Ton Koopman - Meister der Verzierungen

  • Ich bin erstaunt, daß noch kein Thread über ihn existiert, da er meines Erachtens absolut gleichwertig zu Gardiner (der hat in diesem Forum ja zu Recht :jubel: :jubel: eine kleine Lobby), Harnoncourt oder Pinnock. Wie gefallen euch seine Interpretationen? Ich mag eigentlich alle sehr gerne, vor allem aber die Motetten, das Weihnachtsoratorium, viele Kantaten (es gibt ja eine Gesamteinspielung), h-moll-Messe, die Passionen, doch hat er auch das Gesamtwerk von Sweelinck für Tasteninstrument (Cembalo/Orgel) eingespielt, ein sehr wertvolles Projekt!
    Was also denkt ihr über ihn?
    Viele Grüße

    Das Frühstück ist ihm viel zuviel Zeremonie. Die ganze Lächerlichkeit kommt zum Ausdruck, wenn ich den Löffel in die Hand nehme. Die ganze Sinnlosigkeit. Das Zuckerstück ist ja ein Anschlag gegen mich. Das Brot. Die Milch. Eine Katastrophe. So fängt der Tag mit hinterhältiger Süßigkeit an.

  • Hallo Bubba,


    ich schätze Koopman nicht nur als Bachexperten. Was CD-Produktionen angeht, so spielt Bach sicher die erste Geige bei ihm. Aber er hat auch ganz wunderbare Aufnahmen von u.a. Biber und Buxtehude mit seinen Ensembles gemacht. Besonders die Box mit Kantaten von Buxtehude möchte ich wärmstens empfehlen. Sie liegt zufällig auch bei mir grade im Player und ich bin bereits bei der dritten Scheibe. Das ist wirklich selten, dass ich soviel von einem Komponisten hintereinander hören kann, ohne dass ich was anderes brauche. Und das liegt an Koopmans Auswahl der Kantaten, an der hervorragenden Interpretation und nicht zuletzt auch an der Qualität der Stücke selbst.




    Thomas

    Da freute sich der Hase:
    "Wie schön ist meine Nase
    und auch mein blaues Ohr!
    Das kommt so selten vor."
    - H. Heine -

  • … tja, das ist wirklich seltsam, dass der Thread über Ton Koopman auf eine so bescheidene Resonanz stößt, zumal die vielen Nennungen seiner Person und seiner musikalischen Arbeit in diesem Forum überwiegend deutlich positiv sind.



    Ich möchte ein paar biografische Hinweise geben:


    Ton Koopmann wurde 1944 in Zwolle geboren. Prägend war die musikalische Familie – der Vater war begeisterter Jazzmusiker (Schlagzeug). Ton Koopman ist Katholik, auch wenn er als wichtigen Schwerpunkt seiner Arbeit evangelische Kirchenmusik (Bach, Buxtehude) hat. Prägend war die Kirchenmusik: Kirchenchor und Orgelunterricht. Der Leiter des Kirchenchores hat sich bei den Eltern dafür eingesetzt, dass Ton Koopman Orgelunterricht bekam und dann das Gymnasium besuchen konnte. Durch einen seiner Lehrer, mit dem und dessen Frau er regelmäßig musizierte, kam er zum Cembalospiel.


    In einem Interview erzählt er „In Amsterdam studierte ich Orgel und Cembalo an der Hochschule und Musikwissenschaften an der Universität. Schon im ersten Jahr an der Hochschule habe ich kleine Ensembles gegründet und Kammermusik mit diesen gespielt. So entstand dann auch sehr schnell mein erstes Kammerorchester, Musica Antiqua Amsterdam. Und ich bekam auch schon während meines Studiums einen Lehrauftrag an einer holländischen Hochschule.“ Prägend waren für ihn das Studium bei seinem Lehrer Gustav Leonhardt und das Interesse an Musik des 17. und 18. Jahrhunderts, die heute den Schwerpunkt von Koopmans musikalischem Engagement ist.


