"Die Frau ohne Schatten" Premiere in Leipzig am 14.06.2014

  • Man wird die Inszenierung, die gestern im Leipzigeropernhaus zu sehen war, sicher im "Tamino Jargon" ;) als Regietheater light bezeichnen müssen.


    Mir, der ich ein erklärter Gegner des Regietheaters bin, hat die Inszenierung, das will ich vorweg sagen, gleichwohl sehr gut gefallen.
    Ich habe mich ausgezeichnet unterhalten.
    Dies mag daran liegen, dass bis auf einige Ausnahmen (z.B. die einrollenden Kinderwagen am Ende des Stücks) die Regie ohne alberne Mätzchen oder die gängigen Versatzstücke des Regietheaters (weder Nazis noch eine Aktentasche kamen vor) auskam. Außerdem ist das Stück als Kunstmärchen ohnehin zeitlos und nicht auf einen bestimmten historischen Hintergrund fixiert.
    Das Publikum war denn allgemein auch begeistert (bis auf einige Trottel, die sich nicht entblödeten, noch kaum dass der letzte Ton verklungen war, ein lautes Buh in den noch schweigenden Saal zu blöken).
    Insgesamt: großes Theater. Die neben mir sitzende ältere Dame brachte es auf den Punkt, als sie am Ende der zweiten Pause vor dem dritten Akt zu mir sagte: schade das es gleich schon wieder vorbei ist.


    Entgegen dem, was man sonst inzwischen in Leipzig gewohnt ist, wurde hier opulentes Ausstattungstheater gezeigt. Sowohl die Bühnentechnik, als auch die Bühnenbildner konnten endlich einmal zeigen, was das Haus in dieser Hinsicht zu leisten im Stande ist. Die problematischen Verwandlungsszenen des Stückes wurden souverän und mit beeindruckenden Bildern, Kulissen gemeistert.

    Besonders hervorzuheben, Opulenz allein macht ja noch keine gute Regie, auch wenn sie dem Publikum gefällt, ist jedoch die ausgezeichnete Personenführung des Regisseurs. Da wurden in der Interaktion der Protagonisten die Konflikte und die sie bewegenden Motive analog zum Text und zur Musik völlig plausibel.


    GMD Schirmer hatte an dem Abend auch sein Orchesterim Griff. Gewackelt hat da , insbesondere auch in oft anfälligen den Blechbläsern, diesmal nichts. Das Gewandhausorchester war in Bestform. Sowohl die zarten lyrischen Stellen als auch die wogenden Orchestermassen kamen in faszinierender Präzision aus dem Orchestergraben. Zu Recht erhielten der Dirigent und sein Orchester am Ende der Vorstellung tosenden Applaus.


    Auch bei der Besetzung hat Leipzig diesmal keine Kompromisse gemacht. Die fünf Hauptpartien, selbst in weit größeren Häusern problematisch zu besetzen, waren ausnahmslos hervorragend vertreten.


    Doris Soffel als Amme, etwas über ihren Zenit hinaus, aber kraftvoll und dramatisch, eine großartige Sängerdarstellerin. (Nebenbei: In Körpersprache Kostüm und Requisite - Koffer - erinnerte ihre Figur sehr stark an den Leipziger Rheingold Loge)
    Jennifer Wilson als Färberin sang kraftvoll und ohne hörbare Angestrengtheit die schwere Partie, hatte einige scharfe Höhen, die aber durchaus der Situation und Rolle angemessen waren.
    Thomas J. Mayer: Ein Barak der Extraklassige mit samtigem strömenden Bariton.
    Burkhard Fritz als Kaiser mit lyrischem Tenor.
    Star des Abends (neben Mayer) war für mich Simone Schneider als Kaiserin. Ein seltenes Beispiel, dass auch ein kräftiger, dramatischer Sopran, der sich gegen Strauss Klangmassen behaupten muss, zu weichem und lyrischen Gesang fähig sein kann.
    Auch die Nebenrollen sehr gut besetzt; insbes. Pursio hat mich hier weit mehr überzeugt denn als Wotan.
    Alle Sänger sangen ausnahmslos mit hervorragender Wortverständlichkeit.


