Dufay, Guillaume 1400 - 1474

  • Liebe TaminoanerInnen


    Erst kürzlich sind wir auf Guillaume Dufay gestossen und waren hingerissen von dieser faszienerenden Musik der frühen Renaissance die uns heute nicht mehr sehr vertraut ist und wollten gerne mehr über diesen Komponisten erfahren.


    DUFAY, Guillaume, Komponist, * um 1400, † 27.11. 1474 in Cambrai an der Schelde (Frankreich). - D. wurde 1409/10 als Chorknabe an der Kathedrale in Cambrai angenommen. Wie lange seine Lehrzeit dort dauerte, wissen wir nicht. Seine erste selbständige Schaffenszeit führte ihn 1419/20 an den Hof der Malatesta in Rimini und Pesaro. 1426-28 hielt sich D. in der Heimat auf. Von Dezember 1428 bis Juli 1433 war er Mitglied der päpstlichen Kapelle in Rom. Die Urlaubszeit von August 1433 bis Mai 1435 verbrachte D. teils in Savoyen, teils in der Heimat. Im Februar 1434 verpflichtete ihn Ludwig von Savoyen als Kapellmeister für seine Hochzeitsfeier. Von Juni 1435 bis Juni 1437 war er in der päpstlichen Kapelle in Florenz und Bologna, da Eugen IV. wegen eines Aufstandes Rom verlassen hatte. 1436 verlieh ihm der Papst ein Kanonikat an der Kathedrale in Cambrai. 1437 gehörte D. einer Gesandtschaft an, die vom Kapitel in Cambrai zum Basler Konzil, zur Kurie und zu Kaiser Sigismund geschickt wurde. Nach dem Ausscheiden aus dem päpstlichen Dienst begab er sich zu Nikolaus III. von Este nach Ferrara, dann zu Herzog Ludwig von Savoyen. Seit 1445 lebte D. hauptsächlich in Cambrai. 1446 wurde D. Kanonikus an St. Waldetrudis zu Mons, der Hauptkirche des Landes. Die beiden Kanonikate in Cambrai und Mons bildeten von nun an seine Lebensgrundlage. - D. war der europäisch führende Komponist in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Sein Schaffen umfaßte gleicherweise geistliche und weltlich-höfische Musik, Messen und Motetten sowie französische Chansons.
    Guillaume Dufay war einer der ersten Komponisten, die es zu internationalem Ruhm brachten. Von ihm sind etwa 200 authentische Werke erhalten, dazu zählen 52 meist im Fauxbourdon-Stil geschriebene kurze geistliche Werke, 8 Messen und 84 Chansons, die meistens 3stimmig, selten 4stimmig sind. Die große Beliebtheit und der Ruhm seiner Kompositionen lassen sich vor allem aus der Häufigkeit der gefundenen Abschriften folgern. Seine Kompositionen stellen eine Verbindung zwischen zwei Epochen dar: Dufays frühe Werke sind der Musik des ausgehenden Mittelalters noch eng verbunden, während seine späteren in bezug auf Technik und Inhalt schon der beginnenden Renaissance angehören. Obwohl sich die Stimmen mit großer Unabhängigkeit und in melodischen Linien bewegen, wandte Dufay seine Aufmerksamkeit mehr als seine Vorgänger - vielleicht nach dem Vorbild Dunstables - dem harmonischen Intervall der Terze und der Sexte (Fauxbourdon) zu.
    In seine geistliche Musik führte Dufay populäre Lieder (z.B. "L'homme armé") ein, indem er die Melodie als Cantus Firmus im Diskant oder Tenor verwandte und sie mit eigenen Melodien verwob. Indem er stets den denselben gregorianischen Gesang oder dieselbe Volksliedmelodie in jedem Satz einer Messe verwandte, machte Dufay daraus ein einheitliches Werk und begründete so die Form der zyklischen Messe mit. Seine erste Messe, die "Missa sine nomine", kann als eine der frühesten Zyklen angesehen werden.


    Inzwischen haben wir eine erste CD erworben, die wir hier gerne lobend erwähnen möchten.



