Die großen Schubert-Dirigenten

  • Einen ähnlichen Thread müsste es für Mozart und Beethoven bereits geben. Schubert fehlt noch. Seine Symphonien werden, abgesehen von den späten beiden und vielleicht der Fünften, m. E. ein wenig vernachlässigt, d. h. meist nur im Zuge von Gesamtaufnahmen überhaupt aufgenommen.


    Gleichwohl gab und gibt es natürlich herausragende Schubert-Dirigenten. Welche würdet ihr darunter zählen?


    An Gesamtaufnahmen besteht insgesamt kein Mangel. Im Folgenden eine Auswahl:


    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Ich beginne mit dem wohl größen Schubert-Dirigenten aller Zeiten: Karl Böhm. Man muß sich die Frage stellen, was Böhms Schubert-Dirigat über jenes anderer Dirigenten stellt, die doch teilweise auch ganz vorzüglich Ergebnisse abgeliefert haben.
    Die Antwort ist ebenso simpel wie für Nicht-Wiener schwer zu verstehen: Es ist der typische Wiener Tonfall, den er sogar mit den Berliner Philharmonikern überzeugend getroffen hat. Dieser Vorzug wird von allen jenen bestritten werden, welch der Auffassung sind, Schubert gehöre der ganzen Welt, seine Tonsprache sei international. Ich würde in einem solchen Fall nicht zu widersprechen versuchen, sondern lediglich süffisant lächeln.......
    Über die Klangqualität der Aufnahme wurde schon unterschiedliches geschrieben, daher auch mein subjektiver Eindruck.
    Das Klangbild ist "DGG-Standard", aber in Details gibt es durchaus Kritikpunkte: Die Durchhörbarkeit ist mittelprächtig, die Räumlichkeit nicht ausgeprägt, die Dynamik nicht ausgeprägt. Das ist kein Tribut an das Aufnahmejahr, sondern an das Technikteam der damaligen DGG (Günter Hermanns).


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ich beginne mit dem wohl größten Schubert-Dirigenten aller Zeiten: Karl Böhm.

    Lieber Alfred,


    Ich bin immer allergisch bei dem Prädikat der Größte aller Zeiten. Dieser nicht mehr zu steigernde Superlativ reizt zum Widerspruch. Aller Zeiten - dann sollten alle nachfolgenden Dirigentengenerationen Schubert aus ihrem Repertoire streichen, oder erst gar nicht anpacken, denn eine Steigerung ist nicht mehr möglich. Egal, was ich auch mache, die Rekordmarke ist gesetzt und in allen Zeiten nicht mehr zu übertreffen.
    Nun muss ich zurück rudern. Die Schubert-Aufnahmen von Karl Böhm können tatsächlich den Anspruch erheben, Maßstäbe zu setzen und die Benchmark zu sein, an denen sich alle anderen Interpretationen messen lassen müssen. Alfred belegt es mit der Affinität von Böhm zum Wienerischen. Zustimmung! Nur es ist mehr - weit, weit mehr!
    Der alte Grantler Böhm traf die lockere Heiterkeit, die Schubert so leicht und doch unendlich schwer macht durch flotte und dennoch schwelgerische Tempi genau. Er schüttelte die Wiener Grandezza praktisch aus dem Handgelenk und konnte z. B. in der Sinfonie Nr. 8, der "Unvollendeten" den ganzen tiefsinnigen Ausdruck von Tragik und Wehmut vollendet ausschöpfen.
    In Böhms Interpretation vereinen sich die glücklichen Momente dieses Tongedichts mit dem tragischen Grundklang der Komposition zu einer Symbiose mit dem Zauber fast überirdisch verklärender Schönheit..


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Ich habe die letzten Stunden damit verbracht, einige Aufnahmen direkt zu vergleichen. Als Vergleichsstück wurde der Finalsatz der 2. Symphonie gewählt. Hier meine subjektiven Eindrücke:


    Zunächst der Altmeister Böhm mit den Berliner Philharmonikern. Das Klangbild ist m. E. völlig annehmbar, wenngleich die Räumlichkeit besser sein könnte. Man mag die Interpretation durchaus "wienerisch" nennen, wobei Böhm es nicht an Energik fehlen lässt. Keine Wiederholung (5:55).


    Karajan mit demselben Orchester ganz großorchestral und spätromantisch angehaucht. Hat etwas Pompöses an sich. Man konnte es fast ahnen: Wiederholung ausgespart (6:06).


