"Die Soldaten" an der Komischen Oper Berlin (20. Juni 2014)

  • Nachdem ich vor einigen Wochen die Neuproduktion der „Soldaten“ in München gesehen habe, die mir sehr gut gefallen hat, war ich schon sehr gespannt auf die Aufführung in Berlin, eine Ko-Produktion der Komischen Oper mit dem Opernhaus Zürich. Für die Regie zeichnet Calixto Bieito verantwortlich, für mich einer der interessantesten derzeit aktiven Opern-Regisseure. Meine entsprechend hohen Erwartungen wurden nicht enttäuscht: es ist eine höchst sehenswerte Produktion. Das Bühnenbild wird durch ein Stahlgerüst dominiert, auf dem das Orchester platziert wurde, während der Orchestergraben abgedeckt ist und als erweiterte Bühne benutzt wird. Musiker und Dirigent tragen dabei Kampfanzüge und Springerstiefel. Unter dem Gerüst hat man sich wohl ein Lager vorzustellen, aus dem das Übel seinen Ausgang nimmt. Die Figuren treten langsam aus dem Hintergrund hervor und ziehen sich nach Ende ihrer Auftritte wieder dorthin zurück. Drei große Bildschirme übertragen Bilder, die von einer Handkamera aufgenommen werden. Ich stehe diesem heutzutage im Theater nicht gerade selten anzutreffenden Stilmittel eher skeptisch gegenüber, aber Bieito ist es gelungen, die Kamera-Projektionen sinnvoll anzuwenden: Zum einen um Figuren zu verfolgen, die nicht mehr im Bühnenvordergrund stehen oder die Wirkung einzelner Szenen in Großaufnahmen zu intensivieren. Assoziationen zu den Aufnahmen geschlagener und gedemütigter Gefangener in Abu-Ghuraib sind naheliegend und sicherlich auch beabsichtigt. Die Kamera wird aber auch geschickt in die Handlung integriert, wenn etwa Desportes die Marie mit Komplimenten umwirbt und dabei schmeichlerisch mit der Kamera ihren Körper umfährt.


    Während Andreas Kriegenburg in München die Degeneration von Individuen zu einer Rotte in den Mittelpunkt stellt, betont durch das aus Käfigen bestehende Bühnenbild, in dem die Soldaten bei ersten Anblick von Marie wie wilde Tiere an die Gitter springen und sich am liebsten auf sie stürzen würden, scheint mir für Bieitos Inszenierung der Satz des Feldpredigers Eisenhardt als Leitlinie gedient zu haben: „Eine Hure wird niemals eine Hure, wenn sie nicht dazu gemacht wird.“ Und so zeigt Bieito, wie Marie zur Hure gemacht wird und ausnahmslos alle daran beteiligt sind, denn unschuldige Akteure gibt es bei ihm nicht. Auch nicht Stolzius oder der Graf de la Roche, denen man noch am ehesten ein ernsthaftes Interesse an Marie unterstellen könnte. Stolzius wirkt debil, der junge Graf ist ein Muttersöhnchen, dem der Hintern versohlt wird, nachdem er seiner Mutter die Schwärmerei für Marie gestanden hat. Und auch die Gräfin ist hier keine gütige ältere Frau, die sich der jungen Marie wohlwollend annimmt und sie aus der Gosse holen will, sondern ganz im Gegenteil stößt sie sie hinein, sehr schön in Szene gesetzt dadurch, dass sie ihr Schmuck und (Ober-)Bekleidung vor der Vergewaltigungsszene abnimmt und damit das Nachfolgende vorbereitet. Bei der Vergewaltigung durch Desportes‘ Jäger wird Marie dann von ihr und mehreren der Hauptfiguren festgehalten – ein weiteres sehr starkes Bild, welches die Verantwortung aller für den Missbrauch Maries betont. Einzig der Schluss fiel dann für meinen Geschmack etwas zu theatralisch aus, wenn die „Andalusierin“ Marie mit einem Eimer Theaterblut übergießt, diese ihre Arme in die Höhe reckt und die Scheinwerfer ins Publikum leuchten – ein an dieser Stelle erwartbares und inzwischen etwas abgenutztes Mittel. Trotzdem verfehlt es seine Wirkung zusammen mit der Musik Zimmermanns und den zugespielten Tonaufnahmen nicht.


    Während in München die von Barbara Hannigan gesungene Marie herausragte, besticht an der Komischen Oper, wo selten die allererste Garnitur an Sängern zur Verfügung steht, wie meist die geschlossene Leistung des gesamten Ensembles, das sich zudem voll auf Bietos Regiekonzept eingelassen hat. Gabriel Feltz dirigiert das Werk noch schroffer als Petrenko in München.


    Da mit Bieito häufig Schockeffekte, nackte Darsteller und sexuelle Handlungen auf der Bühne verbunden werden (oft von denjenigen, die nie eine Inszenierung von ihm gesehen haben), ist vielleicht noch der Hinweis angebracht, dass diese Produktion ohne solche Effekte auskommt, wenn man den Einsatz von Theaterblut, das aber immer als solches dargestellt ist, nicht als schockierend empfindet. Weder Marie, noch ein anderer Darsteller sind nackt auf der Bühne, und auch die Darstellungen der Gefangenen-Folterung oder der Vergewaltigung zielen nicht auf größtmöglichen Realismus.


    Die Komische Oper war an diesem Abend bis auf wenige Plätze ausverkauft, das Publikum - wie dort gewohnt - überwiegend jung und nicht-elitär.






    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Zum Glück scheint das Werk B.A. Zimmermanns z.Zt. eine Renaissace zu erfahren! Die Beschreibung der Berliner Aufführung der "Soldaten" alleine liest sich schon beeindruckend!
    Im vergangenen November war die "Biennale für Moderne Musik Frankfurt Rhein Main" ebenfalls BAZ gewidmet.
    Auch dort: das Publikum überwiegend jung und nicht elitär.
    Frankfurter Alte Oper beim "Requiem für einen jungen Dichter" bis auf den letzten Platz ausgebucht.
    Habe selten eine solche Gänsehaut im Konzert bekommen wie beim abschließenden Schrei "Dona nobis pacem"...

  • Einzig der Schluss fiel dann für meinen Geschmack etwas zu theatralisch aus, wenn die „Andalusierin“ Marie mit einem Eimer Theaterblut übergießt, diese ihre Arme in die Höhe reckt und die Scheinwerfer ins Publikum leuchten – ein an dieser Stelle erwartbares und inzwischen etwas abgenutztes Mittel. Trotzdem verfehlt es seine Wirkung zusammen mit der Musik Zimmermanns und den zugespielten Tonaufnahmen nicht.


    Auf den Schluss läuft es aber gerade hinaus in dem komplizierten Stück. Und der wurde total verfälscht und banalisiert. Zimmermann will die Atombombe als Menetekel, die Komische Oper vergoss wieder kübelweise Theaterblut. Die müssen ja Vorräte haben. :no: Auch die Gleichzeitigkeit von Handlung, die dieses Werk so schwierig macht und doch so einmalig, wurde überhaupt nicht deutlich. Das Orchester fast im Bühnenboden.... Ne, das war ein Reinfall und kein Erfolg. Das "Publikum überwiegend jung und nicht-elitär" - Das ist im Prinzip eine sehr gute Nachricht. :) Nur hat man diesem Publikum das falsche Werk verkauft, weil man darauf vertrauen konnte, dass sich nur der aller kleinste Teil in der Kompliziertheit dieses einst als unspielbar geltenden Werkes auskennen konnte. Das nur einige wenige Anmerkungen zu einem nach meinem Dafürhalten total verunglückten Versuch.


    Gruß Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Zimmermann will die Atombombe als Menetekel, die Komische Oper vergoss wieder kübelweise Theaterblut.

    Zimmermann gehörte zu der Generation, die sowohl den Militarismus des Dritten Reichs als auch den Kalten Krieg miterlebt hat, die atomare Apokalypse war für ihn wie für sein Uraufführungs-Publikum eine unmittelbare, als existentiell empfundene Bedrohung. Für uns Heutige sind diese Assoziationen nicht mehr gegeben. Daher finde ich es nicht nur legitim, sondern auch nötig, bei einer Neuinszenierung aktuelle Bezüge herzustellen. Dass die von Zimmermann vorgesehende Filmeinspielung der Atomwolke am Ende weggelassen wurde (wie übrigens auch in München), halte ich nicht für einen Verlust.


    Aber hier sind wir wieder bei der alten Meinungsverschiedenheit, ob ein Stück genauso gespielt werden soll, wie es sich der Komponist gedacht hat, oder ob man aus der Erkenntnis, dass jede Rezeption zeitgebunden ist, davon Abstand nimmt und Stücke aktualisiert. Meine Meinung dazu ist ja bekannt :yes: .



    Auch die Gleichzeitigkeit von Handlung, die dieses Werk so schwierig machen und doch so einmalig, wurde überhaupt nicht deutlich.

    Interessant, das habe ich anders wahrgenommen, aber es mag sein, dass ich durch meine intensive Beschäftigung mit diesem Werk in der letzten Zeit diese Gleichzeitigkeit als selbstverständlich vorausgesetzt habe. In München wurde die Gleichzeitigkeit durch die Aufteilung der Bühne in Käfig-Module szenisch genial umgesetzt.



    Ne, das war ein Reinfall und kein Erfolg.

    Es mag Dir nicht gefallen haben, aber bei einer von Kritikern wie auch Zuschauern gleichermaßen bejubelten Produktion kann man kaum von einem Reinfall reden ;) .

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Es ist wirklich gut, dass und wie Du Deine anderen Auffassungen begründest. Das macht trotz aller Meinungsverschiedenheiten immer eine Diskussion möglich. Ich glaube fest daran, dass die "als existentiell empfundene Bedrohung" wie sie Zimmermann sehr konkret sieht, auch in dieser Form noch immer besteht. So lange es die Bombe und das Umfeld gibt. Die Bombe ist für mich immer noch die einzig denkbare Vorstellungen der Apokalypse. Und das bleibt gruselig genug. Wir haben das in den letzten zwanzig, dreißig Jahren etwas verdrängt. Ich klebe nicht um jeden Preis an Szenenanweisungen im Libretto. In diesem Fall muss ich Zimmermann ernst und wörtlich nehmen. Gerade den vielen jungen Menschen im Publikum sollte das auch sehr klar sein. Sonst braucht man die "Soldaten" nicht aufzuführen.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Ich habe mir gerade in meinem Mitschnitt der Opern-TV Übertragung aus München noch einmal angeschaut, wie Andreas Kriegenburg dort den Schluss inszeniert hat. Er findet wirklich starke apokalyptische Bilder, die an Hieronymus Bosch' "Weltgericht"erinnern - weitaus besser gelungen als Bieitos Theaterblut. Ich gebe Dir ja recht, dass dieses Ende ein Schwachpunkt in einer meiner Meinung nach allerdings sonst sehr guten Inszenierung ist.


    Leider finde ich die Münchner "Soldaten" nirgends bei YouTube, sonst hätte sie hier verlinkt.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Ich gebe zu, ich habe weder München noch Berlin gesehen (wohl aber 1995 eine ganz starke "Soldaten"-Aufführung in Dresden, Inszenierung von Willy Decker, mit Granden wie Siegfried Vogel, Helga Thiede und Gisela Schröter), habe aber Opernbekannte, die beide gesehen haben und bei denen im Vergleich München sehr gut und Berlin eher schlecht weggekommen ist...

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"