    Paul van Nevel und sein Huelgas Ensemble machen den Hörer mit der Musik aus Dufays Wanderjahren bekannt. Es sind dies dreizehn isorhythmische Motetten, also Tonstücke, in denen sich zwar die Intervalle ändern, aber der Rhythmus beibehalten wird. Sie alle entstanden in den Jahren 1420 bis 1442, bevor sich Dufay endgültig in Cambrai niederließ.
    Das sehr informative Beiheft weiht den Hörer mit anschaulichen Beispielen in dieses ebenso spannende wie weitgehend unbekannte Repertoire ein und vermittelt unerlässliches Wissen, um diese Gesänge zu verstehen. Paul van Nevel versteht es einmal mehr, transparente und überlegene Stimmführung mit facettenreicher Dynamik und subtiler Emotionalität zu verbinden, am schönsten vielleicht in O gemma lux und Nuper rosarum flores. Besonders faszinierend das Zusammenspiel zwischen den Stimmen und den Bläsern.
    Man kann aber auch nur einfach die Musik auf sich wirken lassen; dann steht plötzlich etwas Fremdes, Überpersönliches vor einem, etwas von unbewegter, unirdischer und faszinierender Schönheit.


    Da wir ja einige versierte Experten der alten Musik unter uns haben, sind wir auf weitere Nennungen interessanter Einspielungen Dufays gespannt und hoffen auf rege Beiträge.


    Grüsse


    romeo&julia

  • Hallo romeo&julia,


    das Binchois Consort unter der Leitung von Andrew Kirkman hat einige CDs mit Messen und Motetten von Dufay herausgebracht. Ich besitze davon die Messe für St. James den Älteren (hellgrünes Cover). Diese CD kann ich wärmsten Herzens empfehlen und ich nehme an, die anderen werden auch nicht schlechter sein.





    Thomas

    Da freute sich der Hase:
    "Wie schön ist meine Nase
    und auch mein blaues Ohr!
    Das kommt so selten vor."
    - H. Heine -

  • Hallo liebe TamonianerInnen


    Hallo Thomas


    Vielen Dank für die vielen Empfehlungen. Wir hatten bis anhin leider noch keine Gelegenheit hineinzuhören.


    Erst diese Jahr veröffentlich und von uns kürzlich erwoben, möchten wir folgend CD vorstellen;



    Motets von Cantica Symphonia bei Glossa herausgebracht.


    Von den geistlichen Vokalwerken von Guillaume Dufay, darunter insbesondere von den kompliziert strukturierten „isorhythmischen“ Motetten gibt es mehrere maßstabsetzende Aufnahmen, etwa vom Hilliard-Ensemble, dem Ensemble Pomerium oder die Gesamtaufnahme unter der Leitung von Helga Weber. Viele Motetten sind von Instrumenten begleitet und unser Eindruck ist etwas gespalten, da der Einsatz nicht immer gleich gelungen erscheint. Weit mehr überzeugen die rein vokal oder lediglich durch diskrete Instrumentalbegleitung dargebotenen Werke. Dann erklingt es sogar wunderbar innig und poetisch.
    Toll ist das Begleitheft mit sehr informativem Inhalt und zu den „isorhythmischen“ Motetten.


    Viele Grüsse


    romeo&julia

  • Hallo liebe TaminoanerInnen


    Von Dufay sind über 200 Werke überliefert, davon 84 Chansons. Das Ensemble Allégorie hatte auf der vorgestellten Einspielung einige der Lieder mit Instrumentalbegleitung aufgenommen. Es sind weltliche Rondeau, eingebettet in Tänze und Chansons zum Teil auch seiner Zeitgenossen. Es sind weltlich-geistliche Liebesbekenntnisse der Marien-Canzone nach den Petrarca-Texten „Vergene, bella“ und dem italienischen „Quel fronte“ konfrontier werden diese italienischen Lieder mit dem französischen „Par droit“. Die Klangrede un die vielfältigen Verflechtungen der melodischen Linien werden sorgfältig herausgearbeitet mit rhetorischer Unmittelbarkeit.
    Das Ensemble Allégorie musiziert mit grosser Musizierlust.



    L'Arbre de Mai - Lieder & Tänze zur Zeit Guillaume Dufays
    herausgegeben beim französischen Label alpha


    Herzliche Grüsse


    romeo&julia

  • Hallo liebe TaminoanerInnen


    Guillaume Dufays Missa "Se la face ay pale" (wenn das Gesicht bleich ist, so ist das Aufgrund der Liebe) wurde bis anhin noch nicht vorgestellt.


