Annie Fischer (1914 - 1995)

  • Heute ist ihr 100. Geburtstag:


    Annie Fischer (* 5. Juli 1914 in Budapest; † 10. April 1995 in Budapest) war eine ungarische Pianistin jüdischer Abstammung, die dem Holocaust durch Flucht nach Schweden entging.


    An anderer Stelle schrieb Johannes Röhl über die Pianistin, ich erlaube mir der Einfachkeit halber, den Text hier zu zitieren:

    Annie Fischer (1914-95) studierte in ihrer Geburtsstadt Budapest, u.a. bei Dohnanyi. (Ein Foto aus den 20er Jahren bei wikipedia zeigt sie mit einer Geige, ich finde aber keinen Hinweis, dass sie tatsächlich auch dieses Instrument gespielt hat). 1933 gewann sie den Liszt-Wettbewerb; die Karriere wurde 1940 durch die Flucht nach Schweden unterbrochen. Es gibt zwar eine ganze Reihe Einspielungen aus den 1950er bis 80er Jahren, aber vieles davon ist nicht mehr erhältlich. Bei EMI erschienen u.a. 6? Mozart-Konzerte, Solostücke von Beethoven, Schubert, Schumann, bei der DG Beethovens c-moll-Konzert mit Fricsay. In den 1970ern begann sie eine Gesamtaufnahme der Beethovensonaten, die auch fertiggestellt wurde, bei hungaroton aber erst posthum erschienen ist, da sie die Aufnahmen teils nicht freigegeben hatte. Ich kenne hauptsächlich ihre Aufnahmen von Beethoven (nicht alle) und Schumann. Ähnlich wie bei Argerich würde man kaum auf die Idee kommen, dass hier eine Frau spielt; es handelt sich um sehr kraftvolle und leidenschaftliche Interpretationen, Charme und Humor kommen eher etwas zu kurz. (Ich habe mich mal in einem anderen Thread zu op.31/3 geäußert). Problemlos erhältlich (gleichwohl teuer) sind die späteren Beethovensonaten bei hungaroton; die EMI-Aufnahmen nur sehr begrenzt. Das 1. Liszt- und das Schumann-Konzert finden sich in einer der neueren Klempererboxen.



    http://en.wikipedia.org/wiki/Annie_Fischer

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Die EMI-Aufnahmen sind kürzlich in einer sehr preiswerten Box wiederveröffentlicht worden. Inhalt sind die Solo-Aufnahmen der oben gezeigten "Introuvables", sowie Mozarts Konzerte Nr. 20-24, 27 und Liszt Nr.1, Bartok Nr. 3 und Schumann. Das ebenfalls lange "introuvable" 3. Beethovenkonzert mit Fricsay ist in der großen Fricsay-Orchestermusik-Box enthalten.


    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Ein Foto aus den 20er Jahren bei wikipedia zeigt sie mit einer Geige, ich finde aber keinen Hinweis, dass sie tatsächlich auch dieses Instrument gespielt hat


    Das Zitat stammt von Johannes Roehl, Harald hatte es seinerseits zitiert. Das nur vorweg.


    Das Foto kenne ich auch, und ich habe mir die gleiche Frage gestellt. Zufällig hatte ich mich neulich ein wenig mit der so genannten Kabinett-Fotographie befasst und festgestellt, dass dabei gern symbolhafte Elemente zur Illustration eingesetzt wurden. Die Geige also für die Musik ganz allgemein! Die war vorrätig in diesen Studios, die es einst an allen Ecken gab. So erkläre ich mir inzwischen dieses Instrument auf einem sehr gestellten Foto der bedeutenden Pianisten Annie Fischer. Hier ist es:


    http://de.wikipedia.org/wiki/A…esen_Delibab_1928Nr25.jpg


    Gruß Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • sehr interessant! So ähnlich wie Händel mit Lyra... Mit einer Geige läßt sich auch besser posieren, aber mich hat es tatsächlich verwirrt, zumal im Jugendalter es ja nicht so ungewöhnlich ist, mehrere Instrumente zu spielen.


    Die hungaroton-Aufnahmen gibt es übrigens z Zt. bei jpc einen Tick günstiger, leider immer noch ziemlich teuer. (Hungaroton ist anscheinend NIE wirklich im Sonderangebot und hat auch im Ggs. zu Supraphon keine richtige midprice-Reihe.)


    (Ob ich die neu veröffentliche Box kaufe, weiß ich noch nicht, da mir nur 2-3 CDs daraus fehlen, wobei blöderweise die von mir gesuchte Mozart-CD mit 24/27 unter Kurtz nicht separat zu finden ist im Ggs. zu den beiden anderen mit Boult und Sawallisch)


    Struck by the sounds before the sun,
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  • Von Annie Fischer habe ich EINE CD aus dieser Gesamtaufnahme in meiner Sammlung. Wie so oft war ein Weitersammlen dann nicht mehr mglich, weil die Aufnahmen gestrichen wurden. Seit 15 Jahren (lt cpo) sind die Aufnahmen von 1977/78 als 9 CD-Box wieder im Handel - keine kluge Entscheidung.
    Manhätte entweder die Einzel-CDs zum MIDPRICE wiederveröffentlichen können, oder aber eine Gesamtbox zum konkurrenzfähigen Preis anbieten können.
    90.99 Euro für 10 CDs sind zwar auf den Einzelpreis aufgerechnet nicht irrsinnig viel, gemessen an konkurrierenden Veröffentlichungen aber einfach VIEL zu teuer.
    Vermutlich wäre die Aufnahem ohnerdies gestrichen, wenn ich sie bestellte - zumindest entspräche das einige Erfahrungen mit HUNGAROTON aus den letzten Jahren.
    Von Annie Fischer existieren eigentlich doch einige Aufnahmen, dennoch habe ich das Gefühl, daß das Interesse an ihr inzwischen doch nachgelassen hat, ist inzwischen wieder ein "Geheimtip"
    Trügt mich meine Erinnerung, oder war dawas in der Richtung, daß ihr selbst diese Aufnahmen nicht gefielen ? Nein- ich habe meine Trägheit überwunden und inzwischen recherchiert. Bei Wikipedia werden wird meine Erinnerung bestätigt:

    Zitat

    Ihre Einspielung der 32 Beethoven-Sonaten wurde von ihr nicht freigegeben, da sie damit noch nicht zufrieden war, und erst postum veröffentlicht.


    Mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Nichtsdestowenig genießt gerade der ungarische Beethoven-Zyklus "Kultstatus" und wurde in etlichen englischsprachigen Formen zu den besten Beethovensonateneinspielungen überhaupt gezählt.
    Hungaroton hat meines Wissens fast nie midprice-Veröffentlichungen gemacht. Die Sachen blieben lange erhältlich, aber immer teuer.


    Es gibt inzwischen noch eine documents Piraten-Box, die einen erheblichen Teil der alten EMI- sowie weitere historische aus den 1950ern Aufnahmen enthält. Sofern man nicht an diesem Rest (u.a. Brahms und Dohnanyi) interessiert ist, würde ich doch die oben gezeigte EMI/Warner-Box eher nahelegen


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  • Nichtsdestowenig genießt gerade der ungarische Beethoven-Zyklus "Kultstatus" und wurde in etlichen englischsprachigen Formen zu den besten Beethovensonateneinspielungen überhaupt gezählt.


    Das kann ihc mir gur vorstellen. Als ich vor ungefähr 20 Jahren meine Einzel CD mit 3 Beethoven Klaviersonaten von ihr kaufte, da war das eher aus "historischer Neugier", der Name Annie Fischer war mir damals unbekannt. (zumindest habe ich das so in Erinnerung)Ich weiß auch daß die Aufnahem damals keinen allzu großen Eindruck bei mir hinterließ. Das hat allerdings nichts zu bedeuten, denn in jenen Tagen wuirde jede CD einefach "routinemäßig" abhehört, bevor sie in der EDV erfasst und anschliesslich in die reguläre Sammlung gereiht wurde.....
    Das Spezifische an Annie Fischers Beethovenspiel habe ich erst heute beim Hineinhören in die Sound Samples bei jpc erkannt. Angesichts der Unzahl an Anspielungen dieses Zyklus in meiner Sammlung und in Hinblick auf den Preis verbietet sich der Kauf geradezu, aber vielleicht reitet mich wieder ienmal der Teufel und ich bestelle trotzdem.....
    mfg aus Wien
    Alfred

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  • Wenn sie wirklich alles im Kopfsatz spielt, lieber Holger, was auch Swjatoslaw Richter spielt, dann braucht sie für diesen Satz nicht einmsal halb so lange wie Richter. Dennoch habe ich die Box auch sofort bestellt, aber hauptsächlich wegen der 8 Beethoven-Sonaten-Aufnahmen, denn laut JPC sind alle Aufnahmen dieser Box zwischen 1949 und 1961 entstanden, und alle Aufnahmen in der (noch) teuren Sonatengesamtaufnahme spielte sie 1977 und 78 ein. Von den 8 in dieser Box enthaltenen Aufnahmen ist allerdings die Mondscheinsonate zweimal enthalten. Wenn also die Box bei mir eingetroffen sein wird, habe ich die Mondscheinsonate von ihr dreimal.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Wenn sie wirklich alles im Kopfsatz spielt, lieber Holger, was auch Swjatoslaw Richter spielt, dann braucht sie für diesen Satz nicht einmsal halb so lange wie Richter. Dennoch habe ich die Box auch sofort bestellt, aber hauptsächlich wegen der 8 Beethoven-Sonaten-Aufnahmen, denn laut JPC sind alle Aufnahmen dieser Box zwischen 1949 und 1961 entstanden, und alle Aufnahmen in der (noch) teuren Sonatengesamtaufnahme spielte sie 1977 und 78 ein. Von den 8 in dieser Box enthaltenen Aufnahmen ist allerdings die Mondscheinsonate zweimal enthalten. Wenn also die Box bei mir eingetroffen sein wird, habe ich die Mondscheinsonate von ihr dreimal.

    Lieber Willi,


    Richter fällt mit seiner Langsamkeit natürlich auch aus dem Rahmen! :D Was in der Box drin ist, finde ich auch sehr interessant. Zumal Annie Fischer für ungarische Musikkultur wohl einen prägenden Einfluss hatte. Das erfährt man z.B. von Tamas Vasary. Sie ist so ein komischer Fall, dass ich mich mit ihr nie näher auseinandergesetzt habe. Das wird sich nun ändern! Was ich jetzt für einen Stapel zum Hören habe - darunter die dicken Boxen mit Cortot, Radu Lupu usw. usw. :D :D Übrigens fiel mir in einem anderen Thread auf, dass es auch von Andor Foldes eine Beethoven-CD gibt. Von ihm habe ich auch nur sehr, sehr wenig. Ihn hörte man in meiner Jugendzeit öfters im Radio. Hast Du den Foldes-Beethoven?


    Herzlich grüßend
    Holger

  • Es fehlt natürlich die Wiederholung im Kopfsatz, aber es ist ungeachtet dessen ein relativ zügiges Tempo.
    Nun muss man allerdings sagen, dass vor Richter das niemand so langsam gespielt hat. Die wenigen älteren Aufnahmen (Schnabel u.a.) sind alle eher etwa im Tempo Annie Fischers (mit Edwin Fischer gibt es leider anscheinend keine einzige Schubert-Sonate, "nur" die Wandererfantasie und Klavierstücke/Moments musicaux etc.).

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  • Ein Bekannter schwärmt sehr von der ungarischen Pianistin Annie Fischer. Ich nahm sie bisher nur peripher wahr. Dies schien bis vor kurzem auch auf das Forum zuzutreffen, wie dieser Thread beweist.


    Gerade hörte ich Beethovens Klaviersonate Nr. 8, also die "Pathétique", mit Fischer. Mein Favorit bei diesem Werk ist Elly Ney, deren Ansatz ein völlig anderer ist. Ich muss gestehen, dass mir Annie Fischer, insbesondere im langsamen Satz, deswegen zu unpathetisch ist, zu nüchtern-sachlich. Spieltechnisch natürlich gleichwohl brillant. Ein Werk mit diesem Beinamen, noch dazu vom Komponisten selbst vergeben, verträgt das Pathos m. E. durchaus. Deswegen werde ich bei Ney bleiben.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Es ist aber doch so, dass ein goßer Teil der großen Schubert-Spieler und Spielerinnen im Kopfsatz näher an Swjatoslaw Richter ist als an Annie Fischer. Ich beginne mal mit dem schnellsten Beispiel und ende mit dem langsamsten, die mir aus meiner Sammlung so schnell in die Hände fielen:


    Christian Zacharias: .1995: 20:55 min.;
    Wilhelm Kempff:. 01/1967: 21.09 min.;
    Walter Klien: ..... 11/1971: 21:12 min.;
    Klara Würtz: .......11/2000: 21:39 min.;
    Mitsuko Uchida:...05/1997: 22:00 min.;
    Evgeny Kissin:.....06/2003: 22:05 min.:
    Elisabeth Leonskaja: 1997: 23:59 min.;
    Swjatoslaw Richter: .1961: 24:16 min.;
    Swjatoslaw Richter: .1972: 24:28 min.;
    Vielleicht liegt das Geheimnis in der Satzbezeichnung "molto moderato", einer Satzbezeichnung, die, wie ich finde, dem Interpreten ziemlich viel Freiheit in der Tempowahl lässt, und da kommt es letztlich darauf an, wie der Interpret das Tempo empfindet, und wie es andererseits der Hörer empfindet, immer voraufgesetzt, dass wir hier nicht von Metronomzahlen reden:
    HN_399_H_Schubert.jpg
    und die kann ich hier nicht entdecken.
    Ich habe hier zunächst die Aufnahme von Sjatoslaw Richter aus dem September 1972 aus Schloss Anif (24:28) gehört, der die Wiederholung der Exposition bei 6:40 min. beginnt:

    Dann habe ich Brendels letzte Aufnahme aus der Royal Festival Hall aus dem Juni 1997 gegengehört:

    Er beginnt die Durchführung mit der Überleitung bei 5:05 min. Demzufolge wird das Ganze bei Annie Fischer noch einmal etwas kürzer sein.


    Liebe Grüße


    Willi

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  • Zitat

    Joseph II: Gerade hörte ich Beethovens Klaviersonate Nr. 8, also die "Pathétique", mit Fischer. Mein Favorit bei diesem Werk ist Elly Ney, deren Ansatz ein völlig anderer ist. Ich muss gestehen, dass mir Annie Fischer, insbesondere im langsamen Satz, deswegen zu unpathetisch ist, zu nüchtern-sachlich. Spieltechnisch natürlich gleichwohl brillant. Ein Werk mit diesem Beinamen, noch dazu vom Komponisten selbst vergeben, verträgt das Pathos m. E. durchaus. Deswegen werde ich bei Ney bleiben.


    Ich habe ja beide im Pathétique-Thread besprochen, lieber Joseph, aber gerade bei der Pathétique sehe ich Annie Fischers Interpretation der Elly Neys als durchaus ebenbürtig an:
    Beethoven: Klaviersonate Nr. 8 in c-moll op. 13: "Pathetique" (Elly Ney)
    Beethoven: Klaviersonate Nr. 8 in c-moll op. 13: "Pathetique" (Annie Fischer)


    Liebe Grüße


    Willi :)

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  • Fischer ist etwa eine Minute schneller als Schnabel 12:45 vs. 13:50 ohne Wiederholung. Also vermutlich schon eine der zügigsten Interpreten in diesem Satz.


    "Molto moderato" ist halt eine ungewöhnliche, schwer verständliche Satzbezeichnung. Molto moderato wäre normalerweise eine Modifizierung einer anderen Tempobezeichnung. Vor der Verbreitung sehr langsamer Tempi lasen die meisten Pianisten das anscheinend als (allegro) molto moderato und orientierten sich grob an einem Satz wie dem im melodischen Gestus der Anfangsthemen ähnlichen Kopfsatz des "Erzherzogtrios" von Beethoven. Da kommt man natürlich auf ein zügigeres Tempo als wenn man versucht, "Molto moderato" als selbständige Tempobezeichnung zu lesen.


    Ein jüngerer Pianist, der den Satz deutlich zügiger spielt, ist Lupu: 18:15 mit Whd. entspricht etwa 13:30 ohne Wdh., also sogar ein wenig schneller als Schnabel.

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  • Zitat

    Johannes Roehl: Ein jüngerer Pianist, der den Satz deutlich zügiger spielt, ist Lupu: 18:15 mit Whd. entspricht etwa 13:30 ohne Wdh., also sogar ein wenig schneller als Schnabel.


    Das stimmt, lieber Johannes. Nur ist Radu Lupu ein Pianist, der einerseits in sich ruht, andererseits zum Vulkan werden kann. Was die B-dur-Sonate betrifft, so ist sein Andante sostenuto nicht von dieser Welt. Ich halte ohnehin Rau Lupu für einen der gößten lebenden Schubert-Pianisten.
    Ich habe ihn vor Jahren einmal live in Düsseldorf erlebt. Da spielte er nach der Pause die A-dur-Sonate D.959. Das Andantino
    hat mich regelrecht schockiert. Direkt vor mir saß Elisabeth Leonskaja, die erst zur Pause gekommen war, um den Schubert zu hören. Sie flippte nach dem letzten Ton regelrecht aus, trampelte mit den Füßen, klatschte wie wild und schrie immerzu: "Spiel! Spiel!", um ihn zu Zugaben aufzufordern. Dieses Konzert war ein wahre Offenbarung.
    Leider nimmt er ja (zur Zeit) nicht mehr auf, und leider habe ich ihn jetzt schon eine Weile nicht mehr erlebt. Ich werde aber schauen, ob er nicht bald wieder hier in diesen Breiten spielt.


    Liebe Grüße


    Willi :)

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  • Lieber Willi,


    ich habe einmal nach den "schnellsten" Versionen geschaut:


    Annie Fischer 12.51
    Vladimir Horowitz 13.07
    Artur Schnabel 13.50
    Artur Rubinstein 14.17


    Ich habe allerdings nicht kontrolliert, wer die Expositionswiederholung spielt und wer nicht. :D


    Herzlich grüßend
    Holger

  • Vor der Verbreitung sehr langsamer Tempi lasen die meisten Pianisten das anscheinend als (allegro) molto moderato und orientierten sich grob an einem Satz wie dem im melodischen Gestus der Anfangsthemen ähnlichen Kopfsatz des "Erzherzogtrios" von Beethoven.

    Das scheint mir auch deshalb plausibel, weil der Kopfsatz einer Klaviersonate ja eigentlich üblicher Weise ein Sonatenallegro ist. (Musikhistorisch nachgeforscht habe ich das allerdings nicht!) ;)


    Schöne Grüße
    Holger

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  • Die müssen alle ohne Wiederholung sein, sonst wäre es unüberhörbar rasant. Wie oben angedeutet, dauert selbst bei Lupus flüssigem Tempo die Wdh + prima volta etwa 4:40, bei Richterschen Tempi 6 min oder mehr. D.h. Fischer läge mit Wdh vermutlich bei etwa 17 min.
    Das zeigt aber jedenfalls, dass Fischer nicht völlig aus dem Rahmen fällt und viele Pianisten der älteren Generation den Satz zügiger spielten, als es dann in der Nachfolge Richters teilweise üblich wurde. Arrau, der sonst ja nicht gerade für die flottesten Tempi steht, braucht mit Wdh. ziemlich genau 20 min, ist damit schneller als alle, die Willi oben aufgezählt hat.
    Es findet sich ein ähnlich breites Tempospektrum in den Kopfsätzen von D 894 und der fragmentarischen D 840. Beim Kopfsatz des G-Dur-Quartetts D 887 steht tatsächlich "Allegro molto moderato". Was natürlich wieder zweifeln lassen kann, ob bei D 960 dasselbe gemeint ist, wenn eben nicht allegro da steht.

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  • Das zeigt aber jedenfalls, dass Fischer nicht völlig aus dem Rahmen fällt und viele Pianisten der älteren Generation den Satz zügiger spielten, als es dann in der Nachfolge Richters teilweise üblich wurde.

    Das glaube ich auch! Pollini braucht 18.52 Min. und Rudolf Serkin 20.44 - es gibt allerdings noch einen Carnegie-Hall-Mitschnitt, den ich nicht habe, da ist er wohl noch schneller.

    Beim Kopfsatz des G-Dur-Quartetts D 887 steht tatsächlich "Allegro molto moderato". Was natürlich wieder zweifeln lassen kann, ob bei D 960 dasselbe gemeint ist, wenn eben nicht allegro da steht.

    In meiner Henle-Ausgabe steht darüber nichts. Vielleicht gibt es aber tatsächlich andere Ausgaben, wo "Allegro molto moderato" steht. Denn logisch wäre sonst "Moderato molto". Das liest sich auch für mich eher wie eine Elision nach dem Motto: Die ausführenden Pianisten wissen ohnehin, dass da "Allegro" gespielt werden muss, warum das also hinschreiben und nicht nur: wie das Allegro spielen.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Zitat

    Johannes Roehl: .......viele Pianisten der älteren Generation den Satz zügiger spielten, als es dann in der Nachfolge Richters teilweise üblich wurde.


    So ist es, denn wenn man noch einmal auf meine Liste schaut und die Pianisten nimmt, die "in der Nachfolge Richters" aus dem gleichen Land stammen, sieht man, dass Evgeny Kissin und Elisabeth Leonskaja, die ja im Studium von Swjatoslaw Richter gefördert wurde und auch eine Zeit lang seine Partnerin bei Stücken für zwei Klaviere oder vier Hände war, ihm am nächsten kamen bzw, Elisabeth Leonskaja fast deckungsgleich mit ihm war.
    Ich habe Elisabeth Leonskaja mal in einem von mehreren Konzerten erlebt, wie sie die drei letzten Sonaten Schuberts gab. Sie war nach dem sehr langen und phänomenalen Konzert so fertig, dass sie nicht mehr in der Lage war, eine Zugabe zu geben.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
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  • Zuerst Beethoven op. 13 „Pathétique (vgl. den speziellen Thread über die Sonate op. 13)


    Annie Fischer spielt einen so gar nicht romantisierenden, klassischen Beethoven, kernig, unsentimental und hochseriös. Die „Grave“-Einleitung klingt wuchtig und schwergewichtig. Was mir hier allerdings fehlt, ist eine dynamische Entwicklung, welche einen großen Bogen spannt und damit auch in dieser Einleitung so etwas wie Sukzessivität entstehen lässt. So bleibt es doch bei ein wenig statisch gegenübergestellten Blöcken. Hauptthema und Seitenthema wirken ein bisschen nüchtern, es fehlt dem Seitenthema z.B. doch ein gewisser Reiz und verspielter Bewegungsdrang. Das ist sicher alles hochseriös, für meinen Geschmack aber auch ein wenig bieder. Sehr gut dagegen gefällt mir die Durchführung, wie sie da das Piano zum Ausdruck von Verhaltenheit werden lässt, zur beseelten Zurücknahme, um dann ungemein klug ohne jede Effekthascherei die Kontraste zu schärfen. Der langsame Satz klingt doch sehr herb. Da will sie um keinen Preis irgendeine selbstverliebte Melodieseligkeit aufkommen lassen. Letztlich vermisst man aber bei der Betonung der rhythmischen Figuren doch den tieferen Sinn, der sich dadurch einfach nicht erschließen will. Das Finale ist mit neusachlicher Nüchternheit vorgetragen eher männlich herb, weder verspielt noch dramatisch.


    Das Fazit: Ein untadelig seriöser Beethoven, der mich aber auch nicht unbedingt vom Stuhl reißt. Allerdings zeigt ihre sehr souveräne und kluge Spielanlage, dass sie in Sachen Beethoven durchaus zu Großem fähig sein kann. Ich bin mal gespannt, was ich noch von ihr hören werde und lasse mich – hoffentlich positiv – überraschen. (Die erste Überraschung war weinger positiv, nämlich op. 109.)


    Den Bach (Brandenburgisches Konzert) fand ich so langweilig, dass ich ihn schließlich abgeschaltet habe. Die Haydn-Variationen dagegen hatten Wucht und virtuose Brillanz zugleich. Chopin (Scherzo Nr. 3) geht gar nicht, das ist grob, laut, ohne Eleganz. Da trifft sie nirgendwo den richtigen Chopin-Ton. Beethoven op. 109 habe ich noch nie so „irdisch“ gehört. Entmythologisierter, entromantisierter Beethoven bis hin zur Sprödigkeit und positivistischen Eintönigkeit in den lyrischen Passagen. Da fehlt jegliche Innigkeit eines großen Spätwerks, das ist ein Beethoven, statt vergeistigt laut und deftig, so bodenständig unmetaphysisch, dass man ihn manchmal mit Bartok verwechselt. Annie Fischer hat zwar auch die Schlichtheit einer Clara Haskil, was zweifellos eine Auszeichnung ist. Nur fehlt ihr dann doch, was die rumänische Nachbarin auszeichnet: das beseelte Spiel. Noch einmal habe ich Schubert D 960 gehört. Das finde ich dagegen gelungen, denn so klingt der Satz als „Allegro molto moderato“ aufgefasst wirklich wie ein dramatisches Sonatenallegro. Das finde ich ist ein Hörerlebnis, dass des aufmerksamen Hörens wert ist.


    Schöne Grüße
    Holger

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