Tugan Sokhiev kündigt in Toulouse und Moskau

  • Tugan Sokhiev - seit 2010 Chefdirigent des DSO Berlin - hat mitgeteilt, seinen Vertrag nicht über 2016 hinaus zu verlängern. Der Shooting Star der Dirigentenszene hat kürzlich überraschenderweise die Leitung des Bolshoi Theaters Moskau (ein Koloss mit 3500 Angestellten!) übertragen bekommen. Schade für Berlin, aber vielleicht kommt er ja zurück, da werden ja in absehbarer Zeit noch andere Posten frei.

  • Tugan Sokhiev hat seine Verträge beim Bolschoi Theater und in Toulouse gekündigt.

    "Heute bin ich gezwungen, eine Entscheidung zu treffen und mich für einen Teil meiner musikalischen Familie zu entscheiden. Ich werde gebeten, eine kulturelle Tradition der anderen vorzuziehen«, schrieb er in einem englischsprachigen Post auf Facebook."


    Alles Gute und einen Gruß von Orfeo

  • Ich bin immer wieder überrascht, wie wenig Kultur zur Völkerverständigung beitragen kann. Sie erweist sich in ihrem Geschäft meist noch als billiger Spaltpilz! Das kann einen wirklich traurig machen.

  • Eine bedauerliche Entscheidung und künstlerisch ein bitterer Verlust. Lieber gibt Sokhiev seine beiden Orchester auf, anstatt sich für eines entscheiden zu müssen. Fast zwanzig Jahre in Toulouse und fast zehn Jahre in Moskau sind mit einem Schlag ausradiert.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Eine bedauerliche Entscheidung und künstlerisch ein bitterer Verlust. Lieber gibt Sokhiev seine beiden Orchester auf, anstatt sich für eines entscheiden zu müssen. Fast zwanzig Jahre in Toulouse und fast zehn Jahre in Moskau sind mit einem Schlag ausradiert.

    Sucht man nicht gerade in München jemanden?

  • Sucht man nicht gerade in München jemanden?

    Ich fürchte, dass Sokhiev da aufgrund seiner Herkunft aus Russland und der in Europa um sich greifenden Russophobie momentan keine Chance haben wird (ich weiß nicht, ob er ethnischer Russe ist. Sein Name klingt irgendwie anders. Aber ich kenne mich da zu wenig aus, um etwas mit Bestimmtheit sagen zu können. Er stammt aus Wladikawkas am Nordrand des Kaukasus, das aber zu Russland gehört).


    Grüße

    Garaguly

  • ich weiß nicht, ob er ethnischer Russe ist

    Er ist Ossete, wie kurioserweise ja auch Herr Gergiev. Schon früher hieß es ja umgangssprachlich "der Russe" und meinte damit letztlich sogar alles in der Sowjetunion. Dieser ganze Wahnsinn in der Ukraine führt vielleicht immerhin dazu, dass künftig strenger unterschieden wird. Noch vor ein paar Jahren galten etwa die Gebrüder Klitschko vielen als "Russen". Man bedient sich nach wie vor eigentlich russifizierender Wörter wie "Kiew" statt ukrainisch "Kyjiw" und "Lukaschenko" statt belarussisch "Lukaschenka". Kleine aber feine Unterschiede. Daran ist der Westen mit seiner lapidaren Schludrigkeit schon nicht ganz unschuldig, folgt man damit doch ungewollt letztlich der offiziellen Linie Moskaus, die das alles nach wie vor gerne für sich reklamiert. Wobei es im Russischen bekanntlich eine ganz strenge Unterscheidung zwischen (ethnisch) "russisch" und "russländisch" (bezogen auf die Staatsbürgerschaft) gibt. Gergiev ist Russländer aber kein Russe im engeren Sinne. Zumindest innerhalb der Osteuropäischen Geschichte wird wissenschaftlich auch korrekterweise von der "Russländischen Föderation" gesprochen, was sich aber bis heute nicht auf der offiziellen politischen Ebene widerspiegelt, wo man (wie auch bspw. im Englischen) beide Begriffe zusammenwirft.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Alfred_Schmidt

    Hat den Titel des Themas von „Tugan Sokhiev verlässt Berlin“ zu „Tugan Sokhiev kündigt in Toulouse und Moskau“ geändert.
  • Ich finde die Haltung von Sokhiev sehr respektabel. Er vertritt die Position eines Mittlers zwischen den Kulturen. Toulouse wäre gut beraten, den Rücktritt nicht anzunehmen und den Posten des Chefdirigenten einfach nur ruhen zu lassen, anstatt jetzt schnell die Stelle auszuschreiben und einen Westler das Amt zu übertragen.


    Ich denke immer wieder an das nette russische Ehepaar, das wir vor Jahren in Nessebar am Schwarzen Meer kennenlernten. Sehr viele Russen haben in den letzten 10, 15 Jahren dort Ferienwohnungen gekauft und sind die stärkste Gruppe von Touristen dort. Sie waren bekennende Putin-Fans. Das wurde aber nicht vertieft und sie haben uns nach Moskau eingeladen. Das Problem sind doch nicht die normalen Menschen - die sehr anständig sind! Ich bin mir sicher, wenn sie im bulgarischen Fernsehen mitbekommen, dass Putin seine Soldaten belogen hat, sie gingen in eine Übung und vornehmlich Rekruten aus Sibirien genommen hat, damit in Moskau nicht die Stimmung kippt, werden auch sie sich belogen fühlen. Jetzt kommen sie gar nicht erst nach Bulgarien... Krieg akzeptieren heutzutage die wenigsten Menschen - auch Russen nicht, schon gar nicht gegen die Ukraine. Die Wahrheit wird herauskommen gerade auch in Russland, wenn auch mit Zeitverzögerung. Putin kapiert einfach nicht, dass Russlands Stärke nicht die Panzer sind, sondern es die Kultur ist. Netrebko, Gergiev und Co. haben sich immer so gerechtfertigt, dass Putin viel für die Kultur getan hätte. Diese sehr selektive Sichtweise kann sich aber in einer Kriegssituation Niemand mehr leisten. Wie man im Sinne der Kultur ein Zeichen setzt, hat Sokhiev vorgemacht.


    Schöne Grüße

    Holger

  • Der aus Nordossetien stammende Sokhiev hat sich anscheinend momentan vollkommen aus der Öffentlichkeit zurückgezogen.

    Nicht nur, dass Auftritte abgesagt wurden wie gerade eben mit dem New York Philharmonic Orchestra [*], seine eigene Website "tugansokhiev.com" gibt es nicht mehr. Seine zwei Auftritte mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden stehen weiterhin im Programm der Osterfestspiele Salzburg , aber spätestens dann wird sich zeigen, wie es weitergeht.


    [*]The New York Times

    "The Philharmonic described the change as a mutual decision, saying in a statement that it was made “out of regard for the current global situation.” The orchestra said Sokhiev would appear next season [...]

    In a statement, Sylvie Bouchard , Sokhiev’s manager, said, “The decision with the New York Philharmonic was made mutually and Tugan Sokhiev is looking forward to his future engagements with the orchestra.”


    Unbenannt.jpg

    Alles Gute und einen Gruß von Orfeo

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Was er hier macht ist äusserst KLUG

    Er geht auf Tauchstation und wartet ab bis alles vorüber ist.

    Das muss man sich allerdings leisten können

    Bei vernünftiger "Haushaltung" in der Vergangenheit sollt das indes bei einem Künstler ersten Ranges jedoch kein Problem darstellen.

    In der Praxis leben viele indes auf (zu) großem Fuß, sodass oft keine Reserven da sind...


    LG aus Wien

    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !