Referenzen und Alternativen seit 1990 - Händel: Der Messias

  • Liebe Forianer,


    Händels Meisterwerk ist der Inbegriff des Oratoriums überhaupt. Und dies völlig zu recht: Abwechslungsreiche Arien und Chorszenen, ausgestattet mit einer Musik "at the best of Handel", machen dieses Werk zu einem der beliebtesten dieses Genres. Nach der "Feuerwerks-" und "Wassermusik" ist dieses Werk besonders gut geeignet, sich dem vokalen Schaffen des Komponisten zu nähern.


    Schwerpunkte meiner Auswahl sind ausschließlich Interpretationen in der englischen Originalsprache. Bearbeitungen fremder Komponisten werden hier ebenfalls nicht berücksichtigt. Ansonsten steht die Geschlossenheit und der Gesamteindruck der Einspielungen im Mittelpunkt.



    Künstler: Henry Jenkinson, Otta Jones, Robert Brooks, New College Oxford Choir, Academy of Ancient Music, Edward Higginbottom
    Label: Naxos, DDD, 2006


    Diese Einspielung macht erneut deutlich, dass auch ein Billig-Label durchaus Spitzenaufnahmen präsentieren kann. Auch wenn es dieser Aufnahme ebenfalls nicht gelingt, den Pinnock-"Messias" vom Thron zu stürzen, hat auch diese Veröffentlichung ihre Meriten. Vor allem der Countertenor singt berückend schön. Schon dieser Umstand allein lohnt die Anschaffung.



    Künstler: Midori Suzuki, Yoshikazu Mera, John Elwes, David Thomas, Bach Collegium Japan, Suzuki
    Label: BIS, DDD, 1996


    Das Ensemble, das vorrangig mit Bach-Einspielungen von sich reden macht, legt hier einen hervorragenden "Messias" vor. Eine wirkliche Alternativen zu der sonst nur europäischen Dominanz bei den vorliegenden Aufnahmen. Die Gesangssolisten machen insgesamt eine gute Figur. Insbesondere die Chorleistungen stechen besonders hervor. Insgesamt eine Aufnahme, die man immer wieder gerne hört.



    Künstler: Barbara Schlick, Sandrine Piau, Andreas Scholl, Mark Padmore, Nathan Berg, Les Arts Florissants, William Christie
    Label: HMF, DDD, 1993


    Ein durch französische Spielkultur angehauchter "Messias", der in keiner "Messias"-Sammlung fehlen sollte. William Christie und das Ensemble Les Arts Florissants schaffen diese einzigartige Atmosphäre und sorgen damit für eine interessante Ergänzung des Repertoires. Aber auch die Mitwirkung von Andreas Scholl ist ein weiterer Umstand, mit der diese Einspielung punkten kann.



    Künstler: Kerstin Avemo, Patricia Bardon, Lawrence Zazzo, Kobie van Rensburg, Neil Davies, Clare College Choir Cambridge, Freiburger Barockorchester, Rene Jacobs
    Label: HMF, DDD, 2005


    René Jacobs ist immer wieder für eine Überraschung gut. So auch hier: er bietet eine erfrischend-entschlackte Interpretation des "Messias". Mit auserlesenen Gesangssolisten untermauert er das herausragende Ergebnis seines Projektes. Das Freiburger Barockorchester ist auch hier erneut ein Garant für eine ausgezeichnete Spielkultur. Diese Produktion ist eine sehr lohnende hörenswerte Aufnahme.



    :hello: LT

  • Hallo Liebestraum,
    was tat ich mich schwer mit dem "Messiah"!
    Wirklich keine Aufnahme brachte mir rüber, was ich zu hören suchte.
    Jahrelang habe ich mit einem Freund darüber diskutiert- unsere einzige Meinungsverschiedenheit.
    Und dann fand ich dieses Konzert:
    http://www.youtube.com/watch?v=lyQR7q7JpCI


    Vaclav Luks löst alles ein, was ich gesucht habe und sonst nirgends fand: tiefe Freude an der Musik, aber auch diese Innigkeit, die sich mit Worten kaum fassen lässt.
    Seither höre ich das Werk mit anderen Ohren- aber diesen Mitschnitt ersetzt mir keine Aufnahme.


    Herzliche Grüße,
    Mike

  • Die von Liebestraum erstgenannte "Referenzaufnahme" nimmt auch bei mir einen besonderen Platz ein;
    hier seien einige ältere Tamino-Kommentare zitiert.



