"La Fanciulla del West" am Opernhaus Zürich (11.07.2014)

  • Es war zwar nicht gestern, sondern schon vor einigen Tagen, aber meine Eindrücke vom Besuch des Züricher Opernhauses sind noch sehr frisch. Nachdem ich im Herbst leider keine Gelegenheit hatte, mir die Neuproduktion von La fanciulla del West an der Wiener Staatsoper anzuschauen, bin ich mit umso größerer Vorfreude nach Zürich gefahren, wo Barrie Kosky bei der dortigen Neuinszenierung Regie geführt hat. Ich verdanke diesem Regisseur einige Sternstunden an der Komischen Oper in Berlin und war daher einigermaßen gespannt auf seine Annäherung an Puccinis selten gespieltes Spätwerk. Um es gleich vorab zu sagen: ich wurde nicht enttäuscht und habe einen in jeder Hinsicht gelungenen Opern-Abend verlebt.


    Wer Barrie Kosky kennt, wird kaum mit der Erwartung in eine von ihm inszenierte Aufführung dieses Stücks gehen, einen Western in Opern-Form zu sehen. Auf die Frage, wo er die Oper denn stattdessen angesiedelt habe, lautete die Antwort (die mir aus der Seele gesprochen ist): „Das ist für mich gar nicht die erste Frage, wo eine Oper spielt. Ich suche nach den Themen, um die es in einem Stück geht.“ Und in La fanciulla del West, so Kosky weiter, gehe es um Einsamkeit und Sehnsucht. Und genau diese Einsamkeit und Sehnsucht aller Protagonisten bringt Kosky dann sehr überzeugend zum Ausdruck. Es war berührend zu sehen, wie die rauhen, immer zu einer Rauferei aufgelegten und ausgiebig dem Whisky zusprechenden Minenarbeiter dann doch eigentlich nur einsame, sich nach ihren Familien sehnende Menschen sind, die sich in kleine Jungs und zärtliche Kavaliere verwandeln, sobald ihre Ersatz-Mutter, -Schwester oder -Frau Minnie die Bar betritt. Und auch Minnie ist nur auf den ersten Blick die souveräne und selbstbewusste Barbesitzerin: tatsächlich ist auch sie einsam und voller Sehnsucht nach Liebe und einem besseren Leben, sinnt darüber nach, was sie hätte sein können mit mehr als „für dreißig Dollar Bildung“. Und auch Johnson, der seine Banditen-Bande vom Vater geerbt hat, ist alles andere als ein skrupelloser, nur auf seinen Profit bedachter Gauner, sondern sehnt sich nach einem Menschen, der ihn aus dem Schmutz seiner Existenz empor zur Reinheit hebt. Die Zeichnung dieser gebrochenen Figuren und ihrer Interaktion gelingt Kosky ganz hervorragend: nicht singende Schablonen, sondern Menschen sind auf der Bühne zu sehen. Einen großen Anteil daran haben seine Sänger-Darsteller, allen voran Catherine Nagelstadt als Minnie, die nicht nur die sängerischen Anforderungen an ihre Rolle mit Bravour bewältigte, sondern eine exzellente schauspielerische Leistung ablieferte. Zu Recht wurde sie am Ende frenetisch vom Publikum gefeiert. Zoran Todorovich als Johnson war ein ebenbürtiger Partner, kein strahlend-schöner Heldentenor, der zu dieser Rolle gar nicht passen würde, sondern ein auch stimmlich rauher und gebrochener Typus. Ganz hervorragend hat mir auch der Jack Rance von Scott Hendricks gefallen. Die wundervolle Musik Puccinis entfaltete unter dem Dirigat von Marco Armiliato die Sogkraft, die diesen Komponisten so einmal macht – oft mochte man weinen, so schön war das, was einem aus Orchestergraben und Bühne entgegenklang. Warum diese Oper so selten zur Aufführung kommt, versteht man nicht.


    Um dann doch noch die Frage zu beantworten, wo der Regisseur die Handlung angesiedelt hat: nicht im Wilden Westen, aber durchaus realistisch in einem Bergwerksdorf in einer unbestimmten Gegenwart „am hinterletzten Ende der Welt“, ein Ort „abgeschnitten von aller Zivilisation, gottverlassen und öde“. Wir sehen im ersten Akt eine Bar, im zweiten Minnies schäbige Wohnung und im dritten eine abstrakt dargestellte offene Landschaft. Kosky verzichtet auf besondere Regie-Einfälle, eine für mich wenig gelungene Ausnahme ist der kurze Auftritt von Wowkle, deren Kind ein Teddy-Bär ist, der im Laufe der Szene zerrupft und „misshandelt“ wird. Ansonsten steht die Personen-Regie im Mittelpunkt, was der Aufführung sehr gut tut.


    Alles in allem ein Opernabend, der mir lange in positiver Erinnerung bleiben wird, und eine Werbung für das Opernhaus Zürich. Dieses war an dem Freitag-Abend schätzungsweise zu 90% besetzt.








    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.