Joachim Raff : Sinfonie Nr 4 op 167

  • Wie schon angekündigt - oder angedroht - je nachdem- wie man es nimmt - stelle ich hier in aller Kürze die 4. Sinfonie op. 167 von Joachim Raff vor:
    Das Werk stammt aus dem Jahre 1871. Die Uraufführung fand am 8. Februar 1872 in Wiesbaden statt. Noch im selben Jahr dirigiert der Komponist eine Aufführung in Leipzig. Entgegen der abwertenden Kritik der konservativen "Allgemeinen musikalischen Zeitung" (Siehe weiter unten) war sie beimzeitgenössischen Publikum sehr beliebt, stand aber dennoch im Schatten der beiden „Spitzenreiter“ unter Raffs Sinfonien, nämlich der 3. („Im Walde“) und der 5. („Leonore“)Sinfonie….



    Zitat

    „Die Sinfonie Raffs ist ohne alle Bedeutung und steht der „Waldsinfonie“ (Sinfonie Nr op 153) weit nach. Sie ist aus allem Möglichen zusammengewürfelt und mit Wagnerischen Effekthaschereien reichlich ausgestattet, ohne innere logische Verbindung der einzelnen Teile“


    Der damalige Kritiker hatte natürlich noch keine Sinfonie eines englischen Komponisten des 20. Jahrhunderts gekannt…….
    Im Beiheft ist zudem gut nachzulesen, wie es zu solch einer vernichtenden Kritik kam: Sie wurde einfach gefälscht. Mehr dazu in Bälde im allgemeinen Raff-Thread.
    So – nun zum subjektiven Urteil: Ein Werk, das in der Tat viele Richtungen miteinander vereint – aber das auf höchsten Niveau. Sehr extrovertiert, melodienverliebt – und wie immer bei Raff – raffiniert instrumentiert. Ich höre im ersten Satz durchaus Anklänge an Schubert.
    Der zweite Satz ist quirlig und tempobezogen, von Stellen mit besonderem Liebreiz und Behaglichkeit unterbrochen. Ich bin mir voll bewusst, dass ich mich hier einer altertümlichen Sprache bediene – aber sie ist ideal geeignet Werke des 19. Jahrhunderts zu beschreiben, denn sie trifft genau den richtigen Ton. Genau diese behagliche, melodienselige Machart ist es, die schon den Kritikern um 1900 gegen den Strich gingen , die Sinfonien waren „rückwärtsgewandt“ – darum gefallen sie mir aber auch so gut.. und natürlich auch, weil ein wenig Beethoven (und nicht etwa Wagner) unterschwellig in der Sinfonie enthalten ist.



    Mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Nach Alfreds schöner, plastischer Beschreibung bleibt nur noch zu ergänzen, dass es auch noch diese Einspielung gibt:



    Sowie eine sehr detaillierte Homepage, die seine Werke ausführlich analysiert, biographische Informationen gibt, weiterführende Literatur und Diskographie auflistet. Man muss allerdings des Englischen mächtig sein, um diese Fundgrube nutzen zu können:


    http://www.raff.org/

  • Schön, dass Joachim Raff hier im Forum wieder vermehrt Erwähnung findet. Alfreds Beitrag habe ich zum Anlass genommen, die vierte Symphonie mal wieder hervorzuholen und ich habe sie in den letzten Tagen dreimal gehört. Es ist ja seine kürzeste und eine der wenigen ohne "Programm". Wenn ich ihr einen Titel verpassen müsste, wäre es "Die Mendelssohn'sche". An vielen Ecken im 1., 2. und 4. Satz scheint doch die Musik des Frühbegabten durch. Das macht aber nichts, so gut wie die 1. oder 5. Symphonie von Mendelssohn ist Raffs Vierte m.E. allemal. Der wertvollste Satz ist für mich der 3., der an Beethovens Trauermärsche gemahnt. Am Beginn des Finales findet sich sogar ein - bewusst gesetztes - direktes Zitat aus dem letzten Satz der 9. Symphonie des Bonner Meisters. Die Symphonie klingt fröhlich aus.


    Neben den bereits erwähnte Aufnahmen gibt es noch eine ältere auf MP mit der Slowakischen Staatsphilharmonie unter Urs Schneider, die auch in Ordnung geht; aber die Stadlmair ist eindeutig besser.

  • Inzwischen bin ich der Ansicht, dass es gar keine wirklich schwache Sinfonie von Raff gibt. Auch wenn die 4. in meinem Ranking also eher in der zweiten Hälfte zu finden ist, gefällt sie mir ziemlich gut.

    Es wurde schon drauf hingewiesen dass der Kopfsatz nicht zu den prägnantesten Sätzen Raffs gehört. Er zerfasert vielleicht ein wenig und findet keine zwingenden roten Faden. Aber er klingt dabei immer noch gut. Er erinnert mich ein wenig an Spohr (z.B. 3. Sinfonie).

    Das Scherzo, hier an zweiter Stelle, ist hingegen ziemlich gelungen. Ein Perpetuum mobile von großem Schwung mit wirkungsvollen Trios.

    Höhepunkt der Sinfonie ist wohl unbestritten das Andante an dritter Stelle. Einer der faszinierendsten Raff-Sätze für mich. Ein großartiger Trauermarsch. Ich muss allerdings zugeben, dass ich eine große Schwäche für solche Sätze habe. Ähnliches ist u.a. zu finden in Beethoven 7, Spohr 4, Burgmüller 2 oder Draeseke 2. Es kommt in diesen Sätzen, so auch hier bei Raff, gerne zu einem mitreißenden Ablauf: Ein eingängiges (Trauer-)marschthema wird etabliert, ausgesungen und langsam und effektvoll gesteigert. Im weiteren Verlauf wird es - durchaus auch virtuos - umspielt, nicht selten auch kontrapunktisch, bevor es einem Höhepunkt endgegensteuert und anschließend je nach Werk entweder zerfällt bzw. leise verklingt oder jubelnd endet. Hier bei Raff endet der Satz leise klagend.

    Das quirlige Finale beginnt in zyklischer Geschlossenheit mit der Einleitung des Kopfsatzes und erinnert anschließend kurz an Beethovens 9. (Lutgras Hinweis hat mich erst drauf gebracht). Der Satzverlauf ist vielleicht nicht durchgängig eingängig, aber gut und auch immer wieder kontrapunktisch komponiert. So etwas schätze ich immer sehr. Der Abschluss gerät überschwänglich, fast lärmend.

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)