Mehr als nur Liszt – Lasar Naumowitsch Berman

  • Durch aktuelle Interesse an Liszt angeregt, dachte ich, man könne ja einmal den thread zu Bergman aktualisieren. Und siehe da, ich habe keinen gefunden. Daher sie diesem Pianisten der folgende thread gewidmet.


    Lasar Naumowitsch Berman
    Geboren am 26. Februar 1930 in Leningrad, wurde er bereits früh ans Klavier herangeführt (seine Mutter Anna Lazarevna Makhover hatte ebenfalls Klavier gespielt). Bereits mit sieben Jahren hatte er einen ersten öffentlichen Auftritt Bolschoi-Theater, Moskau. Ausgebildet wurde er dann ab 1939 am Moskauer Konservatorium. Dort unterrichteten ihn Alexander Goldenweiser, Vladimir Sofronitzky und nicht zuletzt förderte auch Swjatoslaw Richter seine Karriere. 1940 debütierte er offiziell mit dem 25. Klavierkonzert von W. A. Mozart. In Russland zunächst weitgehend vom Ausland abgeschirmt, wurde Berman ab den 1950er Jahren auch international bekannter (so gewann er 1956 bei der Queen Elisabeth Music Competition in Belogen neben Vladimir Ashkenazy einen Preis). Richtig etablieren konnte er sich aber erst nach einer Tour durch die USA im Jahre 1975. Es folgten Aufnahmen für die DGG und EMI. Im Dezember 1976 spielte er Prokofiev und Liszt in der Royal Festival Hall, 1978 spielte er Liszt's A-moll Konzert mit dem London Symphony Orchestra unter Klaus Tennstedt, 1984 spielte er das 1. KK von Tchaikovski bei den "Proms". In den 1980er Jahren durfte er Russland wegen kritischer Äußerungen gegenüber dem Regime nicht verlassen und zog 1990 nach Italien, ab 1995 lebte er in Florenz. 1999 wurde er für sein Wirken als Dozent und von 1995 bis 2000 als Gastprofessor zum Ehrensenator der Hochschule für Musik Franz Liszt in Weimar ernannt. Er verstarb am 6. Februar 2005 in Florenz.
    Bekannt wurde Bergman insbesondere als herausragender Interpret der Werke von Liszt, Rachmaninoff oder Tschaikowski, aber wenn man in die Beethoven Sonatenthreads schaut, dann erkennt man, daß man ihn nicht darauf reduzieren sollte. Berman verfaßte eine interessante Autobiographie mit dem Titel Schwarz und Weiß: Erinnerungen und Gedanken eines Pianisten zwischen Ost und West .


    Die DGG hat kürzlich seine Aufnahmen für dieses Label gesammelt herausgegeben, enthalten sind darauf die meines Erachtens kaum je wieder erreichten Années de pelerinage I–III. M. E. legendär sind zudem seine Etudes d'execution transzendente (Melodyia)



    Da es hier ja einen richtigen Berman-Kenner und Bewunderer gibt (besten Gruß an Holger), wird der thread vielleicht ein wenig Aufmerksamkeit erhalten. Verdient hätte es dieser Ausnahmepianist allemal.


    Mit besten Grüßen zum Sonntag
    JLang

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

  • Da es hier ja einen richtigen Berman-Kenner und Bewunderer gibt (besten Gruß an Holger), wird der thread vielleicht ein wenig Aufmerksamkeit erhalten. Verdient hätte es dieser Ausnahmepianist allemal.

    Da hast Du völlig Recht, lieber Jörn - das ist eine wunderbare Idee von Dir mit dem Berman-Thread! :) Da werde ich in den nächsten Wochen etliche Beiträge einstellen... :)



    Berman verfaßte eine interessante Autobiographie mit dem Titel Schwarz und Weiß: Erinnerungen und Gedanken eines Pianisten zwischen Ost und West .

    [timg]http://www.staccato-verlag.de/…_0_80_covers_berman.jpg;l[/timg]
    Die Berman-Autobiographie ist wirklich sehr lesenswert - man erfährt u.a. sehr viel über das russisch-sowjetische Ausbildungs- und Fördersystem von Pianisten und etliche andere erfreuliche und unerfreuliche Dinge wie den Antisemitismus in Rußland. Berman erzählt sehr schön - war zudem ein wirklich sympathischer, humorvoller Mensch, der von sich selbst gerne Karrikaturen zeichnete.


    In den 1980er Jahren durfte er Russland wegen kritischer Äußerungen gegenüber dem Regime nicht verlassen

    Berman schreibt darüber: Er wurde bestraft wegen "antisowjetischem Schmuggel". Nach einem sehr erfolgreichen Konzert in München 1980 kaufte er ein kritisches Buch über die SU, wo er nicht wußte, dass es dafür ein striktes Einfuhrverbot gab. Dies entdeckten die Zöllner in seinem Koffer und unterzogen ihn einer entwürdigenden Leibesvisitation. Zuhause bekam er einen Prozeß und alle Auslandsreisen wurden verboten - auch die in die Staaten des Warschauer Paktes. Er konnte so nicht der Einladung von Jimmy Carter zu einem Konzert ins Weiße Haus folgen, eine bereits fest eingeplante Studioaufnahme mit Abbado (2. Konzert von Rachmaninow) fiel aus. Seine Karriere war damit schlagartig zu Ende. Erst durch Gorbatschow - zu dem er seitdem ein freundschaftliches Verhältnis pflegte - wurde diese "Isolationshaft" beendet. Danach wollte niemand im Westen von ihm etwas wissen - Abbado ignorierte ihn, Mehta ebenso, letzterer beantwortete sogar seine Briefe nicht. Das zeigt die höchst fragwürdigen Seiten des Musikbetriebs - wer nicht mehr "liefern" kann, egal aus welchen Gründen, wird aus der Welt der Stars gnadenlos ausgemustert. Berman erzählt das nicht zulezt, um den jungen Pianisten über den "Betrieb" die Augen zu öffnen.


    Herzlich grüßend
    Holger


  • Ich erinnere mich - wenn auch dunkel - an die Zeit, als es die erste (?) Aufnahme mit Lazar Berman (ich kenne nur diese Schreibweise) für die Deutsche Grammophon Gesellschaft gab. Er spielte das Klavierkonzert Nr 1 von Tschaikowsky. Der Dirigent war damals (1975 ?) Herbert von Karajan. Es spielten die Berliner Philharmoniker. Die Langspielplatte (Vinyl) war damals noch nicht mit dem Violinkonzert gekoppelt.
    Unter Musikfreunden wurde die Aufnahme als "Sensation" bejubelt. Relativ bald wurde es indes um den Pianisten sehr still.
    Heute weiß ich - dank Beitrag Nr 2 dieses Threads - auch warum.
    Die beiden abgebildeten - vom Inhalt her identischen - Veröffentlichungen sind bereits aus den Katalogen gestrichen - Es gibt sie nur mehr im Rahmen einer Box, die alle von Berman für die DGG gemachten Aufnahmen enthält....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Er konnte so nicht der Einladung von Jimmy Carter zu einem Konzert ins Weiße Haus folgen, eine bereits fest eingeplante Studioaufnahme mit Abbado (2. Konzert von Rachmaninow) fiel aus. Seine Karriere war damit schlagartig zu Ende. Erst durch Gorbatschow - zu dem er seitdem ein freundschaftliches Verhältnis pflegte - wurde diese "Isolationshaft" beendet. Danach wollte niemand im Westen von ihm etwas wissen - Abbado ignorierte ihn, Mehta ebenso, letzterer beantwortete sogar seine Briefe nicht. Das zeigt die höchst fragwürdigen Seiten des Musikbetriebs - wer nicht mehr "liefern" kann, egal aus welchen Gründen, wird aus der Welt der Stars gnadenlos ausgemustert. Berman erzählt das nicht zulezt, um den jungen Pianisten über den "Betrieb" die Augen zu öffnen.


    Herzlich grüßend
    Holger

    Lieber Holger, zu einer Aufnahme mit Abbado und dem 3. Konzert von Rachmaninow ist es allerdings zuvor gekommen; die Platte entstand 1977 für CBS. Aufnahmen von Berman erschienen auch für bei der EMI. Hier liegt eine ganz außerordentliche Aufnahme der großen B-Dur Sonate Schuberts vor mit einem hinreißend langsam gespielten Satz. In dem entsprechenden Thread hattest Du kolportiert, dass Berman so langsam gespielt habe, da er in Moskau für die Aufnahmesession nach Minuten bezahlt wurde und daher Lust bekam, das ohnehin schon langsame Tempo der Richter-Aufnahme zu überbieten. In England erschienen Liszt-Aufnahmen beim Label SAGA, in den Staaten gab es Platten über die Label Columbia und Murray Hill. Also eigentlich ein ganz gut gedeckter Tisch bei eingeschränkter deutscher Wahrnehmung. Was aber nichts Ungewöhnliches war.


    Berman war nicht der einzige Pianist von Graden, dessen internationale Tätigkeit durch Moskau behindert wurde. Auch von Dimitri Bashkirov gab es eine im Westen hochgerühmte Aufnahme von Schumanns op. 17 (bei EMI erschienen) und dann kam erst mal gar nichts.


    Dass man von Berman so gar nichts hörte im Westen scheint aber auch einem gewissen Desinteresse an einem Pianisten geschuldet zu sein, der nicht reist und öffentlich auftritt. Für das Label Melodija hat Berman Einiges aufgenommen, und ich nehme an, dass einige bei Westlabeln erschienenen Platten Übernahmen von Melodija sind (teilwiese sind die ja als solche erkennbar, das Melodija-Logo taucht dann oftmals zusammen mit dem Logo des anderen Plattenlabls auf).


    Im deutschen Falle hätten die sowjetischen Aufnahmen Bermans durchaus über das Label "Eurodisc" in westdeutsche Kennerkreise kommen können. Möglicherweise war sein Programm zu sperrig (neben Liszt viel Scriabin und auch Ravel) oder, wie im Falle Beethoven, durch andere Künstler schon gut vertreten. Wir dürfen schließlich nicht vergessen, da wir in den 1970er Jahren schon auf abgeschotteten Märkten gekauft hatten. Nicht nur die Russen wurden ausgeblendet (selbst wenn die hätten reisen dürfen). Auch die französische Pianistenschule fand hier kaum Gehör. Und angesichts der hohen LP-Preise war ein ganz anderer Kampf um die Mark des Käufers gegeben als heute. Eine Chance hatten die Ostblockkünstler allerdings: aufgrund der recht günstigen Übernahmen von Aufnahmen der Label supraphon, eterna, melodija, muza oder hungaroton waren die Klassikplatten von Eurodisc in aller Regel unschlagbar günstig. Mehr als 12,50 DM haben die nie gekostet.


    All dies bedacht finde ich es schon erstaunlich, dass Lazar Berman so wenig wahrgenommen wurde. Die russische Isolation dürfte den geringsten Anteil daran haben (sowas hätte man zu Zeiten des kalten Krieges werbewirksam aufgebauscht).


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Gerade beim Plattenhändler die Doppel-LP mit den Liszt's Etudes d'execution transcendante erstanden, für € 3,50.


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  • Zitat von lutgra

    Gerade beim Plattenhändler die Doppel-LP mit den Liszt's Etudes d'execution transcendante erstanden, für € 3,50.


    Lieber lutgra,


    damit hast Du zu einem Spottpreis eine meines Erachtens wirklich maßstabsetzende Interpretation erstanden. Bin sehr gespannt, was Du dazu sagt.


    Herzliche Grüße
    JLang

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

  • Ich erinnere mich - wenn auch dunkel - an die Zeit, als es die erste (?) Aufnahme mit Lazar Berman (ich kenne nur diese Schreibweise) für die Deutsche Grammophon Gesellschaft gab. Er spielte das Klavierkonzert Nr 1 von Tschaikowsky. Der Dirigent war damals (1975 ?) Herbert von Karajan. Es spielten die Berliner Philharmoniker. Die Langspielplatte (Vinyl) war damals noch nicht mit dem Violinkonzert gekoppelt.

