Joachim Raff : Sinfonie Nr 5 op 177 "Lenore"

  • 1872 entstand in Wiesbaden Raffs Sinfonie Nr 5. "Lenore", die nach den Ausnahmen der 2. und der 4. Sinfonie wieder an die Tradition der "Namenssinfonie" anknüpft - der sinfonischen Dichtung, wie sie auch Liszt schrieb, lose verpflichtet.
    Raff wurde zu dieser Sinfonie durch eine Ballade von Gottfried August Bürger (1747-1794) inspiriert, welche gruselig, romantisch und moralisierend gleichermaßen ist. Mich erinnert der Text in gewisser Weise an einige der eher schaurigen -Loewe-Balladen. Wenngleich hier nicht eine Vertonung des Textinhalt erfolgte, so hat die literarische Vorlage dennoch einen gewissen Einfluß auf die Musik. Dem Publikum des 19. Jahrhunderts war diese Ballade natürlich bekannt - und so vermochte es diese Musik anders zu erleben, als dies dem uninformierten Hörer von heute möglich ist. Um dieses Manko wenigstens teilweise auszugleichen (unser Zugang zu Religion ist heute vermutlich distanzierter ?) habe ich den (auf Grund seines Alters copyrightfreien) Text hier an den Anfang des Threads gestellt. Möge er gelesen werden , die Leser literarisch bereichern - und ein wenig zum Verständnis und bewussen Hören der Sinfonie beitragen


    Gottfried August Bürger
    Lenore
    Lenore fuhr ums Morgenrot
    Empor aus schweren Träumen:
    "Bist untreu, Wilhelm, oder tot?
    Wie lange willst du säumen" -
    Er war mit König Friedrichs Macht
    Gezogen in die Prager Schlacht
    Und hatte nicht geschrieben,
    Ob er gesund geblieben.


    Der König und die Kaiserin,
    Des langen Haders müde,
    Erweichten ihren harten Sinn
    Und machten endlich Friede;
    Und jedes Heer, mit Sing und Sang,
    Mit Paukenschlag und Kling und Klang,
    Geschmückt mit grünen Reisern,
    Zog heim nach seinen Häusern.


    Und überall, all überall,
    Auf Wegen und auf Stegen,
    Zog Alt und Jung dem Jubelschall
    Der Kommenden entgegen.
    "Gottlob" rief Kind und Gattin laut,
    "Willkommen!" manche frohe Braut;
    Ach! aber für Lenoren
    War Gruß und Kuß verloren.


    Sie frug den Zug wohl auf und ab
    Und frug nach allen Namen;
    Doch keiner war, der Kundschaft gab,
    Von allen, so da kamen.
    Als nun das Heer vorüber war,
    Zerraufte sie ihr Rabenhaar
    Und warf sich hin zur Erde
    Mit wütiger Gebärde.


    Die Mutter lief wohl hin zu ihr:
    "Ach, daß sich Gott erbarme!
    Du liebes Kind! was ist mit dir?"
    Und schloß sie in die Arme. –
    "O Mutter! Mutter! hin ist hin!
    Nun fahre Welt und alles hin!
    Bei Gott ist kein Erbarmen:
    O weh, o weh mir Armen!" -


    "Hilf Gott! hilf! Sieh uns gnädig an!
    Kind, bet ein Vaterunser!
    Was Gott tut, das ist wohlgetan,
    Gott, Gott erbarm sich unser!" - .
    "O Mutter! Mutter! eitler Wahn!
    Gott hat an mir nicht wohlgetan!
    Was half, was half mein Beten?
    Nun ists nicht mehr vonnöten." -


    "Hilf Gott! hilf! Wer den Vater kennt,
    Der weiß, er hilft den Kindern.
    Das hochgelobte Sakrament
    Wird deinen Jammer lindern." -
    "O Mutter! Mutter! was mich brennt,
    Das lindert mir kein Sakrament,
    Kein Sakrament mag Leben
    Den Toten wiedergeben." -


    "Hör, Kind! Wie, wenn der falsche Mann
    Im fernen Ungerlande
    Sich seines Glaubens abgetan
    Zum neuen Ehebande? ---
    Laß fahren, Kind, sein Herz dahin!
    Er hat es nimmermehr Gewinn!
    Wann Seel und Leib sich trennen,
    Wird ihn sein Meineid brennen!" -


    "O Mutter! Mutter! hin ist hin!
    Verloren ist verloren!
    Der Tod, der Tod ist mein Gewinn!
    O wär ich nie geboren! --
    Lisch aus, mein Licht! auf ewig aus!
    Stirb hin! stirb hin! in Nacht und Graus!
    Bei Gott ist kein Erbarmen:
    O weh, o weh mir Armen!" -


