Sind Tenöre die Glückskinder der Oper?

  • "Die Angebetete und den meisten Applaus bekommt immer der doofe Tenor!" Inwieweit trifft dieses Bonmot des Baritons Bernd Weikl wirklich zu? Gibt es Partien, die den Erfolg durch den Charakter der Figur und die Musik, die in dieser Rolle zu singen ist, von vorne herein garantieren? Mir fallen hier spontan ein: Herzog in "Rigoletto"," Lohengrin", Calaf in "Turandot", Rudolfo in "La Bohème", Cavaradossi in "Tosca", Radamès in "Aida"," Troubadour" usw. Bei den Finsterlingen, die es offenbar wesentlich schwieriger haben, beim Hörer Sympathie zu erringen als die strahlenden Helden wären unter anderem zu nennen: Hagen in "Götterdämmerung", Hunding in "Walküre", Barnaba in "La Gioconda", Scarpia in "Tosca", Sparafucile in "Rigoletto, Wurm in "Luisa Miller" und all die Mephistos, die in den Opern ihr diabolisches Spiel treiben usw. Werden die Fragestellungen generalisiert, dann könnten sie lauten: Sind die Tenöre gegenüber den anderen Stimmfächern privilegiert? Wird die Popularität der Vertreter dieses Stimmfaches durch Rolle und Musik präjudiziert? In welchem Maße wird das Urteil über den Sänger durch die Partie beeinflußt? Bei den Damen könnte man sicherlich ähnliche Fragen stellen und Schlußfolgerungen ziehen.
    Also was ist dran an der verallgemeinernden Behauptung: Tenöre sind die Glückskinder der Oper?


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Lieber operus,
    Tenöre haben schon eine bevorzugte Stellung, werden aber am häufigsten auch kritisiert als andere Stimmfächer, deshalb möchte ich kein Tenor sein. Und ein weiterer Nachteil des Tenors ist, das die Partie des Liebhabers oder Draufgängängers wie den Rigoletto Herzog nur bis zu einem bestimmten Alter glaubwürdig ist. Da haben es Bässe und Baritone wesentlich einfacher.

  • Hallo,


    bezüglich dieses Themas möchte ich mich der Meinung von rodolfo39 anschließen. Außerdem scheint mir meines Erachtens keine Stimmlage derart von Stimmruin durch frühzeitige Überforderung bedroht zu sein, wie das des Tenors !


    Gruß,


    Antalwin

  • Tenöre sind die Glückskinder der Oper?


    Für mich nicht, lieber operus. Meine stille Liebe hat immer den Baritonen gehört. Insofern kann sich Weikl, den ich sehr schätzte, meiner sicher sein. Tenöre polarisieren mir oft zu sehr. Im schlimmsten Fall verwandeln sie das Kunstwerk Oper in eine Show. Das muss wohl auch sein, ich habe nichts dagegen. Jeder zieht seinen eigenen Honig aus Opern. Oper ist auch immer Unterhaltung gewesen und soll es sein. Das wird heutzutage gern vergessen. Tenöre müssen aber auch schlimme Prügel wegstecken. Mit ihnen geht das Publikum gern besonders gnadenlos und auch ungerecht um. Da haben wir doch jede Menge Beispiele parat. Was ihnen so passierte, ist Baritonen oder Bässen nicht so schnell passiert. Die sind auf der sichereren Seite. Ich habe es immer abgelehnt, wenn Tenöre den Macho herauskehren. Vor einige Zeit gab es hier in Berlin einen sehr guten konzertanten "Trovatore", der in dem Moment zur Peinlichkeit geriert, als der Tenor im Finale des 3. Aktes den Ton derart lange hielt, dass es schon ordinär und billig war.


    Von den Wagner-Tenören rede ich hier nicht. Die sind eine ganz andere Liga, und ich kann mir nicht vorstellen, dass Weikl sie mit gemeint hat.


    Gruß Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Tenöre zwischen ca 1780 und 1920 oder so.
    Noch bei Mozart gibt es eher mehr attraktive Bariton/Bass-Rollen: Ottavio ist eine Memme (Belmonte auch), Pedrillo ein Hanswurst, bleiben im wesentlichen Idomeneo und Tamino (Guglielmo und Ferrando heben sich auf). Gegen Don Giovanni, Figaro, Sarastro, Papageno, Leporello, Komtur, Graf Almaviva, Osmin...