    Seine Frau, Tini Mathot, stammt aus Amsterdam, wo sie Klavier und Cembaolo studiert hat. Sie musiziert und unterrichtet gemeinsam mit ihrem Mann und ist für die Aufnahmeleitung des Amsterdamer Barockorchesters zuständig.



    Das Amsterdamer Barockorchester (1979) mit dem dazu gehörigen Chor (1993) ist der von ihm begründete und geprägte Klangkörper. Berühmt geworden ist Koopman für viele Einspielungen von Bach (Matthäuspassion, Weihnachtsoratorium. Orchesterwerke, Orgelwerke, Cembalo), Buxtehude (Kantaten), Händel (Orgelkonzerte, Orchesterwerke), aber auch Biber, Haydn, Mozart, Purcell, Telemann, Vivaldi. (Über den Bereich der Klassikhörer hinaus ist er vielen Menschen durch die gemeinsam mit Herman van Veen eingespielte Weihnachts-CD bekannt geworden – aber das natürlich nur in Klammern!)


    Das Projekt der Einspielung aller Bachkantaten soll in diesem Jahr zum Abschluss gebracht werden. Unter dem niederländischen Label Challenge Classics sollen die alten und neuen Einspielungen der Kantaten als Gesamtausgabe erscheinen. Wie der Stand der Dinge hier ist, weiß ich jedoch nicht. Im April ist der 21. Teil dieser Ausgabe erschienen und der letzte Teil Nr. 22 soll wohl im Herbst herauskommen.
    Als Gastdirigent ist Koopman u.a. in Boston, Helsinki und Zürich tätig. Anerkannt ist er aber auch für seine wissenschaftliche Arbeit als Professor für Cembalo am Königlichen Konservatorium in Den Haag, für viele wissenschaftliche Artikel in Fachzeitschriften und für Bücher. So ist er Mitherausgeber einer Standartwerkes über Bachs Kantaten und arbeitet an einer Edition der Orgelkonzerte Händels.



    Für seine Beiträge zu Johann Sebastian Bach wurde Koopman mit der theologischen Ehrendoktorwürde der Universität Utrecht ausgezeichnet.


    Beim diesjährigen Bachfest in Leipzig wird Ton Koopman mit der Bach-Medaille ausgezeichnet werden.

    „Nichts auf Erden ist kräftiger, die Traurigen fröhlich, die Ausgelassenen nachdenklich, die Verzagten herzhaft, die Verwegenen bedachtsam zu machen, die Hochmütigen zur Demut zu reizen, und Neid und Hass zu mindern, als die Musik.“

  • Hallo Andrew,


    Für mich sind Koopmans Aufnahmen etwas zu trocken. Ich höre lieber Jacobs und am liebsten Kuijken. Zwar ist das am ändern, je älter er wird, aber noch immer ist er nicht meine erste Wahl.


    LG, Paul

  • Lieber Andrew,


    vielen Dank für Deinen hochinteressanten Beitrag. Das Foto mit Koopman/Mathot kannte ich noch gar nciht.


    Liebe Grüße


    tom

  • Liebe Forianer und Ton Koopman Fans,


    als Gleichgesinnter schreibe ich diese Antwort und füge hinzu, dass alle Aufnahmen von Ton Koopman bei mir Referenzwert haben. Erstaunlich finde ich vor allem auch, dass er auf allen Gebieten der Barockmusik so überzeugende Aufnahmen liefert. Als Organist ist er mein absoluter Favorit (Bach: Triosonaten und alle anderen Werke auch), aber ebenso hat mich auch sein Chor und Orchester überzeugt. Was ich bei seinen Bach-Kantaten überragend finde, ist nicht nur seine Interpretation, sondern auch die Wahl seiner Interpreten (Klaus Mertens, der überzeugendste Bass, den ich je gehört habe).
    Zurzeit nimmt ja Koopman ja das Gesamtwerk Buxtehudes auf (buxtehude-jahr); diesen Aufnahmen sehe ich schon gespannt entgegen.
    P.S.: Wer von euch hat die Bach Orgel CD von Koopman "Organ Works Vol. 4" auf der Schnitger orgel?

    Gruß und K...
    Der Dux

  • Ich habe sie und sie ist großartig! :jubel: :jubel:
    Seine Orgel-Gesamteinspielung ist imho die Referenz.


    Edit: Die CD, die ich habe, beinhaltet folgendes: BWV 541, 730, 731, 578, 740, 590, 656, 562, 656, 582


    Viele Grüße

    Das Frühstück ist ihm viel zuviel Zeremonie. Die ganze Lächerlichkeit kommt zum Ausdruck, wenn ich den Löffel in die Hand nehme. Die ganze Sinnlosigkeit. Das Zuckerstück ist ja ein Anschlag gegen mich. Das Brot. Die Milch. Eine Katastrophe. So fängt der Tag mit hinterhältiger Süßigkeit an.

  • Hallo bubba,


    ich freue mich sehr, dass Dein Koopman-Thread wieder zum Leben erweckt wurde. Ton Koopman hat es verdient!


    Die Einspielung des Gesamtwerkes für Orgel scheint z.Zt. nicht komplett lieferbar zu sein. Bei Brilliant ist aber eine Auswahl von Bachs Orgelwerken (ob es eine Auswahl der Geamteinspielung ist, weiß ich nicht) in sechs CDs für so wenig Geld lieferbar, dass man sie fast mit einem schlechten Gewissen kaufen muss :D. Diese Box ist unbedingt empfehlenswert!


    Freundliche Grüße, Andrew

    „Nichts auf Erden ist kräftiger, die Traurigen fröhlich, die Ausgelassenen nachdenklich, die Verzagten herzhaft, die Verwegenen bedachtsam zu machen, die Hochmütigen zur Demut zu reizen, und Neid und Hass zu mindern, als die Musik.“

  • In der Tat ist Koopman ein hochinteressanter und sehr spezieller Musiker.


    Kennen-und schätzengelernt habe ich ihn zunächst als Organisten mit dieser CD:



    Seine Verzierungskunst zeugt von enormer Fachkenntnis, superber Technik und grosser Improvisationslaune.
    Vielleicht hat er es von seinem Vater, der Jazzmusiker war.
    Es dauerte übrigens ca. 2 Wochen Übezeit, bevor ich es im Frühjahr dieses Jahres schaffte, mich von seiner markanten Interpretation der Partite diverse sopra "O Gott, du frommer Gott" ( BWV 767) endlich zu lösen und eine eigene Interpretation dieser Variationen zu entwickeln, was man als Musiker ja tun muss, um aus dem Inneren heraus überzeugend spielen zu können.


    Die Toccata und Fuge d-moll ( BWV 565) würde ich momentan überhaupt nicht anrühren, weil mich seine Interpretation einfach zu sehr beeinflusst.
    Dazu müsste ich erst das Gefühl haben, selbst noch etwas Neues und Hörenswertes nach dieser Interpretation beitragen zu können.


    Beim Cembalisten Koopman können mich die vielen Triller und Mordente ab und zu doch stören.
    Bei bestimmten Stücken vermisse ich da eine gewisse Ernsthaftigkeit, abhängig vom Grundaffekt des Stückes.
    All zu sehr hört man ihm nicht an, dass er Schüler von Grossmeister Gustav Leonhardt ist, dessen Cembalospiel mich insgesamt mehr anspricht ( Bob von Asperen klingt z.B. viel mehr nach seinem Lehrer, ohne ein Kopist zu sein)
    Das heisst nicht, dass es nicht auch wunderbarste cembalistische Koopman-Momente auf CD und Live gegeben hat und gibt.


    Als Dirigent war ich angesichts seiner Orgelaufnahmen zunächst über den milden, sehr undramatischen Grundtonfall seiner Dirigate überrascht.
    Bei den Bachkantaten bevorzugt er meistens -für mein Gefühl- ein etwas zu zügiges Tempo, wenngleich er hierin zum Glück nicht den "Raser" Gardiner überholt ( :stumm: wenn das jetzt unser geschätztes Forumsmitglied aus Spenge liesst... :untertauch: )
    Mit seinem Orchester arbeitet er längst nicht so akribisch wie Harnoncourt die Details heraus und nivelliert nach meinem Geschmack des Öfteren die Kontraste doch zu sehr. Seine swingenden Tempi können aber auch mir hin und wieder Spass machen.
    Die Virtuosität und Klangkultur seines Chores kann ich nur rühmen :jubel:. , selbst wenn es noch einen Bachchor gibt, dessen Sound ich noch mehr verehre: Collegium vocale Gent :jubel: :jubel:
    Im Continuobereich könnte er sich als Truhenorganist imho etwas mehr zurückhalten, um z.B. der Cellostimme, die ich für wichtiger halte, nicht die Show zu stehlen.
    Seine Entscheidung, fast immer eine Theorbe bei Bachs geistlichen Werken mitgehen zu lassen, finde ich bedauerlich.
    Trotz der tollen Spielerin klingt es mir im heiteren, undramatischen Koopman-Kontext durch die Theorbe bisweilen doch zu belanglos unterhaltsam.
    Mit seinen tendenziell eher weichen Artikulationen bei den Streichern bin ich nicht immer glücklich.
    Man kann bei der Fülle der vorhandenen Bach-Koopman-Aufnahmen aber kaum pauschale Wertungen vornehmen, ohne ins Unseriöse abzugleiten.
    Bei seinem Kantatenprojekt gibt es natürlich auch absolut wunderbare Momente, überhaupt keine Frage.
    Als Bachdirigent sehe ich ihn in meiner persönlichen Favoritenskala hinter 1. Harnoncourt, 2. Herreweghe, 3. Leonhardt.
    Von Fall zu Fall ändert sich die Reihenfolge natürlich.
    ( Jetzt habe ich wieder nicht Gardiner erwähnt; nur gut dass ich seit einem Jahr nicht mehr in Westerenger bei Spenge wohne ;) :untertauch: )


    Glücklich ist, wer so viel Geld hat, alle erschienenen Bachkantaten dieser Herren sein Eigen zu nennen.
    Übrigens: In seinem heftigen Streit mit Rifkin in Sachen solistischer Chorbesetzung bei Bach ja oder nein bin ich voll an seiner Seite -> NEIN !


    Hut ab vor diesem grossartigen Künstler ! :jubel: :jubel: :jubel:


    Gruss
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Ich finde diese Verzierungen momentan etwas daneben, wenn ich Bach unter Koopmann höre. Möglicherweise sind sie interessant, aber ich glaube sie sind mehr Ausdruck des künstlerischen Schaffens des Herrn Koopmann, als es dem Werk zugehörig ist. Insofern höre ich eine Matthäuspassion unter Koopmann und alles ist in Ordnung, bis eine sehr verzierte Stelle kommt. Ich denke nicht, dass dies authentisch ist.


    Ich möchte aber nicht ausschließen, dass ich noch auf den Geschmack komme.

    29.08.1958 - 25.06.2009
    gone too soon

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Hallo,


    waren nicht gerade die Musiker der Barockzeit für ihre Improvisationskunst berühmt? Somit passen Koopmans Verzierungen doch eigentlich ganz gut zur Musik, schließlich reden wir hier über Barock.


    Eine Aufnahme, die ich Koopman-Jüngern wärmstens ans Herz legen möchte, ist diese:



    Koopman und Savall haben Bachs Sonaten für Gambe und Cembalo zweimal eingespielt, einmal für Virgin und später noch einmal für Savalls eigenes Label Alia Vox (hier abgebildet). Auf dieser ist den drei Sonaten BWV 1027-1029 zusätzlich noch die Triosonate BWV 529 in einer Fassung für Gambe und Cembalo vorangestellt.


    Es macht wirklich Spaß hier dem Spiel zweier Musikgrößen wie Koopman und Savall zu lauschen. Koopman-Freunde sollten sich das nicht entgehen lassen. :)



    Nächtliche Grüße,
    Gentilhombre

    "Das ist zeitgenössische klassische Musik. Dann unterstelle ich, daß da kein intellektueller Zugang..."
    Miroslaw Lem, Tenor

  • Zitat

    waren nicht gerade die Musiker der Barockzeit für ihre Improvisationskunst berühmt? Somit passen Koopmans Verzierungen doch eigentlich ganz gut zur Musik, schließlich reden wir hier über Barock.



    Eben! Mag ja sein, daß bisweilen die Verzierungen/die Ornamentik, wobei ich nicht von Koopman rede, übertrieben wird, aber schließlich ist Barock synonym mit zu viel, zu dynamisch, zu farbig, zu große Extreme, zu langsam, zu schnell. Insoweit macht Koopman nichts anderes, als, wenigstens annäherungsweise, die Musik Bachs im Stil seiner Zeit zu interpretieren. Und es war Koopman, der einmal geschrieben hat:


    Zitat

    Hoffen wir, daß uns Komponisten wie Händel und bach als Schüler annehmen - wir dürfen uns dann über ein wohlwollendes Schulerklopfen freuen:"Nicht schlecht".


    Und ich denke diese Interpretationshaltung ist auch angesichts der zum Teil hervorragenden Klangeigenschaften heutiger Cemabli (restaurierte oder kopierte Instrumente) durchaus nachvollziehbar, ermöglichen doch diese Instrumente sehr viel Dynamik und eine sehr abwechselungsreiche Klangfarbenpalette.

  • Verzierung Barock ok, aber bei Bach sehe ich das ein wenig anders. Bei Bach ist weniger oft mehr.


    Bei der Passion oder bei den Kantaten kann im Continuo schonmal gezaubert werden, aber im großen und Ganzen passt dies meiner Meinung nach nicht so zu Bach.


    Gardiner schwingt bei den Kantaten im Continuo (Chemballo) schon schön den Zauberstab. Da gehts wirklich schön zur Sache.


    Sind denn die Chembalonoten bei den Kantaten eigentlich notiert oder ist dies reine Impro Gardiners?

    29.08.1958 - 25.06.2009
    gone too soon

  • Zitat

    Original von Masetto
    Sind denn die Cembalonoten bei den Kantaten eigentlich notiert oder ist dies reine Impro Gardiners?


    Im Normalfall müsste Bach die reine Basslinie vorgegeben haben, die verbindlich ist. Diese ist dann beziffert, d.h. die dazugehörigen Akkorde und Harmonien sind vorgegeben. Wie diese aber ausgestaltet werden, liegt dann im Sinne des Interpreten, der sich natürlich auch an die gängigen Kontrapunktregeln halten muss.



    Gruß, Peter.

  • Ausgeschriebenes Continuo spielen ? :kotz: :kotz: :kotz: :kotz:


    Die Noten der Herausgeber sind meistens grausam - Finger weg.
    In der Provinz ist es leider üblich, diese abzuspielen :angry:
    Das ein Künstler vom Format Gardiners die Kunst des Continuospiels beherrscht, finde ich nicht sooo überraschend.
    Da ich seine Aufnahmen nicht so gut kenne, kann ich jetzt dazu nichts sagen.


    Koopman ist ein hervorragender Continuospieler, der über ein überschäumendes Improvisationsvermögen verfügt.
    Ich könnte immer blind sagen, dass er es ist, wenn ich nur ein paar Takte höre. Er hat da seinen sehr eigenen Stil. Den hier auszuführen ginge zu weit.
    NUR: All zu oft geht ihm -salopp gesagt- dann doch der Gaul durch.
    Mit anderen Worten: Es ist mir dann einfach zu viel.
    Trotz der erwünschten barocken Improvisationsfreiheit ist ein Continuopart nicht als Orgel- oder Cembalokonzert zu verstehen.
    Und manchmal wird es bei ihm schon recht dominant.
    Genial und witzig ist es aber sehr oft, was ihm da einfällt.


    Noch stilechter kann es imho sein Lehrer Gustav Leonhardt und auch Leute wie Bob van Asperen, Glen Wilson oder Johann Sonnleitner.
    Der tollste Continuospieler überhaupt ist für mich der Österreicher Herbert Tachezi.
    Die Kunst des Weglassens und des Understatements beherrscht er wie kein anderer. Es gäbe noch viele Gründe für diese Meinung, aber lassen wir es in diesem Koopman-Thread einmal dabei.


    Gruss
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Zum Thema Triller/Ornamentik:


    Ich habe vor längerer Zeit eine Vivaldi-CD erstanden, mit Yo-Yo Ma als Cellospieler und Ton Koopman als Cembalist/Organist und Dirigent.
    Ich lasse einmal die Interpretationsweise von Herrn Ma beiseite. Dass Ton Koopman den Basso Continuo spielt, ist ja nichts Neues. Dass man ihn an seinen Verzierungen und seinem Spiel erkennt auch nicht. Aber die Vivaldi-Kompositionen klangen plötzlich ganz anders, als man sie kennt. Das Continuo-Instrument stahl fast dem Cello-Solisten die Show.
    Koopman glänzt hier mit unzählbaren Einfällen in der Begleitung.
    Hat man von den Vivaldi-Stücken eine ganz "normale" Einspielung, dann ist diese Koopman-Aufnahme interessant, da einem plötzlich bewusst wird, dass nicht nur ein Solist am Cello sitzt, sondern auch noch einer am Cembalo/Orgel, der meiner Ansicht sogar mehr zu glänzen vermag.
    Ansonsten muss man eingestehen, dass Koopman wieder eine ziemlich eigenwillige Interpretation abliefert (allerdings in meinem Sinn ;)). Diese Aufnahme ist wohl nur für Koopman-Fans eine Investition wert (allerdings spielt auch sein Orchester sehr souverän und ausgewogen).

    Gruß und K...
    Der Dux

  • Ich habe auch bezüglich Koopman dazugelernt. Seine zweite Aufnahme der Matthäuspassion z. B. will mir plötzlich sehr gefallen.


    Unlängst war ein seitenlanges Interview mit Koopman über Bach und die Welt in der Zeitschrift Partitur zu lesen. Das war großartig.

    29.08.1958 - 25.06.2009
    gone too soon

  • Angeblich ist Koopman derzeit dabei, mit dem Amsterdamer Barockorchester einen Zyklus der Londoner Symphonien von Haydn aufzunehmen. Als erste CD dieser Aufnahmen erschienen 2010 Nr. 97 und 98:



    Seither hört man leider nichts mehr von diesem Projekt. Wurde es am Ende gar abgeblasen?

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Ich stelle gerade zu meinem Erstaunen fest, dass ich von Koopman bisher noch gar nichts auf Tonträger habe. Das muss sich irgendwann ändern. Einmal habe ich ihn gehört, in Ansbach, auf der Wiegleb-Orgel. Er hat natürlich viel Applaus bekommen, aber für mein Empfinden hat er so schnell gespielt, dass alle Details untergingen. Auf einem Cembalo wäre das Tempo kein Problem gewesen, aber so ...


  • Heute wird Prof. Dr. Ton Koopman, geboren am 2. Oktober 1944 in Zwolle/Niederlande, sage und schreibe 70 Jahre alt!


    Herzlichen Glückwunsch, Maestro! Ad multos annos! :jubel:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Heute wird Prof. Dr. Ton Koopman, geboren am 2. Oktober 1944 in Zwolle/Niederlande, sage und schreibe 70 Jahre alt!


    Das liest sich so erstaunt oder mitleidig, was mich irgendwie an Methusalem denken lässt. Ist es das aber? Da ich selber in Kürze die "6" verlasse und die "7" bekomme, möchte ich mal für die jungen Alten eine Lanze brechen: Sage und schreibe bleiben mir bis zum Ende noch 34 Jahre :D
    und ich bin überzeugt davon, dass ich bis dahin noch alle Frequenzen hören und meine (schon seit Jahrzehnten) verstärkten Augen auch die kleinen Noten von Eulenburg noch erkennen kann...


    :baeh01:

    .


    MUSIKWANDERER

  • Lieber musikwanderer,


    das war keinesfalls mitleidig gemeint. Ich wollte nur ausdrücken, wie doch die Zeit vergeht. Koopman kommt mir immer vor wie ein älterer Herr in seinen Fünfzigern. Er hat sich jedenfalls gut gehalten. Natürlich ist 70 kein Alter, gerade heutzutage. ;)


    Liebe Grüße
    Joseph

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Es ist eine weise Entscheidung Ton Koopmans seine umfangreiche, über 60 Jahre zusammengetragene Sammlung zu Lebzeiten in andere Hände zu geben. Das Orpheus Institut in Gent, hat den Bestand erworben, somit etwas dafür gezahlt und für die Unterbringung gesorgt. Staat und eine Stiftungen haben Gelder beigesteuert. Die Manuskripte und Bücher sollen digitalisiert werden, um sie so den Musikern und Forschern zugänglich zu machen. Das wird riesige Summen verschlingen. Der wissenschaftliche Anspruch ist gewahrt. Ich nehme an, es wurde ein Vertrag geschlossen, der den Wünschen Ton Koopmans entspricht.

    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Dieser Thread hat wenige Beiträge. Seit vier Jahren ist nichts mehr zu Ton Koopman geschrieben worden. Am 2. Oktober feiert er seinen 80. Geburtstag.


    Die wenigen Konzerte, die ich mit ihm und den Sängerinnen und Sängern und Orchestermitgliedern erlebt habe, sind mir unvergesslich. In seinen Dirigaten und solistischen Interpretationen ist eine besondere Energie enthalten. Es hat mit Hingabe zu tun, mit Leidenschaft für die Musik. Man spürt, er hat Spass an dem, was er macht.


    2023 hat er am Bach-Fest in Leipzig seine Lieblingswerke aufgeführt. Die Deutsche Welle nahm einen halbstündigen Dokumentarfilm zu Ton Koopman auf, in dem man viel von seiner Freude in der Beschäftigung mit Musik und im Interview vor allem von seiner Verehrung für Johann Sebastian Bach erfährt. Ein glücklicher Mensch.


    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • In Ergänzung zum vorherigen Beitrag:


    Das Kantatenwerk Johann Sebastian Bachs hat Ton Koopman zwischen 1994 und 2005 eingespielt. 2009 kam es als Box heraus. 2019 gab es die Wiederveröffentlichung der 67 CDs und einer DVD.



    Das Gesamtwerk Dieterich Buxtehudes hat Ton Koopman abgeschlossen. Von 2005 bis 2013 dauerte das Aufnahmeprojekt. 2014 erschien die Box. Die Wiederveröffentlichung der 30 CDs und eine DVD gibt es inzwischen ebenfalls vom niederländischen Label Challenge aus dem Jahr 2019.


    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Ton Koopman ist in den Fussstapfen von Johann Sebastian Bach in der Thomaskirche in Leipzig


    Ein Film in Ton Koopmans Muttersprache.

    Ein Hinweis: Interessant und sehenswert, wenn im Bacharchiv in Leipzig Dr. Peter Wollny anhand eines Autograph Bachs die Kompositionstechnik einer Kantate BWV 135 in englischer Sprache erklärt. 39 min 48 s.

    Dann steigt der Archivar ins Archiv und holt eine Handschrift einer Partita. Ton Koopman erweist sich als absoluter Kenner der erhaltenen Notentexte und Abschriften.


    Wann hat man als Laie Gelegenheit einem bachschen Original so nahe zu kommen.


    Übrigens: Sieht man sich den Film direkt auf You Tube an, läuft die englische Übersetzung mit. Alle werden des Niederländischen nicht mächtig sein.


    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Danke für den Beitrag zu Ton Koopman. Ich spüre da wirkliche Musiknähe; würde mich freuen, mit 80 Jahren selbst so fit zu sein. Und ich behaupte einmal, dass seine Lebensenergie (zusammen mit der Bachschen) dann wirklich ein Konzert zu einem wahrnehmbaren, berührenden Erlebnis macht, was ich oft bei modernen Interpreten vermisse.

    Mehr Musik ins Leben, mehr Leben in die Musik.

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