    "Hilf Gott! hilf! Geh nicht ins Gericht
    Mit deinem armen Kinde!
    Sie weiß nicht, was die Zunge spricht;
    Behalt ihr nicht die Sünde! --
    Ach, Kind! vergiß dein irdisch Leid
    Und denk an Gott und Seligkeit,
    So wird doch deiner Seelen
    Der Bräutigam nicht fehlen." -


    "O Mutter! was ist Seligkeit?
    O Mutter! was ist Hölle?
    Bei ihm, bei ihm ist Seligkeit,
    Und ohne Wilhelm, Hölle!
    Lisch aus, mein Licht! auf ewig aus!
    Stirb hin! stirb hin! in Nacht und Graus!
    Ohn ihn mag ich auf Erden,
    Mag dort nicht selig werden." --


    So wütete Verzweifelung
    Ihr in Gehirn und Adern.
    Sie fuhr mit Gottes Vorsehung
    Vermessen fort zu hadern,
    Zerschlug den Busen und zerrang
    Die Hand bis Sonnenuntergang,
    Bis auf am Himmelsbogen
    Die goldnen Sterne zogen.


    Und außen, horch, gings trap trap trap,
    Als wie von Rosses Hufen,
    Und klirrend stieg ein Reiter ab
    An des Geländers Stufen.
    Und horch! und horch! den Pfortenring
    Ganz lose, leise klinglingling!
    Dann kamen durch die Pforte
    Vernehmlich diese Worte:


    "Holla ! holla ! Tu auf, mein Kind!
    Schläfst, Liebchen, oder wachst du?
    Wie bist noch gegen mich gesinnt?
    Und weinest oder lachst du?" -
    "Ach, Wilhelm! du? - So spät bei Nacht?
    Geweinet hab ich und gewacht;
    Ach, großes Leid erlitten!
    Wo kommst du her geritten?" -


    "Wir satteln nur um Mitternacht.
    Weit ritt ich her von Böhmen;
    Ich habe spät mich aufgemacht
    Und will dich mit mir nehmen." -
    "Ach, Wilhelm, 'rein, herein geschwind!
    Den Hagedorn durchsaust der Wind:
    Herein, in meinen Armen,
    Herzliebster, zu erwarmen!" -


    "Laß sausen durch den Hagedorn,
    Laß sausen, Kind, laß sausen!
    Der Rappe scharrt; es klirrt der Sporn!
    Ich darf allhier nicht hausen!
    Komm, schürze, spring und schwinge dich
    Auf meinen Rappen hinter mich!
    Muß heut noch hundert Meilen
    Mit dir ins Brautbett eilen." -


    "Ach, wolltest hundert Meilen noch
    Mich heut ins Brautbett tragen?
    Und horch! es brummt die Glocke noch,
    Die elf schon angeschlagen" -
    "Herzliebchen! komm! der Mond scheint hell;
    Wir und die Toten reiten schnell;
    Ich bringe dich, zur Wette,
    Noch heut ins Hochzeitsbette." -


    "Sag an ! wo ist dein Kämmerlein?
    Wo? wie dein Hochzeitsbettchen?" -
    "Weit, weit von hier! - Still, kühl und klein!
    Sechs Bretter und zwei Brettchen!" -
    "Hats Raum für mich?" - "Für dich und mich!
    Komm, schürze, spring und schwinge dich!
    Die Hochzeitsgäste hoffen;
    Die Kammer steht uns offen."


    Schön Liebchen schürzte, sprang und schwang
    Sich auf das Roß behende;
    Wohl um den trauten Reiter schlang
    Sie ihre Lilienhände;
    Und als sie saßen, hopp hopp hopp!
    Gings fort im sausenden Galopp,
    Daß Roß und Reiter schnoben
    Und Kies und Funken stoben.


    Zur rechten und zur linken Hand,
    Vorbei vor ihren Blicken,
    Wie flogen Anger, Heid und Land!
    Wie donnerten die Brücken!
    "Graut Liebchen auch? ...Der Mond scheint hell!
    Hurra! Die Toten reiten schnell!
    Graut Liebchen auch vor Toten?" -
    "Ach nein! ...doch laß die Toten!" -


    Was klang dort für Gesang und Klang?
    Was flatterten die Raben? ...
    Horch Glockenklang! Horch Totensang:
    "Laßt uns den Leib begraben !"
    Und näher zog ein Leichenzug,
    Der Sarg und Totenbahre trug.
    Das Lied war zu vergleichen
    Dem Unkenruf in Teichen.


    "Nach Mitternacht begrabt den Leib
    Mit Klang und Sang und Klage!
    Jetzt führ ich heim mein junges Weib;
    Mit, mit zum Brautgelage! ...
    Komm, Küster, hier! komm mit dem Chor
    Und gurgle mir das Brautlied vor!
    Komm, Pfaff, und sprich den Segen,
    Eh wir zu Bett uns legen!"