    Die zwei genuin wienerischen Interpretation mit den Wiener Philharmonikern kommen von Kertész und Muti. Kertész sehr spritzig und beschwingt. Das gilt mit kleinen Einschränkungen auch für Muti. Nur bei Muti mit Wiederholung (7:59 zu 5:36).


    Davis und Blomstedt, beide mit der Staatskapelle Dresden, lassen die volle orchestrale Pracht dieses Spitzenorchesters erklingen. Sehr klangsatt bei beiden. Nur Davis lässt die Wiederholung spielen (8:17 zu 5:55).


    Deutlich kammermusikalischer Sir Neville Marriner mit seiner Academy of St Martin in the Fields, ohne aber dünn zu wirken. Interessanterweise ohne Wiederholung (5:44).


    Mit Brüggen ist ein HIP-Vertreter am Werke. Das Orchestra of the 18th Century erzielt einen sehr intim anmutenden, verinnerlichten Tonfall. Die Wiederholung wieder ignoriert (5:41).


    Sir Charles Groves hat mit der English Sinfonia nominell ein Kammerorchester vor sich, allerdings vermisst man keineswegs eine gewisse Opulenz. Das wirklich Außergewöhnliche dieser Aufnahme ist die extrem majestätische Getragenheit. Mit Wiederholung braucht Groves etwa drei Minuten länger als alle anderen (11:24).


    Ganz aktuell Zinman mit dem hervorragend aufgelegten, sehr differenziert agierenden Tonhalle-Orchester Zürich. Interessanter Ansatz, es hat etwas Federleichtes an sich, obwohl hier kein Kammerorchester spielt. Vibrato dezent eingesetzt. Wiederholung wird beachtet (8:04).


    Ebenfalls ganz neu Nott mit den Bamberger Symphonikern. Klingt verglichen mit Zinman etwas "traditioneller", in sich ruhender. Auch er spielt die Wiederholung (8:19).


    Fazit: Keine der gehörten Aufnahmen fällt wirklich ab. Böhms Klassiker kann sich noch heute gut behaupten. Karajan will die ganz große Symphonik aus dem Frühwerk machen, was auf seine Weise durchaus beeindruckt. Kertész liefert eine ganz feurige Leseart, die Muti Jahre später mit demselben Orchester auch nicht besser hinbekommt. Die beiden Dresdner Aufnahmen von Davis und Blomstedt stehen m. E. nicht hinter Böhm zurück. Marriner und Brüggen liefern einen intimeren Schubert. Bei Groves bekommt man eine Art faszinierenden Celibidache-Verschnitt, der aufgrund seiner Langsamkeit auf eine Art auch sehr wienerisch klingt. Bei den neuesten Einspielungen weiß besonders Zinman zu gefallen. Nott bleibt recht konventionell.


    Müsste ich mich entscheiden, so würde ich Groves wählen. Wenn es eine weniger exzentrische Interpretation sein soll, dann Kertész oder Zinman.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

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    – Luís de Camões

  • Kertesz war sozusagen die Alternative zu Karl Böhm - natürlich nur in Bezug auf die Schubert Sinfonien. Decca vs. Deutche Grammophon. Interessanterweise hat sich Karajan in diesen Tagen in Sachen Haydn, Mozart, sowie Schubert nicht gegen seinen Freund und Konkurrenten Böhm durchsetzen können, es hieß damals, er habe kein Gefühl für diese Komponisten und dirigiere "herzlos". Hingegen bei Beethoven wurde ihm stets die Siegespalme gereicht, wobei die Werbung der Deutschen Grammophon sicher nicht unbeteiligt war.....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Nachdem ich ja hier mich zu Böhms Schubert am Beispiel der 9. C-Dur-Symphonie äußerte, bleibt mir hier ja auch nichts anderes übrig, als Karl Böhm als meine Über-Referenz in Sachen Schubert-Dirigent zu benennen.


    Seine oben angeführte Gesamtaufnahme sehe ich immer noch als die beste Gesamteinspielung für diejenigen an, die es auf eine Gesamtaufnahme abgesehen haben.


    Für Schubert-Fanatiker, die darüber hinaus noch mehr brauchen und erfahren wollen, dass es noch etwas besser geht, empfehle ich dringend:



    Die Symphonie Nr. 5 in B-Dur ist Böhm in dieser späteren Einspielung mit den Wiener Philharmonikern besser gelungen - hier konnte in Sachen Wiener Charme und Kultur noch mehr als nur eine Schippe draufgelegt werden. Auch die Aufnahmetechnik überragt die alte Aufnahme mit den Berliner Philharmonikern und übertrifft auch die "Pastorale" von Beethoven, die sich ebenfalls auf dieser CD befindet. Die Tempi sind genau an jenem einen Punkt, von dem ab aufwärts es zu schnell und abwärts es zu zäh werden würde. Auch an diesem Punkt ziehe ich diese Aufnahme der Berliner Einspielung noch vor. Böhm vermochte es, seine Tempi bei Schubert mit Leben, Klarheit, Spannung und Entspannung zu füllen. Es fällt schwer, Einzelheiten hervorzuheben, weil damit schon wieder ein schiefes Bild entstünde. Am einfachsten ist es zu sagen: hier ist alles im Lot!


    Es gibt auch noch eine Aufnahme der großen C-Dur Symphonie, die Böhm im hohen Alter mit der Staatskapelle Dresden einspielte:



    Sie wird sehr gepriesen, und ich habe sie mir neulich auf Anregung von Norbert bestellt. Leider ist sie noch nicht bei mir angekommen, vielleicht auch, weil mein Vater sie in Deutschland erst einmal selbst hören will..;-)
    Ich verspreche mir davon eine bessere Aufnahmetechnik als von der alten Aufnahme mit den Berliner Philharmonikern.


    Nach Böhm kommt bei mir eine Zeit lang nichts, dann aber auch andere Interpreten, die ich gerne mit Schubert höre.



    Es gibt nur eine Schubert-Aufnahme, die ich der Böhm-Fassung vorziehe, und zwar die "Tragische" mit den Berliner Philharmonikern, live und mit Nikolaus Harnoncourt. Gegenüber seiner Einspielung mit dem Concertgebouw-Orkest kann man hier ein viel angenehmeres Klangbild genießen. Ebenso ist es eine sehr geänderte, ausgereiftere Interpretation:



    Ansonsten finde ich, dass Harnoncourt durchaus einen wichtigen Beitrag zur Schubert-Interpretationsgeschichte lieferte. Sehr gut finde ich auch, dass er die Unvollendete im gemessenen Böhm-ähnlichen Tempo angeht. Die meisten Interpreten haben nicht die nötige Ruhe, dieses Werk aus sich selbst heraus sprechen zu lassen.


    Besser als die Concertgebouw-Version der 9. finde ich die auf Youtube liegende Version mit den Wiener Philharmonikern.



    Sie ist mir zwar auch zu schnell, aber arbeitet sehr schön die Schichten und innewohnenden Dialoge des Werks heraus.


    Wenn mich einer fragt, welche Gesamtaufnahme der Symphonien ich empfehle, wenn es denn nicht Böhm sein soll und wenn es klangtechnisch auf dem neuesten Stand sein muß, dann fällt meine Wahl klar auf Maazel (Cover und Link siehe oben)


    Seine Tempowahl, Klangbalance und Musizierhaltung (Schubert sprechen lassen, nicht machen wollen...) kann mich überzeugen.
    Sehr schön auch die Beiträge der expressiven Holzbläser und der saftig-vollmundige Streicherklang, der es dennoch nicht an Transparenz vermissen lässt.


    Auch die anderen oben genannten habe ich mir in Ausschnitten angehört. Wenn ich dann höre, dass einer schon eine Fülle von interpretatorischen Duftmarken beim Hornmotiv der 9. einbringen muss, wenn er die 5. mit rasantem Tempo angeht, oder auch die Unvollendete wie unter Zeitdruck beginnt (blöd, wo es doch nur zwei Sätze sind....) dann haben diese Versionen bei mir schlechte Chancen. Gar nicht so schlecht fand ich in den Ausschnitten Muti, aber es hat mir auch wiederum nicht wirklich etwas sagen können.


    HIP-Klang mit Darmsaiten mag ich bei Schubert ungefähr so gerne wie ein metallisches Hammerklavier beim Schubertschen Lindenbaum....
    Mit dem Klang wird mir so ziemlich alles verleidet, was man an Schubert mögen könnte. Bei JPC gibt es eine Symphonie mit dem Freiburger Barockorchester.....wirklich, da waren mir sogar die Ausschnitte der Webseite noch zu lang.


    Karajans Schubert enthält eine Menge Karajan. Legatobindungen werden ausgedehnt und bevorzugt, damit der Klangstrom fließen kann. In den lauten Stellen ist mir das Blech zu herrisch gleißend. Ich hätte es besser gefunden, wenn sich Karajan mehr als Diener der Partitur gesehen hätte, was bei Schuberts-Orchesterwerken sehr gut passt. Man braucht eine gute Portion Demut und auch Lebenserfahrung, um die tieferen Schichten der schubertschen Seelenerfahrungen (und Abgründe in Dur....) wirklich aus sich selbst heraus wirken zu lassen.


    Alfred versucht das Gute bei Böhms Schubert mit dem Wienerischen zu erklären. Da ist sicher eine Wahrheit ausgesprochen worden.
    Ich möchte ergänzen, dass es einer der wenigen Dirigenten war, die sich nicht störend zwischen Schubert und den Hörer schoben (und schieben).
    All das geschah bei höchster Perfektion und einer perfekten Balance aus vielen Parametern. Das, was bei Schubert zwischen den Zeilen steht, kommt so immer noch am beeindruckensten zum Tragen, finde ich.


    Beinahe hätte ich noch sträflich vergessen, Günter Wand zu erwähnen. Seine Einspielungen sehe ich dicht bei Böhm. Auch ihn zeichnete es aus, dass er sich nicht störend zwischen Schubert und den Hörer schob.
    Gerade die Einzel-Aufnahmen mit den Berliner Philharmonikern mag ich besonders:



    Gruß
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Dirigenten, die komplette Zyklen von Schubert eingespielt haben, deren Aufnahmen bisher aber noch nicht verlinkt wurden, sind folgende:



    Hans Zender



    Daniel Barenboim



    Wolfgang Sawallisch





    Marcello Viotti



    Jos van Immerseel



    Marc Minkowski



    Peter Maag





    Sir Charles Groves




    Thomas Dausgaard



    Lord Menuhin I



    Lord Menuhin II



    Michael Halász



    Wilhelm Keitel


    Zudem zwei scheinbar im Entstehen begriffene Zyklen:




    Antonello Manacorda




    Dennis Russell Davies


    Von dieser Fülle wäre ich selbst nicht ausgegangen.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

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    – Luís de Camões

  • Es gibt auch noch eine Aufnahme der großen C-Dur Symphonie, die Böhm im hohen Alter mit der Staatskapelle Dresden einspielte:


    Bisher bin ich immer davon ausgegangen, dass es sich dabei um einen Mitschnitt handelt. Das Konzert mit Böhm und der Staatskapelle fand am 12. Januar 1979 im Kulturpalast Dresden statt. Ich empfand diese Aufführung immer etwas ruppig, als wollte der Dirigent aus einen gewaltigen Rohling etwas genau nach seinem Willen formen, ja herausschlagen. Entschlossen und unnachgiebig. Diese Gewalt hatte ich beim alten Böhm gar nicht so erwartet. Beeindruckt bin ich aber immer noch sehr.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Rheingold1876: da bin ich aber gespannt.....habe sie ja wie gesagt noch nicht in den Händen, nur meinem Konto ist der Betrag schon belastet worden.
    Ist wohl eine Auslegungssache, ob ein Mitschnitt nicht auch eine Aufnahme ist....nun ja, keine Studioaufnahme. Aber die ist ja auch ein Mitschnitt des Spielens ohne Publikum, oder besser gesagt ein perfektionierter Zusammenschnitt :D


    @Joseph II : Danke für den Hinweis auf Sawallisch.
    Ob ich die alten Aufnahmen favorisieren würde, bezweifle ich etwas.
    Allerdings habe ich eine schöne große C-Dur hier gefunden,



    die sehr viele gute Eigenschaften aufweist. Eine davon ist ein herrliches Klangbild zum Genießen. Der Anfang mit dem Horn ist sehr ordentlich - gut so.
    Für meinen durch Böhm geprägten Geschmack ist der erste Satz erwartungsgemäß etwas zu zügig, allerdings gibt es da Kandidaten, die wirklich rasche Tempi anschlagen, also eher Angst vor "himmlischen Längen" zu haben scheinen. Einer von vielen Indikatoren sind die kurz artikulierten Triolen in den Violinen der Einleitung.
    Sie müssten kurz nach 2.42 Minuten des Youtube-Films einsetzen. Hier klingen sie mir etwas zu schnell. Bei Böhm passt es genau. Würde man es allerdings nur einen Hauch langsamer als er machen, dann klänge es zäh.


    Den Orchesterklang empfinde ich gerade bei diesem Konzertmitschnitt mit Sawallisch als Balsam für die Ohren.
    Die Wiener Philharmoniker sind ein wahnsinnig gutes Schubert-Orchester, einen entsprechend guten Dirigenten vorausgesetzt.


    Den reifen Sawallisch würde ich schon unter die großen Schubert-Dirigenten zählen. Das Uneitle ist ja sein Markenzeichen, und genau das ist bei Schubert meiner Meinung nach angesagt.


    Obwohl Schubert ja den Beethoven unglaublich verehrte, finde ich, dass seine Musik vor allem mit Mozart eine Seelenverwandschaft aufzeigt, auch wenn mir die Unterschiede natürlich bewusst sind. Aber das ist ja hier weniger das Thema.


    Gruß
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Lieber Glockenton, wir stimmen vollkommen überein, dass auch ein Mitschnitt eine Aufnahme ist. Deine Definition gefällt mir. Ich habe eben noch einmal ein wenig recherchiert und die alte DG-LP von dieser Sinfonie gefunden - auch bei Amazon. Leider lässt sie sich nicht direkt verlinken. In diesem Zusammenhang ist von einem Live-Mitschnitt die Rede. Ich kenne noch die alte Eterna-Ausgabe und besitze den Umschnitt davon. Es ist sogar der Applaus dabei. Im TV gab es mal einen sehr schönen Film - mit Probe und Aufführung der Sinfonie, ebenfalls unter Böhm. Wenn ich nicht total irre, spielten die Wiener Symphoniker. Leider kann ich im Moment nicht mit weitergehenden zuverlässigen Angaben dienen. Ich müsste meine Kästen durchsuchen. Böhm sprach eingangs darüber, wie er sich die originale Partitur habe zeigen lassen - war es in der Österreichischen Nationalbibliothek? Er war sehr bewegt, so nahe auf Tuchfühlung mit Schubert gekommen zu sein. Für den ehr sachlich wirkenden Böhm empfand ich das als sehr aufschlussreich. Ich muss oft daran denken.



    Eben finde ich einen Clip auf Youtube. Der dürfte der Sendung entnommen sein, die ich meine. :)


    Und hier gleich noch die ganze Sinfonie:


    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


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  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Hallo Rheingold,


    vielen Dank für Deinen Beitrag und die Links.
    Ich habe es mit Genuss gesehen.
    Es sind die Wiener Symphoniker (ich sehe es an den bekannten Gesichtern aus dem Concentus musicus Wien)


    Es ist schon die bekannte Böhm-Interpretation. Später hat er dann einige Details noch etwas genauer ausgearbeitet.
    Leider ist hier alles in schwarz weiss und mono. Bild und Ton also LoFi....aber so richtig schlimm ist das angesichts dieses Dokuments eigentlich auch wieder nicht.


    Böhm und Schubert - für mich eine Traumkombination :thumbup:



    Gruß
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Ich beginne mit dem wohl größen Schubert-Dirigenten aller Zeiten: Karl Böhm. Man muß sich die Frage stellen, was Böhms Schubert-Dirigat über jenes anderer Dirigenten stellt, die doch teilweise auch ganz vorzüglich Ergebnisse abgeliefert haben.

    Es ist der typische Wiener Tonfall, den er sogar mit den Berliner Philharmonikern überzeugend getroffen hat.

    Die Schubert-Aufnahmen von Karl Böhm können tatsächlich den Anspruch erheben, Maßstäbe zu setzen und die Benchmark zu sein, an denen sich alle anderen Interpretationen messen lassen müssen. Alfred belegt es mit der Affinität von Böhm zum Wienerischen. Zustimmung! Nur es ist mehr - weit, weit mehr!

    Man mag die Interpretation durchaus "wienerisch" nennen, wobei Böhm es nicht an Energik fehlen lässt.


