenig gelesenen Haffmanns-Ausgabe im Regal) und kann nur vermuten, dass Wilde eigentlci nur das Vehikel genutzt hat um dem viktorianischen England den Spiegel (in welchem sich der Zwerg erkennt ... ?) vorzuhalten.


    Die bittere Pointe der Prinzessin nachdem der Zwerg an gebrochenem Herzen gestorben ist:


    Und die Infantin runzelte die Stirn und warf in reizender Verachtung
    die hübschen rosenblättrigen Lippen auf. »In Zukunft lasst die,
    die zu mir spielen kommen, keine Herzen haben", rief sie und lief
    hinaus in den Garten.


    Der Schwerpunkt wird sicher die unglückliche Liebe des Zwerges und die Entdeckung der eigenen Hässlichkeit sein.


    Zum Vergleich hier die letzten Sätze des Librettos von Georg C. Klaren:


    INFANTIN (angstvoll, leise) Ich will mit dir tanzen und spielen,
    (immer ängstlicher) aber lieben kann ich nur einen Menschen, und du – bist wie ein Tier!


    (Der Zwerg stürzt mit einem unartikulierten Aufschrei, wie vom Blitz getroffen, zusammen.)


    DER ZWERG Ah!!!


    (Die Infantin bleibt starr vor Schreck stehen, dann nähert sie sich ängstlich dem am Boden Liegenden.)


    INFANTIN Zwerg! Stirbst du?


    DER ZWERG (richtet sich ein wenig auf, ganz leise) Sag mir, dass es nicht wahr ist. Sage, dass ich schön bin.


    (Ghita kommt aus dem Tanzsaal.)


    GHITA Infantin, kommt doch zum Tanz! Du! Was ist geschehn?


    (Sie stürzt zu dem am Boden liegenden Zwerg.)


    Zwerg! Mein Zwerg!


    INFANTIN (leise, kindlich) Geschenkt und schon verdorben, das Spielzeug zum achtzehnten Geburtstag.
    (kindlich, naiv) Gut, ich tanze weiter. (Sie eilt in den Saal.)


    GHITA (kniet vor dem sterbenden Zwerg nieder)


    Es ist schade um das gute Spielzeug, wie schade! Gott hat ein armes Herz zerbrochen, es war schön.


    DER ZWERG (hebt noch einmal den Kopf) Gib mir die weiße Rose. (Ghita schiebt ihm die Rose zu.)


    ENDE


    Insofern auch hier nicht nur die ungückliche Liebe und die Selbsterkenntnis, sondern naive Verachtung und Egoismus. Meines Wissens hat sich Klaren sehr dicht an Wildes Vorlage gehalten, aber um dies wirklich beurteilen zu können, sollte ich wohl mal das Buch aus dem Regal holen.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Lieber Hami,


    Zitat

    Es wurmt mich eben, wenn ein norddeutsches Dorf Dinge zuwege bringt, die in der schwedischen Metropole nicht denkbar sind.

    Jetzt interessiert mich doch, was Du an den Opernspielplänen Schwedens auszusetzen hast. Wie Du bereits weißt, war ich selber für ein Jahr in Schweden und fand gerade die Opernwelt Schwedens unglaublich bereichernd!


    LG
    Christian

  • Da ich den "Zwerg" für das weit stärkere Werk halte als die "Florentinische Tragödie", bin ich über die Reihenfolge der Aufführung verwundert. Homoki hat es 2002 an der Komischen Oper (alles andere als gut) in umgekehrter Reihenfolge inszeniert.


    Ich bin mir nicht mehr sicher, wie es damals an der Hamburger Staatsoper gehandhabt wurde, glaube aber, es war ebenfalls erst Der Zwerg. Was die Qualität beider Werke angeht, habe ich jetzt beim Wiederhören durchaus die Spannung der florentinischen Tragödie für mich entdeckt. Diese langsame Zuspitzung auf die Katastrophe, die ja entgegen der Erwartung mit dem Tod Bardis kulminiert. Wobei es hier natürlich stark sowohl auf die sängerischen, aber auch schauspielerischen Qualitäten der Darsteller, als auch auf die Inszenierung ankommt. Gerade so ein Stück kann man wohl ausgezeichnet versäbeln ... Auch musikalisch neige ich fast dazu, der florentinischen Tragödie den Vorzug zu geben: Allein die fulminante Einleitung, und auch meine cih immer wieder Wagner herauszuhören - womit wir wieder bei einem möglichen Vergleich zum ersten Walküren-Aufzug wären.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Ich persönlich finde den "Zwerg" musikalisch ungleich reicher, differenzierter, berührender.


    Dass "Der Zwerg" auch die berühmtere und häufiger gespielte Oper ist, dürfte zudem feststehen.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

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  • Hier bin ich jetzt der Laie (mit der wohlfeilen, aber (noch) zu wenig gelesenen Haffmanns-Ausgabe im Regal) und kann nur vermuten, dass Wilde eigentlci nur das Vehikel genutzt hat um dem viktorianischen England den Spiegel (in welchem sich der Zwerg erkennt ... ?) vorzuhalten.


    Das denke ich auch.
    Die ganze Geschichte lässt ja viele Möglichkeiten offen und berührt unter anderem das Problem der Entfremdung.
    Verbunden mit der Natur und unwissend über sein abstoßendes Äußeres lebt der Zwerg glücklich im Wald. Am Hofe entdeckt er seine Hässlichkeit und stürzt in die Katastrophe. Das könnte auf die fortschreitende Industrialisierung gemünzt sein.


    In der Oper ist, wie aus dem Text hervorgeht, die Kaltschnäuzigkeit der Prinzessin etwas gemildert, wie sie ja ohnehin aus der Naivität entsteht.

  • Ich habe Florentinische Tragödie/Der Zwerg in Berlin gesehen. Hätte zwar nicht mehr gewusst, dass das in der Komischen Oper war, aber es war meiner Erinnerung nach eher so 2004 oder 2006 herum und es wird wohl kaum eine zweite Inszenierung so wenig später an der Staatsoper gegeben haben, oder?


    Mir haben die beide gut gefallen (ich hätte aber gedacht, dass wegen der Kürze und konzisen Dreiecksgeschichte die Florent. Tragödie häufiger gespielt würde). Mit dem "Zwerg" nach der Pause gab es bei mir ein wenig Konzentrationsprobleme, insofern leuchtet es mir ein, das komplexere und längere Werk vor der Pause zu spielen.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Ich habe Florentinische Tragödie/Der Zwerg in Berlin gesehen. Hätte zwar nicht mehr gewusst, dass das in der Komischen Oper war, aber es war meiner Erinnerung nach eher so 2004 oder 2006 herum und es wird wohl kaum eine zweite Inszenierung so wenig später an der Staatsoper gegeben haben, oder?

    Nein, es gab nur diese Homoki-Inszenierung an der Komischen Oper Berlin, die im November 2002 zur Premiere kam und dann einige Spielzeiten hindurch lief. Ob bis 2006, wage ich aber zu bezweifeln, 2004 könnten hingegen stimmen.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"