    Still Klang und Sang. - Die Bahre schwand. –
    Gehorsam seinem Rufen
    Kams, hurre! hurre! nachgerannt
    Hart hinter's Rappen Hufen.
    Und immer weiter, hopp! hopp! hopp!
    Gings fort im sausenden Galopp,
    Daß Roß und Reiter schnoben
    Und Kies und Funken stoben.


    Wie flogen rechts. wie flogen links
    Gebirge, Bäum und Hecken!
    Wie flogen links und rechts und links
    Die Dörfer, Städt und Flecken! -
    "Graut Liebchen auch? ...Der Mond scheint hell!
    Hurra! Die Toten reiten schnell!
    Graut Liebchen auch vor Toten?"
    "Ach. laß sie ruhn, die Toten." -


    Sieh da ! sieh da ! Am Hochgericht
    Tanzt, um des Rades Spindel,
    Halb sichtbarlich. bei Mondenlicht,
    Ein luftiges Gesindel.
    "Sa ! sa ! Gesindel! hier! komm hier!
    Gesindel, komm und folge mir!
    Tanz uns den Hochzeitsreigen,
    Wann wir das Bett besteigen!" -


    Und das Gesindel, husch! husch! husch!
    Kam hinten nach geprasselt,
    Wie Wirbelwind am Haselbusch
    Durch dürre Blätter rasselt.
    Und weiter, weiter, hopp! hopp! hopp!
    Gings fort im sausenden Galopp,
    Daß Roß und Reiter schnoben
    Und Kies und Funken stoben.


    Wie flog, was rund der Mond beschien,
    Wie flog es in die Ferne!
    Wie flogen oben überhin
    Der Himmel und die Sterne! -
    "Graut Liebchen auch? ...Der Mond scheint hell!
    Hurra! Die Toten reiten schnell! –
    Graut Liebchen auch vor Toten?"
    "O weh! laß ruhn die Toten!"


    "Rapp! Rapp! Mich dünkt, der Hahn schon ruft. –
    Bald wird der Sand verrinnen. -
    Rapp! Rapp! ich wittre Morgenluft -
    Rapp! tummle dich von hinnen!-
    Vollbracht! vollbracht ist unser Lauf!
    Das Hochzeitsbette tut sich auf!
    Die Toten reiten schnelle!
    Wir sind, wir sind zur Stelle!"


    Rasch auf ein eisern Gittertor
    Gings mit verhängtem Zügel;
    Mit schwanker Gert ein Schlag davor
    Zersprengte Schloß und Riegel.
    Die Flügel flogen klirrend auf,
    Und über Gräber ging der Lauf;
    Es blinkten Leichensteine
    Ringsum im Mondenscheine.


    Ha sieh! Ha sieh ! im Augenblick,
    Hu! Hu! ein gräßlich Wunder!
    Des Reiters Koller, Stück für Stück,
    Fiel ab, wie mürber Zunder.
    Zum Schädel ohne Zopf und Schopf,
    Zum nackten Schädel ward sein Kopf,
    Sein Körper zum Gerippe
    Mit Stundenglas und Hippe.


    Hoch bäumte sich, wild schnob der Rapp
    Und sprühte Feuerfunken;
    Und hui ! wars unter ihr hinab
    Verschwunden und versunken.
    Geheul! Geheul aus hoher Luft,
    Gewinsel kam aus tiefer Gruft;
    Lenorens Herz mit Beben
    Rang zwischen Tod und Leben.


    Nun tanzten wohl bei Mondenglanz
    Rund um herum im Kreise
    Die Geister einen Kettentanz
    Und heulten diese Weise:
    "Geduld! Geduld! wenns Herz auch bricht!
    Mit Gott im Himmel hadre nicht!
    Des Leibes bist du ledig;
    Gott sei der Seele gnädig!"


    ___________________________________
    Fortsetung von meiner Seite erfolgt zu angemessener Zeit - Beiträge anderer Tamino-Mitglieder sind gern gesehen.


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !




  • Die fünfte Symphonie von Joachim Raff war die erste, die ich überhaupt kennenlernte und mit der meine Begeisterung für diesen Komponisten seinen Anfang nahm. Es war die Aufnahme unter dem legendären Filmmusikkomponisten Bernard Herrmann (Vertigo, Psycho), die mich für dieses Werk begeisterte. Und bis heute habe ich keine bessere gehört, ich kenne die neue mit Järvi allerdings (noch) nicht. Die 5. werde ich jedenfalls in den kommenden Tagen auch wieder hören und dann mehr dazu schreiben.



    clck 58


  • Ich habe - bevor ich diesen Thread fortsetze - mir in aller Ruhe die Aufnahme der 5. Sinfonie mit den Bamberger Symphonikern unter Hans Stadlmair angehört. Interessenten können sie sowohl einzeln (23.99 Euro) als auch als Gesamtpaket mit allen Sinfonien auf 9 CDs (preisgesenkt auf 59.99 Euro) erwerben. Ich selbst werde die Serie wohl einzeln fortsetzen, denn ich habe schon das meiste.


    Raff hat ja vorzugsweise Programmsinfonien geschrieben (die Nr 2 und 4 bilden hier Ausnahmen) - wobei "Lenore" die einzige ist, die sich dezidiert mit einer bestimmten literarischen Vorlage befasst. Sie ist Raffs beliebtestes Werk, trägt im dritten Satz Züge von Mendelssohn, und im 4 von Berlioz (und Richard Wagner ?) in sich. Aber alles in allem ist es unverwechselbarer Raff, der, wie kein zweiter mir bekannter Komponist es versteht von Stellen mit melodischem Liebreiz blitzschnell ins dunkel Bedrohliche - oder aber auch grell Gefährliche überzuleiten - ohne, daß hier der Eindruck eines Bruches entsteht. Fürwahr ein Klangmagier ersten Ranges !!!
    Raff hat die 5. Sinfonie 1872 in Wiesbaden komponiert. Am 13. Dezember 1872 wurde sie in privatem Rahmen in der Hofkapelle von Sondershausen mit Raff als Dirigenten uraufgeführt. Die offizielle Uraufführung fand indes am 29. Oktober 1873 in Berlin unter Benjamin Bilse statt.


    Ich gehe davon aus, daß sie alle jene, die dieser Thread - aber auch das Werk selbst - interessiert sich schon mit der Ballade von Bürger vertraut gemacht haben, die sich auf den 7jährigen Krieg, der 1763 endete, bezieht, wo die Soldaten zurückkehrten - oder wie im Falle Lenores - eben nicht. Leonore konnte das nicht verkraften und lästerte deshalb Gott. Plötzlich - es war kaum zu erwarten - klopft es nacht an die Pforte. Es ist Wilhelm, der seine Braut zur Hochzeit abholt. Aber es ist eilig - nur eine Stunde hat man Zeit das Ziel zu erreichen. Schnell entschlossen - vor Freude Überwältigt besteigt Leonore das Pferd mit dem Geliebten und los geht die Reise in rasantem Tempo. Man erreicht das Ziel kurz vor Mitternacht - da entpuppt sich der Geliebt plötzlich als Totengerippe und Leonore muß erkennen, daß das Grab ihr Brautbett ist. Ein schauriger Totentanz ist um sie und die Geister heulen: "Gott sei ihrer Seele gnädig"


    Diese Vorlage, meinte Raff in einem Brief, sei beispielsweise durch die Malkunst nicht darzustellen - sondern nur durch Musik.
    Dabe sieht er sich gezwungen, nicht nur den Inhalt der Ballade (stimmungsmäßig) wiederzugeben, sondern auch die Vorgeschichte. Also die Liebe zwischen Leonore und Wilhelm, die Trennung durch die Einberufung Wilhelms zum Militär - und letztlich die Rückkehr, der Ritt zum Friedhof und die Vereinigung der Liebenden....


    Raff zu diesem Zweck teilt die viersätzige Sinfonie in 3 Abteilungen, wobei die ersten beiden Sätze die erste Abteilung umfassen, welche mit "Liebesglück" übertitelt ist. Der erste Satz (Allegro) ist temperamentvoll und überschäumend, wogegen der zweite (Andante, quasi Largetto) den zärtlichen Teil des Liebesglück darstellt, ein Satz von bezaubernder Anmut.


    Die zweite Abteilung - besteht aus dem dritten Satz, übertitelt mit "Trennung" (Marschtempo - Agitato) Hier Zieht der Geliebte (noch optimistisch) in die Schlacht, die ihm den Tod bringen wird. Das Marschthema ist ein Ohrwurmthema, das zahlreichen Metamorphosen unterliegt - und sich in entstellter oder "körperloser" Form auch im 4. Satz wiederfindet.
    Spätesten hier kann auch der Laie hören was gemeint ist, wenn man Raff als genialen Orchestrator bezeichnet.


    Die dritte Abteilung - 4. Satz (Allegro- Un poco pio mosso (Quasi stretto) ist übertitelt mit "Wiedervereinigung im Tode"
    Hier wird die eigentliche Ballade, der Todesritt und das letale aber letzlich doch versöhnliche Ende dargestellt. Hier ist wirklich eine Technik angewandt, die an den letzten Satz von Berlioz "Sinfonie fantastique" erinnert - allerdings kein Plagiat, sondern eben ein textlich ähnliches Thema - ähnlich verarbeitet - der romantische Zeitgeist ist hier von eminenter Bedeutung...


    Conclusion: Eine bedeutende Sinfonie aus dem Bereich der romantischen Sinfonie, die wohl einen dauerhaften Platz in den Konzertsälen verdient hätte.


    mit freundlichen Grüßen
    Alfred Schmidt
    Tamino Klassikforum Wien


    PS: Die TUDOR Aufnahme mit den Bamberger Symponikern unter Stadlmair ist ausgezeichnet. Ich habe vorläufig auf das Abhören in meinem Besitz befindlicher Vergleichsaufnahmen verzichte - etwas- das ich bei Gelegenheit nachholen werde. Auf Lutgras Einschätzung - egal wie sie ausfallen möge - freue ich mich.