    Die Aufnahme ist wirklich maßstabsetzend, lieber Alfred. Was Berman da an Facetten herausarbeitet, hört man sonst nirgendwo - zumal auch Karajan hier eine seiner besten Stunden hatte. Karajan hat dasselbe Konzert ja auch mit anderen Größen wie Weissenberg und Richter eingespielt. Man sieht aber, das er sich sehr wohl auf die Eigenarten des Solisten einstellte. Die Zusammenarbeit Karajan/Berman ist besonders gelungen. Berman:


    "Ich bin Karajan unendlich dankbar dafür, dass er bei unseren Aufnahmen immer genau gespürt hat, worauf es mir ankam, und mir dabei geholfen hat, meine Interpretation zu realisieren. Wir wählten ein recht langesames Tempo, und ich wußte sofort, was er meinte, denn auch ich war inzwischen zu der Ansicht gelangt, dass Tschaikowskys Klavierkonzert im Gegensatz zu Liszt nicht so rasch gesoielt werden darf. Um Tschjaikowsky richtig spielen zu können, muss man ihn zuerst verstanden haben, begreifen, wie lyrisch er ist, wie sehr in seiner Musik die Gefühle eines Dichters mit einem tragischen Schicksal im Vordergrund stehen, wie sehr seine Musik von Pathos durchdrungen ist. All das konnte ich aus seinen Noten heraushören."

    Berman erzählt über diese Aufnahme etliche komische Anekdoten. Nicht nur, dass Karajan die Aufnahme einfach ohne sein Einverständnis frei gab. Es gibt auch noch die Geschichte mit Karajans "unfähigem" Toningenieur Michel Glotz - bei der Aufnahme ging ein Akkord verloren, er wurde fälschlich herausgeschnitten. In Rußland merkte man es gleich (Berman wurde darauf angesprochen) - nur im Westen nicht. Später - bei einer ganz anderen Aufnahmesitzung - wurde dieser Fehler dann heimlich korrigiert. Berman hat später das Konzert noch einmal aufgenommen - in der Orginalfassung mit Jury Temirkanow, den er im Flugzeug kennenlernte. Diese Aufnahme des verblichenen Labels Koch/Schwann ist bedauerlicher Weise nicht mehr zu bekommen. Über die Urtextausgabe heißt es bei Berman:


    "Mehr als 120 Jahre trennen uns von der Zeit, in der Taschaikowsky sein erstes Klavierkonzert komponiert hat, das zu einem der berühmtesten und beliebtesten Werke der Welt geworden ist. Doch nur wenigen ist bekannt, dass dieses Konzert bereits ein Jahr nach seiner Entstehung vollkommen anders gespielt wurde, als wir es heute zu hören gewohnt sind.


    Was ist passiert? (...) In einem Brief an seinen Bruder Modest schreibt der Komponist: "Ich schreibe gerade an einenm Klavierkonzert, in das ich zu meinem großen Bedauern (sic!) virtuose Passagen einfügen muß. (...)


    Tschaikowskys musikalische Sensibilität war jedoch vollkommen anderer Natur (als die Liszts, H.K.), darum waren ihm als Menschen und Musiker äußerliche Effekte und virtuoser Glanz fremd. Er war vor allem Lyriker, die Schönheit seiner Melodien hatte etwas sehr Innerliches, und es lag keineswegs in seinem Charakter.


    Der erste Satz des Klavierkonzerts von Tschaikowsky fängt eigentlich ganz anders an, als die meisten Pianisten ihn heute spielen. Das wunderschöne edle Thema der ersten Exposition muss mezzo forte gespielt werden, die Streicher sollten eher leise spielen und von erhabenen und ruhigen, in gebrochenen Akkordendes Klaviers gespielten Klängen begleitet werden."


    Lieber Holger, zu einer Aufnahme mit Abbado und dem 3. Konzert von Rachmaninow ist es allerdings zuvor gekommen; die Platte entstand 1977 für CBS. Aufnahmen von Berman erschienen auch für bei der EMI. Hier liegt eine ganz außerordentliche Aufnahme der großen B-Dur Sonate Schuberts vor mit einem hinreißend langsam gespielten Satz. In dem entsprechenden Thread hattest Du kolportiert, dass Berman so langsam gespielt habe, da er in Moskau für die Aufnahmesession nach Minuten bezahlt wurde und daher Lust bekam, das ohnehin schon langsame Tempo der Richter-Aufnahme zu überbieten. In England erschienen Liszt-Aufnahmen beim Label SAGA, in den Staaten gab es Platten über die Label Columbia und Murray Hill. Also eigentlich ein ganz gut gedeckter Tisch bei eingeschränkter deutscher Wahrnehmung. Was aber nichts Ungewöhnliches war.

    Zu Deiner Bemerlung mit eingeschränkter deutscher Wahrnehmung paßt, lieber Thomas, dass die aktuelle Ausgabe sämtlicher DGG-Aufnahmen noch nicht einmal mit einer deutschen Nummer gelistet ist, so dass Geschäfte wie Saturn z.B. sie gar nicht bestellen können. Das geht nur per Import via Internet.


    In der Discographie habe ich entdeckt, dass er bei EMI außer der B-Dur-Sonate von Schubert noch die 2. Klaviersonate von Schumann aufgenommen hat. Ansonsten gibt es noch eine Reihe CBS-Aufnahmen (u.a. Beethoven), die man leider nicht mehr bekommt. Über Import zu haben aus Japan ist das 3. Rachmaninow-Konzert mit Abbado und auch das Carnegie-Hall-Konzert mit Chopins Sonate op. 35 - ziemlich teuer. Selbst von den Melodya-Aufnahmen gibt es längst nicht alles - unverständlicher Weise die Aufnahme mit den Scriabin-Etüden nicht. Schade auch, dass der Mitschnitt eines Konzerts bei der BBC von 1995 nicht mehr greifbar ist auf CD - da spielte er neben Liszt und Mussorgsky die Klaviersonate von Leos Janacek.



    Im deutschen Falle hätten die sowjetischen Aufnahmen Bermans durchaus über das Label "Eurodisc" in westdeutsche Kennerkreise kommen können. Möglicherweise war sein Programm zu sperrig (neben Liszt viel Scriabin und auch Ravel) oder, wie im Falle Beethoven, durch andere Künstler schon gut vertreten. Wir dürfen schließlich nicht vergessen, da wir in den 1970er Jahren schon auf abgeschotteten Märkten gekauft hatten. Nicht nur die Russen wurden ausgeblendet (selbst wenn die hätten reisen dürfen). Auch die französische Pianistenschule fand hier kaum Gehör. Und angesichts der hohen LP-Preise war ein ganz anderer Kampf um die Mark des Käufers gegeben als heute. Eine Chance hatten die Ostblockkünstler allerdings: aufgrund der recht günstigen Übernahmen von Aufnahmen der Label supraphon, eterna, melodija, muza oder hungaroton waren die Klassikplatten von Eurodisc in aller Regel unschlagbar günstig. Mehr als 12,50 DM haben die nie gekostet.

