Troubadour (Verdi) im Fernsehen (ARTE 15.08.14)

  • Mich beeindruckten eine sängerisch großartige Anna Netrebko (Leonora) und ein großartiger Sängerdarsteller Placido Domingo (Luna).
    Francesco Melis (Manrico) war gut, aber weder seine Arie „A si ben mio“ noch die Stretta überzeugten, der Arie fehlte in gewisser Weise die Herzenswärme, der Stretta der Heldenglanz (wenn ich mich nicht verhört habe, hielt er bei „All ar-mi“ beim Vokalwechsel auch nicht die Tonhöhe). Domingo verfügte zwar nicht mehr über das Material, um „Il balen“ als wohl schönste bzw. zweitschönste Verdi-Baritonarie zu kennzeichnen, er überzeugte aber durch Bühnenpräsenz, vor allem auch im Schlussterzett mit Melis und Netrebko.
    Ich habe noch nie einen so guten Luna im Sinne eines Sängerdarstellers gesehen. Domingo schauspielert nicht, vielmehr kommen sein Agieren und seine Mimik unmittelbar aus „seinem“ musikalischen Erleben. Das ist große Kunst, das hat ihn auch früher in den 1970er Jahren in seinen großen Tenorpartien ausgezeichnet. Die Platte gibt das nicht wieder.


    Eigentlich hat Verdi für die Azucena die dramatische Hauptpartie geschrieben, Marie Nicole Lemieux füllte sie sängerisch und darstellerisch gut aus. Die Kamera rückte ihr aber oft zu nah auf die „Haut“, bei Anna Netrebko war das noch gut anzuschauen, wenngleich man sich fragt, ob sie mehr für das Fernsehen oder das Publikum gespielt hat. Wenn sich Frau Netrebko im Opernhaus so anhört, wie sie im Fernsehen heute gesungen hat (mit nur leichtem Vibrato, einer blendenden, nie scharfen Höhe und mit schön klingender Tiefe), dürfte sie als Leonora derzeit kaum zu übertreffen sein.


    Aber, wie gesagt, das Fernsehen bzw. die Höraufnahme nivelliert so ziemlich alles, was den Originalgesang auch ausmacht (Piano, Volumen, Tragfähigkeit etc.). Es ist schon absonderlich, wenn die Lautstärke wie bei der Übertragung aus Salzburg uniform auf gleicher Höhe ist, bei den Hauptsängern ebenso wie bei den kleinen Nebenrollen, egal, wie weit die Kamera von den Sängern entfernt ist. Überhaupt frage ich mich, warum die Kameraführung bzw. die Kameraregie ständig meint, das Werk durch Überblendungen, Nahaufnahmen, die den Perückenansatz sichtbar werden lassen (Manrico) oder Ausweichen auf Nebenhandlungen interessanter werden zu lassen. Eigentlich reichen zwei Kameraeinstellungen, ein Weitwinkel für Bühnenbild und Chor etc. sowie für die Solisten ein Bild, welches die „Ganzkörperaufnahme“ nicht überschreitet, aus. Das Bühnenbild (Alvis Hermanis) mit wechselnden Großbildern berühmter abendländischer Maler (die Handlung spielte in einer Gemäldegalerie) und roten Renaissance­kostü­men (Eva Dessecker) hat mir gefallen (allerdings fand ich das Schlussbild im Kerker zu stark ausgeleuchtet, das passte nicht so sehr zum traurig-schönen „Ai nostri monti“). Dirigiert hat Daniele Gatti.

    Oper lebt von den Stimmen, Stimmenbeurteilung bleibt subjektiv

  • Ich nehme mal das Motto des Threadstarters als Einstieg in meine kurz und bündig ausfallende Beurteilung: Ralfs Statement kann ich unterschreiben - bis auf sein Urteil über die Azucena. Ihr Tremolo ging mir schmerzhaft auf die Ohren, ich empfand das als ein grausames Martyrium. Insgesamt hat mir der "Troubadour" zugesagt.


    :hello:

    .


    MUSIKWANDERER

  • Sagitt


    Obwohl Troubadour gar nicht meine Oper ist, fand ich die Netrebko sehr beeindruckend. Der ganze Hype um sie hat ihrer künstlerischen Entwicklung nicht geschadet. Domingo ist mit seinen 73 Jahren einfach nicht rollendeckend, so eindrucksvoll seine Kondition ist (in der Pause noch ein Interview zu geben).
    Die erste Verdi Arie, die ich vor reichlich 55 Jahren kennenlernte, war di quella pira mit del Monaco. Da hatte der Tenor gestern keine Chance.

  • Eine kurze Skizze meiner gestrigen Eindrücke:


    Insgesamt eine gute Aufführung mit Glanzpunkten und Einschränkungen. Azucena ist in der Höhe zu grell und eingeengt, ihre Tiefe ist ok. Optisch war sie keine Bereicherung, deshalb werde ich mir ihren Namen auch nicht merken.


    Francesco Meli fehlt für die Partie des Manrico das erforderliche Metall in der Stimme. Recht verhalten begann er die ersten beiden Akte. Sein „A si ben mio“ war dann noch ordentlich, das anschließende Duett mit AN lieblich, da ausschließlich lyrisch, doch die Stretta war weit unter Durchschnitt. Die Angst vor dem c’ war ihm auf die Stirn geschrieben und er hat für den Ton einen langen Anlauf gebraucht. Ist eben ein lyrischer Tenor, ohne Spinto- oder gar heldischen Ansprüchen gerecht werden zu können. Doch muß deshalb gleich nach dem lispelnden Corelli gerufen werden? Marcelo Álvarez wäre heute der adäquate Partner der Netrebko gewesen.


    Plácido Domingo hat sich recht ordentlich durch seine Luna-Rolle gekämpft. Seine Arie „Il balen del suo sorriso“ gelang ihm mehr deklamatorisch als belcantesk. Im Pausen-Interview erwähnte er, daß seine Bronchien keinen vollen Atem ermöglichten. Der Schweiß rann ihm in Strömen übers Gesicht. Er hat sich selbst zu viel aufgebürdet. Aber seine Bühnenpräsenz und sein Charisma sind ungebrochen. Stimmliche Abstriche sind altersbedingt.


    Die Krone des Abends gebührt DER LEONORA Anna Netrebko, wem sonst?! Ihre Stimme ist phänomenal. Durchschlagskräftig dramatisch und zarteste Piani, klare und runde Höhe ohne jede Schärfe sowie eine wunderbar erotisch anmutende Tiefe. Akustisch ein Leckerbissen und auch optisch sehr ansehnlich...Sie ist nun in der obersten Sängerliga angekommen.
    Ein Tamino nannte gestern Abend an anderer Stelle-noch während der Übertragung-ihr Dekolleté als das Beste an ihr. Wie despektierlich!


    In den kleineren Rollen gefielen Riccardo Zanellato als Ferrando und Diana Haller (aus Stuttgart, wo sie eine bemerkenswerte Cenerentola sang) als Inez.
    Chor und Orchester auf brauchbar gutem Niveau, wenn auch nicht zu Begeisterungsstürmen hinreißend.
    Über Kostüme und Bühnenbild schreibe ich hier bewusst nichts, darüber haben sich die Berufsmotzer hier (im Thread von Bachiania) und anderswo ja schon zur Genüge ausgelassen.

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Es ist schade, dass zahlreiche Statements zu dieser Inszenierung im falschen, nämlich im allgemeinen Salzburger Thread gelandet sind. Eine Zusammenlegung der Threads ist nicht empfehlenswert, da die zeitliche Abfolge leider nicht mehr stimmt.
    Wer gerne möchte, der kann seinen Beitrag allerdings hier erneut einstellen - er wird dann im anderen Thread gelöscht - allerdings gehen in diesem Falle allfällige schriftliche Reaktionen von Mitgliedern ins Leere.


    Ich selbst habe lange gezögert, ob ich hier ein Statement zu dieser Inszenierung, bzw Aufführung abgeben soll, denn mein Eindruck ist doch zwiespältig - wenngleich nicht so eindeutig vernichtend, wie jener verschiedener anderer Mitglieder. Ich habe vor etlichen Jahren über eine moderne Salzburger Inszenierung von "La Traviata" mit Netrebko, Villazon und Hampson eine vernichtende Kritik geschrieben - etwas das ich hier nicht in dieser Eindeutigkeit tun möchte. Entweder bin ich altersmilde, anspruchsloser oder abgestumpfter geworden - ich weiß es nicht.


    Wenn ich hier über das Bühnenbild, welches ich für unangebracht halte, nicht den Stab breche, dann, weil es im Vergleich mit sonstigen Machwerken der letzten Jahre doch eher harmlos ist. Die historisch korrekten Kostüme indes sehe ich als Kunstwerke, die mich für neue Inszenierungen hoffen lassen. Sie hätten vermutlich die Handlung - in angemessener Kulisse - glaubwürdig rübergebracht. So war es in der Tat - wie gestern jemand geschrieben hat, beinahe eine konzertante Aufführung, die nicht wirklich mitreißen konnte.
    Ich bin kein Stimmenexperte, aber dass Domingo hier bereits an (oder über?) die Grenzen seiner derzeitigen Leistungsfähigkeit ging war letztlich keine Überraschung. den Rest würde ich als mittelmäßige Aufführung, gesungen von Spitzenstars, sehen. die Netrebko finde ich heute wesentlich besser als vor einigen Jahren.
    Sternstunden der Operngeschichte lassen sich nicht planen - und auch nicht jedem suggerieren. Gattis Dirigat fand ich als nicht so schlecht wie gestern hier oft geschrieben, allerdings enttäuschten auch mich diverse Schlüsselstellen, Die Stretta war IMO zu wenig dramatisch, dafür aber zu schnell dirigiert, was Francesco Meli an die Grenzen brachte - an berühmte Stimmen der Vergangenheit auf Aufnahmen durfte man hier natürlich nicht denken - das sollte man aber auch nicht, denn hierbei handelt es sich zumeist um Studioproduktionen unter optimalen Bedingungen (Akustik, Balance und beliebige Wiederholbarkeit, bis hin zum finalen Schnitt bei "Patzern"). Vielleicht ist manches Urteil auch deshalb zu streng, weil einem die Medien vorgaukeln (wollen), jede Produktion der Salzburger Festspiele sei ein "Jahrhundertereignis" - mit diesen Erwartungen im Hinterkopf bekommt man dann bestenfalls gutes Mittelmaß geboten und denkt "Das soll die Weltspitze sein?" - und ist enttäuscht.
    Das Salzburger Publikum war es indes nicht und spendete frenetisch Applaus.
    Eine letzte Bemerkung: Fernsehen in HD, Mikros nahe bei den Sängern, das sind unbarmherzige akustische und optische Lupen....


    mit freundlichen Grüßen
    Alfred Schmidt
    Tamino Klassikforum Wien

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Es ist schade, dass zahlreiche Statements zu dieser Inszenierung im falschen, nämlich im allgemeinen Salzburger Thread gelandet sind.


    So schlecht finde ich das gar nicht. Dort gibt es weitestgehend den Verriss, hier viel mehr Lob. Man kann also beides besser auseinanderhalten. ;)

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Plácido Domingo hat sich recht ordentlich durch seine Luna-Rolle gekämpft. Seine Arie „Il balen del suo sorriso“ gelang ihm mehr deklamatorisch als belcantesk. Im Pausen-Interview erwähnte er, daß seine Bronchien keinen vollen Atem ermöglichten. Der Schweiß rann ihm in Strömen übers Gesicht. Er hat sich selbst zu viel aufgebürdet. Aber seine Bühnenpräsenz und sein Charisma sind ungebrochen. Stimmliche Abstriche sind altersbedingt.

    Also ich übersetze das mal: Ein Tenor, der sich einstmals Verdienste erwarb, ist altersbedingt weder physisch noch stimmlich in der Lage den Anforderungen der Rolle gerecht zu werden, so dass er sich schweißgebadet durch die Rolle, der er nicht gewachsen ist, deklamierend statt singend quält. Aber ob seiner Verdienste und des Ruhmes vergangener Tage soll man das bei einer Festspielaufführung gleichwohl goutieren.
    Ich tue das nicht.



    Die Krone des Abends gebührt DER LEONORA Anna Netrebko, wem sonst?! Ihre Stimme ist phänomenal. Durchschlagskräftig dramatisch und zarteste Piani, klare und runde Höhe ohne jede Schärfe sowie eine wunderbar erotisch anmutende Tiefe. Akustisch ein Leckerbissen und auch optisch sehr ansehnlich...Sie ist nun in der obersten Sängerliga angekommen.
    Ein Tamino nannte gestern Abend an anderer Stelle-noch während der Übertragung-ihr Dekolleté als das Beste an ihr. Wie despektierlich!

    Falls Du meinen Beitrag meinst ("Genau das wollte ich zur "Inszenierung" auch gerade schreiben. So einen öden Schmarrn aus der Mottenkiste des Rampenstehtheaters habe ich lange nicht gesehen. Sehenswert ist gerade allenfalls das Dekolleté der Netrebko"), ist Deine Behauptung reichlich unverfroren. Ich habe Frau Netrebko etwas zuvor durchaus positiv beurteilt. Das Gesagte bezog sich auf die Szene. Wer lesen kann, ist oft im Vorteil.

    res severa verum gaudium


    Herzliche Grüße aus Sachsen
    Misha

  • Mit dieser grandiosen Übersetzung hast du dir 'ne Butterbemme verdient, Misha! Wenigstens ein Betroffener... ;)

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Ich gebe zu, dass ich manchmal einen etwas schrägen Humor habe ;)


    Aber mal im Ernst: Domingo, den ich mit Ausnahme des dt. Faches sehr schätze, tut sich mit solchen Auftritten keinen Gefallen. Und seinem Publikum auch nicht. HottersWotan im Solti Ring war zB ebenfalls nur geeignet das Ansehen des großen Sängers zu demontieren.


    Und das Dekolleté von AN war sehenswert ;)

    res severa verum gaudium


    Herzliche Grüße aus Sachsen
    Misha

  • HottersWotan im Solti Ring war zB ebenfalls nur geeignet das Ansehen des großen Sängers zu demontieren.


    Diesen Vergleich würde ich nicht ziehen. Hotter hat trotz aller altersbedingten Einschränkungen der stimmlichen Mittel zu einem Maß an Ausdruck und Gestaltung gefunden in dieser zu Recht berühmten Einspielung, das seinesgleichen sucht. Hör Dir noch mal die Monologe im zweiten Aufzug der "Walküre" oder die Rätselszene im "Siegfried" an. Die sind von solcher Eindringlichkeit, von der Domingo als Luna nur träumen kann. Außerdem blieb Hotter in seinem Fach, während Domingo, der vom Bariton kommt, als alter Mann plötzlich auf die Idee verfällt, in der ursprünglichen Stimmlage blutjunge Männer darstellen zu können - oder zu müssen. Das wäre genau so, als hätte sich die 70jährige Adele Sandrock plötzlich wieder als Julia auf die Bühne zurück verfügt. ;) Wie heißt es doch so schön im "Rosenkavalier" aus dem Munde der Marschallin: "Versteht Er nicht, wenn eine Sach' ein End' hat?"

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

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  • Diese Inszenierung hätte ich vielleicht als Schulaufführung akzeptieren können, bei den Salzburger Festspielen hatte sie nichts verloren. Wass soll's man hat schon Schlimmeres ertragen müssen.
    Anna Netrebko liegt die Leonora wesentlich besser als die Lady Macbeth, berührt hat sie mich allerdings nicht. Manrico und Azucena waren solide besetzt aber auch nicht mehr, über den Luna von Domingo hülle ich besser den Mantel des Schweigens, das gebietet der Respekt vor der Lebensleitung dieses Sängers....

  • Was ist der Beurteilungsmaßstab? Eine Fernsehübertragung? Wer hat die Aufführung vor Ort gesehen? Wer hat Aufführungen gesehen, in der alle 4 Hauptpartien sowohl gesanglich wie darstellerisch perfekt waren? Von den etwa 2 Dutzend selbst erlebten Troubadouraufführungen erfüllte rückblickend keine diesen hohen Anspruch, trotz immer wieder stimmlich herausragender und darstellerisch überzeugender Sängerinnen und Sänger.


    Was spricht übrigens gegen Rampensingen, ich freue mich, wenn der Sänger endlich an die Rampe tritt und auch von den billigen Plätzen gesehen und besser gehört werden kann. Regisseure stellen Sänger gern in die Ecke oder auf hohe Podeste (Cavaradossi) oder lassen gar nach hinten singen (Agathe, Konwitschny). Oper ist für mich zunächst Musik, dann Darstellungskunst, und - weit abgeschlagen - Handlungserläuterung.


    Deswegen ist die inszenatorische Handlungserläuterung beim Troubadour auch nicht so wichtig, wir wissen doch, um was es geht. Mich interessiert schlichtweg nicht, ob und wie ein Regisseur mit der Handlung zurecht kommt. Wenn er gute Sängerdarsteller hat, reicht mir das. Domingo mag zwar stimmlich nicht mehr die Erwartungen an einen Luna erfüllen, darstellerisch habe ich aber nie einen besseren Luna gesehen. Wer ist denn derzeit die Alternative?


    Anna Netrebko hat ihre optischen Reize, der Kameramann war davon offenbar sehr beeindruckt und teilte seine Empfindungen dem Fernsehpublikum mit. Am Aufführungsort selbst spielte das wohl eher keine Rolle. Ich habe diese Sängerin nur einmal gehört, in der Hamburger Laeiszhalle. Sie spielte und kokettierte mit dem Publikum, sang einwandfrei, ihr stimmlicher Ausdruck blieb damals aber seelenlos. Es ist ihr möglicherweise nicht gegeben, die Seele zum Klingen zu bringen, ihre Stimmbänder funktionierten bei der Leonora aber tadellos, wer hat schon beides.


    Welche Azucena ist wirklich gut? Wonach bemisst sich das? Je schöner sie singt, desto unglaubwürdiger wird sie. Die beste Azucena war für mich Maria Elisabetta Fiorillo, nicht wegen ihrer Stimmbänder, sondern ob ihrer Fähigkeit, den Wahn und die innere Erschütterung dieser gemarterten Frau „über die Rampe“ zu bringen. Da macht ein stärker flackerndes Vibrato (welches im Saal weniger auffällt und eher akzeptiert wird als bei einer Übertragung; Gwyneth Jones war da ein markantes Beispiel) wenig aus, vielleicht sogar Sinn, wenn sie vom Feuertod ihrer Mutter singt. Auch das wunderbare Schlusslied „Ai nostri monti“ ist Ausdruck ihrer inneren Verfassung, ihres Übertritts ins Jenseits. Sie ist keine Lucia, der man eine flackernde Stimme nicht verzeihen würde, sondern eine Frau mittleren Alters (vielleicht zwischen 40 und 50), bei der Erinnerungen unvermittelt in Wahnvorstellungen übergehen, da sind Gesangsschönheit und Optik vielleicht nicht so entscheidend. Auch nicht bei Luna, warum soll er nicht wesentlich älter sein (wie Domingo), er hat eben einen jüngeren Bruder. Warum soll sich ein älterer Mann, der nicht mehr so gut bei Stimme ist, nicht in eine junge Frau verlieben und bei der Arie „Il balen“ (nach unseren Maßstäben) scheitern?, wenn er seine Gefühle immer noch mit seiner Stimme transportieren kann, wie Domingo? (mich hat seine stimmliche Darstellung jedenfalls so gefesselt, dass ich mir seinen Boccanegra, den er demnächst in Hamburg singen soll, anhören werde). Außerdem muss es ja einen Grund geben, warum Leonora den Grafen nicht mehr will, sondern einem (hergelaufenen) Bänkelsänger nachfolgt. Irgendetwas Physisches sollte der schon haben; deshalb ist vom stimmlich Glaubwürdigen her gesehen vor allem an den Manrico die höchste Anforderung zu stellen. Meli hat das stimmlich nicht ausreichend erfüllt. Mich würde schon interessieren, welche aktuellen Sängerinnen/Sänger die Foristen für die jeweiligen Partien vorzögen.

    Oper lebt von den Stimmen, Stimmenbeurteilung bleibt subjektiv

  • Nach Alfreds Text sinngemäß wiedergegeben: Vor dem Hintergrund der von den Medien provozierten Erwartung, so eine Produktion der Salzburger Festspiele werde ein Spitzenereignis sein, war diese Vorstellung vom 15. August "Mittelmaß". Und wenn wir ehrlich sind, wissen wir, dass Mittelmaß etwas anderes, schlechteres wäre. Ich habe die Vorstellung im Fernsehen und mit Kopfhörern mitverfolgt und habe sehr wohl erkannt: das ist erstklassig, auch wenn's mich nicht so richtig mitreißt. Ich fand - im Unterschied zur Premiere - die vier Protagonisten diesmal tadellos, allen voran Anna Netrebko, deren Stimme mir eigentlich nicht so richtig gefällt (ist nur Geschmackssache), die ich hier aber grandios fand. Domingo ist ein ergreifender Darsteller, und dass er nicht genug Luft hat für diese Aufgabe, finde ich angesichts seines Alters ganz natürlich (hilft aber nichts - ich leide dann beim Zuhören immer mit). Auch die Azucena hat mir gut gefallen, nachdem ich diesmal den Einsatz der Sängerin auch sehen konnte. Zu Bemängeln habe ich auch an dem Manrico nichts. Klar, besser geht's immer bzw. erinnern wir uns an spannendere Beispiele. Wer wäre denn eurer Meinung nach gegenwärtig ein Tenor, der uns in dieser Partie vom Hocker reißen würde? Ist als echte Frage gemeint, denn ich bin nicht so besonders informiert, vor allem nicht beim italienischen Fach. Was die Inszenierung betrifft, hat mich jetzt nichts abgestoßen. Ich finde die Idee sogar interessant und die Umsetzung wirklich "schön" gemacht, außer dass mir die Damen zu oft in Ohnmacht gefallen sind. Mir geht das aber zu sehr am Stück vorbei, ich konnte nicht richtig eintauchen. Da habe ich schon andere Produktionen (anderer Werke) gesehen, die zwar weniger "schön" und noch viel "unsinniger" aussahen (was mich zunächst auch gleich mal verstört) - die mich aber mitrissen und etwas mit mir machten.

    Bitte bedenken Sie, dass lautes Husten - auch zwischen den Stücken - die Konzentration der Künstler wie auch den Genuss der Zuhörer beeinträchtigt und sich durch den Filter eines Taschentuchs o. ä. erheblich dämpfen lässt.

  • Diesen Vergleich würde ich nicht ziehen.

    Ich würde diesen Vergleich auch nicht ziehen, aber aus anderen Gründen: Domingos Stimme hat mich auch als Luna (nicht bei der jetzigen Fernsehübertragung, die ich nicht gesehen habe, sondern im letzten Dezember live in Berlin) weit mehr "angeturnt" als es Hotter auf Tronträger (auch in früheren, besseren Zeiten als beim Solti-"Ring") je konnte!


    Bevor jetzt der große Sturm der Entrüstung losbricht, möchte ich durch diese subjektive Tatsache(!) nur darauf hinweisen, wie unterschiedlich die Geschmäcker bezüglich Gesangsstimmen sind - so unterschiedlich, wie das Spektrum der Gesangsstimmen selbst.
    Deshalb finde ich solche Totalverisse über Sänger, wie ich sie in dieser Rubrik und auch sonst auch häufig in diesem Forum lesen muss, immer etwas daneben, gerade, wenn sie sich den Anstrich einer Objektivität geben, die es aber bei Stimmbeurteilungen nicht geben kann, und man sollte auch nicht so tun, als ob es sie gäbe - ich bin da ganz bei Ralf und seiner Signatur! :) :yes: :jubel: :hello:


    Deshalb kann ich über Totalverisse von Sängern, meist noch verbunden mit Aufforderungen, den Beruf doch (endlich) an den Nagel zu hängen, immer nur den Kopf schütteln!!! :no:
    Warum sollen nicht andere mit einem anderen subjektiven Sängergeschmack, Freude an einem bestimmten Sänger haben, nur weil man selbst keine Freude dran hat??? Jedem Tierchen sein Plaisierchen!!! Wenn mir ein Sänger stimmlich nicht gefällt (und da gibt es wirklich einige!), dann versuche ich ihn zu meiden, sowohl bei Live-Begnungen als auch auf Aufnahmen. Ich kritisiere den Sänger auch, das ist absolut legitim, aber ich stelle mich nicht hin und fordere, der Sänger möge sich doch bitte ins Privatleben zurückziehen oder man möge alle seine Aufnahmen aus dem Verkehr ziehen - das wäre einfach anmaßend!


    Ich genieße, was mir Freude macht, und was mich ärgert oder ärgern könnte, versuche ich zu vermeiden - bei Sängern wie bei Dirigenten oder Regisseuren/Inszenierungen, aber auch bei Komponisten/Werken.


    Um Heinrich Heine zu zitieren:
    "Die Apfelsinen, lieb Mütterlein, sind gut, und mit wahrem Vergnügen
    verschlucke ich den süßen Saft - und ich lasse die Schalen liegen."
    ^^

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Die letzten Beiträge haben mich substantiell beeindruckt. Danke dafür!
    Eine Sängerleistung niederzumachen ist so einfach und so etwas immer wieder von den gleichen Leuten zu lesen erzeugt großes Unbehagen in mir. Wer selbst schon gesungen hat - und sei es auch nur in einem Laienchor - weiß um die Unwägbarkeiten im Vorfeld einer öffentlichen Aufführung. Um ein Vielfaches sind die Profisänger der Hype und dem Erwartungsdruck ausgesetzt, welche von allen Seiten auf sie einströmen. Daß da nicht jeder Ton zu jeder Zeit perfekt sitzen kann, ist nur menschlich. Auch Festspiele sind davor nicht gefeit.


    Nun noch zu einer obigen Frage, welche heutigen Sänger einen rollengerechten "Trovatore" abliefern könnten.
    Meine persönliche Antwort:
    Als Manrico erwähnte ich schon Marcelo Álvarez. Er hat erst im Frühjahr eine imposante Serie in Mailand gesungen.
    Für die Leonore wünsche ich mir Anna Netrebko so, wie ich sie aus Salzburg wahrgenommen habe.
    Als Luna käme Dmitri Hvorostovsky meiner Idealvorstellung ziemlich nahe.
    Nur bei der Azucena tue ich mich etwas schwer. Tichina Vaughn habe ich in sehr guter Erinnerung, doch weiß ich über ihre heutigen Aktivitäten nichts. Einige hoffnungsvolle Mezzos aus Russland und Bulgarien können in die Rolle hineinwachsen. Abwarten...


    Andere Vorschläge willkommen! :hello:

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Marina Prudenskaya war ein Berlin eine junge, aber sehr gute Azucena, Anna Netrebko empfand ich in der von mir besuchten Aufführung nicht gerade als ideal - da war Frau Harteros anderthalb Jahre vorher an der Deutschen Oper Berlin ein anderes Kaliber, und Frau Zajick war dort als Azucena umwerfend.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • .....
    Deshalb finde ich solche Totalverisse über Sänger, wie ich sie in dieser Rubrik und auch sonst auch häufig in diesem Forum lesen muss, immer etwas daneben, gerade, wenn sie sich den Anstrich einer Objektivität geben, die es aber bei Stimmbeurteilungen nicht geben kann, und man sollte auch nicht so tun, als ob es sie gäbe - ich bin da ganz bei Ralf und seiner Signatur! :) :yes: :jubel: :hello:


    Deshalb kann ich über Totalverisse von Sängern, meist noch verbunden mit Aufforderungen, den Beruf doch (endlich) an den Nagel zu hängen, immer nur den Kopf schütteln!!! :no:
    Warum sollen nicht andere mit einem anderen subjektiven Sängergeschmack, Freude an einem bestimmten Sänger haben, nur weil man selbst keine Freude dran hat??? Jedem Tierchen sein Plaisierchen!!! Wenn mir ein Sänger stimmlich nicht gefällt (und da gibt es wirklich einige!), dann versuche ich ihn zu meiden, sowohl bei Live-Begnungen als auch auf Aufnahmen. Ich kritisiere den Sänger auch, das ist absolut legitim, aber ich stelle mich nicht hin und fordere, der Sänger möge sich doch bitte ins Privatleben zurückziehen oder man möge alle seine Aufnahmen aus dem Verkehr ziehen - das wäre einfach anmaßend!


    Ich genieße, was mir Freude macht, und was mich ärgert oder ärgern könnte, versuche ich zu vermeiden - bei Sängern wie bei Dirigenten oder Regisseuren/Inszenierungen, aber auch bei Komponisten/Werken.
    ......


    Das ist ja alles gut und schön, edel und gut. Aber wo, wenn nicht in einem Klassikforum, soll man denn bitte ohne beschönigenden Wortschwulst dann noch klar schreiben dürfen, dass man einen Sänger, ein Orchester, eine Inszenierung schlecht oder sogar sehr schlecht fand?


    Ich bin ein entschiedener Gegner dieser flegelhaften Unsitte des Ausbuhens von Sängern (jüngst in Leipzig noch kaum, dass der letzte Ton des 1. Aktes der FroSch verklungen war), aber für Kritik muss Raum sein.


    Ich bin mir natürlich der Tatsache bewusst, dass gerade die Bewertung von Sangesleistungen immer sehr subjektiv ist (wenn auch Probleme zB mit Kurzatmigkeit mE durchaus objektivierbar sind) und halte meine Meinung keinesfalls für allgemeingültig oder auch nur für besonders bedeutsam.

    res severa verum gaudium


    Herzliche Grüße aus Sachsen
    Misha

  • Hallo Misha,


    zuerst einmal würde ich dich bitten, deinen letzten Beitrag so zu redigieren, dass die Zitatzuordnungen wieder stimmen - Vielen Dank!