    Fazit: Ein sehr unterhaltsamer Opernabend auf hohem künstlerischen Niveau. So kann Leipzig durchaus wieder in der Oberliga der Opernhäuser mitspielen.

    res severa verum gaudium


    Herzliche Grüße aus Sachsen
    Misha

  • Mein Eindruck von der der Premiere der "Frau ohne Schatten" in Leipzig ist ein etwas anderer. Ich fand die Inszenierung (Balázs Kovalik) insofern missglückt, als sie nicht dem Geheimnis und der Symbolik dieses Werkes vertraute, sondern jedes Detail in schöner RT-Manier mit sehr erhobenem Zeigefinger zu erklären versuchte als sei das Publikum selbst mit Unbildung geschlagen. Die Regie misstraute dem Stück, brach es herunter in die Niederungen des proletarischen Alltags. Die Schaffenden sind die Doofen, die manipulierten, die sich schnell mit billigem Talmi abspeisen lassen. Insofern musste der Färber Barak, die einzige Figur, die auch einen Namen hat (warum bloß?) statt zu färben mit uralten ausgedienten Fernsehern handeln, die sich in einer verrotteten Garage stapelten, über der sich die grauen Investruinen einer verlassenen Wolkenkratzerstadt erhoben. An den Fassaden zweifelhafte Leuchtschriften wie in den Bahnhofsvierteln großer Städte. Da war er also wieder, der Fernseher als Ziel aller bildungsfernen Begehrlichkeiten, als Grund allen Übels, als Symbol gesellschaftlicher Verblödung. Merkte das niemand im Publikum, das doch selbst zur Zielscheibe dieser billigen vulgärökonomischen Polemik wird? Nicht genug. Das Schlafzimmer der Färbersleute selbst fand sich in einem überdimensionalen Fernseher, drinnen selbst auch noch ein Fernseher, an der Wand das Hochzeitsfoto aus guten Tagen, die es, wie man weiß, bei diesem Paar nie gegeben hat. Denn genau das ist ja ein wichtiger Teil der ganzen Geschichte. In der Wächterszene, die zu den wunderbarsten Schöpfungen abendländischen Opernschaffens gehört, ließ Barak in eben diesem TV-Schlafkabinett die Hosen herunter, stand in einer sehr ausgeleierten und ungewaschenen Unterhose da, griff sich auch schnell nochmal in den Schritt, während sich seine Frau, im Stück als sehr rundliche Cindy von Marzahn denunziert, ein paar Meter weiter unter einem Berg von Federbett wälzte. Ihre Sehnsüchte, die sich in der Jünglingsszene so erschütternd offenbaren, fuhren als feister südostasiatischer Theater-Diktator in weißer Fantasieuniform in einem sprichwörtlichen Schlitten vor. Diesen Typ hatte sie sich aus billigen Journalen gewählt, die ihr die Amme unterjubelte. Weil sie selbst billig ist? Igitt. Ich möchte mir weitere Schilderungen ersparen. Es lohnte das Eintippen des Textes nicht.


    Die musikalische Leistung sehe und hörte ich auch weitgehend anders ans Misha. Im Orchester tat sich so gut wie gar nichts. Ulf Schirmer ließ brav und laut vor sich hin spielen ohne den Sinn dieser höchst individuellen Musik auch nur im Ansatz zu erfassen. Haben die in Leipzig denn nie mal in eine der Aufnahmen von Böhm hinein gehört? Einzig den Färber von Thomas Mayer fand ich stellenweise anrührend. Seine Frau, die US-Amerikanerin Jennifer Wilson war mit keinem Wort zu verstehen und schrie sich mit eisernem Willen und gleich bleibendem Gesichtsausdruck durch die Partie. Simone Schneider, die etwas vergessen ließ, dass sie ja die Frau ohne Schatten ist, blieb unter den Erwartungen, die sie mit sehr guten Leistungen an anderen Häusern geweckt hatte. Ihr Rollendebüt wirkte auf mich grau und unsicher. Der Kaiser Burkhard Fritz säuselte sich etwas vorsichtig durch seine Rolle, die auch heldische Momente hat. Was die Amme von Doris Soffel angeht, stimme ich mit Misha völlig überein.


