Manuel de Falla komponierte diesen Liedzyklus im Jahre 1912 in Paris, wo er bereits seit 5 Jahren lebte. Der 36jährige Komponist hatte sich bereits erste Meriten erworben als Komponist, unter anderem durch die Komposition der Oper La Vida Breve.
Falla hatte immer die volkstümliche Musik seines Landes -ähnlich wie sein Freund, der Dichter García Lorca- als wichtiges Element angesehen, das für ihn ein reicher Quell der Inspiration darstellte. Unterstützt wurde er bei diesem Anliegen auch durch seinen Lehrer Felipe Pedrell, der sich zeitlebens um die Schaffung eines spanischen Nationalstils bemühte und daher ebenfalls großes Interesse am musikalischen Erbe seiner spanischen Heimat hatte.
Schauen wir uns die sieben Lieder de Reihe nach an, um uns einen ersten Überblick zu verschaffen. Dieses Posting soll dem ersten Lied gewidmet sein:
1. El Paño Moruno
Al paño fino, en la tienda,
una mancha le cayó;
por menos precio se vende,
porque perdió su valor...
¡Ay!
Das Lied handelt also von einem "maurischen" oder "dunklen" Tuch (moruno oder moro kann beides bedeuten) Der Text lautet: "Auf das feine Tuch im Laden fiel ein Fleck; man verkauft es zu einem geringeren Preis, weil es seinen Wert verlor...Oh weh!"
Da wird ein verschmutztes Tuch besungen - und das ist alles? Von wegen! Hier geht es um etwas ganz anderes - um verbotene Liebe und Verlust der Unschuld...
Das Lied beginnt relativ heiter, lebhaft, wird dann auf einmal langsamer, bedeutungsschwerer, sobald der Fleck darauf fällt ("una mancha le cayó"), genauso auch im Vers "porque perdió su valor". Den ganzen (leisen) Schmerz drückt de Falla in einer einzigen Silbe aus, die im Nachsatz kommt: dieses "Ay", das immer auch im Flamenco in unendlicher Abfolge im cante hondo sehr dramatisch und expressiv verziert wird, um den tiefen Seelenschmerz auszudrücken, es blitzt auch hier auf; die Modulation mutet fast arabisch an, möchte man meinen; jedoch ist es hier ein sehr verhaltener, gedämpfter, kurzer Schmerzenslaut, ein sehr unterdrückter Nachhall, der im piano bzw. diminuendo endet, der eher ein Seufzer, und kein fast bis zur Raserei gesteigerter Schmerzensschrei ist, wie ihn der cante hondo des Flamenco kennt.
Die tiefere Bedeutung, die sicherlich mitschwingt, ist die "Beflecktheit" im sexuellen Sinne (Man denke nur an die "unbefleckte Empfängnis" im Christentum); die Jungfräulichkeit war im mittelalterlichen Spanien ein hohes Gut, das es zu bewahren galt; der Verlust der Jungfernschaft hatte weitreichende Folgen, u. a. wurde die finanzielle Absicherung durch die Hochzeit und Eheschließung dadurch deutlich erschwert; daher kann man dieses "zu einem geringeren Preis verkauft" durchaus wörtlich nehmen, wurden doch viele Ehen geschlossen, um finanziell eine solide Basis nicht zuletzt für die Eltern zu schaffen, die für ihre Tochter eintsprechende materielle Leistungen erhielten. Man lese nur "Bodas de Sangre", "Bluthochzeit" des eingangs zitierten genialen Schriftstellers Federico García Lorca.
Auch die "novela pícara" jener Zeit, also der Schelmenroman, wie zum Beispiel Fernando Rojas "La Celestina" und ähnliche Werke gehen immer wieder auf diese Thematiken ein; es gab einen regelrechten Berufsstand meist weiblicher Kupplerinnen, die sich auf die operative Wiederherstellung der Jungfernschaft ihrer Schützlinge spezialisiert hatten, damit jene (manchmal sogar mehrfach) jungfräulich in die Ehe gehen konnten.
Das hier ein "maurisches Tuch" befleckt wurde, ist ganz besonders pikant. Dazu muss man wissen, dass Spanien seit 711 von den Mauren angegriffen und, zumindest im Süden, erobert wurde; die Rückeroberung ("Reconquista") durch die Christen erfolgte 1492 durch die "Reyes Católicos", Fernando und Isabel. Damit endete eine jahrhundertelange Koexistenz von Mauren, Christen und Juden, die nicht immer nur durch kriegerische Auseinandersetzungen geprägt war; zumindest in der Anfangszeit respektierten und tolerierten sich die drei Religionen durchaus.
Jedenfalls ist die Insinuation, dass es hier möglicherweise um den Verlust der Unschuld eines maurischen Mädchens geht - vielleicht gar mit einem nicht-maurischen Mann? von großer Sprengkraft; sie verbirgt sich subtil in dieser heiter erscheinenden Miniatur, die erst beim mehrfachen Hinhören in Text und Musik ihr Geheimnis preisgibt, quasi zwischen den Zeilen durch die Metaphorik, bzw. "zwischen den Notenlinien" durch die Temposchwankungen, das plötzliche "Abbremsen" der fröhlichen Melodie, die plötzlichen Modulationen nach Moll, sowie das Dämpfen der Dynamik ins piano, als würde jemand dem Zuhörer etwas hinter vorgehaltener Hand heimlich zuflüstern.
Einen ersten Eindruck kann man sich hier verschaffen:
https://www.youtube.com/watch?v=HYjtCeJaFjE
Für weitere Meinungen, Hinweise, Korrekturen etc. wäre ich sehr dankbar.
Viele Grüße