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ich habe mir die 5. auch wieder einmal vorgenommen, ebenfalls in der oben gezeigten Aufnahme aus Bamberg.
    Diese Symphonie ist für mich die schönste von Raff, eine echte romantische Symphonie - viel romantischer geht es nicht mehr. Es ist die einzige Raff-Symphonie mit Namen, die keine Naturschilderung als Programm hat, und ich habe mich gefragt, ob die Tatsache, dass es sich hier um ein menschliches Drama handelt, den Komponisten mehr inspiriert hat als sonst. Und ich frage mich auch, ob diese Symphonie nicht vielleicht bekannter wäre, wenn es die einzige von ihm wäre. Vielschreiberei kann sich manchmal auch gegen den Schreiber richten.


    Die ersten drei Sätze gehören jedenfalls zu dem besten, was in der Romantik komponiert wurde. Der erste Satz hat Schwung und Temperament, der zweite ist ein bezauberndes Lied auf die Liebe und der Marsch im 3. Satz hat echten Ohrwurmcharakter. Ich kann die Symphonie 5 Jahre nicht gehört haben, den Marsch kann ich immer noch summen. Der problematische Satz ist für mich der letzte, der Höllenritt der Braut mit ihrem verstorbenen Geliebten. Das Problem ist hier nicht Raff, sondern sind Mozart und Berlioz. Die beide auf unvergleichliche Weise einen "Höllenritt" musikalisch abgebildet haben, Mozart im Don Giovanni und Berlioz am Ende von La damnation de Faust. Gegen diese beiden dramatischen Geniestreiche kann Raff nur ein "Rittchen" aufbieten. Wobei ich mich - seit ich die Symphonie kenne - immer wieder frage, ob das nicht auch ein wenig an den Dirigenten liegt, die sich vielleicht nicht trauen oder nicht fähig sind, aus der Partitur alles und vielleicht ein bisschen mehr als notiert herauszuholen. Was hätte Bernstein aus diesem Satz gemacht? Ich finde es jammerschade, dass er nicht diese Symphonie eingespielt hat, sondern stattdessen z.B. die viel uninteressantere "Ländliche Hochzeit" von Goldmark. Aber es sollte nicht sein. Vielleicht kommt sie eines Tages noch, die Interpretation, die auch den letzten Satz vollständig erfasst.


    Die Schlusstakte des Finalsatzes - die Verklärung - jedenfalls zeigen dann noch einmal Raff auf dem Höhepunkt seiner Fähigkeiten.

  • Ich kenne und besitze inzwischen einige Raff-Sinfonien, und meine Höreindrücke gehen von "alle Achtung!" bis "na ja", aber die 5. Sinfonie kenne ich noch nicht.


    Die Beschreibungen klingen aber so interessant wie die Hörschnipsel, so daß ich beschlossen habe, die Bildungslücke zu schließen. Meine Wahl fiel auf Järvi, dessen Interpretation der 2. Sinfonie mir schon gut gefallen hat.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Inzwischen hat auch die Aufnahme von Neeme Järvi Eingang in meine Sammlung gefunden. Und nach zwei Hördurchgängen kann ich sagen, dass das eine gute Aufnahme ist...aber wie heisst es so schön, das Bessere ist der Feind des Guten. An die Erst-Aufnahme durch Bernard Herrmann kommt m.E. auch diese Aufnahme nicht heran. Das liegt u.a. an den für meinen Geschmack etwas zu zügigen Tempi, die speziell im Kopfsatz einige Schönheiten nicht so richtig zur Geltung kommen lassen. Schade. Was die CD aber aufwertet sind insgesamt 5 Ouvertüren und Orchesterstücke, die ich in der Mehrzahl noch nicht kannte. Dem Forenbetreiber müsste eigentlich die König Alfred Ouvertüre gefallen ;). Da die Zusammenarbeit zwischen Järvi und dem OSR ja inzwischen beendet wurde, kann man davon ausgehen, dass es bei den zwei Järvi-Aufnahmen (2. und 5.) bleibt. Das besagen jedenfalls diverse "Buschtrommeln".

  • Hallo da draußen,


    Joachim Raff (1822-1882)
    Symphonie Nr.5 "Lenore"

    + Dame Kobold-Ouvertüre op. 154; König Alfred-Ouvertüre WoO. 14: Abends op. 163b; Dornröschen-Prelude WoO. 19; die Eifersüchtigen-Ouvertüre WoO. 54
    Orchestre de la Suisse Romande, Neeme Järvi
    Chandos, DDD, 2012
    Super Audio CD, stereo/multichannel (Hybrid)

    Raffs Sinfonie Nr. 5 scheint die Populärste seiner elf Sinfonien zu sein, gemessen an der Zahl ihrer Einspielungen. Gefunden habe ich die folgenden Aufnahmen (neben der Gezeigten/Gehörten):

    • Orchestra della Svizzera Italiana, Carthy (Dynamic)
    • Bamberger Symphoniker, Hans Stadlmair (Tudor)
    • Czecho-Slovak State Philharmonic Orchestra, Urs Schneider (Marco Polo)
    • Deutsches SO Berlin, Bamert (Koch)
    • London Philharmonic Orchestra, Bernard Herrmann (Unicorn)
    • Nishino, Philharmonia Orchestra, Butt (ASV)

    Verwunderlich, dass innerhalb der stecken gebliebenen CPO-GA unter Werner Andreas Albert (3 CDs liegen vor) die 5. nicht dabei war. Ich besitze von den genannten Scheiben lediglich die Stadlmair-Version auf Tudor, die mir nach wie vor als sehr gelungen erscheint. Rein von der Deutung her mag ich die beiden Einspielungen nicht gegeneinander abwägen. Für mein Empfinden sind beide auf hohem Niveau gelungen. Für die Chandos-Produktion sprechen jedoch die einmal mehr stupende Aufnahmetechnik sowie die diversen "Füller". Die enthaltenen kleineren Orchesterwerke dürften teilweise nur schwer andernorts auffindbar sein und bringen die (SA-)CD mit einer üppigen Spielzeit von rd. 80 Minuten an ihre Kapazitätsgrenze. Auch die Kritik denkt positiv über diese Produktion: Rondo, klassik.com. Sehr bedauerlich, dass auf Chandos keine Gesamtaufnahme entstehen wird. Die Qualität der Raff'schen Musik sowie die soundtechnische "Veredelung" durch die Chandos-Toningenieure würden mich sicherlich zu einem Kauf verleiten.


    Viele Grüße
    Frank

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    Bei Amazon.com wird von mehreren Rezensenten beklagt, dass Neeme Järvi (mal wieder) durchs Werk rase. Besonders der Marsch sei bei Järvi einer Karikatur gleich. Tatsächlich verwundern mich die sehr unterschiedlichen Spielzeiten im Vergleich zur Einspielung von Bernard Herrmann:


    1. Satz: 15:01 (Herrmann) — 10:29 (Järvi)
    2. Satz: 14:00 (Herrmann) — 8:04 (Järvi)
    3. Satz: 12:34 (Herrmann) — 9:13 (Järvi)
    4. Satz: 14:48 (Herrmann) — 11:55 (Järvi)


    Kannst Du diese Eindrücke einer Hetzjagd bestätigen, lieber Frank? Mir kommt Herrmann nämlich gar nicht zu getragen vor.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Wie man in Beitrag 7 lesen kann, sind mir die Tempi auch etwas zu zügig, vor allem der erste Satz leidet doch merkbar darunter.

  • Ich frage mich, was in den alten Järvi gefahren ist. Vor einiger Zeit legte er eine der schrecklichsten Aufnahmen der 5. Symphonie von Bruckner vor, die dermaßen verhetzt ist, dass man es nicht aushält. Dabei war er mal so ein toller Dirigent mit Sinn für passende Tempi. Jetzt im Alter scheint er immer neue Geschwindigkeitsrekorde aufstellen zu wollen, koste es, was es wolle. Das entwertet ja geradezu die Werke. Vielleicht wurde er aber auch von Chandos beim Raff dazu gedrängt, damit auch noch die besagten Ouvertüren auf die CD passen. :stumm:


    Hier noch das "Corpus delicti":


    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

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  • Vielleicht wurde er aber auch von Chandos beim Raff dazu gedrängt, damit auch noch die besagten Ouvertüren auf die CD passen.


    Daran habe ich angesichts der Spielzeit auch gedacht.
    Aber ohne die beiden Aufnahmen im direkten Vergleich gehört zu haben, erschien mir Järvi nicht als verhetzt oder zu schnell.


    Viele Grüße
    Frank

  • Ich bin wie schon mehrfach erwähnt mit der Herrmann-Aufnahme groß geworden und vermisse bei Järvi dann schon einiges. Den letzten Satz hat aber bisher m.E. niemand perfekt inszeniert. Vielleicht geben die Noten es auch nicht her und es braucht einen Dirigenten, der da etwas "ergänzt". Aber wenn ich das mit dem Höllenritt bei Berlioz vergleiche, ist mir das bei Raff immer etwas zu zahm.


    Apropos Herrmann, der hat ja auch komponiert und mir ist vor wenigen Tagen diese interessante CD ins Haus "geflattert". Die damalige Violistin des Tippett Quartetts - Julia O'Riordan - würde ich gerne mal kennenlernen. :D


  • Tatsächlich verwundern mich die sehr unterschiedlichen Spielzeiten im Vergleich zur Einspielung von Bernard Herrmann:


    Es sei gestattet, zur besseren Übersicht noch die Spielzeiten der Interpretationen von Hans Stadlmair (TUDOR) und Matthias Bamert (Koch+Schwann) dazu zu nehmen:


    1. Satz: 15:01 (Herrmann) – 10:29 (Järvi) – 12:42 (Stadlmair) – 14:17 (Bamert)
    2. Satz: 14:00 (Herrmann) – 08:04 (Järvi) – 11:55 (Stadlmair) – 11:58 (Bamert)
    3. Satz: 12:34 (Herrmann) – 09:13 (Järvi) – 11:20 (Stadlmair) – 11:12 (Bamert)
    4. Satz: 14:48 (Herrmann) – 11:55 (Järvi) – 13:54 (Stadlmair) – 14:32 (Bamert)

    Einer der erhabensten Zwecke der Tonkunst ist die Ausbreitung der Religion und die Beförderung und Erbauung unsterblicher Seelen. (Carl Philipp Emanuel Bach)

  • Vielleicht geben die Noten es auch nicht her und es braucht einen Dirigenten, der da etwas "ergänzt".


    Stichwort: Stokowski. :D Schaute grad nach: Raff hat er offensichtlich nie gemacht, obwohl er bekanntlich sehr experimentierfreudig war. Schade.


    Aber wenn ich das mit dem Höllenritt bei Berlioz vergleiche, ist mir das bei Raff immer etwas zu zahm.


    Ich hörte mir die Herrmann-Aufnahme ja vorhin an. Also an Berlioz dachte ich da eigentlich auch weniger. Da liegen schon Welten dazwischen. Und bei aller Wertschätzung für Joachim Raff: Es hat schon seinen Grund, wieso er eher unter "ferner" läuft. Wenn die Fünfte sein bestes Werk ist (so wurde das offenbar schon früher gesehen), dann ist wohl auch nicht mehr viel Spielraum nach oben gegeben bei seinen übrigen Werken. Ein gefälliges Werk ist die "Lenore" durchaus, aber zum Geniestreich fehlte mir doch persönlich etwas.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Ich habe mir - angeregt durch die letzten Beiträge in diesem Thread soeben den ersten Satz von Raffs 5. Sinfonie "Leonore" angehört. Und zwar in drei Interpretationen in der Reihenfolge: Järvi - Stadlmair - Herrmann.Es ist schon interessant wie unempfindlich das Werk gegen unterschiedliche Tempoauffassungen der Dirigenten ist (aber das wurde ja bei Beethoven auch über Gebühr ausgereizt, ohne daß substanzielle verloren ging) Während bei Järvi das "Liebesglück" sich durchaus ausgelassen präsentiert, zeichnet Herrmann wunderschön die lyrischen Elemente und kostet sie aus. Dies bietet die Möglichkeit einer breiteren Palette an Stimmungen. Generell haben mich indes alle drei Aufnahmen mehr als zufriedengestellt.
    Ich ich würde Raff nicht mit Berlioz vergleichen, nicht aus Qualitätsgründen, sondern weil letzterer eine Ausnahmeerscheinung in dierser ganz speziellen Hinsicht ist. Das Ekstatische in seiner Sinfonie fantastique sorgte ja schon zu Lebzeiten des Komponisten für Furore. Sie war ein Einzelfall. Ich sehe Raff am ehesten selenverwandt mit Weber. als "klqssischen deutschen Rpmantiker" - und ich sehe ihn NICHT als Komponisten der zweiten Reihe im Hintergrund. Wenn das teilweise so gesehen wird, dann schiebe ich hier Franz Liszt den schwarzen Peter zu, der jerne junge Künstler förderte - solange sie nicht an seinem Ruhm kratzten. Das dürfte im Falle Raffs, der nicht in untergeordneter Position Liszts Werke geradezu genial instrumentieren wollte, wobei der "Meister " allen Ruhm für sich beanspruchte.
    Liszt hatte genügend Einfluß um Leute, die seine Einzigartigkeit in Frage stellten, zurechtzustutzen.....und unauffällig in eine (ehrenvolle) zweite Reihe zurückzudrängen...


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hallo,


    schaut man sich die Gesamtzeiten noch einmal an (danke Maurice!), dann fällt Järvi schon ziemlich aus dem Rahmen:


    Herrmann 56 Minuten
    Järvi 40 Minuten
    Stadlmair 50 Minuten
    Bamert 52 Minuten


    Ich habe gerade noch einmal die beiden Außensätze gehört und ja - das ist recht fix musiziert. Aber ohne direktes Vergleichshören scheint mir dieser Ansatz mit Blick auf die Musik auch nicht so unpassend. Järvi betont - wie Alfred es schreibt - das Ausgelassene, Schwungvolle ebenso, wie das an Berlioz erinnernde Fiebrige, Getriebene. Mir scheint das ein durchaus legitimer Ansatz, der recht treffend eben andere Stimmungen innerhalb der 5. herausarbeitet. Ich kann aber sehr gut nachvollziehen, dass durch Bernhard "Psycho" Herrmann sozialisierte Hörer Schwierigkeiten mit dieser Deutung haben könnten. Wobei mir der Vergleich vielleicht auch nicht ganz fair erscheint, bewegt sich Herrmann eben auch offensichtlich am entgegengesetzt-"celibadesquen" Ende der Temposkala.