    Ich möchte diese Oper, die ich heiß und innig liebe, nie wieder sehen! Leipzig hat daran seinen Anteil.


    Gruß Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Zitat Rheingold1876

    Zitat

    Ich möchte diese Oper, die ich heiß und innig liebe, nie wieder sehen! Leipzig hat daran seinen Anteil.


    Lieber Rheingold,
    das ist wirklich schade. Ich selbst habe die Inszenierung noch nicht gesehen, weil ich beruflich momentan so eingespannt bin, daß ich meine Abende dabei verbringen muß, aber ich hole das im Verlauf des Juni noch nach. Die Einspielung von Böhm ist die Einspielung, mit der ich das Werk kennengelernt habe. Daß Schirmer pauschal dirigiert glaube ich allerdings auch ungehört, weil ich ihn vielfach in einem eher undifferenzierten Stil erlebt habe ... schade.
    Wie hat Dir den Fritz gefallen? Ich habe ihn einmal als Eric in einer konzertanten Aufführung des Holländer erlebt und war von seinem Schmelz ganz angetan.
    Aber eine Frage habe ich: mir scheint, Deine Einschätzung der Sängerleistung ist nicht ganz unbeeinflusst von der Ablehnung der Inszenierung (zumal Misha ja mit beidem sehr zufrieden war)? Ich glaube, davon kann sich niemand frei machen, aber ich weiß nicht, ob das Bild nicht doch verzerrt. Ich werde mich zu der Inszenierung noch äußern, wenn ich sie gesehen habe, die Leistungen der Sänger lassen sich dann natürlich nicht vergleichen.
    Herzliche Grüße
    JLang

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

  • Lieber Rheingold,


    es tut mir leid, dass Dich die Aufführung so enttäuscht hat. Unsere unterschiedliche Sichtweise mag auch daran liegen, daas ich die Oper erst zum 2. Mal auf der Bühne gesehen habe (allerdings schon einige Male gehört). Als "aufführungserfahrener" Strauss Freund hat man natürlich eine spezifischere Erwartung an da Gebotene als ein "Strauss Gelegenheitshörer" wie ich. Mir geht das zB bei Wagner ähnlich. Stimmen sind natürlich auch immer Geschmackssache. Nicht recht verstehen kann ich allerdings Deine Meinung zur Verständlichkeit. Ich konnte der Oper fast gänzlich ohne die Übertitel folgen obwohl ich den Text - anders als bei anderen Werken, das täuscht einen dann manchmal - nicht nahezu auswendig kenne.

    res severa verum gaudium


    Herzliche Grüße aus Sachsen
    Misha

  • Lieber Stimmenliebhaber,
    Das war mir aber eine etwas dünne Einschätzung, die etwa gar nichts zu seinen darstellerischen Qualitäten sagt, abgesehen davon daß eine solche Aussage auch die sängerische Qualität nach meinem Verständnis nicht wirklich erschöpfend zu beschreiben vermag. Daher meine Nachfrage.
    Beste Grüße
    JLang

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

  • Ich möchte diese Oper, die ich heiß und innig liebe, nie wieder sehen! Leipzig hat daran seinen Anteil.


    Wer wird denn gleich das Kind mit dem Bade auschütten?


    Würdest Du denn, wenn Dir ein boshafter Kellner im Wirtshaus Ottakringer serviert, auch nie wieder Bier trinken?