    Sind selbst bei Wagner nicht Holländer, Wolfram, Telramund, Wotan, Sachs mindestens so interessante Charaktere wie die Tenorpartien...?


    Die Tenor-Charaktere sind oft etwas, vorsichtig gesagt, eindimensional verglichen mit den tieferen Stimmen... ;)

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Und ein weiterer Nachteil des Tenors ist, das die Partie des Liebhabers oder Draufgängängers wie den Rigoletto Herzog nur bis zu einem bestimmten Alter glaubwürdig ist



    Da muss er eben den Zauberer Finn in Glinkas "Ruslan und Ludmila" singen. Der Mann ist uralt.

  • Es wurden gute Argumente dafür, genauso gute dagegen aufgezählt. Irgendwie dominieren Tenöre schon den Opernbetrieb bei den männlichen Stimmen. Ich war aber ebenfalls schon immer auch ein Fan der tieferen Stimmlagen. Sachs, Wotan, Hagen, Fafner, Hunding usw. sind doch auch absolut faszinierend und keineswegs so unwichtig, wie schon richtig festgestellt wurde.


    Gerade im Falle des Herzogs von Mantua sähe ich übrigens gar kein Problem, wenn der Tenor schon älter ist, wieso auch? Das ist ein Herrscher, der ist auch mit 80 noch begehrt bei den Frauen. ;)

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Ich war aber ebenfalls schon immer auch ein Fan der tieferen Stimmlagen. Sachs, Wotan, Hagen, Fafner, Hunding usw. sind doch auch absolut faszinierend und keineswegs so unwichtig, wie schon richtig festgestellt wurde.


    Auch im Don Giovanni spielt ein Bariton eine gewisse Rolle.

  • Jenufa braucht zwei tolle Tenöre, Osud wird ganz beherrscht vom Tenor, aber in der Katja, der Sache Makropulos und im Schlauen Füchslein spielen sie keine Rolle, da dominieren die Frauen. Im Totenhaus gibt es fast nur Männer, auch hier haben Bass und Bariton das Sagen.


    Übrigens ist es auch in Chören so, dass man einem guten Tenor die roten Teppiche ausrollt, und das in Chören, wo man gleich gute Soprane die Fülle hat (die haben aber auch meist die melodie, da braucht man mehr).

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Warum sollte dem Tenor von vorhinein schon Erfolg garantiert sein? Was nützen die manchmal schönsten Melodien und größten Hits einer Oper wenn der Tenor stimmlich nicht überzeugen kann?
    Es ist ja nicht so, dass das Publikum beim Schlußvorhang den Tenor in jedem Fall bejubelt. Ich habe schon öfter Vorstellungen gesehen in welchen dem Tenor am Ende weit weniger Applaus zuteil wurde als dem Bariton oder Bass. Da nützten all die Tenorhits nichts.


    Wobei ich für mich wirklich nicht sagen kann, dass Tenöre generell die schönere Musik zu singen haben. Natürlich hat Verdi zum Beispiel wunderbare Tenorarien komponiert, aber gehörte seine Liebe nicht ganz besonders den Baritonen? Man denke da an Arien wie Di provenza il mar, Il balen del suo sorriso, Cortigiani vil razza dannata, Per me giunto è il di supremo, Pietà rispetto amore, Eri tu che macchiavi quell'anima und so weiter. Da habe ich schon so manchen Tenor sagen hören wie gerne er denn ein Bariton wäre. ;)


    Gregor

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  • Meine stille Liebe hat immer den Baritonen gehört. Insofern kann sich Weikl, den ich sehr schätzte, meiner sicher sein. Tenöre polarisieren mir oft zu sehr.

    Diese Aussage erstaunt mich jetzt ehrlich gesagt, lieber Rheingold1876, denn schließlich hast du hier vor anderthalb Jahren den wunderbaren (und in dieser Rolle stets stürmisch gefeierten) Siegfried Lorenz als Wolfram als "Beiwerk" oder so bezeichnet...


    Aber deine nicht nur stille Liebe hat doch immer ganz besonders den Sopranen gehört... ;)

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"