    Zitat

    Diese Aufnahme ist auf eine ganz und gar unspektakuläre Weise herausragend gut! Ohne Weltstars in den Solistenpartien ( alle stammen zumindest aus dem Umfeld von Higginbottoms Truppe) wird ein Messiah geboten, vom dem ich nicht wüßte, was man besser machen machen sollte! Und wer Zweifel daran hegt, ob Knabensolisten einem Großwerk die nötige Tiefe verleihen können - der höre sie hier an! Welch ein grandioser Gesang!


    Zitat

    Die ganz Aufnahme strahlt eine große Wärme, eine große emotionale Vertrautheit des Ensembles mit dem Werk aus.Dies ma auch dadurch zustande kommen, daß auch die Männer- Solisten den Stallgeruch des New- College tragen, also quasi eine " Hausmusik" veranstaltet wird! Es wird nicht gebrüllt und nicht geschmettert sondern in einer bemerkenswert innigen Mittellage, die große Kraftreserven der Solisten verrät, gesungen.


    Zitat

    hier stimmt einfach ALLES.
    Die Tempi, die sich auf wundervolle Weise am Duktus der Sprache orientieren (was übrigens keinesfalls so selbstverständlich ist, wie es sein sollte), die ausgezeichneten Solisten, EINSCHLIESSLICH der Knabenstimmen, (von denen ich sonst eher KEIN Fan bin!)

  • So sehr ich Vaclav Luks' Zelenka-Aufnahmen schätze, vermag ich doch Melantes Begeisterung an dieser Stelle nicht ganz zu folgen.


    Zitat

    Vaclav Luks löst alles ein, was ich gesucht habe und sonst nirgends fand: tiefe Freude an der Musik, aber auch diese Innigkeit, die sich mit Worten kaum fassen lässt.

    Bei aller Leichtfüssigkeit der Interpretation, bei aller Geläufigkeit des Chores gehen dem Werk doch manche Dimensionen verloren. Kein Problem, dass Luks offenbar jede Pathetik vermeiden möchte, doch fällt die Vielgestaltigkeit des Werks letztlich einer gewissen Egalisierung zum Opfer. Zudem vermag ich mich nicht mit allen Solisten anzufreunden.


    Vor allem mangelnde Idiomatik verhindert eine vollkommen gelungene Realisation. Damit ist weniger die an etlichen Stellen anfechtbare Diktion gemeint (oder der "unidiomatische" Applaus zwischen "Worthy" und "Amen" ;)) als vielmehr ein vorbeisingen an manchen Sprachphrasen b.z.w. mangelndes Gespür für einige Wort-Ton-Verbindungen - gerade etwa im Vergleich zur o.g. Einspielung.


    So vermisse ich in manchen Passagen leider gerade jene Innigkeit, die Melante wahrzunehmen im Stande ist.

  • Ich kenne Vaclav Luks nur von seiner Einspielung seines böhmischen Vorfahren Bar Simon Madelka mit seinen Busspsalmen, die ich hier besprochen habe. Das Ensemble 1704 war dort auch vertreten, dazu hatte er einen kleinen Chor, der sehr gut sang, aber eine chorische Todsünde beging, nämlich das Abreißen von Endnoten vor dem Übergang zum nächsten, eine Todsünde, die schon einem normalen Kantor nicht passieren darf. Ich habe den Messias aber noch nicht gehört.

    Schönheit du kannst zwar wol binden...

    Schönheit machet viel zu blinden...

    Schönheit alle Freyer grüssen...

    Schönheit reitzet an zum küssen...

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Zitat

    dr.pinel: Ich habe aber den Messias noch nicht gehört.

    Bei aller Bescheidenheit, lieber dottore, ein Versäumnis, und wenn du ihn noch nicht gesungen hast, erst Recht. Von Todsünde will ich aber nicht sprechen.


    Liebe Grüße


    Willi :D

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).


  • Ich möchte diese Aufnahme ins Spiel bringen:
    The Coir of King's College Cambridge,
    The Brandenburg Consort,
    Lynne Dawson, Soopran,
    Hillary Summers, Alt,
    John Mark Ainsley, Tenor,
    Alastair Miles, Bass,
    Dirigent: Stephen Cleobury;

    Live-Aufnahme aus dem Jahre 1994 aus der Pieterkerk, Leiden, Holland


    Hier musizieren und singen ein hervorragendes Orchester und ein exzellenter Knabenchor und hervorragende Solisten unter einem prädestinierten Dirigenten einen herzerfrischenden Messias.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Doch, lieber William, es ist eine Todsünde. Zum Glück stimmt sie nicht, ich habe mich nur missverständlich ausgedrückt. Ich meinte die Aufnahme von Vaclav Luks, die ich noch nicht gehört hatte.


    Den Messias haben wir hier in meiner Gemeinde zuletzt im Dezember gesungen. Nach dem 2. Durchsingen habe ich schon keine Fehler mehr gemacht, so tief sitzt das Stück bei mir drin. Es war auch meine 4. Aufführung mit 4 verschiedenen Chören. Auch hier fand ich übrigens keinen Gefallen daran, den Messias in einer Vorstadtgemeinde auf englisch zu singen; da bricht man sich mit deutsch keinen Zacken aus der Krone.

    Schönheit du kannst zwar wol binden...

    Schönheit machet viel zu blinden...

    Schönheit alle Freyer grüssen...

    Schönheit reitzet an zum küssen...

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Lieber dottore,


    das freut mich aber sehr, vor allem, dass wir doch etwas gemeinsam haben, nämlich die Liebe zum Messias und die Freude auch an der deutschen Ausgabe. Ich habe zwar den Messias erst zweimal gesungen, aber auch mit zwei verschiedenen Chörren, das letzte Mal vor zwei Jahren. Allerdings hat unser Dirigent auch Freude an der deutschen Ausgabe, und so haben wir ihn beide Male in Deutsch gesungen. Ich finde, das ist auch berechtigt, weil Händel ja auch Deutscher war und das doch noch etwas anderes ist, als wenn man eine italienische Oper in deutscher Sprache singt.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Von den ganz oben genannten kenne ich nur Jacobs' Aufnahme. Ich müsste die noch einmal vergleichen, aber meine "Top-Aufnahme" aus dem erlaubten Zeitraum ist McCreeshs bei DG/Archiv. Die Solisten sind meiner Erinnerung nach durchweg außerordentlich gut (und besser als bei Jacobs). Meiner Erinnerung nach (das könnte aber auch "Saul" gewesen sein) ist der Chor bei Jacobs auf nicht ideal eingefangen, entweder zu hallig oder zu weit entfernt. Jedenfalls war ich von der Jacobs-Aufnahme damals zuerst etwas enttäuscht, später gefiel sie mir aber jedenfalls gut genug, dass sie im Regal verblieben ist...


    So recht Bedarf nach einem weiteren Messiah habe ich eigentlich nicht, aber das Lob der Naxos-Aufnahme macht neugierig. Zumal ich zwar eine Aufnahme mit rein männlich besetztem Chor habe (Hogwood), aber keine mit Knaben/Altus-Solisten.
    Kürzlich ist ja eine Einspielung unter Emanuelle Haim herausgekommen; am meisten von den neueren würde mich sonst die sehr gelobte (wohl sehr kammermusikalisch besetzte) mit dem Dunedin-Consort interessieren. Aber wie gesagt, Priorität hat das nicht.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Die Einspielung mit Higginbottom präsentiert die Version von 1751. Ich sehe hier Vorteile gegenüber jenen Aufnahmen mit anderen Knabenchören, denn Hogwoods zurückhaltende 54er-Fassung schöpft die Möglichkeiten des Westminster Cathedral Choirs nicht aus, und Cleoburys Darstellung mit dem King's College ist nicht immer so subtil in der Textdarstellung und wirkt in manchen Passagen etwas zu kapellmeisterlich (bleibt aber als Video empfehlenswert).


    Während mit der New College-Aufnahme eine echte Gemeinschaftsarbeit vorliegt, weil letzlich auch alle Solisten dem Chor entstammen, bildet die McCreesh-Einspielung in der rekonstruierten Foundling-Hospital-Fassung den Komplementär: gemischter Chor und etliche Star-Solisten. Die sind z.T. tatsächlich insgesamt überzeugender als in der Jacobs-Einspielung, obgleich etwa der markante Bass Neal Davies in beiden mitwirkt. Auch singt Jacobs Clare College Choir nicht immer auf höchstem Level.


    Die Aufnahmen des New College Choir und des Gabrieli Consort ergänzen sich also vorzüglich - mit beiden gemeinsam sollte eine hinreichende Messiah-Grundversorgung gewährleistet sein.


    Hier noch die beiden gelungenen Interpretationen von "For Unto us a child is born" durch den New College und den King's College Choir, leider liegt an entsprechender Stelle kein Ausschnitt mit dem Gabrieli Consort vor.


    New College (Oxford)


    /S2DAnOPzyg4


    King's College (Cambridge)


    /LFBIJgkj_-g




    William B.A. hat zudem das "Hallelujah" der King's an folgender Stelle verlinkt:


    [url=''''''' [url'''''']http://tamino-klassikforum.at/index.php?page=[/url]']
    http://tamino-klassikforum.at/…page=Thread&threadID=795&[/url]