"Die Meistersinger von Nürnberg" von Richard Wagner - Metropolitan Opera New York, 9. Dezember 2014

  • Dirigent James Levine, Inszenierung: Otto Schenk


    Auf dieses Opernereignis habe ich fast ein Jahr Vorfreude gehegt - Karte und Flugtickets hatte ich seit Januar. Vorfreude darauf, in einem der schönsten Opernhäuser der Welt diese Oper in einer von gewollten Entstellungen freien, sich dem Werk und dem originalen Geist verpflichtete Inszenierung erleben zu dürfen. Einen Platz hatte ich in der ersten Reihe des Dress Circles, der zweiten der vier Logenebenen im beinahe ausverkauften Haus. Dirigent war James Levine, der, vom Hightech-Rollstuhl aus dirigierend, nach jedem Akt einen Ehrenapplaus erhielt.


    Nach dem immer wieder magischen Moment in der MET, wenn die "Sputniks", die strahlenförmigen Kristallleuchter hochgezogen werden, hob das Vorspiel an - und Levine machte von den ersten Tönen an klar, dass es hier nicht in Richtung musikalisches Stahlbad gehen würde, wie Ernst Bloch diese Musik genannt hat; Humanität und Wärme sprachen aus jedem Takt, es ging um lebendige Menschen, nicht um marschierende Dinosaurier. Dieser Ansatz ging vielleicht ein wenig zu Lasten der Verve, war aber sehr angemessen.


    Das Bühnenbild war ästhetisch, klar, aufgeräumt, zugleich bot es den Detailgrad, der nötig ist, um als überzeugende Kulisse zu dienen. Als sich der Vorgang zum zweiten Aufzug hob und die Bühne eine mittelalterliche Kulisse Nürnbergs bildete, erhob sich spontaner Applaus - erfreulich, aber nicht verwunderlich, welches Entzücken traditionelle Inszenierungen doch auslösen können; schade nur, dass Entzücken das Allerletzte ist, was die meisten modernen Regisseure erreichen wollen.


    Eine Randnotiz: es war durchaus ein amüsanter Kontrast, dass die Kulisse und Kostüme sich um historische Authentizität bemühten, unter den Kostümen aber etliche asiatische oder afroamerikanische Gesichter zu sehen waren, wie man sie im mittelalterlichen Nürnberg vermutlich eher nicht gefunden hätte…

    Was die Sänger betrifft, war die Qualität sehr unterschiedlich: Waren Sachs und David großartig (letzteren Darstellung der Sangesarten gegenüber Stolzing war sensationell), war Johannes Martin Kränzle ein großartiger Beckmesser, fehlte es bei Johan Botha als Stolzing und Annette Dasch als Eva. Der Dasch fehlte es eindeutig an Nuancenreichtum - sie war der Rolle rein stimmlich gewachsen, sie zu GESTALTEN, in ihre Stimme die Vielfalt hereinzubringen, die diese Rolle erfordert, gelang ihr für mein Empfinden nicht.
    Botha wiederum wirkte belegt, oft angestrengt - im Duett zwischen Sachs und Stolzing klang dieser wie fünf Meter hinter jenem, obwohl sie sich direkt gegenüber standen.


    Dennoch alles in allem ein großer, nein, ein wirklich wunderbarer Opernabend. Vor allem im Aufzug der Meistersinger im Finale war „alles, alles gut“. Hier möge diese Aufzeichnung von der Generalprobe die ausgelassene, freudige Stimmung des ganzen Ensembles wiedergeben, die sich auch am 9.Dezember aufs Publikum übertrug und die einen enthusiastisch in die New Yorker Nacht entließ:



    P.S.: Die mitunter umstrittene Schlussrede von Sachs wurde von den New Yorkern NICHT weggelassen - "free speech"...


    Herzliche Grüße


    Christian

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



  • Zitat

    Zitat von Figarooo: Danke für den schönen Bericht! Da kommt Neid auf ! ;)

    Ja, wahrhaftig!


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Was die Sänger betrifft, war die Qualität sehr unterschiedlich: Waren Sachs und David großartig...


    Als Ergänzung: Der Sachs wurde von Michael Volle und der David wohl von Paul Appleby gesungen. Hans Peter König als Pogner wird auch nicht enttäuscht haben.


    Die Vorstellung vom 13.12. wurde übrigens weltweit übertragen und für diese Aufführung bekamen Annette Dasch und Johan Botha recht freundliche Kritiken...


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Ich habe bei der Übertragung sechs Stunden im Kino gesessen und war begeistert besonders von den Herren Botha und König und natürlch von dem Dirigat von Levine. Der Vorteil im Kino ist das man zwischendurch rausgehen kann um sich was zu Essen oder zu Trinken holen kann :) .

  • Lieber Christian,


    danke für Deinen Bericht. Da läuft enem direkt das Wasser im Munde zusammen und man bekommt Appetit auf die neue MET. Ingrid und ich wollen das auch noch erleben.
    Was aber ganz besonders und eine Quelle der Freude ist: Du bist wieder bei uns. Ich hatte Dich schon auf meinem Zettel, um Dich anzurufen, um den "verlorenen Sohn" zurückzuholen. Und schon ist ein Weihnachtswunsch erfüllt. Außerdem - wenn ich die Wahl hätte zwischen unserem Tamino-Klassik - Forum und einer Fahrt zur MET; ich würde Tamino sehr vermissen! Zumal wenn, wie aus dem kurzen Ausschnitt von der Festwiese zu sehen ist, eine Inszenierung geboten wird, wie wir sie durch die fehlgeleiteten Erneuerer = Erlebnisverderber kaum mehr zu sehen bekommen.


    Ich wünsche Dir ein frohes Weihnachtsfest und ein erfolgreiches, erlebnisreiches neues Jahr.
    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Guten Morgen, lieber Christian,


    ich habe mich auch gefreut über Deinen Bericht, der auch Atmosphärisches streift, wie ich es gern habe. Ich habe zwar keine "Meistersinger" gesehen in diesem Haus, dafür aber viele andere Opern. Also kommen mir auch die eigenen Erinnerungen in den Sinn, wozu die Kronleuchter gehören. ;) Es war aber auch viel Durchschnitt dabei. An der Met wird sehr mit Wasser gekocht. Und diese Erkenntnis ist so schlecht auch nicht. Schließlich wurde mir immer sehr klar, was wir hier im deutschsprachigen Raum oder in Europa für hervorragendes Operntheater haben. Immerhin ist ja die Globalisierung so weit fortgeschritten, dass inzwischen überall die gleichen Sänger auftreten. Um so mehr kannst Du froh sein, eine trotz kleiner Einschränkungen rundum gelungene Aufführung erlebt zu haben. :)

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Liebe Taminos,


    herzlichen Dank für eure Beiträge!


    Gerhard und Figarooo - Neid ist das letzte, was ich auslösen wollte, ich wollte einige Eindrücke teilen zu einem positiven Beispiel traditioneller Opernregie und einer weithin gelungenen Aufführung.


    Theophilus: Danke für deine ergänzenden Informationen - korrekt.


    Was die Qualität von Dasch und Botha an dem Abend betrifft, stehe ich zu meinem Eindruck. Die Aufführung vom 13.12. kenne ich nicht. Wenn deren Performance dort anders war/anderen gefallen hat, umso besser.


    Rheingold: Atmosphärisches ist essenziell, eine Opernaufführung findet in einem Raum statt, mit Menschen im Publikum, lebt und fällt von deren Reaktionen und Mitgehen.
    Was das mit Wasser kochen betrifft, so gilt dies ja für die globalisierte Welt generell - die Trends und Neuheiten in New York sind nicht mehr weit weg von denen in Düsseldorf oder Berlin.


    Lieber Operus, deine Zeilen wärmen mein Herz. Meine Rückmeldung dazu an anderer Stelle...


    Herzliche Grüße und einen schönen vierten Advent


    Christian

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



  • Zitat

    Zitat von Hasiewicz: Gerhard und Figarooo - Neid ist das letzte, was ich auslösen wollte, ich wollte einige Eindrücke teilen zu einem positiven Beispiel traditioneller Opernregie und einer weithin gelungenen Aufführung.

    Lieber Hasiewicz,


    so haben wir es auch nicht aufgefasst. Die Antwort wir rein rhetorisch. Das sagt man ja auch, wenn man sich mit dem anderen freut. Dass wir uns natürlich danach sehnen, hier in Deutschland auch mal wieder etwas Vernünftiges, Unverfälschtes zu sehen, vor allem Figarooo, der Bachler-Geschädigte, ist dir aber doch sicher verständlich, oder? In erster Linie freuen wir uns jedoch mit dir, dass du so etwas erleben durftest.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Lieber Christian,


    ich danke dir, daß du es zeitlich doch noch geschafft hast, deinen zunächst mit :?: versehenen Bericht für uns zu schreiben.
    Deine Schilderung weckt Erinnerungen, die ich nicht missen möchte. So langsam wirst auch du zum "alten Wagnerianer", wenn ich die beiden gemeinsam erlebten Aufführungen des Sommers noch hinzuzählen darf.


    Dir und deiner Frau recht schöne Feiertage!

    Freundliche Grüße Siegfried

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  • Lieber Siegfried,


    zuviel des Kompliments - die nötige Begeisterung für einen angehenden Wagnerianer habe ich wohl, zumal mein Enthusiasmus für dessen Musik mit der Kenntnis der Werke des Meisters zunimmt.


    Zum echten Wagnerianer fehlen mir noch ein paar Stufen:


    - Alle Leitmotive des Rings beim Hören identifizieren und benennen zu können


    - Den ganzen "Ring" live erleben


    - mir "Parsifal" erschlossen zu haben


    - einmal Karten für Bayreuth (und angesichts der dortigen Verhältnisse gelitten) zu haben


    - den Großteil meiner zehnbändigen Ausgabe von Wagners Schriften gelesen zu haben


    Vielleicht bin ich da streng, aber das ist das Programm, das ich mir gesetzt habe, bevor ich mich "Wagnerianer" zu nennen getraue.


    Danke für deine herzlichen Grüße - für dich und deine Familie auch schöne Festtage, und auf ein Wiedersehen in 2015!


    Herzliche Grüße


    Christian

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."