  • Wer wird denn gleich das Kind mit dem Bade auschütten?


    Würdest Du denn, wenn Dir ein boshafter Kellner im Wirtshaus Ottakringer serviert, auch nie wieder Bier trinken?


    Ach, lieber hami, ich habe mir in den letzten Jahren dieses Oper mit einigem Stehvermögen angetan in allen möglichen Städten und auch im Fernsehen, es wurde immer schlimmer. Mein Eindruck ist, dass es Opern gibt, die vielleicht nicht mehr aufführbar sind, weil unsere Zeit keinen richtigen Zugang mehr findet zu Symbolen und Parabeln. Ich versuche, das zu versehen und zu akzeptieren. So viele freche Kellner wie misslungene Aufführungen der "Frau ohne Schatten" sind mir übrigens nicht untergekommen. Außerdem kann ich auf Bier auch gut verzichten. Das trinke ich nur gern noch in Bayern, speziell in Franken. :thumbsup:


    LG Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Ach, lieber hami, ich habe mir in den letzten Jahren dieses Oper mit einigem Stehvermögen angetan in allen möglichen Städten und auch im Fernsehen, es wurde immer schlimmer. Mein Eindruck ist, dass es Opern gibt, die vielleicht nicht mehr aufführbar sind, weil unsere Zeit keinen richtigen Zugang mehr findet zu Symbolen und Parabeln. Ich versuche, das zu versehen und zu akzeptieren. So viele freche Kellner wie misslungene Aufführungen der "Frau ohne Schatten" sind mir übrigens nicht untergekommen. Außerdem kann ich auf Bier auch gut verzichten. Das trinke ich nur gern noch in Bayern, speziell in Franken. :thumbsup:


    LG Rheingold

    In Zeiten der Globalisierung können die "Sau-Preißen" sich bayerisches Bier auch nach Hause liefern lassen. In Berlin gibt's das ohnehin in diversen Läden und Lokalen. :D

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

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  • Kritiken:


    http://www.omm.de/veranstaltun…e-frau-ohne-schatten.html (Verriss der Inszenierung u. des Orchesters, positive Sängerkritik)


    http://www.mz-web.de/kultur/op…hn,20642198,27510168.html (ambivalente Kritik)


    http://www.lvz-online.de/kultu…-der/r-news-a-242913.html (positive Kritik)


    Bei mir hat der Besuch der Premiere immerhin erreicht, dass ich mich intensiver mit dem bisher eher ungeliebten Opernschaffen Strauss befassen werde ;) .

    res severa verum gaudium


    Herzliche Grüße aus Sachsen
    Misha

  • Hallo,


    ich habe diese Oper am 21.06. in Leipzig gehört und erlebt - ich bin restlos begeistert: GMD Schirmer, Gewandhausorchester, Solisten, Inszenierung - das ist aus einem Guss. (Die Decca-Aufnahme, 4 LPs, unter Karl Böhm habe ich oftmals gehört.)


    Zu 3 Details:
    Die "Amme" schien mir zuweilen an ihre stimmlichen Grenzen gekommen zu sein, aber: Die Amme hat häufig viel Text auf sehr kurze und zudem noch sehr rasch aufeinander folgende Notenwerte zu singen, sodass dazu auch eine gewisse "Zungenfertigkeit" von Nöten ist, was m. E. nicht nur mit der stimmlichen Beweglichkeit allein gemeistert werden kann und Beides zusammen doch äußerst hohe Anforderungen an die Sängerin stellt.
    Die pyrotechnischen Effekte am Schluss des 2. Aktes waren mir leicht übertrieben.
    Die wie von selbst herein rollenden Kinderwagen am Ende des 3. Aktes kann man als billigen Gag und zum Chor-Schlussgesang nicht passend sehen - ich sah dies als Hinweis auf die Kindermüdigkeit der heutigen Gesellschaft, die materielle Anreize benötigt...


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler