Rolf Kleinert - eine Erinnerung

  • Musikfreunde aus der ehemaligen DDR werden ihn sicherlich kennen, mir persönlich ist er nur dem Namen nach bekannt und ich nehme seinen heutigen 40. Todestag zum Anlass, an den Dirigenten des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin (und GMD) Rolf Kleinert zu erinnern.


    Der am 24. November 1911 in Dresden geborene Sohn eines Porzellanmachers hat von 1931 bis 1933 an der Orchesterschule der Sächsischen Staatskapelle Dresden Violine und Klavier studiert (wobei erwähnenswert ist, dass er auch Oboe und Trompete blasen konnte), und bei Fritz Busch das Dirigieren erlernt.


    Erste Arbeitsorte waren das Theater Freiberg, wo er als Kapellmeister begann, und später das Theater in Brandenburg (Havel), das ihn als musikalischen Oberleiter und Dirigent der Sinfoniekonzerte engagierte. Der Zweite Weltkrieg unterbrach 1941 seine musikalische Karriere, da er zur Wehrmacht eingezogen wurde. Nach dem Krieg geriet er in französische Gefangenschaft, kam aber schon kurz darauf wieder frei und übernahm 1947 das Mitteldeutsche Rundfunkorchester des Senders Leipzig. Von 1949 bis 1952 war Kleinert Musikdirektor des Theaters Görlitz und initiierte und dirigierte hier die Erstaufführung der Oper „Halka“ von Stanisław Moniuszko (die 1935 ihre Erstaufführung in Deutschland hatte, aber kein Erfolg war).


    Im Jahre 1952 begann Kleinerts langjährige Zusammenarbeit mit dem RSO Berlin, zunächst als erster Dirigent neben dem Chefdirigenten Hermann Abendroth, nach dessen Tod 1956 als Interimsleiter bis 1959, als er zum GMD und Chefdirigenten ernannt wurde. Ein Jahr später erhielt er den Professorentitel. Als 1961 Mauer und Stacheldraht durch Berlin gezogen wurden, das Orchester ein Drittel seiner Musiker verlor, stand es im Grunde vor der Auflösung. Zusammen mit Hanns Eisler kämpfte Rolf Kleinert jedoch vehement für den Erhalt des Klangkörpers, das tatsächlich durch das Engagement geeigneter Musiker weiter bestehen konnte.


    Rolf Kleinert hat mit dem RSO Berlin Konzertreisen in die Sowjetunion, nach Polen und Bulgarien, aber auch nach Italien, England, und in die Bundesrepublik unternommen. Er selber hat immer wieder Einladungen zu Gastdirigaten in Leningrad, Moskau, Belgrad Riga, Budapest, Bratislava, Kairo, zum National Orchester Chile und dem RSO Helsinki angenommen. Kleinert erhielt den Vaterländischen Verdienstorden und den Nationalpreis der DDR.


    Nach einer Erkrankung 1972 musste Kleinert das Dirigieren aufgeben; drei Jahre später ist er verstorben und auf dem Striesener Friedhof in Dresden beigesetzt worden. Das Deutsche Rundfunkarchiv (DRA) besitz ca. 800 von Kleinert dirigierte Aufnahmen.


    :hello:

    .


    MUSIKWANDERER

  • Das finde ich sehr verdienstvoll, dass Du an eine solche offenbar für das Kulturleben wichtige Persönlichkeit erinnerst, lieber Musikwanderer. Von den DDR-Dirigenten kenne ich ihn als "Westler" gar nicht, nur die späteren (Sanderling bis Herbig), deren Aufnahmen bei Berlin-Classics dokumentiert sind. Vielleicht sollte Berlin-Classics mal eine repräsentative Box herausbringen - was ja auch orchestergeschichtlich interessant wäre.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Sehr umfangreich scheint die diskografische Hinterlassenschaft von Rolf Kleinert nicht zu sein, der Bielefelder Katalog nennt nur 24 Einträge, davon sehr viele Zusammenstellungen. Vielleicht sollten wir uns hier tatsächlich mal die Mühe machen und Informationen zu Aufnahmen zusammentragen?


    Ich hab mal in meine Sammlung geschaut und kann folgendes beitragen:


    Am häufigsten in Sammlungen vertreten dürfte diese CD sein:


    In der von mir schon mehrfach erwähnten Reihe von Pilz "East German Revolution" findet sich:


    J. Brahms - Konzert a-moll op. 102 für Violine, Cello und Orchester (Garay, György; Aldulescu, Radu; Kleinert, Rolf; Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin)
    R. Schumann - Sinfonie Nr. 3 Es-Dur op. 97 "Rheinische" (Kleinert, Rolf; Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin)
    L. v. Beethoven - Klavierkonzert Nr. 2 B-dur op. 19 (Zechlin, Dieter; Kleinert, Rolf; Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin)
    L. V. Beethoven - Sinfonie Nr. 7 A-dur op. 92 (Kleinert, Rolf; Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin)
    P. Dessau - Bach Variationen (1964) (Kleinert, Rolf; Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin)


    Diese Aufnahmen stammen aus dem staatlichen Rundfunkarchiv und sind meines Wissens in der DDR nicht auf Platte erschienen.

    Einer acht´s - der andere betracht´s - der dritte verlacht´s - was macht´s ?
    (Spruch über der Eingangstür des Rathauses zu Wernigerode)

  • Das Deutsche Rundfunkarchiv (DRA) besitz ca. 800 von Kleinert dirigierte Aufnahmen.


    Du kennst Dich gut aus, lieber musikwanderer. Ich erinnere mich, dass ich schon als ganz junges Ding Aufnahmen mit ihn im Rundfunk hörte. Damals musste und konnte ja nicht alles auf die Platte. Die Sender bauten sich große Archive auf, in denen sie sich bedienen konnten. Heute wird meistens nur noch auf CDs zurück gegriffen, nicht aber auf die eigenen Bestände, die vielfach auch noch in Mono sind. Kleinert dirigierte auch sehr viele Opernszenen. Das war wohl Teil des Jobs. Von eigenen Auftritten in der Oper ist mir nichts bekannt. Sehr stimmungsvoll ist auch dieser MANTEL in deutscher Sprache ausgefallen, den das Label Hänssler dankenswerter Weise erst kürzlich aus dem Archiv holte.



    Hänssler veröffentlichte in dieser Box auch die achtzehn Minuten umfassende Szene Venus/Tannhäuser "Geliebter, sag, wo weil dein Sinn" aus Wagner TANNHÄUSER mit Margarete Bäume und Bernd Aldenhoff, 1948 beim Mitteldeutschen Rundfunk eingespielt:



    Aus dem vokalen Bereich stammt auch diese CD, auf der Kleinert die SCHEHERAZADE von Ravel und zwei Konzertarien von Mozart mit Stefania Woytowicz dirigiert:



    Auch Beethoven findet sich, Schostakowitsch und manches mehr. Bei der Deutschen Grammophon müsste es auch mal eine LP mit einer Haydn-Sinfonie gegeben haben.



    Und so sah er aus:



    Dank musikwanderer fühle ich mich auch angehalten, wieder etwas mit ihm zu hören. Ich erinnere mich an seine klare Diktion, die ihn auch für zeitgenössische Musik prädestinierte.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent


  • Die CD besitze ich auch. Liebermann vor allem und Hindemith werden überzeugend musiziert, der Elgar hält aber meines Erachtens Vergleichen nicht stand.


    :hello: Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Am häufigsten in Sammlungen vertreten dürfte diese CD sein:

    Eben zum Schnäppchenpreis erstanden, danke für den Hinweis! Gut, dass auf diesen Dirigenten hier verwiesen wird, den ich selbst noch in jungen Jahren beim Berliner Rundfunk-Sinfonieorchester erleben durfte. Sicher hatte Kleinert nicht unbedingt das Format von z.B. Kurt Sanderling, doch habe ich ihn durchaus als eine eindrucksvolle Persönlichkeit in Erinnerung, z.B. mit der traditionell am Jahresende gegebenen 9. Sinfonie von Beethoven. Schade dass es Aufnahmen gibt, die einfach in der Versenkung bleiben.
    :hello:

    Wenn schon nicht HIP, dann wenigstens TOP


  • Und tatsächlich befindet sich sogar schon etwas in der Sammlung, zugegebenermaßen wg. dem anderen Dirigenten gekauft. :D

  • Du kennst Dich gut aus, lieber musikwanderer.

    Oha - ich möchte mir keinen unberechtigten Kranz umhängen lassen und gebe daher ehrlich zu, die Information über die "800 Aufnahmen" im D(eutschen) R(undfunk) A(rchiv) eben von jener Stelle zu haben. Ich bin nämlich im Verteilerkreis des DRA-Newsletters und da erfährt man schon mal Interessantes...


    :hello:

    .


    MUSIKWANDERER

  • Ich bin nämlich im Verteilerkreis des DRA-Newsletters und da erfährt man schon mal Interessantes...


    Dann werde ich mal den Versuch unternehmen, in diesen Kreis auch aufgenommen zu werden. Archive, Rundfunkarchive zumal, hatten immer eine starke Anziehungskraft auf mich. Selbst bin ich zweimal im DAR gewesen, das ja in Potsdam-Babelsberg sehr komfortabel untergebracht ist, und habe dort über Sänger recherchiert. Inzwischen geht das nicht mehr so einfach. Der gemeine Bürger wird schlicht nicht mehr vorgelassen. :( Oder es werden sehr hohe Hürden aufgebaut, die man nur mit Mühe überwinden kann. Zumindest habe ich die Informationen zusammen, die ich haben wollte. Schließlich kann man ja die meisten Titel auch als Umschnitte für die streng private Verwendung auch käuflich erwerben. So bekam ich zum Beispiel alle Rundfunkaufnahmen von Hanne-Lore Kuhse, Ernst Gruber und Ernst Kozub zusammen. Aber wie das so ist in allen Archiven, man muss eine sehr genaue Vorstellung haben von dem, was man suchen will. Es fliegt einem nichts zu. Danke nochmal für Deine freundliche Antwort.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Lieber Musikwanderer, liebe Taminos


    ich habe mich auch sehr über den Kleinert-Beitrag und eure Beiträge zu seiner Diskografie gefreut.


    Das hat mich angeregt, heute morgen nach langer Zeit auch mal wieder seine Aufnahme der Enigma-Variationen zu hören, die er kurz vor seinem Schlaganfall 1971 eingespielt hat. In der Präzision lässt diese Wünsche offen, dafür ist die Aufführung insgesamt sehr inspiriert und voller Wärme. Das von mir sehr geschätzte Werk hat mich schon lange nicht mehr so bewegt, wie in Kleinerts Aufnahme.


    Obwohl Kleinert durchaus als respektabler Dirigent galt, wurde er als Dresdner nach meinem Wissen nie von der Staatskapelle als Gastdirigent eingeladen, was ich bei der damaligen Situation der Kapelle erstaunlich finde. Auch beim Überfliegen der Literatur zur Dresdner Philharmonie konnte ich auf Anhieb kein Konzert mit Kleinert feststellen.


    Das Thema Kleinert hat bei mir wieder zu ernsthaftem Groll geführt, wie der Rundfunk mit dem Erbe seiner Aufnahmen umgeht - ein Thema, dass ich sicherlich demnächst in einem eigenen Thread behandele. Ich kenne das DRA nur aus der Ferne und habe für beauftragte Mitschnitte bestimmter Aufnahmen auch schon eine ansehnliche Summe ausgegeben.


    Beste Grüße


    Ottavio