Hallo,
mit der Aufnahmequalität vieler Klassikaufnahmen bin ich
nicht einverstanden. Der Klang ist phasig (führt zu einem Druck auf den Ohren und die Phantomschallquellen sind vergrößert) und die Verteilung der
Phantomschallquellen über die Lautsprecherbasis ist unausgewogen, zu
sehr an den Lautsprechern konzentriert, sogar öfter mit "Loch in der
Mitte" (z.B. die von mir empfohlene Aufnahme mit Werken von Julius Fucik unter der Leitung von Vaclav Neumann).
Das Problem ist die Mikrofonstellung "groß A/B" (oft zwei Druckempfänger, sog. Kugelmikrofone im Abstand von ca. 1m).
Sie funktioniert einfach nicht und klingt sehr schlecht.
Mit einem Behringer 8024 Equalizer habe ich vor Jahren Laufzeit-Verzögerungen
simuliert und ab einer Weglänge von ca. 40cm klingt eine Verzögerung
unerträglich phasig. So klingen dann auch Klassik-Aufnahmen mit "groß
A/B" Mikrofonstellung. Ich bin männlich und habe wohl einen größeren Kopf als Frauen, man sollte daher
darüber nachdenken, Basisbreiten (Mikrofnabstände) über ca. 35 cm als untauglich
auszusondern.
Bei Basisbreiten unter 35 cm kann natürlich
Laufzeitstereophonie oder Äquivalenzstereophonie gewählt werden, die in
meinen Ohren besser klingt. Bei Mikrofonwinkel und Basisbreite (bis 35
cm) ist man dabei natürlich flexibel. Ich habe Eberhard Sengpiel vor
Jahren auch ein Zweiwegemikrofon vorgeschlagen, oberhalb 300Hz
Äquivalenzstereophonie und darunter Laufzeitstereophonie
(Druckempfänger), möglichst mit linearphasiger Entzerrung der
Frequenzweiche. Das sollte auch gut klingen.
Ein anderes Aufnahmeverfahren, was einen ungünstigen Klangeindruck hervorruft ist die Pegeldifferenz-Stereophonie. Hier werden zwei Mikrofone am selben Ort aufgestellt, es gibt keine Laufzeitdifferenzen. Es handelt sich um die Mikfonstellungen X/Y und M/S. Aufgrund des Übersprechens zwischen den Kanälen bei der Lautsprecherstereophonie (ein Ohr hört beide Lautsprecher) klingen auch diese Verfahren "phasig". Sie werden heutzutage allerdings kaum eingesetzt.
Nach meiner Erfahrung klingt die Mikrofonstellung "ORTF" (Äquivalenzstereophonie mit zwei Nierenmikfonen, sie erzeugt frequenzneutrale Pegeldifferenzen und Laufzeitdifferenzen) mit einer Basisbreite von 17 cm ausgewogen und nicht lästig.
Die nach meiner bisherigen Kenntnis möglichen Basisbreiten bei Stereo-Hauptmikrofonen beschränken sich also auf 17 cm bis ca. 35 cm. Möglicherweise sind kleinere Basisbreiten als 17 cm möglich, das müßte man ausexperimentieren. Für sinnvoll halte ich sie eher nicht.
Um dies sicher zu erkennen, benötigt man gute Hörbedingungen. Im Wohnraum empfehle ich dafür einen Lautsprecher mit möglichst frequenzlinearem Bündelungsmaß (z.B. K+H O96) und einen Hörabstand um 1,5m bis 1,7m. Man hört es auch bei größeren Abständen, kann es aber nicht so sicher zuordnen. Generell ist das "Nahfeldhören" im Heim für Klassikaufnahmen sehr empfehlenswert, man kann nach meiner Erfahrung gut in den Ursprungsraum (Konzertsaal) hineinhören.
Alternativen dazu sind Lautsprecher mit höherem Bündelungsmaß, wie der K+H O500C, die größere Hörabstände zulassen.
Auch eine Optimierung der Raumakustik ist möglich, aber sehr aufwendig. Die Nachhallzeit muß dabei stark abgesenkt werden und frequenzlinear sein und diskrete Reflexionen müssen um 25dB gegenüber dem Direktschall abgesenkt werden, siehe Barron:
http://www.syraha.de/foren/msg…reff_allgemein&idx=26182&
Solche Hörbedingungen wurden näherungsweise im Referenz-Hörraum der Telekom in Berlin-Adlershof realisiert, siehe Lau & Huhn:
http://www.syraha.de/foren/msg…reff_allgemein&idx=26184&
http://www.syraha.de/foren/msg…reff_allgemein&idx=26185&
In den beiden Räumen von Musikelectronic Geithain findet man ähnliche Hörbedingungen. Ich war dort im Jahr 2000 und die Theorie wurde in der Praxis glänzend bestätigt. Eine Tonaufnahme aus der Hamburger Musikhalle klang mit dem RL 901 z.B. tatsächlich wie ein Orchester in der Hamburger Musikhalle! Ob man darin (alle Wände voller Diffusoren, RT60 = 0,25 s ab 30Hz) wohnen kann oder will, ist eine andere Frage.
Der RL 901 ist jetzt als RL 901 k verbessert und verfügt aufgrund seiner Nierencharakteristik für den Tieftöner, realisiert mit einem akustischen Laufzeitglied (Aktivkohle) über ein noch frequenzlineareres Bündelungsmaß. Der Mitteltöner in diesem System war schon seit jeh eine Niere mit akustischem Laufzeitglied (rückwärtig abgestrahler Schall wird dadurch zeitverzögert abgestrahlt). Eine weitere Verbesserung wäre aus meiner Sicht der Einbau der alten Hornschallführung für den Hochtöner aus dem RL 900, der im Referenz-Hörraum der Telekom in Berlin-Adlershof eingesetzt wurde. Das Bündelungsmaß würde dadurch noch deutlich verbessert, siehe Lau & Huhn.
Klassikhörer sind mit der Aufnahmequalität dennoch die wohl glücklichsten. Von meinen einigen hundert CD´s kann man die meisten gut anhören. Vor Jahren bekam ich eine CD mit Jazz-Aufnahmen zugesendet, dabei handelt es sich um sogenannte "Nahaufnahmen". Jedes Instrument bekommt dabei ein eigenes Mikrofon ganz nah am Instrument. Der natürliche Klang eines Instrumentes hängt essentiell mit seiner Richtcharakteristik und den diskreten Reflexionen im Aufnahmeraum zusammen (das sind Schall-Rückwürfe von den Wänden, eine Geige ohne Decke klingt z.B. schlecht, Bruckner verwendet daher in seiner e-moll Messe keine Streicher, da die Kapelle, wo die Messe uraufgeführt wurde, noch kein Dach hatte).
Die Richtcharakteristik der Instrumente fehlt bei den Nahaufnahmen, die daher vollständig verfärbt sind (die Schall-Abstrahlung der Instrumente als Funktion der Raumrichtung ist sehr verschieden, siehe Jürgen Meyer, Akustik und musikalische Aufführungspraxis). Außerdem werden die Instrumente als ausdehnungslose Mono-Punkte ohne Tiefenstaffelung in der Stereo-Basis dargestellt. Diese Aufnahmen klingen unerträglich. Schlimm, denn Lautsprecher werden mit Tonaufnahmen beurteilt und wenn ein Jazz-Hörer Lautsprecher kauft, kauft er wohl falsche (z.B. solche mit zu geringem oder stark frequenzabhängigem Bündelungsmaß, die eine Pseudo-Räumlichkeit hervorrufen), da er ein irgendwie natürlich geartetes Klangbild erwartet.
Liebe Grüße
Andreas