    Dieser Messe kommt eine wichtige musikgeschichtliche Schlüsselposition zu: Das Werk gehört zu den frühen Beispielen der mehrstimmigen Messzyklus-Bildung mittels eines weltlichen cantus firmus’; dieser entstammt der gleichnamigen dreistimmigen Chanson Dufays und taucht in der vierstimmigen Messe als Tenor, stark gedehnt, auf, wobei Dufay darüber hinaus kein Material aus der Vorlage importierte. Tonhöhe und Relation bleiben erhalten. Der Tenor läuft ganz durch, ohne Zerstückelung. Zusammenhang unter den Sätzen stiftet außerdem ein initiales "Motto", eine vornehmlich an den Satzanfängen auftauchende musikalische Floskel. Die Chanson zeichnet sich aus durch eine feste Form, umgeht diese Form jedoch mit einem freien Umgang und in der Instrumentation. Die Chanson weist zudem viele Reimwörter auf. Das Lied entstand in den 1430ziger Jahren für den Hof von Savoyen. Er unterhielt sein ganzes Leben lang gute Beziehungen zum Hof ohne jedoch am Hof selbst gewesen zu sein. Warum Dufay diese Chanson der Messe zu Grunde legte, wissen wir nicht. Es gibt keine plausible Erklärung, es war schon für seine Zeitgenossen im 15. & 16. Jahrhundert umstritten und später wurde es vom Konzil unter Beschuss genommen.


    Diese wichtige Messe wurde bis anhin nur selten eingespielt, wir haben vier Aufnahmen verglichen:


    Chiaroscuro Ensemble; Dir. Nigel Rogers (1989) Nuova era
    Recht rasches, aber überzeugendes Tempo, solistische Aufnahme mit Spannung aus der Struktur mit eher hellen Stimmen, oberste Stimme mit Intonationsschwierigkeiten, keine aseptische Aufnahme, schöne überlegte Struktur. Flexible Ausgestaltung der einzelnen Linien, aber insgesamt zu viele Intonationstrübungen.


    Laudantes Consort; Dir. Guy Janssens (1999) arsonor
    Janssens Aufnahme ist mit einem gemischten reizvollen Chor eingespielt, etwas romantisch gedeutet und grossen Verzögerungen, es klebt gelegentlich, auch sind Zwischenatmungen zu hören, mittleres Tempo, auch hier gelegentliche Intonationsschwierigkeiten.


    Diabolus in musica; Dir. Antoine Guerber (2004) alpha
    Guerber besetzt sein Ensemble doppelt. Eine klanglich perfekte Aufnahme, auch die Musiker singen auf hohem technischen Niveau aber etwas ebenmässig und gelegentlich merkwürdig flach und ausnivellierend, der Bass wohl die schwächste Stimme.


    Consort of London; Dir. David Munrow (1974) - mit Instrumenten! Virgin Veritas
    Reines Männerensemble, Tempi an der unteren Grenze, der Tenor wird nicht besonders hervorgehoben, im zweiten Kyrie schöner Einsatz von Blechbläsern, warme Aufnahme jedoch etwas verschwommen und nicht ganz ausgelotet. Partiell etwas seltsame Schwellungen und Zurücknahmen, aber ansonst sehr schöne und homogene Aufnahme mit Instrumentenbegleitung und flexiblere Ausgestaltung der einzelnen Linien.


    Die frühe Aufnahme von David Munrow ist trotz den wenigen Einwänden die überzeugendste Einspielung. Doch ist die CD zur Zeit nicht erhältlich. So muss man wohl auf die französiche Aufnahme von Guerber zurückgreifen.



    Herzliche Grüsse


    romeo&julia

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  • Hallo,


    ich möchte auf eine ziemlich unbekannte Aufnahme mit Dufays Werken hinweisen. Sie entstand in Verbindung mit einer Neuauflage der Noten zu diesen Stücken im Jahre 1990/91. Es singt und spielt das Helga Weber Ensemble unter Leitung der Namensgeberin.


    Die Edition enthält sämtliche isorhytmische Motetten sowie 7 weitere Motetten von Dufay, zum Teil in mehreren Versionen. Dazu wurden zum Vergleich die 7 überlieferten isorhythmischen Motetten von Guillaume de Machaut hinzugefügt. Komplettiert wird das Ganze - so vorhanden - von den gregorianischen Stücken, die also Vorlage für die Motetten gedient haben.


    Die Motetten dieser Aufnahme sind ein ziemlich hartes Brot. Allzu fremd ist uns heute die Klangwelt des fünfzehnten Jahrhunderts, einer Zeit in der Terzen als Dissonanz galten. Obwohl Machaut nochmal 100 Jahre früher lebte, sind seine Motetten auf dieser Produktion leichter verdaulich als die Dufays. Wer sich aber auf die Musik einlassen kann, der wird reich belohnt. Es ist wie eine Entführung in einen anderen Kosmos, in ein völlig neues Töneuniversum, voll von unbekannten Klängen.


    Diese Produktion ist höchst vorbildlich gelungen. Allein das umfangreiche Beiheft zu den drei CDs ist etliche :jubel: wert. Es enthält neben einem allgemeinen Teil auch recht ausführliche Anmerkungen zu jedem einzelnen Stück. Und das in drei Sprachen, deutsch, englisch und französisch. Garniert ist es mit reichlich Abbildungen der Originalnoten.


    Und auch die Aufnahmen an sich lassen sich hören. Das Ensemble ist sorgfältig zusammengestellt und musiziert mit einer wunderbaren Homogenität - was enorm wichtig ist für Musik dieser Art.


    Den Vergleich mit der oben von romeo&julia gezeigten, superben Aufnahme der Motetten Dufays durch das Huelgas Ensemble hält diese Produktion durchaus stand, wenngleich es Paul van Nevel gelingt, diese Werke etwas weniger statisch wirken zu lassen, obwohl Helga Weber oft schnellere Tempi benutzt. Das ist aber mein einziger Kritikpunkt, der meines Erachtens das Hörvergnügen auch nur wenig beeinträchtigt.


    Betrüblich für Interessenten ist auch, dass die Aufnahmen nicht im normalen CD-Handel zu bekommen sind. Als Bezugsquelle im Internet konnte ich lediglich den Notenhändler Noten Roehr ausfindig machen. Ansonsten muß man wohl bei der auf der Coverrückseite links unten angegebenen Adresse sein Glück versuchen.



    .


    Die Sänger:
    David Cordier, Paul Gerhardt Adam, Kai Wessel, Alt
    Wilfried Jochens, Gerd Türk, Knut Schoch, Tenor


    Die Instrumentalisten:
    Birgit Siefer-Bahr, Cornelia Hampel, Regina Sanders, Marianne Richert Pfau (Blockflöte & Schalmei),
    Katharina Arfken (Schalmei), Anke Dennert (Blockflöte & Krummhorn), Yuji Fujimoto (Posaune),
    Barbara Hofmann, Simone Eckert (Gambe), Frank Hiesler (Perkussion)

    Leitung: Helga Weber



    herzliche Grüße,
    Thomas

    Da freute sich der Hase:
    "Wie schön ist meine Nase
    und auch mein blaues Ohr!
    Das kommt so selten vor."
    - H. Heine -

  • Seit wir in der Schule das Agnus Dei aus Dufays Missa L'homme armé etwas eingehender besprochen hatten, bin ich ein Freund dieser schönen, für mich geradezu exemplarischen Messvertonung der (Früh-) Renaissance! :jubel:


    "Exemplarisch" für mich daher, weil man auch als Laie hier noch am ehesten die damals weit verbreitete Praxis, einen für alle Sätze einheitlichen Cantus firmus quasi als verbindliche Mottogrundlage der Vertonung einzusetzen, hörend nachvollziehen kann.


    Der damals als "Gassenhauer" weit verbreitete Schlager vom bewaffneten Mann (L'homme armé) hat eine auch für heutige Maßstäbe und Hörgewohnheiten schnell fassliche Melodie, die man nach zwei- oder dreimaligem Anhören schon mitsingen kann.


    Und wenn man sich nun Dufays Missa L'homme armé anhört, entdeckt man in dem kunstvollen und doch noch durchhörbaren Geflecht der vier Stimmen in der Tenorstimme (die war üblicherweise damit betraut) diese Melodie wieder - zwar oft in seeeehr langen Notenwerten (die kurze Liedweise sollte ja auch für längere Passagen des Werks ausreichen), aber eben doch erkennbar!


    Es macht Spaß, sich das anzuhören - hier kann man eine Kompositionstechnik erleben/ erhören, die in den Jahrzehnten nach Dufay zu weiterer Perfektion und Verfeinerung geführt wurde und damit ziemlich typisch für Renaissancemusik ist! Auch das Lied "L'homme armé" diente noch häufiger als Thema für Messkompositionen, z. B. für Palestrina, Carissimi, Ockeghem, Obrecht, Carver, Josquin Desprez, Pierre de la Rue, etc.
    Gerade bei späteren Vertonungen ist aber dieser gern genutzte Cantus firmus nicht mehr so deutlich herauszuhören, denn die Kompositionstechnik (die Mehrstimmigkeit) wurde halt zusehends komplizierter und raffinierter...

    Dufays Messvertonung ist für mich ein tolles Stück mit einer (zumindest auf mich persönlich) entspannenden, etwas meditativen Stimmung und Wirkung - nach solcher Musik sucht man heutzutage ja wieder sehr gern...


    Ich hatte/ habe eine alte LP-Aufnahme der Messe mit dem von mir sehr geschätzten Hilliard-Ensemble. Dieses reine Herren-Ensemble bietet eine historisch sicherlich korrekte Einspielung, da jede der 4 Chorstimmen nur doppelt besetzt ist - das Ganze also von einem kleinen Ensemble dargeboten wird und damit sehr gut durchhörbar ist.
    Leider habe ich diese Aufnahme aus den 1980ern (damals bei EMI erschienen, kann das sein??) noch nie auf CD finden können, was ich eigentlich gar nicht glauben kann...???
    Vielleicht kann hier der ein oder andere Mit-Tamino weiterhelfen??


    Preisgünstig wie gewohnt, aber keinesfalls schlechter - wenn auch vom Ansatz her ganz anders als die des Hilliard-Ensembles - präsentiert sich die klangschöne NAXOS-Aufnahme aus dem Jahr 1994, die ich mir mangels der oben erwähnten CD-Aufnahme zugelegt hatte:



    Die bei NAXOS öfters mit diesem und ähnlichem Reprtoire zu hörende Oxford Camerata unter Jeremy Summerly ist ein fantastisch singender gemischter Kammer(?)-Chor.
    Dufays Messe ist hier also in der historisch sicher nicht ganz korrekten Version mit Damenstimmen zu hören, was dem Werk selbstverständlich keinen Abbruch tut, sondern ihm einen ganz neuen klanglichen Aspekt gibt, zumal eben jede der 4 Stimmen deutlich zahlreicher besetzt ist, als in der Version des Hilliard-Ensembles.
    Dennoch bleibt das Ganze ebenfalls sehr transparent - auch hier hört man den prominenten Cantus firmus ohne Probleme heraus :]


    Überdies bietet diese Aufnahme den großen Vorteil, dass man die "Originalversion" des Gassenhauers "L'homme armé" anhören kann (quasi als "Training", bevor man sich an die Messvertonung begibt) - das hatte die Einspielung des Hilliard-Ensembles nicht zu bieten!


    Abschließend bleibt nur noch die Frage:
    Wenn es damals offenbar niemanden gestört hat, dass ein weltliches Lied, das der "gemeine Pöbel" auf der Straße sang, als Cantus firmus so vieler Messen herhalten durfte (und es gab ja noch andere Lieder, die eine ähnliche "Karriere" machten!), warum hat sich dieses Prinzip nicht erhalten?
    Ich stelle mir gerade vor, einer Aufführung der Missa "Yellow Submarine" oder der Missa "Dancing Queen" beizuwohnen... :D
    Ungefähr so muss das doch auf damalige Zeitgenossen gewirkt haben, oder?

    "Es ist mit dem Witz wie mit der Musick, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man."
    (Georg Christoph Lichtenberg, 1773)

  • Zitat

    Original von MarcCologne
    Ich hatte/ habe eine alte LP-Aufnahme der Messe mit dem von mir sehr geschätzten Hilliard-Ensemble. Dieses reine Herren-Ensemble bietet eine historisch sicherlich korrekte Einspielung, da jede der 4 Chorstimmen nur doppelt besetzt ist - das Ganze also von einem kleinen Ensemble dargeboten wird und damit sehr gut durchhörbar ist.


    Also die Durchhörbarkeit ist nicht unbedingt ein Indiz für historische Korrektheit. Ob eine Messe von einem so kleinen Ensemble gesungen historisch korrekt ist, weiß ich nicht - gerade im Booklet zu den Messen von Byrd gesungen vom Hilliard Ensemble wird dies angezweifelt.
    :hello:

  • Hallo KSM,


    Du hast sicher Recht - je älter Musikstücke sind, desto mehr ist man auf Spekulation angewiesen, was ihre "historisch korrekte" Reproduktion anbetirfft.
    Ich bezog mich bei dieser "historischen" Einstufung eigentlich vor allem auf die Tatsache, dass die Hilliards - im Gegensatz zur Oxford Camerata - auf den Einsatz von Frauenstimmen verzichten, das war sicherlich etwas missverständlich formuliert. :hello:

    "Es ist mit dem Witz wie mit der Musick, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man."
    (Georg Christoph Lichtenberg, 1773)

  • Hallo!


    Beim Arcana-Ausverkauf hatte ich diese schöne CD erworben:



    Die kann ich sehr empfehlen. (leider ist die CD nicht mehr so leicht zu bekommen...)
    Dufay (oder Du Fay - was stimmt denn nun?) liegt mir nicht so sehr wie Josquin, dennoch war das Kennenlernen für mich eine Bereicherung.


    Wichtige Verständnisfrage für mich, auch um selbst besser in der Alten Musik navigieren zu können: Wird Dufay noch zur Gotik gerechnet oder eher zur Renaissance?


    Viele Grüße,
    Pius.

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  • Hallo liebe Taminoaner/Innen


    Das Ensemble La Reveridie hat neben der von Pius erwähnten Messe Sancti Jacobi eine weitere CD für Arcana mit Musik von Guillaume Dufay eingespielt.



    Neben geistlicher Musik hatte Dufay auch mindestens 84 Chansons geschrieben. Eine erstaunlich hohe Anzahl, wenn man bedenkt, dass wir nur einen Einblick auf das Schaffen des jüngeren und mittleren Komponisten haben. Die meistens seiner Werke sind höchstens vage datierbar; und aus seiner zweiten Lebenshälfte sind gar keine Chansons überliefert, obwohl er auch in Cambrai nachweislich weltliche Werke komponiert hat. Die dort angelegten Manuskripte wurden spätestens in den Bilderstürmen der französischen Revolution, auf die auch der Abriss der Kathedrale zurückgeht, vernichtet.


    Typisch für die Zeit Dufays, wurden die Chansons in französischer Sprache gesungen, der nicht nur im Burgund, Frankreich und Savoyen für weltliche Musik verbindlich war, sondern auch in den Gebieten des heutigen Süddeutschland, der Schweiz und in den ober- und mittelitalienischen Höfen und bis hin zum Papsthof. Italienische, deutsche, spanische und flämische Texte blieben stets die Ausnahme und haben erst gegen 1500 wirklich eine Verbreitung gefunden. Einige dieser Chansons stammen aus einer venezianischen Original Handschrift mit 25 Werken italienischer Komponisten, die als Canonici Miscellaneous 213, in der Bodleian Library von Oxford aufbewahrt wird.


    Die vorgestellten CD enthält das Rondeau „Quel fronte signorille“ sowie die Ballade „C?est bien raison“ aus dieser Handschrift. Sämtliche Werke dieser Aufnahme stammen aus der Zeit des jungen Dufays während seines Aufenthaltes in Italien. Er liess neben der flämischen Tradition des Kontrapunktes sowohl die schärferen Klänge des britischen Geschmacks als auch die ausdrucksvolle Schlichtheit des italienischen Melos einfliessen. Auf diese Weise schuf er die Grundlage einer neuen europäischen Musiksprache. Neben den Chansons sind noch Fragmente der „Ordinarium Missa“ sowie einige Motetten enthalten.


    Eine schöne Aufnahme mit dezenter Instrumentenbegleitung wie Flöten, Harfen und Drehleier.


    Herzliche Grüsse


    romeo&julia

  • Wie ich finde kommen in diesem Guillaume Dufay gewidmeten Thread die weltlichen Werke etwas zu kurz.