    Zum anderen: Natürlich ist Kritik erlaubt und natürlich ist es richtig, dass Domingo inzwischen viel kurzatmiger ist als früher, keine Frage! Es ist aber auch richtig, dass er sich (nicht nur!) für sein Alter immer noch ein edles, resonanzreiches Timbre bewahrt hat. Meiner Meinung nach war und ist er ein Jahrhundertsänger mit einer Ausnahmestimme! (Egal, ob er nun offiziell 73 ist oder vermutlich noch viel älter...)


    Jeder Sänger hat Stärken und Schwächen, man kann beide thematisieren!

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Ich würde diesen Vergleich auch nicht ziehen, aber aus anderen Gründen: Domingos Stimme hat mich auch als Luna (nicht bei der jetzigen Fernsehübertragung, die ich nicht gesehen habe, sondern im letzten Dezember live in Berlin) weit mehr "angeturnt" als es Hotter auf Tronträger (auch in früheren, besseren Zeiten als beim Solti-"Ring") je konnte!


    Bevor jetzt der große Sturm der Entrüstung losbricht, möchte ich durch diese subjektive Tatsache(!) nur darauf hinweisen, wie unterschiedlich die Geschmäcker bezüglich Gesangsstimmen sind - so unterschiedlich, wie das Spektrum der Gesangsstimmen selbst.
    Deshalb finde ich solche Totalverisse über Sänger, wie ich sie in dieser Rubrik und auch sonst auch häufig in diesem Forum lesen muss, immer etwas daneben, gerade, wenn sie sich den Anstrich einer Objektivität geben, die es aber bei Stimmbeurteilungen nicht geben kann, und man sollte auch nicht so tun, als ob es sie gäbe - ich bin da ganz bei Ralf und seiner Signatur! :) :yes: :jubel: :hello:


    Deshalb kann ich über Totalverisse von Sängern, meist noch verbunden mit Aufforderungen, den Beruf doch (endlich) an den Nagel zu hängen, immer nur den Kopf schütteln!!! :no:


    Es geht aber nicht nur um den Geschmack, ob einem eine Stimme gefällt oder nicht. Sondern ob ein Sänger eine Partie rein stimmlich ausfüllen kann, ob er die Technik beherrscht, um der Rolle und ihren Anforderungen gerecht zu werden. Ich habe schon Sänger gehört, deren Stimme ich alles andere als schön empfunden habe, die die Rolle aber so hervorragend gesungen haben, dass es mir trotzdem gefallen hat.


    Ich finde es auch total daneben, einem Sänger anzuraten, sich einen anderen Job zu suchen. Ich gehe davon aus, dass jeder Sänger, der sich auf offener Bühne exponiert, sein Bestes gibt oder geben will. Und wenn ein Sänger so gar nicht überzeugen kann, bin ich selbst enttäuscht und ich ärgere ich mich auch mal, wenn Sänger Rollen übernehmen, die gar nicht ihrer Stimme oder ihren Fähigkeiten entsprechen.
    Da sollte Kritik auch immer erlaubt sein. Diese halte ich sogar für wichtig und auch Sänger selbst haben gesagt, wie wichtig diese ist oder sein kann, da sie daraus lernen können.


    Das was Domingo an diesem Trovatore-Abend hören ließ, war eindeutig zu wenig. Da gibt es nichts Schönzureden. Dass er auch gesundheitlich angeschlagen war, hat sicher seine Leistung stark beeinflusst. Näher möchte ich nicht auf die Vorstellung eingehen, da ich dies schon kurz an anderer Stelle gemacht habe.
    Ich verstehe sowieso nicht, warum man diese Diskussion in zwei threads führen muss. Wenn schon eine Diskussion im Gange ist, warum einen neuen thread eröffnen?


    Was Trovatore-Besetzungen betrifft plädiere ich auch für Marcelo Alvarez als Manrico. Ich habe ihn an der MET sowie in der Arena in Verona gesehen und er war jedesmal beeindruckend. Er hat das stimmliche Volumen, ist betörend im Piano und er hat einen wunderschön timbrierten Tenor. Zudem besitzt er als Südamerikaner die Leidenschaft und die Expressivität, die der Manrico auch ausstrahlen sollte. Meli ist leider vom Typ her schon eher unscheinbar und wirkte oft wie eine Nebenfigur.


    Auch wenn die Netrebko überraschend gut mit der Leonora zurechtkam ist meine erste Wahl für diese schwierige Partie eindeutig Sondra Radvanovsky. Auch wenn ihr Timbre sehr eigenwillig ist, gesanglich ist sie wahrscheinlich in der Partie derzeit konkurrenzlos.


    Als Conte Luna fällt mir adhoc so keiner ein. Hvorostovsky bellt mir zu sehr. Alberto Gazale war in meiner Erinnerung in Verona sehr gut. Dolora Zajick begeistert als Azucena schon seit mehr als drei Jahrzehnten. Anna Smirnova, die zuletzt als Eboli und Abigaille hervorragend gewesen ist, kann ich mir sehr gut als Azucena vorstellen.


    Gregor

  • '........Meiner Meinung nach war und ist er ein Jahrhundertsänger mit einer Ausnahmestimme! ....


    Da gebe ich Dir ohne jede Einschränkung recht. Nur gilt leider auch für Sänger:
    "Dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze,
    Drum muss er geizen mit der Gegenwart,
    Den Augenblick, der sein ist, ganz erfüllen" ;)

    res severa verum gaudium


    Herzliche Grüße aus Sachsen
    Misha

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  • Nun, immer, wenn ich ihn in letzter Zeit live erlebt habe, war ich eigentlich sehr zufrieden, sein Berliner Simon Boccanegra im April, also vor wenigen Monaten, hat mir ausgezeichnet gefallen, besser als in der Premierenserie 2009 und viel besser als 2012, wo er einen schlechten Abend erwischt hatte und ich enttäuscht zur Pause gegangen bin.
    Bei der Berliner "Trovatore"-Serie hatte ich wohl wirklich Glück, dass ich zufällig seine beste Vorstellung erwischt hatte. Natürlich ist er kurzatmig geworden, aber die Stimme "turnt" mich immer noch ungemein an. Allein seine erste Phrase "Tace la notte" hat mir damals viel mehr gegeben als die ganze vorausgegangene Doppel-Arie der Netrebko (die damals wohl gesundheitliche Probleme hatte und sich in der Aufführung davor ansagen ließ, jetzt hatte wohl Domingo die gesundheitliche Probleme - Sänger sind halt Menschen und keine Maschinen!)
    Die Aussage, dass der Luna sicherlich nicht seine Idealpartie ist, unterschreibe ich voll und ganz, da kommt ihm der Simon Boccanegra viel mehr entgegen. Nun bin ich gespannt, ob und wie er im Februar 2015 den Macbeth singt.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Mit Domingo geht natürlich auch eine Ära zu Ende. Pavarotti weilt nicht mehr unter uns, Carreras (wenn er denn je in diese Gruppe gehörte) hat sich lange in die Niederungen der seichten Unterhaltung verabschiedet. Bei den "Jüngeren" der nachfolgenden Generationen hat so recht keiner die Erwartungen erfüllt. Da sind natürlich viele sehr tüchtige Sänger dabei, aber es gibt eben gerade bei Tenören tatsächlich ein Charisma, eine Ausstrahlung zusätzlich zur Stimme, die nur die wenigsten hatten bzw. haben. Bei Pavarotti habe ich das empfunden und bei Domingo. Wenn man sie live erlebt hat, teilt sich etwas davon mE dann auch per Konserve oder TV mit. Vielleicht ärgere ich mich daher etwas mehr als üblich, gerade Domingo in dieser Verfassung zu hören.

    res severa verum gaudium


    Herzliche Grüße aus Sachsen
    Misha

  • Zitat

    Zitat von Ralf Reck: Was spricht übrigens gegen Rampensingen, ich freue mich, wenn der Sänger endlich an die Rampe tritt und auch von den billigen Plätzen gesehen und besser gehört werden kann.

    Die Frage stelle ich auch und ich habe manchmal überlegt, ob es in bestimmten Opernszenen überhaupt anders ginge. Das ist aber ein Argument, das die Befürworter des Verunstaltungstheaters den konventionellen Inszenierungen vorwerfen. Ich habe inzwischen aber festgestellt, das bei diesen modischen Inszenierungen weit mehr Rampensingen stattfindet. Manch ein modischer Regisseur versucht es nur dadurch zu vermeiden, dass er krampfhaft unsinnige und alberne "Action" - oft mit hinzuerfundenen, nicht im Libretto vorgesehenen Figuren, die auf der Bühne eigentlich nichts zu suchen haben und albernen Körperbewegungen (à la Rock 'n Roll) und Gesten - erzeugt, die die ganze Inszenierung noch dümmlicher macht.
    Ebenso blöde ist die Forderung der Befürworter solcher Inszenierungen nach modernen Bezügen, wo dann ebenfalls krampfhaft eine neue Handlung erfunden wird, die weder zum Text noch zur Musik passt. In dem Salzburger "Troubadour" habe ich mich allerdings gefragt, wo denn diese "Bezüge" waren. Genauso wenig hatten die ständig hin und hergeschobenen Bilder irgendwelche Bezüge zum Inhalt des Troubadour. Ich hätte es vielleicht hingenommen, wenn die Bilder irgend einen Bezug zu Ort, Zeit und Handlung des Werkes gehabt hätten und die Figuren in den hinlänglich passenden historischen Kostümen diesen Bildern entstiegen wären. So hatte das ganze - wie schon gesagt - in meinen Augen weder Hand noch Fuß.
    Auf den Salzburger "Rosenkavalier" bin ich schon sehr gespannt.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Oper ist ganz wesentlich Singen - und Singen funktioniert nunmal im stehen am besten, sonst würde man z.B. die Gesangsstunden sitzend oder liegend abhalten... ;)


    Bei einer Modenschau versucht man, die Models auch zentral irgendwo vorne in der Mitte zu plazieren und nicht nur irgendwo ganz hinten links in der Ecke... ;)

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Mit ein wenig Verzögerung habe auch ich es nun geschafft mir das diesjährige Highlight der Salzburger Festspiele 2014 anzuschauen. Und obwohl hier ja schon einiges geschrieben wurde und ich zudem besonders in der Beurteilung der sängerischen Qualitäten der Protagonisten nicht annähernd so profund werde urteilen können, wie hier bereits geschehen, möchte ich mit meinen Eindrücken trotzdem nicht hinter dem Berg halten:


    Darüber, ob es sich bei dieser Aufführungsserie des Il trovatore tatsächlich um den Höhepunkt des Festspielsommers 2014 handelt, sind die Meinungen auch hier im Forum ja durchaus differenziert. Ich für meinen Teil bin zumindest mit der gesanglichen Leistung im Wesentlichen zufrieden. An erster Stelle ist hier sicherlich Frau Netrebko zu nennen, die als Leonora vom Beginn bis zum Ende des Abends eine fulminante Leistung ablieferte. Dabei sehe ich - abgesehen von den rosa lackierten Fingernägeln - darüber hinweg, dass mir persönlich ihr Timbre etwas zu abgedunkelt erscheint und ich ihre Stimme in gewissen Momenten als (man verzeihe mir die Wortwahl) "blökend" empfinde. Ebenfalls auf der Haben-Seite sind m.E. Marie Nicole Lemieux (Azucena) und Francesco Meli (Manrico) zu verbuchen. Letzterer brauchte allerdings ein wenig, bevor die Stimme so richtig "warm gelaufen" war; dann allerdings habe ich einen sehr wohlklingenden, sicheren Tenor vernommen. Ebenfalls gefallen hat mir Riccardo Zanellato als Ferrando.
    Tja, und dann wäre da natürlich der Conte di Luna ... dass Placido Domingo, obwohl indisponiert, diese Strapaze überhaupt auf sich genommen hat, ehrt ihn und ist fraglos ein Zeichen seiner absoluten Professionalität. Aber hat er sich und dem Publikum damit einen Gefallen getan? - Inzwischen vermeldet die Tagespresse, dass er aufgrund hohen Fiebers die restlichen Aufführungen abgesagt hat (http://www.salzburg.com/nachri…-trovatore-singen-117615/). Ich meine, er hätte die Rolle nicht übernehmen sollen: Dass ein 70 jähriger Luna nur bedingt glaubwürdig erscheint und dieser Effekt durch die gnadenlose Fernsehkamera eher verstärkt wird, ist dabei nicht das Hauptproblem, vielmehr nehme ich ihm stimmlich den Bariton einfach nicht ab, so dass seine Lage in dieser Partie für mich nicht klar zuzuordnen ist. Trotzdem werde ich mir, so ich denn noch Karten bekomme, seinen Boccanegra in Hamburg anhören.


    Was schließlich die Inszenierung des Letten Alvis Hermanis angeht, so muss ich mich ziemlich vorbehaltlos dem Urteil der Langeweile anschließen. Die Museums-Idee (gab es da nicht auch mal einen Film mit dem kürzlich verstorbenen Robin Williams?) funktioniert für mich genau eine Szene lang und die ist mit Beginn der zweiten Szene auch schon vorbei! Ich bin mir auch nicht sicher, ob man aus diesem Ansatz überhaupt mehr hätte machen können, denn prinzipiell ließen sich wohl ein ganze Menge Opern genau so in Szene setzen. Insbesondere auch andere Werke Verdis, die sich in einem vergleichbaren historischen Umfeld bewegen, könnten wohl ohne größere Anstrengung so umgesetzt werden. Dies mag zwar praktisch erscheinen, bedeutet jedoch, dass die Inszenierung keinen eigentlichen bzw. sinntragenden Bezug zum Werk herstellen konnte. Immerhin tut die Inszenierung in ihrer ochsenblutroten Eintönigkeit niemandem weh, und so ist es fast schon erklärlich, dass sich das vermutlich eher konservative Festspielpublikum im Pauseninterview erstaunlich wohlwollend gab. Hier bleibt abzuwarten, was Hermanis 2018 in der "Werkstatt Bayreuth" aus dem ihm anvertrauten Lohengrin machen wird.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Oper ist ganz wesentlich Singen


    Sehr wohl. Deshalb wundert es mich, dass Du Domingo als Luna so hochleben lässt. Der kann es nicht und ist es nicht. Damit offenbarst Du wenig bis gar keinen Sachverstand von Verdi-Stimmen. Es tut mir leid, dass ich das sagen muss. Kennst Du denn keine Luna-Säger? Die sind Legionen.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Sehr wohl. Deshalb wundert es mich, dass Du Domingo als Luna so hochleben lässt. Der kann es nicht und ist es nicht. Damit offenbarst Du wenig bis gar keinen Sachverstand von Verdi-Stimmen. Es tut mir leid, dass ich das sagen muss. Kennst Du denn keine Luna-Säger? Die sind Legionen.


    Sorry, und ich verstehe dein gerade im Falle Domingo so extrem harsches Urteil überhaupt nicht, und das ist auch rational so nicht nachvollziehbar, da muss noch irgendetwas anderes dahinterstecken...


    Ich habe mehrfach gesagt, dass ich Domingo als Luna in Berlin live erlebt habe (Du auch? Wann hast du ihn überhaupt das letzte Mal live erlebt?) und dass er mich in dieser Aufführung insgesamt schon sehr überzeugt hat. Dass er es da nicht konnte, kann eigentlich nur jemand behaupten, der nicht in dieser Vorstellung drin war! Natürlich kenne ich Aufnahmen mit Ettore Bastianini, der in der Rolle für mich das Non plus ultra ist, aber live hat mich kaum einer der von mir erlebten Baritone als Luna mehr überzeugt als Domingo am von mir erlebten Abend. Der letzte Bariton-Luna, den ich live hatte, war übrigens 2011 Hvorostovski in Verona, sicher gut, aber die Stimme spricht mich vom Timbre her nicht halb so an wie die Domingos, klingt für mich grau und uninteressant.


    Und den harschen Stil deines letzten Beitrages solltest du mal selbstkritisch überdenken!

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Der letzte Bariton-Luna, den ich live hatte, war übrigens 2011 Hvorostovski in Verona

    Ach, danach hatte ich ja noch Dalibor Jenis an der Deutschen Oper Berlin, gut, keine Frage, aber überragend fand ich ihn auch nicht, die Stimme ist ziemlich hell und relativ tenoral - ich könnte gar nicht zweifelsfrei sagen, ob Domingo oder Jenis "tenoraler" klang... 8-)


    Substanzreicher, resonanzreicher und klangvoller war im Live-Vergleich aber die Stimme Domingos. Für mich ist es immer wieder faszinierend, in Sälen, in denen ich schon so viele Sänger gerhört habe, diese Ausnahmestimme zu hören, die klanglich viel voller den Raum ausfüllt als die allermeisten anderen. :rolleyes:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Lieber Rheingold 1876,


    ich muss dich jetzt doch nochmal zitieren, nämlich eine wundervolle Aussage von dir aus der Rubrik zu Hermann Prey, die schon damals meinen ungeteilten Beifall gefunden hat:


    Zitat

    Ich bin immer froh, wenn Menschen überhaupt Zugang zu bestimmten sängerischen Interpretationen finden, auch wenn das nicht die meinen sind. Denn was wir hören, hören wir doch immer nur durch sie, die Mittler. Sie öffnen uns Türen zur Musik. Mir ist es völlig egal, ob wer Frick liebt oder Prey oder Dieskau oder alle drei zusammen oder den einen mehr und den anderen gar nicht. Wichtig ist, dass er liebt. :)


    Ich finde das absolut richtig - nur frage ich mich, warum du dich in diesem konkreten Fall nicht an diese eigene wunderbare Aussage von dir hältst, sondern sie hier beerdigst und hier stattdessen so intolerant, ja unerbittlich bist?

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Nach Domingos krankheitsbedingter Absage der letzten 3 Aufführungen heute sowie am 21. und 24. August wird der polnische Bariton Artur Ruciński die Rolle des Grafen Luna übernehmen.


    Hier ein Ausschnitt aus Verona vom letzten Jahr: https://www.youtube.com/watch?v=CrGITLPy4Uw


    Trotz der schlechten Aufnahme ist das stimmliche Potential des Sängers gut erkennbar.


    :hello:

    Freundliche Grüße Siegfried

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