KLEBE, Giselher Wolfgang: JACOBOWSKY UND DER OBERST

  • Giselher Wolfgang Klebe (1925-2009):


    JACOBOWSKY UND DER OBERST
    Oper in vier Akten (sechs Szenen) - Libretto vom Komponisten nach dem Bühnenstück von Franz Werfel
    Ein Auftragswerk der Hamburgischen Staatsoper


    Uraufführung am 2. November 1965



    DIE PERSONEN DER HANDLUNG


    Jacobowsky – Bariton
    Oberst Stjerbinsky – Tenor
    Szabuniewicz, sein Diener – Bariton
    Marianne Deloupe, Freiheitskämpferin, Freundin von Stjerbinsky – Sopran
    Der tragische Herr – Bariton
    Madame Bouffier, Besitzerin des Hotels „Mon repos et de la Rose“ – Mezzosopran
    Salomon, ihr Concierge – Bass
    Die alte Dame aus Arras – Alt
    Die leichte Person – Sopran
    Clairon, der Wirt eines Cafés in Saint Jean-de-Luz – Bass
    Der Brigadier von Saint Cyril – Bass, auch Bariton
    Ein deutscher Oberleutnant – Tenor
    Der Würfelspieler – Bass
    Der Ewige Jude – Tenor
    Der Heilige Franziskus – Bariton
    Chef d'llot, auch Polizeikommissar in Seint Jean-de-Luz – Sprechrolle
    Der Feldwebel – Bariton
    Ein Gestapobeamter – Sprechrolle
    Der Chauffeur – Bass
    Hotel- und Cafégäste – Zwei Soprane, ein Alt, ein Tenor


    Das Geschehen ereignet sich 1940 im besetzten Frankreich.



    INHALTSANGABE



    ERSTER AKT


    Erstes Bild: Der Luftschutzraum des Hotels „Mon repos et de la Rose“.


    Als Sirenengeheul die Bombardierung von Paris durch die deutsche Luftwaffe ankündigt, eilen die Gäste des Hotels „Mon repos et de la Rose“ in den Luftschutzraum, der früher die Waschküche war. Unter den Schutzsuchenden sind auch die Hotelbesitzerin, Madame Bouffier, und ihr Concierge Salomon, dem Madame den Auftrag gibt, die Verdunkelung zu überprüfen. Der kommt aber nicht dazu, weil eine alte Dame aus Arras, über ihr Schicksal jammernd, zu kollabieren droht. Nachdem sie beruhigt werden konnte, bittet Madame Bouffier ihren Adlatus, Grammophon und Schallplatten von oben mitzubringen - Musik kann ablenken.


    In diesem Moment tritt Monsieur Jacobowsky, den die Hotelbesitzerin schon vermisst hat, hinzu; er war in der Rue Royale unterwegs und hat für alle Damen im Hotel glasierte Maronen gekauft. Dass die Dame aus Arras momentan über ihre Fluchterlebnisse berichtet, interessiert ihn und er hört ihr aufmerksam zu. Jacobowsky kann ihre Ängste nachvollziehen, denn auch er musste in seinem Leben oft genug fliehen: Zunächst als Kleinkind vor den zaristischen Pogromen in Polen nach Deutschland, dann nach Hitlers Machtergreifung nach Wien, von dort aus nach Prag und schließlich nach Paris. Und es sieht so aus, als wäre das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht.


    Das Gespräch wird in diesem Moment vom Luftschutzwart des Stadtbezirks unterbrochen, der sich darüber beschwert, dass in einem der Hotelzimmer das Licht brennt. Jetzt eilt Salomon sofort nach oben und kommt schließlich mit Oberst Stjerbinsky, Befehlshaber eines aufgeriebenen polnischen Kavallerieregiments, seinem Diener Szabuniewicz sowie einem „leichten Mädchen“ zurück. Er gibt, erstaunlich sorglos, zu, sich durch den Alarm in seinem Vergnügen nicht habe stören lassen. Darüber ist Madame Bouffier allerdings „not amused“, denn der Luftschutzwart könnte ihr Hotel schließen lassen. Stjerbinsky meint, diese Sorge sei unbegründet, denn die Deutschen würden Paris schneller eingenommen haben, als sie sich vorstellen könne.


    Während die Dame aus Arras doch noch in Ohnmacht fällt, sieht Jacobowsky, dass Szabuniewicz seinem Herrn heimlich eine Mappe übergibt und dabei leise, für Jacobowsky aber hörbar, die durch einen Agenten geäußerte dringende Bitte weitergibt, die Unterlagen so schnell wie möglich den Alliierten zukommen zu lassen. Jacobowsky spricht Stjerbinsky auf seine Äußerung hinsichtlich der Einnahme von Paris an und meint, dass er die Besetzung noch längst nicht für ausgemacht hält, und außerdem gäbe es im Leben ja immer zwei Möglichkeiten.


    Zweites Bild: Straße vor dem Hotel.


    Jacobowsky steht, wie sich zeigt, mit beiden Beinen im Leben, der Fluchtgedanke ist ihm geläufig und er hat an die „zweite Möglichkeit im Leben“ gedacht: Er trifft sich am nächsten Morgen vor dem Hotel mit einem Chauffeur, der eine alte Luxuslimousine verkaufen will. Tatsächlich werden sich beide schnell handelseinig, obwohl Jacobowsky keinen Führerschein besitzt, deshalb auf Hilfe angewiesen ist. Doch er vertraut offensichtlich seinem Talent, alles organisieren zu können. Unerwartet gibt ihm der erste, den er fragt, einen Korb: Der „tragische Herr“ aus dem Hotel lehnt ab – nicht, weil er in Paris bleiben will, sondern weil er eine Flucht zu Fuß für sicherer hält.


    Stjerbinsky! Der war zwar Kavallerieoffizier, kann aber Auto fahren! Jacobowsky wendet sich also an den Polen - und der nimmt das Angebot einer gemeinsamen Flucht sofort an. Kommt er doch auf diese Weise mit den Geheimpapieren schneller als gedacht nach London! Aber Jacobowsky muss eine bittere Pille schlucken, denn Stjerbinsky besteht darauf, den Weg über St. Cyrill zu nehmen, da er seine Freundin Marianne Deloupe dort abholen und mit nach London nehmen will. Jacobowskys Einwand, dass es ein Umweg sei und viel zu nahe an der deutschen Frontlinie vorbei führe, lässt Herrn Oberst kalt. Jacobowsky erkennt, dass seine Position Kompromisse erforderlich macht, er muss, wohl oder übel, den Weg über St. Cyrill als einen solchen Kompromiss ansehen.


    Zunächst aber gilt es, das Benzin-Problem zu lösen. Jacobowsky ist zuversichtlich, dass er den Sprit irgendwo hier in der Gegend auftreiben wird. Als er kurze Zeit später zurückkommt, hat er nicht nur Benzin, sondern auch Nahrung und sogar Rosen für Madame Deloupe dabei. Darüber ist Stjerbinsky sauer, er reagiert eifersüchtig.



    ZWEITER AKT


    Drittes Bild: Straße vor dem Haus von Marianne Deloupe.


    Madame Deloupe hat ein Telegramm von Stjerbinsky erhalten und wartet sehnsüchtig auf ihn; sie denkt gerne an die aufregenden Nächte mit ihm in Paris zurück. Aber es ist bereits Abend, als die Gruppe, nach zwei Tagen Fahrt, wie wir erfahren, endlich bei ihr eintrifft. Des langen Wartens müde hatte Madame sich hingelegt und ist eingeschlafen.


    Jacobowsky muss wieder Benzin besorgen, der Tank ist fast leer. Bevor er sich auf den Weg macht, kommt es jedoch zu einer Auseinandersetzung mit Stjerbinsky, weil der es mit der Weiterfahrt nicht mehr so eilig hat. Er vermag keine akute Gefahr für die Gruppe zu erkennen, Jacobowsky dagegen will schnell weiter fahren. Ein Wort gibt das andere und so bricht es plötzlich aus ihm heraus, dass er nämlich in Stjerbinskys Sorglosigkeit eine Parallele zum Verhalten der Alliierten gegenüber den Nazis sieht: Durch viel zu langes Zögern und zu häufiges Nachgeben, so seine bittere Anklage, sind die Westmächte an der europäischen Tragödie mitschuldig geworden. An Stjerbinsky prallen diese Worte ab. Er will Marianne wecken, das aber nicht durch schnödes Klopfen an der Tür, sondern mit einem Ständchen auf seiner Geige. Als sie aus dem Zimmer kommt, gibt es zunächst ein großes „Hallo“, dann helfen ihr Stjerbinsky und Szabuniewicz beim Packen; Jacobowsky aber will sich auf den Wege machen, Benzin zu besorgen...


    ...doch in diesem Augenblick erscheint der Brigadier von St. Cyrill und will alle Ausweise sehen. Jacobowsky, der als erster kontrolliert wird, bekommt sofort die geballte Amtsgewalt zu spüren: Als Ausländer darf er sich ohne Genehmigung der Polizei nicht von seinem Wohnort entfernen. Er hat gegen geltendes Recht verstoßen und der Brigadier muss ihn, leider, arretieren. Und was ist, wenn Jacobowsky der Verhaftung widerspricht? Ausführlich erklärt der Brigadier den langen Weg durch die Instanzen, damit klar machend, dass es keine schnelle Lösung für das aktuelle Problem gibt. Doch gerade, als die Festnahme erfolgen soll, schlägt die Turmuhr, einem Deus ex machina gleich, und der Brigadier gibt augenblicklich seinen Diensteifer auf. Jetzt hat er Feierabend und ist nicht mehr ein Beamter, sondern nur noch Mensch: Und der Mensch lässt Jacobowsky nicht nur frei, sondern übergibt ihm sogar einen Bezugsschein für Benzin - die Flucht kann fortgesetzt werden.


    Stjerbinsky hat genau registriert, wie sehr seine Marianne von Jacobowskys Galanterie beeindruckt ist und reagiert wieder einmal mit eifersüchtig.



    DRITTER AKT


    Viertes Bild: Waldlichtung an einer Straße nahe Bayonne.


    Die Flüchtenden sind jetzt bis zum baskischen Bayonne, nahe der spanischen Grenze, gekommen; wieder geht der Sprit zur Neige, wieder ist Jacobowskys Organisationstalent gefragt. Der Oberst und Marianne hocken am Straßenrand, Stjerbinsky wirkt niedergeschlagen. Er sinniert, dass ihm Jacobowsky durch sein Organisationgeschick weit überlegen ist, wenngleich er ihn genau wegen dieses Talents verachtet. Auch seine Eifersucht auf den Juden ist ein Problem für ihn; das nagende Gefühl, im Nachteil zu sein, wird noch verstärkt durch die hingeworfene Bemerkung Mariannes, dass „Kopf und Herz wichtigere Organe als lange Beine und schmale Hüften“ sein könnten.


    Szabuniewicz war eine ganze Zeit verschwunden; gerade kommt er mit schlechten Nachrichten aus Bayonne zurück: Nicht nur, dass momentan kein Schiff mehr im Hafen liegt, ist auch in der kleinen Stadt kein Benzin zu bekommen. Jacobowsky hat zwar kein Benzin, zumindest aber Lebensmittel und Cognac aufgetrieben. Und er hat, zum Ärger von Stjerbinsky, auch wieder Rosen für Marianne mitgebracht. Stjerbinsky schnappt sich den Cognac und gönnt sich einen tiefen Schluck, um damit seine Eifersucht hinunterzuspülen.


    Plötzlich nähert sich der Gruppe ein Tandem und die beiden Radler stellen sich als „der ewige Jude“ und der „Heilige Franziskus“ vor. Sie berichten, dass Frankreich kapituliert und mit den Deutschen einen Waffenstillstand ausgehandelt habe. Das wirklich schlimme aber sei, dass bereits Trupps von SS und Gestapo mit Listen von auszuliefernden „Elementen“ unterwegs seien. Jacobowsky reagiert sofort und verlangt von Stjerbinsky, der mit Sicherheit auf einer jener Listen steht, alle Papiere, mit denen er zu identifizieren sei, zu vernichten. Der reagiert, vom Cognac stark geworden wie Samson, wütend und beschimpft Jacobowsky als Feigling. Er zieht sogar eine Waffe aus seinem Gepäck, will sich mit Jacobowsky um Marianne duellieren. Dazu kommt es jedoch nicht, weil in diesem Moment Szabuniewicz berichtet, dass die Deutschen in der Nähe seien. Sofort schnappt sich Jacobowsky Stjerbinskys Armeerucksack, und wirft ihn in den nahen Fluss. Der alkoholisierte Oberst, immer noch im Hochgefühl der Unbesiegbarkeit, zieht seine Pistole und will damit auf die Deutschen los, doch Szabuniewicz und Jacobowsky können ihn zurückhalten.


    Da kommen ein Oberleutnant und ein Gestapobeamter um die Ecke und verlangen von allen die Ausweise zu sehen. Jacobowsky fährt der Schreck in die Glieder, denn er wird als ausgebürgerter deutscher Jude erkannt. Aber er hat Glück, weil er zunächst unbehelligt bleibt. Wie aber kommt er aus der Bredrouille? Szabuniewicz bringt ihn letztlich auf die rettende Idee: Der Vergleich von Szabuniewicz' Ausweispapieren mit der Liste ehemaliger Offiziere der polnischen Armee ergibt nichts, insofern bleibt auch er verschont. Als Jacobowsky aber hört, dass der Bursche „Masseur“ und „Aushilfs-Irrenwärter“ war, sieht er die Lösung für alle Probleme: Er gibt Stjerbinsky als den aus der Irrenanstalt in Nantes entwichenen Gatten von Marianne aus, und Szabuniewicz als seinen Wärter. Und das Großdeutsche Duo tappt wahrhaftig in die Falle - weitere Kontrollen bleiben aus. Einmal in Aktion treibt es Jacobowsky auf die Spitze, indem er den Deutschen Benzin abluchst.


    Kaum sind die Boche verschwunden, schlägt Jacobowsky den anderen vor, sich hier zu trennen. So könnten sich der Oberst mit Marianne und Szabuniewicz nach Saint Jean-de-Luz durchschlagen, da dort der Agent wartet, der sie, mitsamt den Geheimpapieren, sicher nach London bringen würde. Er selbst wird sich auf jeden Fall nach Bayonne aufmachen, um ein Visum für Spanien zu bekommen - oder illegal in Francos Reich einreisen. Und genauso wird es gemacht.



    VIERTER AKT


    Fünftes Bild: Ein Hafencafé in Saint Jean-de-Luz.


    In Clairons Hafencafé herrscht Hochbetrieb; Einheimische und Emigranten schlagen sich die Zeit tot. Jacobowsky kommt gerade von der Grenze zurück; der erste Versuch, nach Spanien einzureisen, schlug fehl. Jetzt muss er erst eine Bleibe finden; er sieht er sich um: An der Bar spielt ein Mann gelangweilt mit Würfeln. An einem der Tische sieht er einen Mann, der ihm irgendwie bekannt vorkommt: Jacobowsky erkennt plötzlich den „tragischen Herrn“ aus dem Pariser Hotel. Der andere ist offensichtlich eingeschlafen, sein Kinn ist auf die Brust gefallen. Er geht auf den Tisch zu, und erkennt dann auch den zweiten Mann: Es ist Generalmusikdirektor Siegfried Kamnitzer, ein alter Bekannter aus besseren Tagen. Von dem „tragischen Herrn“ erfährt er, dass auch sie an der Grenze abgewiesen wurden. Der Gesichtsausdruck des Mannes hat noch mehr tragische Züge bekommen. Als Jacobowsky dann Kamnitzer anspricht, den er schlafend wähnt, und ihn mit der Hand an der Schulter berührt, muss er entsetzt feststellen, dass der tot ist.


    Jacobowsky hat keine Zeit, sich zu fassen, denn plötzlich ertönt ein bekannter, lauter Pfiff mit der Trillerpfeife - die übliche Ankündigung einer Razzia. Die Deutschen, unterstützt von französischer Gendarmerie, verhaften wahllos Cafébesucher, um sich an ihnen für Anschläge der Résistance zu rächen. Auch der einsame Würfelspieler muss der Polizeimacht seinen Ausweis zeigen - und wird respektvoll in Ruhe lassen. Währenddessen gelingt es Jacobowsky, sozusagen in letzter Minute, sich in der Damentoilette zu verstecken.


    Als sich das Lokal geleert hat, schließt Clairon es. Plötzlich aber klopft es und von außen hört man ein Stichwort, eine Parole: Clairon öffnet wieder die Tür und lässt die Klopfenden herein: Marianne Deloupe und der mit einer Sonnenbrille als Blinder getarnte Stjerbinsky treten ein. Als der Wirt in die hinteren Räume abgegangen ist, macht der Oberst seiner Marianne einen Heiratsantrag. Und in diesem Augenblick wird wieder geklopft und Clairon lässt den nächsten Gast eintreten: Es ist der Würfelspieler, der sich als Commander Wright von der Royal Navy vorstellt. Er hat den Auftrag, Stjerbinsky und Marianne nach London zu bringen und fordert beide auf, in der Nacht zur Mole des alten Hafens zu kommen.


    Nach Wrights Abgang erscheint, etwas verschlafen wirkend, Jacobowsky; er war tatsächlich auf der Damentoilette eingenickt. Stjerbinsky und Marianne sind ehrlich überrascht, wähnten sie ihn doch längst in Sicherheit. Trotzdem sind beide froh, ihn lebend anzutreffen, und sie beschließen, dass der Freund nach London mitgenommen werden muss.



    Sechstes Bild: Mole im alten Hafen von Saint Jean-de-Luz.


    Die Militärs haben für die Nacht ein Ausgehverbot verhängt. Das lässt die drei Flüchtlinge jedoch kalt; sie begeben sich, wie verabredet, im Schutz der Dunkelheit an die Mole und treffen hier auf den schon wartenden Commander Wright. Es kommt zu einem Disput, denn der Brite hat nur Platz für zwei Mitreisende und der Oberst und Marianne bestehen auf seiner Mitreise. Müsste er bleiben, so argumentieren sie, wäre es für ihn, früher oder später, der sichere Tod. Plötzlich sind Fußtritte zu hören: Eine deutsche Patrouille kommt. Mit Glück gelingt es den Vieren, sich zu verstecken. In der Zeit hat sich Marianne festgelegt: Sie wird in Frankreich bleiben, weil sie, im Gegensatz zu Herrn Jacobowsky, größere Überlebenschancen hat.Und sie wird, das als ein Versprechen, auf Stjerbinsky bis nach dem Krieg warten. Wright lässt also den Oberst und Jacobowsky einsteigen und legt ab...



    INFORMATIONEN ZU KOMPONIST UND WERK


    Giselher Wolfgang Klebe wurde am 28. Juni 1925 in Mannheim geboren; er starb am 5. Oktober 2009 in Detmold nach einer schweren Erkrankung.


    Der Junge erhielt schon sehr früh von seiner Mutter, der Geigerin Gertrud Klebe, musikalischen Unterricht. Als die Familie 1932 nach München zog, ging er in die Schönherrlsche Privatschule. Bei der Schwester seiner Mutter, Melanie Michaelis, setzte er den Geigenunterricht fort. 1936 zog die Familie nach Rostock; dann, durch die Trennung seiner Eltern bedingt, übersiedelte die Mutter mit Sohn und Tochter nach Berlin. Schon 1938 entstanden Kompositionsentwürfe; 1940 konnte er ein öffentlich gefördertes Musikstudium in den Fächern Violine, Viola und Komposition beginnen. Es folgte die Ableistung beim RAD und, 1943, der Einzug als Funker zum Militärdienst. Nach der deutschen Kapitulation kam er in sowjetische Kriegsgefangenschaft, aus der er jedoch auf Grund seines schlechten Gesundheitszustandes schnell entlassen wurde.


    Nach einer längeren Rekonvaleszenz konnte Klebe 1950 sein Kompositionsstudium (u.a. bei Boris Blacher) wieder aufnehmen, und eine Anstellung beim Berliner Rundfunk in der Abteilung Ernste Musik antreten. Am 10. September 1946 heiratete Klebe die Geigerin Lore Schiller. Aus dieser Ehe gingen die Töchter Sonja Katharina und Annette Marianne hervor.


    1948, nach Auflösung des Kontraktes mit dem Berliner Rundfunk, arbeitete er als freischaffender Komponist in Berlin. 1957 entschied er sich dann für eine feste Anstellung als Nachfolger Wolfgang Fortners und als Dozente für Komposition und Musiktheorie an der Detmolder Nordwestdeutschen Musikakademie; 1962 ernannte man ihn zum Professor. Aus seiner Meisterklasse ging eine Anzahl angesehener Komponisten hervor. Dieser Hochschule blieb er auch nach seiner Pensionierung eng verbunden.


    Als Auftragswerk der Hamburgischen Staatsoper (und dem damaligen Intendanten Liebermann gewidmet) entstand die im November 1965 uraufgeführte Oper „Jacobowsky und der Oberst“ nach dem gleichnamigen Theaterstück von Franz Werfel. Der Autor verarbeitete in diesem Stück, der „Komödie einer Tragödie“, seine eigene Flucht nach Spanien sowie die Fluchterlebnisse des polnischen Bankiers Stephan S. Jakobowicz, die ihm dieser 1940 während des Aufenthaltes in Lourdes erzählte. Klebe fasste, von Alma Mahler-Werfel nach dem Tode ihres Mannes autorisiert, für sein Libretto die Handlung in sechs Bildern zusammen. Der Komponist hält sich in der Form an die Nummernoper mit Arie, Duett, Ensembles, verbindenden Rezitativen und Melodramen und gesprochenen Dialogen. Musikalische Spannung entsteht durch den Wechsel zwischen Tonalität und Dodekaphonie; der Komponist erfand fünf Zwölftonreihen als Ausgangspunkt dramatischer Grundstrukturen und setzte die Dur-Moll-Tonalität zur Charakterisierung der beiden Hauptfiguren ein.


    In der von Leopold Ludwig dirigierten und von Günther Rennert inszenierten Uraufführung sangen Oskar Czerwenka den Jacobowsky und Gerhard Stolze den Oberst. 1967 gastierten die Hamburger mit dem Werk auch in New York und konnten dort ebenfalls einen vielbejubelten Erfolg verbuchen. Erwähnt werden soll auch die von Kurt Horres 1992 in Düsseldorf herausgebrachte Inszenierung, die einmal mehr die Lebensfähigkeit des Werkes demonstrierte. Trotzdem war keine Aufnahme der Oper zu finden.



    © Manfred Rückert für den Tamino-Opernführer 2015
    unter Hinzuziehung folgender Quellen:
    Franz Werfel: Jacobowsky und der Oberst (Fischer Taschenbuch Verlag)
    Klavierauszug (Bote & Bock)

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