Wenn ein bedeutender Dirigent verstirbt, vor allen nach langer schwerer Krankheit, wird seinen letzten Aufnahmen gerne ein besonderer Nimbus zugesprochen, so als wenn in diesen Aufnahmen der Dirigent schon das Jenseits erblickte und man das auch hören würde. Ich bin dann als Hörer immer besonders skeptisch, ob hier nicht eher die Marketingmaschine angeworfen wurde und höre besonders genau hin.
Bei Claudio Abbados letztem Konzert, das kürzlich bei der DG erschien, ist es nicht viel anders. Da stehen schon auf der CD Rückseite Ausschnitte aus Konzertkritiken wie "otherwordly...magisterial and moving" und "of almost painful intensity". Im Booklet steht als Überschrift "Ein Blick in die Unendlichkeit". Es geht dabei um die Aufnahme von Bruckners 9. Symphonie mit dem Lucerne Festival Orchester, live aufgenommen im August letzten Jahres.
Um es gleich vorweg zu sagen, ich wäre gerne bei dem Konzert dabei gewesen und es hätte mich sicher auch sehr beeindruckt.
Nun es hat nicht sein sollen und so bleibt nur der Mitschnitt. Und um es gleich zu sagen, ich höre weder "otherworldly" noch "Blicke in die Unendlichkeit" und schon gar keine "painful intensity". Was ich höre ist eine sehr klangschöne, mit weichem Stift gezeichnete Interpretation von Bruckners letztem Werk. Die Streicher sind wunderbar, das Blech dagegen lässt an den dramatischeren Stellen durchaus an Power zu wünschen übrig, da können sie mit den Kollegen in Berlin, Amsterdam, Wien und Dresden, von Chicago ganz zu schweigen, nicht konkurrieren. Mir fehlt dann z.B. im 2. Satz auch etwas das drängende, teilweise ja auch etwas nervende, das viele große Aufnahmen auszeichnet. Und der letzte Satz hängt an einigen Stellen für mich dann auch etwas durch. Etwas enttäuschend auch der dissonante ja fast atonale Höhepunkt dieses Satzes, das kommt in anderen Aufnahmen gewaltiger und eindrucksvoller.
Als letztes Dokument eines großen Dirigenten sicher eine Aufnahme, die man einmal hören sollte. Ob sie aber - wie im aktuellen Fonoforum voreilig verkündet - zu der Handvoll an Spitzenaufnahmen (neben Furtwängler, Celibidache, Jochum Haitink, Bernstein, Giulini und Järvi, Listung des FF) gehört, wage ich zu bezweifeln. Sie ist m.E. auch nicht optimal aufgezeichnet worden, eben zuviel Weichzeichner.
Um hier aber nicht nur eine Diskussion über diese eine Aufnahme zu starten, welche letzte Aufnahmen eines Dirigenten haltet ihr für besonders bemerkenswert.