Die wichtigsten Orgelwerke bis 1800

  • Mal ganz offen: Orgel ist nicht unbedingt mein Lieblingsinstrument. Ich erkenne im Blindtest lediglich BWV 565 von Bach, das aber vermutlich gar nicht von Bach ist. Wie auch immer e sei - ein schönes Stücm mit hohem Wiedererkennungswert. Da ich vermute daß es vielen so geht, starte ich diesen Thread, wo jeder Mitspieler jeweils DREI Orgelwerke vorstellen soll, allerdings jedes Stück in einem eigenen Beitrag. Ein oder zwei CD-Empfehlungen via Link wären angenehm.
    Die Stück sollten folgende Voraussetzungen erfüllen:


    a) Wichtiges Stück im Repertoire
    b) hoher Wiedererkennungswert


    Im Falle von Tonbeispielen sollte begründet werden, warum man gerade sie ausgewählt hat.


    Die Grenze liegt in diesem Thread bei 1800, allerdings würde ich Orgelwerke aus früheren Epochen bevorzugen.
    Unter Umständen könnte man in einem Jahr den Threadtitel ändern, und auch modernere Werke erwähnen.


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Fangen wir mit BWV 565 an.


    Eine der besten Kompositionen für Orgel oder sonst irgendwas, ich habe sie zwar lange nicht mehr gehört, was aber dem Umstand geschuldet ist, daß ich sie früher wohl zu oft gehört habe.


    Daß sie nicht von Bach sei, ist eine ziemlich windige Spekulation, da sie, wie einige "Experten" meinen, den Qualitätsansprüchen eines Bach nicht genüge, hier sei etwas nicht auskomponiert, dort eine Engführung nicht eng genug....


    Aus dem Begleittext zum youtube-Video:


    Bach's signature work for organ solo, performed on a Flentrop organ by Rodney Gehrke, as part of the Voices of Music "Great Works" series, recorded in Ultra HD, 4K resolution. One of the most brilliant and creative compositions ever written for the organ, the Toccata and Fugue are characterized by a grand, cathedral-like architecture. Pedal points provide the foundation, strettos engrave recurring design motifs on the architraves that join immense columns of sound, quirky modulations form spandrels at the ends of phrases, blue notes spout from the gargoyles guarding the rails of free-form episodes--episodes that form a fan-vault over the chords; subject and counter-subject weave rood-screens between the main formal sections, the fugue rules square the structure in balanced harmony, and striking modal colors provide illumination through the clerestory windows of Bach's imagination.
    The work is unique in many respects, and these unique qualities--for example, the solo statement of the fugue subject in the pedals is unprecedented in any work of the baroque--have led some musicologists (not us) to speculate that the work may not be by Bach, or that it is an arrangement drawn from a work for another instrument. But what instrument besides the organ could build a cathedral of sound?



    Es gibt auf youtube reichlich Einspielungen, ich habe mich für diese hier entschieden



    Die Aufnahme hat einen sehr guten Klang und ist m.E. mit den richtigen Tempi ausgestattet.

  • Mir noch wichtiger als BWV 565 und m.E. das wichtigste Orgelwerk überhaupt ist BWV 538, auch eine Toccata und Fuge in d-moll, genannt "dorische" (Zitat Wikipedia) "...Grund dafür ist die für d-Moll heute unübliche Schreibweise ohne Generalvorzeichen, die auf den ersten Blick den dorischen Modus vermuten lässt."


    Die beste Version der Dorischen, die ich kenne, ist von Miklos Spanyi
    ,


    bei amazon gebraucht ab 1 Cent (Otto Winter als Pseudonym für Spanyi)
    ,


    - die hier gepostete Version mit Marie-Claire Alain ist nicht allzu weit dahinter:


  • Das m. E. drittwichtigste Orgelstück ist BWV 543, Präludium und Fuge in a-moll.



    Das Stück ist auch in einer Version von Liszt erschienen, die Alexis Weissenberg grandios eingespielt hat.


    Aber auch das dargestellte Orgelstück ist schon ziemlich gut...

  • Vielleicht ist der Beitrag am Thema vorbei. Aber die ältesten gedruckten Orgelnoten wären - wenn es denn zutrifft, was das Cover verspricht - sicher auch wichtig. Über Arnolt Schlick (vor 1460 - nach 1521) findet man bei Tamino fast nichts und die englische Wikipedia-Seite über ihn ist um ein vielfaches umfangreicher als die deutsche. Dort wird er als Vorläufer Sweelincks angesehen. Wie kommt das? Gilt der Prophet mal wieder nichts im eigenen Land?
    Ich gebe zu, dass mich primär das Bild auf dem Cover interessiert hat. Es ist das Titelbild des Spiegel der Orgelmacher und Organisten (1511) von Arnolt Schlick.

  • Buxtehudes BuxWV 174 auf einer der ältesten Orgeln - die Kombination macht das Stück bedeutend, obwohl es eigentlich weniger piepsig gespielt werden sollte.


  • Hallo zusammen, ich halte ebenso wie m_mueller BWV 538 für das wichtigste Orgelwerk, es gefällt mir obendrein von allen Orgelkompositionen Bachs am meisten. Die monumentale Passacaglia BWV 582 hätte ich als zweites genannt. (BWV 565 halte ich hingegen kompositorisch nicht auf dem Niveau von BWV 538; besonders die Fuge nicht. In der Rezeption wiederum ist es an Bedeutung kaum zu überbieten). Um der Abwechslung willen, möchte ich aber drei andere nennen. Die Schwierigkeit ist hier zwischen Vorlieben und der Aufgabe des Threads ("wichtige Orgelwerke") abzuwägen. Deshalb verzichte auf Buxtehudes Präludium, Fuge & Ciacona C-Dur, die zwar zu den bekanntesten Werken des Norddeutschen gehört und in Orgelkonzerten gelegentlich erklingt, aber vielleicht nicht zu den wichtigsten drei (bzw. sechs) Werken gehört.


    Deshalb zuerst Johann Sebastian Bach - Präudium und Fuge G-Dur BWV 550. Das Werk gehört zum Frühwerk Bachs, wahrscheinlich aus der Arnstädter Zeit. Nachweisbar ist das nicht, vergleichende Analysen machen das aber sehr wahrscheinlich. Seine Bedeutung liegt eben darin: Das Werk ist quasi ein Vorreiter zu vielen vielleicht noch bekannteren Präludien bzw. Toccaten Bachs. Es weist noch deutlich auf den norddeutschen Stil hin, von dem her Bach ja kommt. Zudem erfährt es erst in den letzten Jahren eine angemessene Würdigung, war früher sogar ein bisschen unbeliebt. Eine Ursache dafür ist das berühmte fehlende Staccato der Peters-Edition in der virtuosen Fuge. Hierdurch hat sich ein verwaschener und unklarer Ton etabliert und die Fuge in ihrer mitreißenden alla breve Struktur unklar erscheinen lassen. Besonders die Schlusstakte reißen mich jedes Mal vom Hocker.


    Meine Lieblingsinterpretation stammt von Wolfgang Stockmeier. Ehrlich gesagt spielt er nicht wesentlich besser oder anders, als viele Spitzen-Organisten. Aber ich bin mit seiner Komplett-Einspielung der Bach-Orgelwerke quasi groß geworden und hänge deshalb an dieser Interpretation.

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

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  • Als zweites schwankte ich zwischen BWV 548 (meine Vorliebe und nach BWV 538 die zweitbeste Orgel-Fuge Bachs) und BWV 540 (wahrscheinlich bedeutender). Drei sind einfach zu wenig, Alfred!

    Nehmen wir also Johann Sebastian Bach - Toccata und Fuge F-Dur BWV 540. Wie so oft ist die Entstehung nicht genau geklärt. Es gibt verschiedene Theorien, zum Beispiel die Zusammenfügung eines frühen und reiferen Werkes. Christoph Wolff geht hingegen von einer zusammenhängenden Entstehung in Weimar aus. Damit ist die dritte von vier Toccaten samt Fugen Bachs ins Spiel gebracht. Die Toccata wirkt zunächst gleichzeitig statisch (Orgelpunkt im Pedal) und natürlich wahnsinnig mobil durch die manual-Figuren. Diese Klänge sind breit rezipiert und im Konzertleben sehr präsent - die Bedeutung dürfte nicht in Frage zu stellen sein. Die Themen der Doppelfuge sind anschließend aus der Toccata abgeleitet.


    Hier eine Aufnahme aus dem Heiligtum da selbst, der Thomaskirche zu Leipzig (das Video ist falsch beschriftet):

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

  • Als Drittes gehe ich einmal weg von Bach. Ich wähle Jan Pieterszoon Sweelinck - Fantasia Cromatica. Das Werk steht an der Grenze zum Frühbarock. Warum ist es so bedeutend? Es dürfte die genialste Chromatische Fantasie des 16./17. Jh. sein. Chromatische Fantasien waren dabei wie eine eigene Untergattung der Orgelmusik. Üblicherweise in der dorischen Tonreihe gesetzt. Die chromatische Melodieführung, die teils komplexe Polyphonie und die virtuosen - eher renaissanceartigen - Umspielungen gefallen mir hier bei Sweelinck besonders gut. Wichtig ist Sweelincks Werk auch deshalb, weil Bach es nachweislich kannte und in seiner chromatischen Fantasie für Cembalo zitierte.


    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

  • Ich mache hier nicht mit, weil ich zu wenig von Orgelmusik verstehe, besonders aber, weil bei keiner Musik live in einer großen Kirche so wichtig ist wie hier. Auch Sweelinck kannte ich, es gab einen Intercity von Duisburg nach Amsterdam, der Jan Pieterszoon Sweelinck hieß. Das oben ausgewählte Stück hat mir sehr gefallen, vor allem, weil man die Struktur an den Noten mitverfolgen konnte.

    Vor einigen Jahren spielte der Organist von Notre Dame, Olivier Latry, in der Essener Philharmonie ein interessantes Bach-Programm, wobei er eben nicht nur Bach spielte, sondern auch andere Kompositionen, die von Bach beeinflusst waren. Da hörte ich zum ersten Mal die Passacaglia - ich kann gar nicht beschreiben, wie gepackt ich von dieser Musik war.

    Olivier spielte ein fast zweistündiges Programm - alles auswendig!

    Mir fehlt eigentlich eine Internetseite, die für einen bestimmten Raum (hier Ruhrgebiet und Niederrhein) Informationen über Orgelkonzerte bietet. Ich kenne nur die Lutherkirche in Krefeld, den Dom in Wesel und den Dom in Xanten.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Moin Dr. Pringel,

    zwar höre ich insbesondere Bachs Orgelwerk, komplett eingespielt von Wolfgang Stockmeier, gerne und häufig auf CD. Aber Orgelmusik wirkt, wie du sagst, erst so richtig im Sakralraum und sie ist faszinierend wandelbar durch die Individualität der jeweiligen Orgel.

    Leider gibt es eine solche Internetseite in NRW nur für den Rhein-Sieg-Kreis...

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

  • Lieber Kollege Tristan,

    ich bin total angetan von dem, was du hier an kompetenten Beiträgen beisteuerst, nicht nur in der Musik, sondern auch in der Theologie. Ich selber kenne viel, aber mir fehlt der musiktheoretische Hintergrund.

    Eine Bitte: Pringel sind Kekse, Pingel ist richtig, der Doktor ist gefälscht, was im Gegensatz zur Politik hier von allen akzeptiert wird, auch der Name ist fake und das Bild sieht mir nicht ähnlich.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Oh, das "r" hat sich reingeschlichen ohne dass ich Werbung für Chips machen wollte. Sorry! Dass das Bild dir nicht ähnlich sieht bliebe noch zu beweisen, wenn du schon beahuptest, dass es keine Fotographie ist :P

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

  • OT: Lieber Dr. Pingel, ich sitze übrigens grade im Sessel und esse seit sehr langer Zeit mal wieder Chips (wie ich nur auf die Idee kam?) und stelle fest, dass es für HH eine ganz hervorragende Übersichtsseite für Orgelkonzerte gibt, so wie du sie dir wünschen würdest. Wusste ich noch gar nicht...

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

  • weiter oben schon erwähnt, hier aber nochmal in einer sehr guten Einspielung: Dietrich Buxtehude - Präludium D-Dur, BuxW 139


  • sicherlich nicht ein besonders wichtiges Orgelwerk, weil aus dem Wohltemperierten Klavier - aber eine wunderbare Aufnahme - wer einigermaßen fähige Baßlautsprecher hat, wird diese Aufnahme zu würdigen wissen.


    Hervorragender Tiefbaß, nicht fett, nicht dröhnend, einfach nur gut.


    Fuge aus BWV 878


  • Bach, Fuge G-Dur, BWV 577 - Matthias Havinga



    fröhlich und beschwingt: für den tendentiell tiefsinnigen Bach eher eine Ausnahme

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  • und noch eine für mich sowohl wichtige Komposition als auch großartige Aufnahme (siehe auch Beitrag 4):


    Bach, Fuge a-moll, BWV 543 - Matthias Havinga


  • Da das Video aus Beitrag 3 gesperrt ist, hier adäquater Ersatz: das Original


    Miklos Spanyi spielt die Dorische Toccata und Fuge d-moll, BWV 538



    also aus meiner eigenen, ganz bescheidenen Sicht: das beste Orgelstück überhaupt in der besten mir bekannten Aufnahme

  • Für mich zählt u.a. BWV 548 (Präludium und Fuge e-moll) zu den wichtigsten Orgelwerken. Wohl auch das umfangreichste, das Bach geschrieben hat.

    Auch die Aufnahmen von Walcha (Alkmaar, DG) und vor allem Christopher Herrick (hyperion) oder Oliver Vernet (Ligia, Goslar-Grauhof) sind grandios.

    Zum Nutzen und Gebrauch der Lehrbegierigen Musicalischen Jugend, als auch derer in diesem studio schon habil seyenden besonderem Zeitvertreib auffgesetzet und verfertiget (Johann Sebastian Bachs Eigentitel auf dem Titelblatt des Autographs des Wohltemperierten Claviers, Teil I, 1722)

  • Daneben noch BWV 552 (Präludium und Fuge Es-Dur).



    Auch hier als weitere Referenz wieder Christopher Herrick (hyperion) und Olivier Vernet (Ligia, Goslar-Grauhof).

    Zum Nutzen und Gebrauch der Lehrbegierigen Musicalischen Jugend, als auch derer in diesem studio schon habil seyenden besonderem Zeitvertreib auffgesetzet und verfertiget (Johann Sebastian Bachs Eigentitel auf dem Titelblatt des Autographs des Wohltemperierten Claviers, Teil I, 1722)

  • Und schließlich Johann Ludwig Krebs, Präludium und Fuge d-moll KWV 405

    Gerhard Weinberger an der Holzhay-Orgel in Weißenau. ab 50:58

    Das toppt an Umfang und Ausdehung alles bisher Dagewesene.

    Zum Nutzen und Gebrauch der Lehrbegierigen Musicalischen Jugend, als auch derer in diesem studio schon habil seyenden besonderem Zeitvertreib auffgesetzet und verfertiget (Johann Sebastian Bachs Eigentitel auf dem Titelblatt des Autographs des Wohltemperierten Claviers, Teil I, 1722)