    Gerade an den Chansons kann man auch sehr schön wie sich Dufay aus der Tradition der Ars nova zu neuen Ufern der Renaissance aufmacht. Oft sind die Chansons formal noch der Ars nova verpflichtet (dreistimmig, weitgehender Verzicht auf tiefe Stimmen) verwenden in ihrer musikalischen Faktur aber schon Stilmittel der Frührenaissance. In jedem Falle sind diese weltlichen Lieder ein faszinierende Kulturreise in die Zeit um 1450


    Empfehlen möchte ich zwei Aufnahmen, die aktuell erhältlich sind:



    und


    Besonders die erste CD möchte ich ausdrücklich loben. Den Grad an klanglicher Verschmelzung und idealem Miteinander, den die Musiker hier finden ist beeindruckend. Dadurch entsteht eine unglaublich warme, vollmundige Einspielung. Allerdings ist sie emotional manchmal etwas zurück haltend. Die Textaussprache könnte doch manchmal charakterisierender sein.


    Falls jemand zwei wegweisende Aufnahme aus den frühe Zeiten der Bemühung um diese Musik antiquarisch erstehen kann, sollte er bei den folgenden Aufnahmen zugreifen:


    Guillaume Dufay - Adieu m'amour
    Studio der frühen Musik, Thomas Binkley
    EMI


    und


    Guillaume Dufay - The Complete Secular Work
    The Medieval Ensemble Of London
    Decca

  • Hallo liebe TaminoanerInnen


    Wir möchten uns der Empfehlung von Flutedevoix gerne anschliessen. Auch uns gefällt die Einspielung mit dem im Jahre 2000 gegründeten Ensemble Tetraktays ebenfalls sehr gut. Gegründet wurde das Ensemble vom Niederländer Kees Boeke. Mit dabei ist auch die Amerikanerin Jill Feldman.



    Gruss


    romeo&julia

  • Hallo,


    ich nehme unmittelbar Bezug auf den ersten Beitrag hier und die dort vorgestellte CD.


    Des Weiteren auf den Beitrag Nr. 140 im Thread "Chor-Aufnahmen - welche sind empfehlenswert" im Chormusik-Forum. Wenngleich ich meine Schwierigkeiten hatte, die Isorhythmik sicher zu erkennen, ist das für mich (und sollte) aber kein Hinderungsgrund (sein), mich der Musik weniger vom Rhythmus, als von der Harmonik und Stimmführung her zu nähern. (Dass mir hier der Zugang über den Rhythmus schwer fällt? - bin ich doch bei Kammerjazz u. ä. sehr für Polyrhythmus zu haben.)


    Die Motetten dieser Aufnahme sind ein ziemlich hartes Brot. Allzu fremd ist uns heute die Klangwelt des fünfzehnten Jahrhunderts, einer Zeit in der Terzen als Dissonanz galten. Obwohl Machaut nochmal 100 Jahre früher lebte, sind seine Motetten auf dieser Produktion leichter verdaulich als die Dufays. Wer sich aber auf die Musik einlassen kann, der wird reich belohnt. Es ist wie eine Entführung in einen anderen Kosmos, in ein völlig neues Töneuniversum, voll von unbekannten Klängen.

    Ja! Ja!


    Ich habe mir die CD inzwischen 8/10 x angehört - heute allein 3 x und auch noch, während ich den Beitrag schreibe (und jetzt geht es nur darum, sich an etwas noch besser zu gewöhnen, nicht es zu verstehen). Es geht m. E. darum, sich mit dem anfangs doch sehr entfernten Klangeindruck "anzufreunden", den vom Klangeindruck so häufig empfundenen Wechsel zwischen Dur und Moll. Gleichwohl es dies nach den damaligen Vorstellungen nicht gibt, es wechselt eben zwischen den alten Kirchentonarten mit ihren ganz eigenen Tonleitern. (Diese Kirchentonarten können auf jedem beliebigen Ton unserer chromatischen Tonleiter beginnen, soweit da die Lage der Ganz- und Halbtonschritte einzuhalten ist - ein kurzer Blick in Wikipedia? unter Kirchentonarten und/oder Modale Tonarten mit Hörbeispielen).
    Viele Motetten enden mit einem Quart- Quintakkord - sehr ungewohnt für unseren Musikgedächtnisspeicher.


    Die Bläserstimmen werden wie die Singstimmen geführt. Ich kann mir gut vorstellen, diese Motetten rein instrumental zu spielen, auf Instrumenten mit sehr unterschiedlichem, aber zueinander passenden Klang.


    Für Leser ohne entspr. CD diesen youtube-Link als Einstieg (es handelt sich dabei um den Track Nr. 9 der o. g. CD)


    http://www.youtube.com/watch?v=0QipoTdSDx8


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler