Vorab - besser kann man die Oper kaum auf die Bühne bringen. Ich kannte sie gar nicht, hatte Massenets wegen so meine Vorbehalte und wollte eigentlich eine schöne Kaufmann-Blu-ray ansehen und -hören.
Plassons Orchester ist von A-Z unbeschreiblich differenziert und ausdrucksvoll, und die Sänger verkörpern ihre Figuren so lebensecht, wie man es kaum je erlebt hat. Ein wundervolles Libretto, das die mono-Perspektive von Goethes Briefroman zu einer psychologisch wohlmotivierten Dreicksgeschichte auserzählt und entfaltet. Allein der erste Akt mit der erst aufkeimenden und schließlich jäh ausbrechenden Liebe Werthers ist so überaus suggestiv, klischeeefrei und berührend, wie es der aufdringliche Tristan niemals sein wird. Die Musik ist von Beginn an durchzogen von einer tiefen Wärme und Zuneigung zu den Protagonisten, und die Darsteller halten stets Schritt mit der hohen Anforderung, romantische Figuren höchst menschlich und real zu beseelen, auf dem Boden einer historisch und situativ genau umrissenen Individualität. Hier lernt man wirklich Menschen kennen und lieben, keine händeringenden Opernfiguren. Ich war beim Anschaun über die Maßen bezaubert und ergriffen.