    Viele Grüße
    Frank

  • Zusammen mit Nr. 9 immer noch meine Lieblingssinfonie von Raff. Das liegt vor allem an den Rahmensätzen, besonders am faszinierenden Finale, das es mir wirklich angetan hat.

    Die erste Abteilung - quasi die Vorgeschiche - wird als Liebesglück bezeichnet und Raff findet hierfür verschiedene Aspekte und Klangwelten. Zunächst eine heitere, eingängige und romantische Lesart im Kopfsatz. Musik voller Frische und. Im Andante folgen dann die lyrischen Töne, die im Eingangssatz natürlich schon anklangen. Grundlage ist eine empfindsame Kantilene, die äußerst ansprechend gesteigert wird. Gelgentlich - und das passiert mir bei Raff immer mal - denke ich dabei an Tschaikowskys Sinfonik.

    Mit der zweiten Abteilung beginnt die eigentliche Vertonung der Ballade und damit auch die musikalische Motivik, die beide Schlussabteilungen zusammenhält. Dieser Marsch ist äußerst eingängig und hier noch heiter und optimistisch. Die vielfältige Bearbeitung gerät ziemlich mitreißend und vielseitig.

    Die musikalische Gestalt der letzten Abteilung "Introduktion und Ballade" gefällt mir jedoch noch besser. Der "Ritt" wird plastisch dargestellt und auch das Marschthema taucht hier verändert wieder auf, aber im dramatischen Duktus. Bei den Bambergern gelingt die Steigerung des "Ritts" ziemlich gut. Für mich ist das zwar ästhetisch glatter als bei Berlioz, aber dennoch mitreißend und ein Höhepunkt romantischer Sinfonik!

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

  • Am 9. September 2023 also vor 4 Tagen hat Naxos eine weitere Einspielung dieser Sinfonie vorgelegt, und zwar mit der Slovakischen Staatsphilharmonie unter Urs Schneider.

    Die Aufnahme stammt schon von 1991/92 und ist ursprünglich auf dem Vollpreislabel Marco Polo erschien. Das war eine ganze Serie, die nun - nach und nach - auf Naxos übertragen wird. Über die Qualität und den Interpretationsansatz der Aufnahme kann ich derzei nichts sagen - ich besitze sie noch nicht.


    mfg aus Wien

    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Raff wurde zu dieser Sinfonie durch eine Ballade von Gottfried August Bürger (1747-1794) inspiriert, welche gruselig, romantisch und moralisierend gleichermaßen ist. Mich erinnert der Text in gewisser Weise an einige der eher schaurigen -Loewe-Balladen. Wenngleich hier nicht eine Vertonung des Textinhalt erfolgte, so hat die literarische Vorlage dennoch einen gewissen Einfluß auf die Musik. Dem Publikum des 19. Jahrhunderts war diese Ballade natürlich bekannt - und so vermochte es diese Musik anders zu erleben, als dies dem uninformierten Hörer von heute möglich ist. Um dieses Manko wenigstens teilweise auszugleichen (unser Zugang zu Religion ist heute vermutlich distanzierter ?) habe ich den (auf Grund seines Alters copyrightfreien) Text hier an den Anfang des Threads gestellt. Möge er gelesen werden , die Leser literarisch bereichern - und ein wenig zum Verständnis und bewussen Hören der Sinfonie beitragen

    In der Tat hat Carl Loewe Bürgers Ballade, die in ihrer Zeit große Kreise zog, sehr geschätzt. Sie wurde auch in seinem Vaterhaus vorgelesen, berichtet er in seinen Erinnerungen. Er hat sie - was mich stets sehr wunderte - aber nicht selbst vertont. Schreckte er vor der blasphemischen Aussage zurück? Ich werde erst jetzt auf diesen Thread aufmersam nachdem er fünf Jahre ruhte. Deshalb bitte ich um Nachsicht, dass ich auf seinen Beginn zurückkomme. Von den Kompositionen, in denen der Stoff aufgegriffen wurde, gefällt auch mir Raffs Sinfonie sehr gut, wenn nicht am besten. Obwohl sie einerseits an der Handlung bleibt - Tristan hat das gut dargestellt - drückt sie zugleich das aus, was Worte nicht fassen können. Interessant und klug finde ich, dass auf der Naxos-CD die Sinfonie mit der Ouvertüre "Ein feste Burg ist unser Gott" gekoppelt wurde, in die das Luther-Lied nach meinem Eindruck kunstvoll und fast schon neutönerisch verwoben ist.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent