Richard Wagner: Die Meistersinger von Nürnberg - die unverzichtbaren Aufnahmen der Taminos

  • Da diese Serie überwiegend auf gute Resonanz stößt, entschließe ich mich mal, nun auch meine Lieblingsoper in dieser Reihe aufzunehmen: "Die Meistersinger von Nürnberg". Wagners komischste Oper (neben dem frühen "Liebesverbot") ist zugleich eine der genialsten Abhandlungen über Kunst an sich, wie Prof. Joachim Kaiser einmal sinngemäß meinte.


    Wiederum lautet die Frage: Welche Aufnahmen erachtet ihr als unverzichtbar und integralen Bestandteil in einer gut aufgestellten Wagner-Diskographie?


    An empfehlenswerten Aufnahmen besteht kein Mangel, so dass ich eher überlegen muss, was ich hier überhaupt nominieren soll.


    Liebe Grüße
    :hello:


    P.S. Auch hier wiederum gerne mehrfache Nennung möglich.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões


  • 1956: Hans Hotter ist wohl der menschlichste Sachs, den ich je gehört habe. Hervorragend. Allen, die Hotter vornehmlich als Wotan gehört haben, sei diese Aufnahme ans Herz gelegt, auch wenn sie klängliche Mängel hat. Cluytens dirigiert mit angenehmen Schwung ein namhaftes Ensemble (Brouwenstein, Greindl, Fischer-Dieskau) und präsentiert bei diesem Livemitschnitt eine vor Lebenslust überbordende Festwiese.



    1960: Diese Aufnahme ist zwar nicht rundum befriedigend, zeigt aber Josef Greindl in Höchstform. Den langen Atem für diese Partie unter Knappertsbusch extrem schleppenden Tempi, hätte wohl kaum ein zweiter Sänger aufgebracht. (Bei einem Mitschnitt unter Böhm kann er da nicht so stark punkten.) Neben Greindls derben Schusterpoeten fällt die restliche Besetzung leider ab. Windgassen ist (immer noch) kein Stolzing, Grümmer für die Eva zu damenhaft und Schmitt-Walter hat seine besten Tage bereits hinter sich. Trotzdem - mit Einschränkungen - eine hörenswerte Aufnahme.



    1974: Wieder ein überragender Sachs: Karl Ridderbusch. Neben ihm ein gutes Ensemble ohne Ausfälle. Varvisos Dirigat ist solide - nicht mehr, aber auch nicht weniger. Die Klangqualität ist hervorragend.

  • Gar nicht Bayreuth:


    Da ist zum ersten die zweite Kempe-Aufnahme mit so großartigen Interpreten wie Elisabeth Grümmer, Ferdinand Frantz, Gottlob Frick und Gerhard Unger:



    Und dann Karajans Dresdner Studio-Aufnahme mit Adam, Kollo und Donath:



    Von Theo Adams Sachs gibt es auch einen grandiosen Mitschnitt aus Rom 1971 mit Kozub und Leib unter Sawalisch.


    Wegen Paul Schöfflers Sachs schätze ich auch diese beiden Aufnahmen:




    Für mich persänlich ganz unverzichtbar ist ein Generalproben-Audio-Mitschnitt aus der Komischen Oper Berlin von 1981 unter Rolf Reuter mit dem ersten Sachs meines live erlebten Lieblingsinterpreten in dieser Rolle: Siegfried Vogel (leider nicht im Handel).


    Seit 1968 sang Vogel an der Deutschen Staatsoper Berlin den Pogner, ab 1981 an beiden Ostberliner Opernhäusern, in Dresden und später auch in Chemnitz den Hans Sachs. Hier sein Pogner (neben Theo Adam als Sachs) unter Otmar Suitner:


    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Verachtet mir Rafael Kubelik nicht ;) :



    In der Ausgewogenheit die beste Stereo-Meistersinger-Aufnahme, die ich kenne. Die Bezeichnung "Die Belcanto-Meistersinger" in einer der Amazon-Rezensionen trifft den Charakter der Einspielung in meinen Ohren sehr gut.

    An Sandor Konyas Akzent und seine sich vor Engagement stellenweise schier überschlagende Stimme muss man sich erst gewöhnen (was mir problemlos gelang), aber mit mehr stimmlichen "Schmelz" und darstellerischer Hingabe dargeboten hat man den Stolzing sehr selten gehört.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Um 2008/2009 kam diese Aufnahme plötzlich hoch und wurde als Sensation gehandelt. Ich habe sie mir daraufhin angehört und war doch etwas enttäuscht. Mit fehlt die Theatrealik und die Rollendurchdringung bei einigen Beteiligten. Hat Thomas Stewart denn den Sachs live wirklich gesungen? Häufig? Ich weiß es nicht, ich weiß nur, dass er mich als Wotan/Wanderer oder Amfortas weit mehr überzeugt denn als Hans Sachs, wo für mich doch einige Wünsche offen bleiben. Mir fehlt da ein ganzes Stück Ausdruckspalette, das für diese Rolle meines Erachtens unverzichtbar ist. Über Konya ist schon einiges gesagt worden, Unger ist stimmlich nur noch ein Schatten früherer Tage (man vergleiche ihn in den beiden Kempe-Aufnahmen!), der Beckmesser ist auch nicht meiner und auch Frau Janowitz sehe ich persönlich fast immer hinter Elisabeth Grümmer oder Helen Donath.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Bei den "Meistersingern" handelt es sich um meine Lieblingsoper. Entsprechend viele Aufnahme kenne ich mehr oder weniger. Es fällt schwer, hier eindeutige Favoriten zu benennen, dennoch will ich es versuchen. Ich gehe wieder chronologisch vor. Am Anfang steht Wilhelm Furtwängler in seiner vielleicht überzeugendsten Wagner-Aufnahme aus Bayreuth 1943. Sicherlich merkt man dem Mitschnitt die Entstehungszeit an, aber gerade deswegen auch ein wichtiges Zeitdokument. In "Neubayreuth" der Nachkriegsjahre könnte man etliche Aufführungen nominieren. Ich entschied mich für Knappertsbuschs zweites (und letztes) "Meistersinger"-Dirigat von 1960. Ich empfinde die Aufnahme als sehr stimmig und referenzträchtig. Greindl verkörpert in der Tat einen geradezu idealtypischen Sachs. Womit ich wieder auf eine englische Aufnahme verweisen will, nämlich Goodalls Saddler's-Wells-Produktion von 1968. Nicht umsonst gilt diese Aufführung heute als legendär und ebnete dem Dirigenten eine nicht mehr für möglich gehaltene Alterskarriere. Die Besetzung ist formidabel. Alle Kritiker von Norman Bailey sollten sich seinen Sachs unbedingt mal anhören. Zuletzt ein lange nur schwer erhältlicher Mitschnitt von den Salzburger Festspielen aus dem Jahre 1974: Herbert von Karajan dirigierte damals seine Berliner Philharmoniker mit einer Besetzung, die aufhorchen lässt. Karl Ridderbusch singt hier auch endlich den Sachs, der ihm in der Studioproduktion aus Dresden noch verwehrt blieb. Karajans beste Wagner-Gesamtaufnahme, die man kennen sollte.



    - Prohaska, Greindl, Fuchs, Krenn, Lorenz, Zimmermann, Müller, Kallab; Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele/Furtwängler (1943)



    - Greindl, Adam, Schmitt-Walter, Weber, Windgassen, Stolze, Grümmer, Schärtel; Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele/Knappertsbusch (1960)



    - Bailey, Mangin, Hammond-Stroud, Bowman, Remedios, Dempsey, Curphey, Robson; Sadler's Wells Opera Chorus & Orchestra/Sir Reginald Goodall (1968)


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    - Ridderbusch, Lagger, Leib, Vermeersch, Kollo, Schreier, Janowitz, Meyer; Wiener Staatsopernchor, Wiener Singverein, Kammerchor der Salzburger Festspiele & Berliner Philharmoniker/Karajan (1974)

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    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Da ist zum ersten die zweite Kempe-Aufnahme mit so großartigen Interpreten wie Elisabeth Grümmer, Ferdinand Frantz, Gottlob Frick und Gerhard Unger:


    Wie Stimmenliebhaber schätze ich diese Aufnahme ebenfalls besonders. Sie dürfte sogar die vielleicht bekanntere Kempe Aufnahme der "Meistersinger" in der Hans Hopf den Stolzing sang und die bei Elecrola herausgekommen ist noch leicht übertreffen.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!


  • Wie Stimmenliebhaber schätze ich diese Aufnahme ebenfalls besonders. Sie dürfte sogar die vielleicht bekanntere Kempe Aufnahme der "Meistersinger" in der Hans Hopf den Stolzing sang und die bei Elecrola herausgekommen ist noch leicht übertreffen.


    Herzlichst
    Operus

    Es gibt eine Kempe-Studio-Aufnahme mit Hans Hopf? Ich kenne nur die frühe Dresdner Kempe-Aufnahme mit Bernd Aldenhoff als Stolzing



    und die besagte mit Rudolf Schock (den ich nicht ganz auf Augenhöhe mit einigen seiner besten Partner sehe):


    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Verachtet mir Rafael Kubelik nicht ;) :



    In der Ausgewogenheit die beste Stereo-Meistersinger-Aufnahme, die ich kenne. Die Bezeichnung "Die Belcanto-Meistersinger" in einer der Amazon-Rezensionen trifft den Charakter der Einspielung in meinen Ohren sehr gut.

    An Sandor Konyas Akzent und seine sich vor Engagement stellenweise schier überschlagende Stimme muss man sich erst gewöhnen (was mir problemlos gelang), aber mit mehr stimmlichen "Schmelz" und darstellerischer Hingabe dargeboten hat man den Stolzing sehr selten gehört.

    leider ist die Aufnahme schwer zu finden und dennoch lohnt es sich nach ihr zu suchen - ich behaupte, es gibt keine bessere. Jochums Aufnahme gefällt mir ähnlich gut aber Domingo als Stolzing kann ich nur sehr schwer ertragen.

    „Puccini ist der Verdi des kleinen Mannes, und Lehár ist dem kleinen Mann sein Puccini.“

  • Kaum zu glauben, dass Jochums Meistersinger hier nicht erwähnt werden:


    Dirigent: Eugen Jochum

    Chor und Orchester der Deutschen Oper Berlin


    Besetzung:


    Hans Sachs - Dietrich Fischer-Dieskau

    Veit Pogner - Peter Lagger

    Kunz Vogelgesang - Peter Maus

    Konrad Nachtigall - Roberto Bañuelas

    Sixtus Beckmesser - Roland Hermann

    Fritz Kothner - Gerd Feldhoff

    Balthasar Zorn - Loren Driscoll

    Ulrich Eißlinger - Karl-Ernst Mercker

    Augustin Moser - Martin Vantin

    Hermann Ortel - Klaus Lang

    Hans Schwarz - Ivan Sardi

    Hans Foltz - Miomir Nikolic

    Walther von Stolzing - Plácido Domingo

    Eva - Catarina Ligendza

    Magdalene - Christa Ludwig

    David - Horst R. Laubenthal


    Die Tonqualität ist ausgezeichnet. Mit einem anderen Stolzing (Domingo) und einer besseren Eva als Catarina Ligendza würde mir die Aufnahme vermutlich ähnlich gut wie Kubeliks gefallen. Fischer-Dieskau ist als warmherzig anmutender Sachs jedenfalls eine Klasse für sich. Ebenso Roland Hermann als Beckmesser.
    Über Domingos nervigen Akzent kann man hinwegsehen - Ligendza hingegen ist eine glatte Fehlbesetzung.


    „Puccini ist der Verdi des kleinen Mannes, und Lehár ist dem kleinen Mann sein Puccini.“

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  • Lieber Stolzing.

    für mich „zerstört“ Domingo mit seinem Dialekt diese Aufnahme.

    Die Rolle des Stolzings ist eine zu wichtige, als dass man über Domingo einfach so hinwegsehen kann.

    Zumal für Wagner die Aussprache und das Wort extrem wichtig sind.

    Domingo hat für mich in keiner Wagner Oper was zu suchen.

    Man hat das Gefühl, dass er nicht weiß, was er da gerade singt.

    Das absolute Highlight, im negativen Sinne, war dann noch sein Walküren Dirigat in Bayreuth.

    Zusammengefasst : Domingo und Wagner geht gar nicht.


    Viele Grüße, Holger

    "Es ist nicht schwer zu komponieren.
    Aber es ist fabelhaft schwer, die überflüssigen Noten unter den Tisch fallen zu lassen"
    Johannes Brahms

  • Lieber Stolzing.

    für mich „zerstört“ Domingo mit seinem Dialekt diese Aufnahme.

    Die Rolle des Stolzings ist eine zu wichtige, als dass man über Domingo einfach so hinwegsehen kann.

    Zumal für Wagner die Aussprache und das Wort extrem wichtig sind.

    Domingo hat für mich in keiner Wagner Oper was zu suchen.

    ich sehe es eigentlich recht ähnlich - vermutlich kenn ich Text und Werk zu gut um ihn nicht zu verstehen. Am Ende gefallen mir Sachs, Beckmesser und Dirigat in der Aufnahme so gut, dass ich sie trotzdem mag. Die zwei schlimmsten Aufnahmen sind Lohengrin (da gibt’s auch ein Video mit ihm - nahe an der Karikatur) aus der Staatsoper, ich glaube unter Abbado und der Parsifal unter Thielemann, ebenfalls aus der Staatsoper.

    „Puccini ist der Verdi des kleinen Mannes, und Lehár ist dem kleinen Mann sein Puccini.“

  • Die Einspielung unter Jochum finde ich, ähnlich HolgerB, aus mehrerlei Hinsicht problematisch. Drei fragwürdige Besetzungen in wichtigen Partien ist zu viel. Domingo geht im Wagnerfach wirklich überhaupt nicht. Die Ligendza habe ich nicht mehr so recht im Ohr, aber auch nicht als besonders ideal in Erinnerung. Fischer-Dieskau als Sachs-Experiment ist erst einmal spannend, je länger ich aber darüber nachdenke, letztlich nicht rollendeckend. Die Aufnahme hätte sensationell werden können, hätte Fi-Di den Beckmesser übernommen, Karl Ridderbusch den Sachs und René Kollo den Stolzing. Es hat aber nicht sein sollen.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Die Einspielung unter Jochum finde ich, ähnlich HolgerB, aus mehrerlei Hinsicht problematisch. Drei fragwürdige Besetzungen in wichtigen Partien ist zu viel. Domingo geht im Wagnerfach wirklich überhaupt nicht. Die Ligendza habe ich nicht mehr so recht im Ohr, aber auch nicht als besonders ideal in Erinnerung. Fischer-Dieskau als Sachs-Experiment ist erst einmal spannend, je länger ich aber darüber nachdenke, letztlich nicht rollendeckend. Die Aufnahme hätte sensationell werden können, hätte Fi-Di den Beckmesser übernommen, Karl Ridderbusch den Sachs und René Kollo den Stolzing. Es hat aber nicht sein sollen.

    Mir gefällt genau dieses Experiment - wenn ich an den 3. Akt denke - insbesondere an "Ein Kind ward hier geboren" und was dann noch so folgt, bekomme ich die Gänsehaut. Den kann man, finde ich, nicht besser gestalten als Fischer Dieskau. Beim Rest sind wir uns ja alle einig.

    „Puccini ist der Verdi des kleinen Mannes, und Lehár ist dem kleinen Mann sein Puccini.“

  • Es gibt ja noch eine frühe Einspielung unter Jochum, von 1949 meine ich. Hat die jemand gehört?

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



  • Es gibt ja noch eine frühe Einspielung unter Jochum, von 1949 meine ich. Hat die jemand gehört?


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    Dabei handelt es sich um einen Mitschnitt aus dem Müchener Prinzregententheater. Folglich müssen klangliche Einschränkungen hingenommen werden, mit denen ich unter den gegebenen historischen Umständen ganz gut leben kann. Mal klingt es nicht so gut, mal wieder besser. Mir steht die Ausgabe von Myto zur Verfügung. Hotter ist ein etwas resignierter und grüblerischer Sachs. In seinen großen Monologen erzielt er damit nach meiner Einschätzung enorme Wirkungen. Wem also die "Meistersinger" sehr am Herzen liegen, wird mit dem Mitschnitt viel anfangen können, zumal auf der Besetzungsliste Namen stehe, die seinerzeit das hohe Niveau des Wagner-Gesangs in München garantierten.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Danke sehr, lieber Rüdiger!


    Herzliche Grüße

    Christian

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



  • Lässt man einzig Stereo und echte Studioeinspielungen gelten, so reduziert sich die Auswahl bei den "Meistersingern" ganz erheblich:


    - Kubelík (Arts, 1967)


    - Karajan (EMI, 1970)


    - Solti (Decca, 1975)


    - Jochum (DG, 1976)


    - Sawallisch (EMI, 1993)


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    - Solti (Decca, 1995)


    - Barenboim (Teldec, 1999)


    In den letzten gut 20 Jahren wurde nach meinem Kenntnisstand keine wirkliche Studioaufnahme unter Idealbedingungen mehr produziert. Es handelt sich vielmehr sämtlich um Live-Mitschnitte (manchmal über mehrere Tage mitgeschnitten) mit den üblichen Defiziten, was klangliche Einschränkungen, etwaige Patzer und unvermeidliche Publikumsgeräusche anbelangt.


    Von den oben aufgeführten Studioproduktionen in sehr gutem Klangbild tendiere ich in letzter Zeit wieder mehr und mehr zu Karajan, wohl noch vor Kubelík. Jochum und Solti (x 2) haben erhebliche Schwachstellen (insbes. van Dam horribel als Sachs). Bei Sawallisch war Bernd Weikl leider schon ein wenig über seinem Zenit (frischer in der Verfilmung unter Horst Stein von 1984). Und Robert Holl unter Barenboim erscheint mir auch arg angestrengt.


    Lässt man auch live gelten, so kommen in der Stereoära noch unbedingt hinzu:


    - Keilberth (Eurodisc, 1963)


    - Böhm (Orfeo, 1968)


    Beide finde ich an sich sehr überzeugend und lebendig. Bzgl. Otto Wiener als Sachs bei Keilberth kann man geteilter Meinung sein, ich finde ihn so übel nicht und besser als viele Studio-Sachse. Theo Adam war wohl nie besser als hier unter Böhm in Bayreuth, der Rest kongenial. Und das Dirigat ist phänomenal.


    Ich lande also letztlich immer bei Aufnahmen aus den 1960ern und frühen 70ern. Ich wüsste auch nicht, welche Aufnahme aus dem neuen Jahrtausend da in der Summe mithalten könnte.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • ich sehe es eigentlich recht ähnlich - vermutlich kenn ich Text und Werk zu gut um ihn nicht zu verstehen. Am Ende gefallen mir Sachs, Beckmesser und Dirigat in der Aufnahme so gut, dass ich sie trotzdem mag. Die zwei schlimmsten Aufnahmen sind Lohengrin (da gibt’s auch ein Video mit ihm - nahe an der Karikatur) aus der Staatsoper, ich glaube unter Abbado und der Parsifal unter Thielemann, ebenfalls aus der Staatsoper.

    Und nicht zu vergessen sein Tristan unter Pappano.

    In dieser Aufnahme singt sogar Villazon mit… genau so schlimm 😱


    Viele Grüße,

    Holger

    "Es ist nicht schwer zu komponieren.
    Aber es ist fabelhaft schwer, die überflüssigen Noten unter den Tisch fallen zu lassen"
    Johannes Brahms

  • Zu dem Meistersingern von Böhm ist nichts hinzuzufügen.

    Für mich DIE Aufnahme der Meistersinger.

    Gerade in Bayreuth ist es eine der Wagner Opern, die am schwierigsten zu dirigieren sind, bedingt durch die Instrumentierung.

    Durch den Schalldeckel kann es passieren, dass vieles aus der Partitur nicht zu hören ist, sondern einfach nur eine Klangmasse aus dem Graben kommt.

    Böhm löst das vortrefflich.


    Viele Grüße, Holger

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  • Eine Aufnahme wahrlich historischen Ausmaßes ist folgende:



    Der Premierenmitschnitt der Graf/Kautsky-Inszenierung anlässlich der Wiedereröffnung der Wiener Staatsoper im November 1955. Am Pult stand niemand Geringerer als Fritz Reiner. Die Sängerriege liest sich wie "Wünsch Dir was", darunter Paul Schöffler (Sachs), Gottlob Frick (Pogner), Erich Kunz (Beckmesser), Hans Beirer (Stolzing) und Irmgard Seefried (Eva).

    Ich bedauere immer wieder, dass dies seinerzeit leider noch nicht stereophon mitgeschnitten wurde. Künstlerisch ist der Wert geradezu unerhört.

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    – Luís de Camões

  • ich höre gerade da rein - auf die Gefahr hin zu polarisieren:


    ich halte K. F. Vogt ebenso wenig wie Domingo aus - wohl aus anderen Gründen aber dennoch. Er soll doch bitte den Tamino o.ä. singen aber bitte keine Helden (wie zuletzt in Zürich den Siegfried), auch keine jungen.


    Von ihm abgesehen gefällt mir Zeppenfeld als sehr tiefer Sachs schon sehr gut - wenn auch ungewohnt. Eröd als Beckmesser passt auch, ebenso Jacquelyn Wagner als Eva.


    „Puccini ist der Verdi des kleinen Mannes, und Lehár ist dem kleinen Mann sein Puccini.“

  • DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG

    Da ich gerade bei den Meistersingern unbedingt das Bild brauche, kommen nur DVD in Frage. Und als Anhänger "klassischer" Inszenierungen komme ich an Glyndebourne mit dem phantastischen Londoner Philharmonischen Orchester unter Wladimir Jurowski, dem phänomenalen Chor und dem ungeheuer präsenten und ausdauerndem Gerald Finley nicht vorbei. Für mich in der Gesamtheit der vielen Live-DVD kaum zu überbieten, muß aber zugeben, nicht alles zu kennen, was auf dem Markt angeboten wird. 5 Stunden fordern doch ihren Tribut.

    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Zitat von Stolzing

    ........immer die Frage: wie kann man die Meistersinger nicht lieben? Eine Oper ohne Längen. Mit Witz, Dramatik, viel Liebe, dazu enormer Kraft was die Musik anbelangt.

    Lieber Stolzing, ich kenne wahrlich nicht wenige Opern, auch die Meistersinger, aber denen kann ich wahrlich nichts abgewinnen und lieben schon garnicht! Lieber 100X den Parsifal als einmal die Meistersinger ;)!

    So sind halt die Geschmäcker!


    LG Fiesco

    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)

  • Was mich bei dieser Aufnahme wirklich ärgert, ist der für 2019 unterirdische Klang. Das verleidet zumindest mir den Hörgenuss ganz erheblich. Man merkt der Aufnahme ihre Genese an. Es war eben nur eine tontechnisch nicht ideale Rundfunkübertragung, die zunächst vielleicht gar nicht zur Veröffentlichung bestimmt war. Ob Thielemann noch in den Genuss einer echten Studioproduktion mit allen Schikanen kommen wird? Ich bezweifle es leider. Zumindest aber könnte Orfeo in der vorbildlichen Reihe der Bayreuther Festspieldokumente Thielemanns "Meistersinger", die er dort zwischen 2000 und 2002 mit phänomenalem Erfolg dirigierte, herausbringen. Stattdessen erschien, mir unverständlich, die unterlegene Aufnahme von 2008 unter Sebastian Weigle auch auf CD, die es bereits als DVD gab.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Lieber Stolzing, ich kenne wahrlich nicht wenige Opern, auch die Meistersinger, aber denen kann ich wahrlich nichts abgewinnen und lieben schon garnicht! Lieber 100X den Parsifal als einmal die Meistersinger ;) !

    So sind halt die Geschmäcker!

    Uff, das beruhigt mich jetzt. Die Meistersinger stehen unter den Wagner-Opern bei mir eher hinten an. In Bayreuth habe ich sie in der Inszenierung von Katharina Wagner gesehen (muss 2009 gewesen sein), was mir gut gefiel, ebenso K.F. Vogt als Stolzing (der Vorwurf der zu leichten Stimme war allerdings damals auch in den Pausengesprächen zu hören). Passte aber zur Rolle, in die Katharina auch einiges an Spielwitz und Bewegung auf der Bühne hineingeschrieben hatte. Wie Fiesco schon richtig schreibt: die Geschmäcker sind verschieden.

    Eine Aufnahme habe ich immerhin davon, es ist die gute alte Keilberth-Aufnahme.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Ich sehe gerade: zwei sind's. Die Studio-Aufnahme unter Knappertsbusch ist noch in der Sammlung. Da kann ich allerdings mit Bestimmtheit sagen, dass ich die weniger wegen der Oper sondern eher wegen Knappertsbusch gekauft hatte, in der Annahme, dass der mir etwas bislang Verborgenes daraus erschlösse. War aber nicht der Fall.


    Liebe Grüße vom Thomas:hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Was mich bei dieser Aufnahme wirklich ärgert, ist der für 2019 unterirdische Klang. Das verleidet zumindest mir den Hörgenuss ganz erheblich. Man merkt der Aufnahme ihre Genese an. Es war eben nur eine tontechnisch nicht ideale Rundfunkübertragung, die zunächst vielleicht gar nicht zur Veröffentlichung bestimmt war. Ob Thielemann noch in den Genuss einer echten Studioproduktion mit allen Schikanen kommen wird? Ich bezweifle es leider. Zumindest aber könnte Orfeo in der vorbildlichen Reihe der Bayreuther Festspieldokumente Thielemanns "Meistersinger", die er dort zwischen 2000 und 2002 mit phänomenalem Erfolg dirigierte, herausbringen. Stattdessen erschien, mir unverständlich, die unterlegene Aufnahme von 2008 unter Sebastian Weigle auch auf CD, die es bereits als DVD gab.

    Nicht nur Dir, lieber Joseph, mir geht's genauso.


    Ich habe die Aufnahme tatsächlich noch nicht zu Ende gehört, obwohl ich sie seit November 2011 besitze.

    Die Sänger sind viel zu weit entfernt und sehr wenig verständlich. Auch das Orchester habe ich aus dem Gedächtnis heraus als nicht wirklich präsent in Erinnerung.


    Ich frage mich tatsächlich, wie eine renommiertes Label wie Hänssler diese tontechnisch indiskutable Einspielung veröffentlichen konnte, zumal es mit den "Gurre-Liedern", ebenfalls mit Thielemann, eine weitere Veröffentlichung gibt, die genauso fragwürdig ist.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG

    Da ich gerade bei den Meistersingern unbedingt das Bild brauche, kommen nur DVD in Frage. Und als Anhänger "klassischer" Inszenierungen komme ich an Glyndebourne mit dem phantastischen Londoner Philharmonischen Orchester unter Wladimir Jurowski, dem phänomenalen Chor und dem ungeheuer präsenten und ausdauerndem Gerald Finley nicht vorbei. Für mich in der Gesamtheit der vielen Live-DVD kaum zu überbieten, muß aber zugeben, nicht alles zu kennen, was auf dem Markt angeboten wird. 5 Stunden fordern doch ihren Tribut.

    La Roche

    Da kann ich Dir noch folgende Verfilmung ans Herz legen, lieber La Roche:




    Bayreuth 1984, quasi unter Studiobedingungen ohne Publikum aufgenommen. Sehr gute Besetzung, angeführt von Bernd Weikl auf seinem Zenit als fast noch jugendlicher Sachs, dazu Hermann Prey als Beckmesser. Im besten Sinne kapellmeisterlich geleitet vom unermüdlichen Horst Stein. Als Schmankerl tritt ganz am Ende auf der Festwiese Wolfgang Wagner höchstselbst auf und versöhnt Sachs und Beckmesser. Eine klassische Produktion, die gut gealtert ist.


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    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

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    Da ich gerade bei den Meistersingern unbedingt das Bild brauche, kommen nur DVD in Frage. Und als Anhänger "klassischer" Inszenierungen komme ich an Glyndebourne mit dem phantastischen Londoner Philharmonischen Orchester unter Wladimir Jurowski, dem phänomenalen Chor und dem ungeheuer präsenten und ausdauerndem Gerald Finley nicht vorbei. Für mich in der Gesamtheit der vielen Live-DVD kaum zu überbieten

    Mit Deiner Bewertung der Inszenierung durch den schottischen Regisseur David McVicar bist Du nicht allein, lieber La Roche. Ich schätze sie auch sehr und schaue sie regelmäßig an. Da stimmt nach meiner Beobachtung schon optisch wirklich alles wie in der britischen TV-Serie. Jedes Detail hat eine Bedeutung. Das geht bis zu den schwarzen Fingernägeln des etwas verlotterten David oder seiner Art, aus einer Tasse zu trinken, die jede gute Erziehung bei Tische vermissen lässt. Sehr bewegend herausgearbeitet ist, wie sehr Sachs, den Gerald Finley gibt, in Eva verliebt ist. Diese tiefe Zuneigung, die durchaus auch gegenseitiges Potenzial hat, wird zum zentrales Motiv seines Handelns und Trachtens. Alle Figuren haben ihr unverwechselbares Profil. Mir ist keine Inszenierung bekannt, die so stark individualisiert ist. Selbst im großen Chor gleicht niemand dem anderen.


    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

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