    Die Vermarktungsstrategien, die "Stars" hervorbringen wollen, sind höchst problematisch, was sich besonders im Falle Berman geradezu exemplarisch zeigt. Berman wurde geradezu grotesk als russischer Steppenwind und zügelloser Donnervirtuose im Westen verkauft - was nicht nur kompletter Unsinn ist, sondern auch jeder Kenntnis der Besonderheiten der russischen Pianistenschule entbehrt. Berman war nämlich der Lieblingsschüler von Alexander Goldenweiser, dem Antipoden von Heinrich Neuhaus, dem Lehrer von Gilels und Richter. Goldenweiser war ein Purist und Minimalist (je weniger, desto besser) - das kann man auch hören, ich habe eine Aufnahme mit Scriabin von ihm. Berman zitiert das Credo seines Lehrers: "Man muß jede Note die man spielt begründen können." Das passte natürlich nicht in die Verkaufsstrategie - für das "Seriöse" hatte man schließlich Gilels und Richter. Dann blieb die Nische des Liszt-Spezialisten übrig.



    All dies bedacht finde ich es schon erstaunlich, dass Lazar Berman so wenig wahrgenommen wurde. Die russische Isolation dürfte den geringsten Anteil daran haben (sowas hätte man zu Zeiten des kalten Krieges werbewirksam aufgebauscht).

    Kennern glaube ich ist Berman ein Begriff gewesen und nach wie vor einer - die Masse dagegen kauft heute Lang Lang (was für ein Absturz!)


    Gerade beim Plattenhändler die Doppel-LP mit den Liszt's Etudes d'execution transcendante erstanden, für € 3,50. (lutgra)


    Auch heute noch haben Bermans Aufnahmen der Liszt-Etüden nichts von ihrer atemberaubenden Wirkung eingebüßt, lieber Lutz - sie sind wirklich exemplarisch. Da kommt alles zusammen - nicht nur die überirdische Virtuosität, sondern der Sinn für die emotionale und geistige Dimension dieser Musik.


    Man muß allerdings wissen, dass es von Berman zwei Melodya-Aufnahmen gibt und ein Konzertmitschnitt - er hat doch tatsächlich die titanische Leistung vollbracht, alle 12 in Mailand aufzuführen als Teil eines Programms, das auch noch Rachmaninow enthält!


    Die älteste Aufnahme ist in Mono, Aufnahmedaten 27.2. u. 8.4.1959 und war lange die einzige, die von ihm auf CD erhältlich war:



    1963 hat er die Etüden nochmals in Stereo aufgenommen, diese Moskauer Produktion ist erst kürzlich wiederveröffentlicht worden:



    Im Mailänder Konzert 1976 ist der Höhepunkt die Etüde Nr. 10 - eine der schwersten Liszt-Stücke überhaupt - da explodiert er geradezu vor Leidenschaft am Flügel. Einfach unglaublich! Das hingerissene Publikum applaudiert spontan:



    Schöne Grüße
    Holger

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  • Nun habe ich die DGG-Berman-Box auch endlich bekommen:



    Das Seltsame ist: Sie hat gar keine deutsche Bestellnummer, so dass sie "normale" Geschäfte wie Saturn etwa gar nicht ordern können! Wenn man in den Klappentext schaut, sieht man warum: Es gibt nur einen englischen Begleittext und dazu eine italienische (!) Übersetzung. Nach seiner Ausreise wurde Berman italienischer Staatsbürger und lebte in Bella Italia - ich nehme an, diese Ausgabe geht auf italienische Initiative zurück. Zum Glück! Ich hoffe nur, dass CBS (heute Sony) Berman nicht vergißt, wo sie doch im Moment so viele Boxen herausbringen (Perahia, Bolet, Nelson Freire - das ist zwar u.a. auch RCA, aber heute doch wohl derselbe Konzern?). Da fehlen solche Schätze wie die Schumann-Sonaten Nr. 1 und 2, die Scriabin-Sonaten Nr. 1 und 3, einige Beethoven-Sonaten, die Carnegie-Hall-Mitschnitte, das Rachmaninow-Konzert Nr. 3 mit Abbado und Bernstein.


    Ich freue mich schon aufs Hören - manches war bislang unveröffentlicht auf CD wie die Chopin-Polonaises, die Prokofieff-Sonaten und der Schostakowitsch sowie die Moments musicaux von Rachmaninow.


    Das günstigste Angebot sind derzeit 40 Euro für 10 CDs - da sollte man zuschlagen!


    Schöne Grüße
    Holger

  • Lazar Berman, einer der bedeutendsten russischen Pianisten des 20. Jahrhunderts, der am 26. Februar 1930 in Leningrad (heute St. Petersburg) geboren wurde, starb am 6. Februar 2005 in Florenz. Anlässlich der Vorbereitung zu dieser Erinnerung entdeckte ich, dass er noch keinen eigenen Thread hat.
    Diesen Umstand möchte ich hiermit ändern. Da die Informationen in Wikipedia auch nicht sehr ergiebig waren, habe ich ein wenig gegoogelt und diese Biographie gefunden, die von Erik Erikson stammt, und ich habe versucht, sie so gut wie möglich ins Deutsche zu übersetzen:


    "Künstler-Biographie Lazar Berman (Erik Erikson)
    Von Einigen wurde Lazar Berman als die dritte Hauptfigur unter den großen russischen Pianisten der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bezeichnet. Emil Gilels, der erste im Range eines genialen russischen Pianisten, der im Westen bekannt wurde, bestand darauf, dass es noch einen, im Westen bisher unbekannten Künstler gäbe, der größer sei. Später, als Swjatoslaw Richter nach Europa und Amerika gekommen war, gaben die Meisten Gilels Recht. Zu einem noch späteren Zeitpunkt behauptete Gilels jedoch, dass es noch einen weiteren Pianisten gäbe, Lazar Berman, der der Größte von ihnen dreien wäre. Nach einer ersten, Aufsehen erregenden Tournee durch die USA 1976 und weitere Auftritte im Westen stellte die Kritik fest, dass er zwar ein außergewöhnlicher, unangepasster Künstler sei, aber nicht besser als Richter oder Gilels.


    Lazar Berman wurde zuerst von seiner Mutter, Anna Makhover, einer früheren Absolventin des vorrevolutionären St. Petersburger Konservatoriums, unterrichtet. Mit dreieinhalb Jahren wechselte er in den Unterricht von Samary Savchinsky am Leningrader Konservatorium und hatte seinen ersten öffentlichen Auftritt mit vier Jahren. Als seine Familie 1939 nach Moskau zog, erregte Lazar Berman die Aufmerksamkeit des berühmten Pianisten Alexander Goldenweiser, der ihn zunächst an der zentralen Moskauer Kindermusikschule und später am Moskauer Konservatorium unterrichtete.
    Nur ein Jahr später führte Berman zusammen mit den Moskauer Philharmonikern Mozart auf.
    Berman wurde auch gefördert durch Vladimir Sofronitzki und Swjatoslaw Richter.
    Er schloss am Konservatorium 1957 ab, nachdem er 1956 Preisträger beim Brüsseler Concours Reine Elisabeth und beim Franz Liszt in Budapest geworden war. Während der Tournee durch den Westen nahm er in London Beethovens "Appassionata" und Liszts h-moll-Sonate auf. Diese Aufnahme hatten den Appetit auf weitere Berman-Aufnahmen geweckt, jedoch wurden ihm zwischen 1959 und 1971 weitere Auslandsreisen untersagt, weil er eine Französin geheiratet hatte.


    Die Aufnahmen mit Musik von Franz Liszt, die er inzwischen für das russiche Label Melodiya gemacht hatte, fanden auch ihren Wege nach Europa und Amerika und hielten das Interesse an seiner stupenden Technik und seinem Brio im romantischen Repertoire wach. In den 70er Jahren durfte er wieder Auslandstourneen unternehmen. Sein Ruf wuchs dabei ins Gigantische, wobei das Publikum nicht nur seine scheinbar unerschütterliche Technik, sondern auch seine musikalische Autorität lobte. Seine Tournee durch die UDA 1976 fand vor ausverkauften Häusern statt und brachten Buchungen und Debuts in London, Paris und anderen Metropolen mit sich. Seine Aufnahme von Tschaikowskys Klavierkonzert Nr. 1 mit Herbert von Karajan wurde zum Bestseller.


    Nach seinem wechselvollen Weg in den 70er Jahren begann sich die Kritik auf seine "Beschränkungen" zu konzentrieren. Sicherlich gab es nur wenige, die Liszt, Rachmaninow, Tschaikowsky und Skrjabin so spielen konnten wie er, aber bei Komponisten der vor-romantischen Ära verhielt es sich doch anders. Die Strukturen dieser Musik waren nach Ansicht der Kritik für seine grobknochigen Hände weniger geeignet.
    1980 führte die Entdeckung verbotener amerikanischer Literatur in seinem Gepäck zu erneutem Auftrittsverbot im Ausland. Gleichwohl erkannten die Russen seine Bedeutung und so wurde er 1988 zum Verdienten Künstler ernannt, und nach dem Zusammenbruch der UdSSR erhielt er die Erlaubnis, in Norwegen und Italien zu unterrichten. In Italien erwarb er 1994 die Staatsbürgerschaft und ein Haus. Er unterrichte in Imola und konzertierte mit seinem Sohn Pavel, einem Geiger."
    Hier möchte ich noch zwei CD's (Boxen) einstellen, deren zweite (Beethoven) nun gar nicht die o. a. Kritikermeinung, dass Bermans grobknochigen Hände für vorromantische Komponisten weniger geeignet seien, bestätigen, was ich zuletzt noch bei der Besprechung von Beethovens beiden frühen Sonaten op. 49 Nr. 1 und 2 feststellen konnte:



    Heute ist Lazar Bermans 10. Todestag.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Nach einer ersten, Aufsehen erregenden Tournee durch die USA 1976 und weitere Auftritte im Westen stellte die Kritik fest, dass er zwar ein außergewöhnlicher, unangepasster Künstler sei, aber nicht besser als Richter oder Gilels.

    Joachim Kaiser ("Große Pianisten") erwähnt ihn 1977/78 auf einer einzigen Seite in einem Klammersatz, und das nicht einmal positiv.
    Übrigens war J. K., der leider Erkrankte, auch in Bezug auf Paul Badura-Skoda seinerzeit mit einem "blinden Fleck" gehandicapt.
    Mein Wunsch wäre, dass dieses Standardwerk von jemandem, der wirklich aus eigener pianistischer Weltklassenerfahrung mitreden kann, grundlegend revidiert, von manchen Wertungsfehlern bereinigt und aktualisiert wird. Ob das noch realisiert werden kann? Alfred Brendel dürfte der dazu Berufene sein.



    Die Aufnahmen mit Musik von Franz Liszt, die er inzwischen für das russiche Label Melodiya gemacht hatte, fanden auch ihren Wege nach Europa und Amerika und hielten das Interesse an seiner stupenden Technik und seinem Brio im romantischen Repertoire wach. [...] Seine Aufnahme von Tschaikowskys Klavierkonzert Nr. 1 mit Herbert von Karajan wurde zum Bestseller.

    Letztere lief heute auf WDR3, wo man an den 10. Todestag erinnerte, und ja, diese Aufnahme verdient das Prädikat 'denkwürdig'.
    Doch der nächste Berman-Gedenktag steht kurz bevor, ist doch bereits der 26. Februar sein 85. Geburtstag.
    Und zu diesem Anlass bringt SR 2 KulturRadio (http://streaming01.sr-online.de/sr2_2.m3u) am Sonntag, 22. Februar um 9:30 Uhr einen Mitschnitt vom 22. April 1989 (in ebenjenen Tagen hörte ich Alfred Brendel zum einzigen Mal im Klavierabend) von Liszts A-Dur-Konzert mit dem RSO Saarbrücken unter David Shallon.



    Nach seinem wechselvollen Weg in den 70er Jahren begann sich die Kritik auf seine "Beschränkungen" zu konzentrieren. Sicherlich gab es nur wenige, die Liszt, Rachmaninow, Tschaikowsky und Skrjabin so spielen konnten wie er, aber bei Komponisten der vor-romantischen Ära verhielt es sich doch anders. Die Strukturen dieser Musik waren nach Ansicht der Kritik für seine grobknochigen Hände weniger geeignet.

    Bei einem gewissen Mr Horowitz lag die fehlende Eignung für die allergrößten Vor-Romantiker plus Schubert (z.T. ist sein Scarlatti und sein Haydn ganz achtbar, aber für meine Ohren klingen auch diese beiden für das Klavier keineswegs unwichtigen Schöpfer oft nicht natürlich und frei von Maniriertheit) sicher nicht an der Form der Hände, deshalb werte ich die Kritiker-Herleitung des ähnlichen Mankos bei Lazar Berman als vorgeschoben. Genauso falsch wäre es, die russische Klavierschule dafür verantwortlich zu machen. Swjatoslaw Richter, für mich der universellste und letztlich deswegen auch überzeugendste Pianist des 20. Jahrhunderts, war auch ein Kind jener Schule (Heinrich Neuhaus) - und ihm gelangen Werke aus sämtlichen Stilepochen wie einem Chamäleon der Farbwechsel.


    Die Wahrheit ist also, dass auch Lazar Berman, allerdings ohne die krassen Auswüchse eines Horowitz, einen Prototyp des Virtuosen verkörpert, dessen "lebensnotwendiges" Element die expressive Ära von Chopin bis Rachmaninow darstellt, und dem die klassische Formenstrenge, das "Korsett" vorromantischer Musik mental bedingt zeitlebens terra incognita bleiben muss(te).
    Und was die Klaviermusik Liszts betrifft, so fällt mir eigentlich nur 1 einziger Pianisten-Kollege (aus den älteren Garden) ein, der den Liszt'schen Ton, welcher von den meisten großen Namen, Alfred Brendel und Claudio Arrau z.B. ausgenommen, klar verfehlt bzw. überzeichnet wird, so vollendet trifft und die bei Liszt zentral wichtige und vom Chopin-Rubato zu unterscheidende Agogik (die Kunst der Veränderung des Tempos) meisterlich beherrschte, wie es wohl nur der Burgenländer selbst vermochte: Dieser Name lautet Jorge Bolet, m.E. der ungekrönte König aller Liszt-Interpretation.

  • Zitat von Pianoforte

    Die Wahrheit ist also, dass auch Lazar Berman, allerdings ohne die krassen Auswüchse eines Horowitz, einen Prototyp des Virtuosen verkörpert, dessen "lebensnotwendiges" Element die expressive Ära von Chopin bis Rachmaninow darstellt, und dem die klassische Formenstrenge, das "Korsett" vorromantischer Musik mental bedingt zeitlebens terra incognita bleiben muss(te).


    Ich bin ja nicht unbedingt ein Freund von "Wahrheiten", weil mir dieses Wort einfach zu groß und apodiktisch erscheint. Natürlich hat Berman seine Stärke in dem von Dir genannten Bereich, aber Liszt wiederum auf seine Expressivität zu reduzieren, das ist mir etwas zu eindimensional. Die von Willi genannten Années, die Berman imO sogar besser eingespielt hat als der von mir hochverehrte Jorge Bolet, lassen sich doch nicht einfach mit dem Begriff des Expressiven umschreiben. Für die von Dir vertretene Einschätzung Bermans scheint mir am ehesten seine Einspielung der Etudes d'execution transzendente beispielhaft.



    Mit bestem Gruß zum Wochenende
    JLang

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

  • Um ein kleines Missverständnis auszuräumen: Mir ist wohlbekannt, dass Liszt nicht nur expressiv-hochvirtuos für Klavier komponiert hat, aber ebenso sicher ist (ohne das mancherseits verpönte Wort "wahr" zu benutzen), dass Liszt nicht zu den herausragenden Klavierkomponisten zählen würde, hätte er nur Werke im Stil etwa der "Consolations" oder der ruhigeren Stücke der "Annees de pelerinage" geschrieben. Gerade im letzteren Zyklus, nach Spieldauer in Summe Liszts Hauptwerk für sein Instrument, zeigt sich ja (nahezu) die gesamte Palette der Liszt'schen Ausdrucksmöglichkeiten (Dante-Fantasie , Vallee d'Obermann / Tellkapelle , Pastorale).


    Wesenstypisch für Liszt und musikhistorisch von revolutionär-visionärer Wirkung sind weit überwiegend seine expressiven Klavierwerke wie h-moll-Sonate, die 2. Ungarische Rhapsodie und der 1. "Mephisto"-Walzer oder auch die schon impressionistischen "Jeux d'eau a la Villa d'Este". Das nicht-expressive, in den Ausdrucksmitteln stark reduzierte und technisch weniger anspruchsvolle Spätwerk - hier liegt ja prozentual das nicht-expressive Schwergewicht - wird kaum ohne Grund außerhalb von Gedenkjahren nur seltenst aufgeführt, was nicht heißen soll, dass es ohne jeden Reiz wäre.


    Der Ausdruck "expressive Ära" ist deshalb komprimierend und cum grano salis zu verstehen.
    (Selbst der biographisch nur der klassischen Epoche - im engeren Sinn - zurechenbare Mozart hat ein Klavierwerk wie Präludium und Fuge KV394 oder die Suite KV399 zu Papier gebracht, die beide stilistisch neobarock sind - und dennoch bezeichnet niemand W.A.Mozart als partiell barocken Meister.)

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  • Zitat Pianoforte

    Zitat

    Mir ist wohlbekannt, dass Liszt nicht nur expressiv-hochvirtuos für Klavier komponiert hat, aber ebenso sicher ist (ohne das mancherseits verpönte Wort "wahr" zu benutzen), dass Liszt nicht zu den herausragenden Klavierkomponisten zählen würde, hätte er nur Werke im Stil etwa der "Consolations" oder der ruhigeren Stücke der "Annees de pelerinage" geschrieben. Gerade im letzteren Zyklus, nach Spieldauer in Summe Liszts Hauptwerk für sein Instrument, zeigt sich ja (nahezu) die gesamte Palette der Liszt'schen Ausdrucksmöglichkeiten (Dante-Fantasie , Vallee d'Obermann / Tellkapelle , Pastorale).


    Eben darauf wollte ich hinaus :)
    Ob das Spätwerk allerdings musikhistorisch wirklich weniger bedeutend ist, als seine "expressive Phase" das vermag ich ad hoc nicht zu beurteilen. Für mich sind die einen ohne die anderen Werke einfach nicht vorstellbar. Denn hätte er sich nur auf die expressiven Werke konzentriert, dann wäre seine Musik vermutlich bis heute als die eines "Tastendonnerers" verschrieen. "Wesenstpyisch" sind für mich auch die Spätwerke, ansonsten müsste man ja voraussetzen, dass sich ein Wesen während seines Lebens nicht ändert, und das scheint mir wiederum sehr unwahrscheinlich.
    Beste Grüße
    JLang



    Zitat Pianoforte

    Zitat

    Liszt'schen Ton, welcher von den meisten großen Namen, Alfred Brendel und Claudio Arrau z.B. ausgenommen, klar verfehlt bzw. überzeichnet wird,

    OT Allein für sein Engagement für Liszt verdient Brendel großen Respekt, wenngleich auch ich nicht alle seine Annäherungen an Liszt überzeugend finde. Aber er hat doch gezeigt, wie Liszt auch funktionieren kann.

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

  • Nach seinem wechselvollen Weg in den 70er Jahren begann sich die Kritik auf seine "Beschränkungen" zu konzentrieren. Sicherlich gab es nur wenige, die Liszt, Rachmaninow, Tschaikowsky und Skrjabin so spielen konnten wie er, aber bei Komponisten der vor-romantischen Ära verhielt es sich doch anders. Die Strukturen dieser Musik waren nach Ansicht der Kritik für seine grobknochigen Hände weniger geeignet.


    Was für einen Quatsch doch Kritiker schreiben, lieber Willi! Lazar Berman liebte z.B. die Sonaten von Johann Kuhnau - ich habe ihn am 20. März 1987 in der Kölner Philharmonie gehört - er spielte zuerst die 2. Sonate von Kuhnau, dann Prokofieff und Liszt.


    Wirklich sehr lesenwert ist Bermans Autobiographie - er war ein ungemein sympathischer, humorvoller Mensch (der von sich selbst gerne Karrikaturen zeichnete), dem das Regime der UDSSR wirklich übel mitspielte. Wegen "antisowjetischem Schmuggel" zerstörte man seine Karriere und er wurde in der SU quasi "inhaftiert". So konnte er die Einladung von Jimmy Carter ins Weiße Haus nicht annehmen (keine Ausreise!) und auch die schon geplante Aufnahme mit Rachmaninows 2. Konzert mit Abbado fiel ins Wasser. Erst Gorbatschow hob diesen Bann auf - vom einstigen "Star" wollte da allerdings niemand mehr etwas wissen. Abbado, Mehta ignorierten ihn einfach, beantworteten seine Briefe nicht. Er beschreibt das alles sehr desillusionierend (mit vielen guten Ratschlägen für junge Pianisten). Zudem erfährt man dort sehr viel über die russische Pianistenschule. Ein ungemein wertvolles Buch:



    Der größte Unfug ist seine Vermarktung als zügelloser russischer Virtuosentyp. Das ist einfach eine völlige Verkennung seiner Herkunft. Berman war der Lieblingsschüler von Alexander Goldenweiser, dem Antipoden von Heinrich Neuhaus, dessen Schüler Gilels und Richter waren. Goldenweiser war das krasse Gegenteil von einem typischen russischen "Expressivo"-Musiker - ein Purist und Minimalist. Seine Maxime für seine Schüler gibt Berman so wieder: "Man muß jede Note die man spielt begründen können!" Bermans Spiel (deswegen gelingt eben auch sein Beethoven und Schumann so vorzüglich) ist geprägt von größter Gewissenheit - ein immer lupenreines Klavierspiel größter Klarheit und von unerhörtem Perspektivenreichtum. Nichts ist da irgendwie undurchdacht. Ich selbst habe ihn erlebt, was für ein unglaublich feinsinniger Pianist er war.


    Unsterblich sind auf jeden Fall seine "Annees de Pelerinage" - er ist einfach der beste Interpret dieses Liszt-Werks, den es je gab (auch ein Jorge Bolet erreicht ihn da bei weitem nicht). Chopin spielte er eher selten wegen eines traumatischen Jugenderlebnisses. Aber wenn, dann! Seine Trauermarschsonate ist ein Juwel - eine der besten Aufnahmen, die je gemacht wurden.


    Die Liszt-Etüden sind natürlich ein Ereignis - es ist wahrlich eine Schande, dass vieles von ihm bislang einfach unveröffentlich geblieben ist auf CD. So fehlen die CBS-Aufnahmen (Beethoven, Scriabin) sowie seine berühmte Aufnahme der Scriabin-Etüden.


    Herzlich grüßend
    Holger

  • Zu Berman existiert ja schon ein therad,
    vor gar nicht allzu langer Zeit angelegt :)
    , vielleicht könnten die zusammengelegt werden?


    Beste Grüße
    JLang

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  • Vielleicht könntest du dich da etwas näher zu äußern, lieber Jörn? Ich habe keinen gefunden, und ich schaue immer im Thread-Directory nach. Da war nichts.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Lieber Willi,


    hier hatte ich einmal einen thread angelegt:
    http://www.tamino-klassikforum…age=Thread&threadID=17402


    Vielleicht war er noch nicht in der directory?
    Da Dein Beitrag aber erheblich mehr Informationen zu Berman beisteuert, wäre es doch schön, wir können den anderen therad ergänzen, oder?
    Liebe Grüße
    Jörn

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  • Das wird es sein, lieber Jörn, und ich kann mich jetzt erinnern, dass ich schon darin gelesen. Wenn ich auch schon darin geschrieben hätte, :untertauch: ....


    Also, ich habe nichts dagegen, wenn die beiden Threads zusammengelegt werden, wenn das denn machbar ist.


    Liebe Grüße


    Willi :)


    Die Threads wurden heute, am Samstagn dem 15.7. 2017 zusammengelegt und ins Thread Directory eingetragem.
    Man darf sich nicht darauf verlassen, daß eine Thread nicht existiert, wenn er nicht im Directory zu finden ist.
    Besser ist heir Google - wir sind bis zu 3 Jahre im Verzug, in Teilbereichen sogar viel länger...

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).


  • Das 3. Klavierkonzert von Sergei Rachmaninow ist ein „Schlachtross“, gilt als der „schwerste Brocken“ unter den Konzerten, nicht zuletzt wegen seiner immensen physischen Anforderungen. Allein die riesige Kadenz zum Ende des 1. Satzes ist dazu geeignet, die Kräfte des Pianisten vorzeitig aufzubrauchen. Heutzutage dient dieses monumentale Konzert deshalb immer wieder gerade Youngstars und solchen die es gerne werden möchten, ihre pianistische „Potenz“ unter Beweis zu stellen. Das Bemerkenswerte an Lazar Bermans CBS Studio-Aufnahme mit Claudio Abbado und dem London SO ist, dass er „Demonstrationen“ und hysterische Forcierungen jedweder Art einfach nicht nötig hat – wenn man über solche immensen Kapazitäten wie selbstverständlich verfügt, braucht man sie gar nicht erst unter Beweis zu stellen und kann aufs klaviertechnische „Protzen“ ganz verzichten. Berman beginnt idiomatisch treffend mit einem schwermütig eingefärbten, sehr „russischen“ Ton. Wie er immer klar, ungemein dynamisch und mit großem Gespür für die große Architektur dieses Konzerts organisch stets richtig proportioniert, beeindruckt. Eine wahre Sternstunde ist die große Kadenz. Berman spielt die ausladende Langfassung und nicht jene spritzig-erotischere Kurzversion, die Horowitz bevorzugt. Ich mag diese langgezogene Kadenz eigentlich weniger, weil sie eher behäbig und etwas fettleibig wirkt. Nicht so bei Berman – hier hat sie mich musikalisch eigentlich zum ersten Mal überzeugt! Mit seiner überlegenen dynamischen Dramaturgie und dem nötigen Überfluss an Kraft schafft er es, hier eine zwingende organische Klimax aufzubauen, so dass das Schwerfällige eben gar nicht mehr so wirkt, sondern zu einem großen symphonischen Ausflug auf dem Klavier wird. Berman packt gewaltig zu – aber immer nur, wenn es sein muss. Souveräner, uneitler und unplakativ hoch virtuoser kann man dieses Konzert nicht spielen – zudem äußerst einfühlsam begleitet von Claudio Abbado, der den Ton mit dem London SO eher durchsichtig und schlank hält, als die Musik in üppiger Klangschwelgerei zu ersaufen. Exemplarisch – und ein Glück, dass diese Aufnahme nun endlich wieder veröffentlicht ist. :) :) :)


    Schöne Grüße
    Holger

  • Dann werde ich mir wohl morgen Nacht dieses Konzert zu Gemüte führen.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Lieber Willi,


    höre mal CD 5 mit Clementi, Mozart und Beethovens "Pathetique" - ein Konzert aus der Carnegie Hall vom 11. März 1979. Die Pathetique ist einfach unglaublich schön gespielt - da ist ihm zudem ein Wunder an Ausgewogenheit gelungen, gerade auch mit dem Finale! :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

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  • Was für ein Mitschnitt aus Mailand vom 25. Nov. 1972 - technisch zwar mit zwei Patzern, aber das macht gar nichts! Diese Dante-Sonate ist einfach gigantisch! Das "pesante" zu Beginn nimmt er hier wörtlich, eine lastende Nachdenklichkeit und Subjektivität, welche er in der puristischen Studioaufnahme der DGG nicht mehr zuläßt. Hochexpressiv bis zum Bersten aber ohne jede Übertreibung, glassklar, pianistisch fabelhaft, wenn ich nicht so ein stümperhafter Amateur auf dem Klavier wäre, genau so würde ich diese Symphonische Dichtung für Klavier interpretieren. Wieder einmal der Beweis, dass Berman der beste Interpret der "Annees..." war, den es jemals gab. Eine Berman-Sternstunde - ebenfalls auch die 4. Scriabin-Sonate! Den "Rest" muss ich noch hören... :)


    Schöne Grüße
    Holger


  • Kleiner Hinweis am Rande. Seit 1. Juni 2017 ist die in Beitrag Nr 15 genannte Melodiya Aufnahme der "Etudes d'execution transcendante " von Franz Liszt aus dem Jahre 1963 in einer Ausgabe des Labels "Diapason" als Budget-CD um 5.99 verfügbar.



    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Als ich diesen Thread überflogen hatte, habe ich mir die SONY - 6 CD - Kassette besorgt und sofort CD 1 und CD 5 gehört, sowie in die anderen CDs reingehört. Ich war sofort fasziniert von diesem Pianisten, natürlich von der Makellosigkeit seines Spiels, seiner unglaublichen Technik sowie der Beherrschung der Agogik, aber auch vom "amerikanischen" Klang des oder der Flügel, den ich besonders von Horowitz und R. Serkin und deren CBS- (nur bei Serkin) und RCA- Aufnahmen verschiedener (technischer) Qualität her kannte.


    Zu Rach 3:
    jahrelang war ich am Rätseln, was mir an der neueren Andsnes- Aufnahme mit Osloer Ph./ Berglund eigentlich fehlt. Es ist jedenfalls nicht die Wärme im Spiel der Norweger oder ihre Empathie, sondern der zu sparsame Einsatz der Möglichkeiten der Tempogestaltung. Da die Berman- Aufnahme mit LSO/ Abbado ein Tick langsamer ist als die einiger anderer Interpretationen, drückt das ohnehin schlichte Hauptthema des ersten Satzes bei ihnen noch mehr Einfachheit aus, gespielte Einfachheit.


    Zur Chopin Sonate op. 35:
    bei diesem Werk für Soloklavier kommen die Möglichkeiten der Agogik noch mehr zur Entfaltung. Bei Berman wirkt sein Spiel dabei ganz selbstverständlich, bei Horowitz eher wie ein theatralisches Mittel ( "Zauberstab") und deshalb gelegentlich überzogen.


    Schliesslich habe ich heute nachmittag J. Kaisers letzte Auflage von "Grossen Pianisten" zur Hand genommen und war ganz baff, wie kurz er den L.B. abhandelt, was schon im Thread weiter oben auf Unverständnis gestossen ist.


    Gruss vom D.

  • Zur Chopin Sonate op. 35:
    bei diesem Werk für Soloklavier kommen die Möglichkeiten der Agogik noch mehr zur Entfaltung. Bei Berman wirkt sein Spiel dabei ganz selbstverständlich, bei Horowitz eher wie ein theatralisches Mittel ( "Zauberstab") und deshalb gelegentlich überzogen.

    Das ist wirklich eine absolut herausragende Interpretation, lieber Damiro. Einer meiner absoluten Referenzen (siehe den Thread über op. 35).


    Im Falle Horowitz meinst Du die RCA-Aufnahme? Er hat ja zwei extrem unterschiedliche Einspielungen gemacht (RCA und CBS), wo ein Unerfahrener meinen könnte, da spielen zwei verschiedene Pianisten! :)


    Schöne Grüße
    Holger

  • Ich meine die CBS Aufnahme, Holger !


    Aber wo du so schreibst, sollte ich die beiden Aufnahmen nochmals gegeneinander hören. Ich werde berichten... :S

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