    Wahrscheinlich wird man in Wien geboren und aufgewachsen sein müssen, um den typischen Wiener Tonfall zu treffen. Leider bin ich das nicht!
    Schlimmer noch: so ganz genau kann ich gar nicht sagen, was das eigentlich ist: der typische Wiener Tonfall!
    Ich habe Böhm ja nun wirklich viel live erlebt - gerade auch mit Schubert. Die Große C-Dur Sinfonie, die er öfter mit den Berliner Philharmonikern aufgeführt hat, war für mich immer ein großes Erlebnis. Aber was war daran denn nun typisch wienerisch? Und: war sie wirklich konkurrenzlos? Ich hatte eigentlich immer das Gefühl, dass Böhm die Formprobleme dieses Werkes nicht wirklich überzeugend gelöst hat! Wenn ich etwa die Aufnahme Erich Kleibers mit dem Kölner Rundfunk-Sinfonie-Orchester höre, gelingt da eine Geschlossenheit, die ich bei Böhm stets vermisst habe! Trotzdem bleibt Kleiber dem Schweifenden und Episodischen dieses Werkes nichts schuldig. Zudem erlebt man bei ihm eine Hintergründigkeit, die fast allen späteren Dirigenten, denen es gelungen ist, die Formprobleme in den Griff zu bekommen, eher verschlossen blieb.


    Bitte versteht mich nicht falsch!
    Ich will nicht Böhm schlecht machen. Dafür verehre ich ihn viel zu sehr.
    Aber ich will doch darauf aufmerksam machen, dass es nicht ganz angemessen ist, ihn und seine Interpretationen zum Maßstab zu deklarieren.


    Das gilt übrigens auch für die frühen Sinfonien.
    Wenn ich etwa die faszinierenden Einspielungen von Sir Thomas Beecham höre, dann erscheinen mir Böhms Aufnahmen schon ein bisschen prosaisch. Allerdings hat Beecham natürlich leider noch den erheblich verfälschten Notentext der früheren Druckfassung benutzt. Aber was gelingen ihm für Wunder schwebender Phrasierung! Jede Linie wird so liebevoll und geistreich modelliert - und dabei ganz natürlich fließend! Und wenn man etwa die Aufnahmen der 3. und der 5. Sinfonie nacheinander von Beecham und von Böhm hört, wir man bei Böhm doch den jugendlichen Glanz vermissen, den man bei Beecham hören konnte und sein anmutiges Lächeln.


    Aber noch einmal: nichts gegen Böhm!
    Ich wollte nur einwenden, dass ich nicht nachvollziehen kann, wenn er gleichsam auf ein Podest gestellt wird und seine Aufführungen zum unbestrittenen Ideal und Vorbild erhoben werden!


    Es gibt auch andere Interpreten, die das große Schubert-Glück bereiten können!
    Zumindest auf drei Dirigenten wollte ich hinweisen, die bisher nicht erwähnt worden waren:



    Unbedingt wollte ich noch Benjamin Britten nennen, aber ich besitze keine Aufnahmen von ihm und weiss noch nicht mal, wie viele er gemacht hat.
    Aber Aufführungen von Schubert-Sinfonien unter seiner Leitung sind mir ganz wichtig und haben mein Verständnis des Komponisten entscheidend beeinflusst!


    In der Aufnahme der Unvollendeten kann man hören warum!!! (Leider habe ich sie mal verlegt oder verliehen oder verloren! Schade! Auf CD scheint es sie gegenwärtig nicht zu geben.)


    Ob das, was Thomas Beecham, Erich Kleiber und Benjamin Britten bringen, denn typisch wienerisch im Tonfall ist, kann ich nicht beurteilen!
    Das überlasse ich Berufeneren!



    Beste Grüße


    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Ich wage sehr stark zu bezweifeln, dass an Schuberts Sinfonien viel "typisch wienerisch" ist. Vielleicht das Trio des Scherzos der C-Dur-Sinfonie. Die frühen Sinfonien wurden alle komponiert, bevor es das gab, was wir seit Strauss sen. u.a. als "typisch wienerisch" sehen. (Und sie weisen auch relativ wenige Wendungen auf, die an volkstümliche oder Tanzmusik erinnern, außer in einigen Tanzsätzen, da wird man in Menuetten/Trios von Haydn vermutlich ebenso fündig.)


    Auch für die beiden späten Sinfonien scheint mir das eine nachträgliche Deutung zu sein. Damit sei unbestritten, dass es vielleicht Interpretationen (wie die Böhms) gibt, die einen "typisch wienerischen" Ton, wie er zu Brahms' oder Mahlers Zeiten kultiviert wurde, treffen. Diese historische Prägung würde aber auch auf zB Erich Kleiber und Bruno Walter passen, deren Interpretationen sich durchaus von Böhms unterscheiden. Was an historischen Aufnahmen der ersten Jahrzehnte des 20. Jhds. erhalten ist, macht mich jedenfalls (ganz unabhängig von Schubert/Wien) skeptisch, dass Studioaufnahmen der 1960er diesen Stil unverändert wiedergeben (wenn es überhaupt einen solchen Stil der über Unterschiede verschiedener Dirigenten hinausging, gegeben hat).


    Aber zu meinen, dass sei deswegen besonders authentischer Schubert ist so ähnlich, wie wenn man behaupten würde, Bach-Chorwerke unter Mauersberger oder Rotzsch anno 1970 müssten besonders authentischer Bach sein, bloß weil es eine theoretisch ungebrochene Tradition von 250 Jahren Thomaskantorat gegeben hat.


    Besonders ironisch wird die Sache noch dadurch, dass Schuberts Sinfonien im Wien der 1820er Jahre bekanntlich überhaupt kein Echo fanden. Es gibt erstmal gar keine Tradition, schon gar keine ungebrochene.
    Die C-Dur-Sinfonie wurde 1839 in Leipzig uraufgeführt (hätten deswegen Konwitschny oder Masur besonderen Authentizitätsanspruch bei dem Stück?), das h-moll-Fragment 1865 in Wien, über 40 Jahre nach der Komposition (insofern passt hier kulturell-historisch das Walzerkönig-Wien der zweiten Jahrhunderthälfte vielleicht gar nicht so schlecht, wenn da nicht die Musik der h-moll-Sinfonie wäre...)

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Lieber Johannes,


    Ich wage sehr stark zu bezweifeln, dass an Schuberts Sinfonien viel "typisch wienerisch" ist.


    So harsch wollte ich es nicht sagen! Bin gespannt auf die Aufklärung durch unsere Wiener Freunde!


    Beste Grüße


    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Die Frage ist natürlich, was man unter "typisch wienerisch" versteht. Musikalisch meint man damit vielleicht nicht nur Sisi bis 1914, sondern meinetwegen auch schon Johann Strauss senior um 1830. Aber um 1820 war der beliebteste Komponist in Wien weder Beethoven noch Schubert noch Strauss, sondern Rossini, dem Schubert in einigen sog. italienischen Ouverturen und evtl. auch in seiner 6. Sinfonie Tribut zollte.


    Was auch immer man hier mit wienerisch meint, in den Sinfonien höre ich weniger einen "Lokalton" als in einigen Klaviersonaten, den Klaviertrios und sogar dem Finale des Streichquintetts. Aber auch dort ist das fast immer auf bestimmte Abschnitte der Tanzsätze und ggf. Finali beschränkt.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Ich habe Böhm ja nun wirklich viel live erlebt - gerade auch mit Schubert. Die Große C-Dur Sinfonie, die er öfter mit den Berliner Philharmonikern aufgeführt hat, war für mich immer ein großes Erlebnis.

    Mann, wie beneidenswert! Ich lebte in der falschen Stadt....



    Ich wollte nur einwenden, dass ich nicht nachvollziehen kann, wenn er gleichsam auf ein Podest gestellt wird und seine Aufführungen zum unbestrittenen Ideal und Vorbild erhoben werden!

    Einen weiteren Grund dafür, dass er meiner Ansicht nach bei Schubert dennoch aufs Podest gehöhrt, habe ich ja versucht hier zu benennen:



    Ich möchte ergänzen, dass es einer der wenigen Dirigenten war, die sich nicht störend zwischen Schubert und den Hörer schoben (und schieben).
    All das geschah bei höchster Perfektion und einer perfekten Balance aus vielen Parametern. Das, was bei Schubert zwischen den Zeilen steht, kommt so immer noch am beeindruckensten zum Tragen, finde ich.

    Ergänzen möchte ich noch, dass zu diesen Paramentern die perfekte, sich in der Balance befindende Tempowahl gehört, die das Erfassen der Töne in der nötigen Klarheit ermöglicht, auch die Präzision der Artikulation, die Genauigkeit im Rhythmischen, die klanglich/dynamisch perfekte Balance gehört. Das wurde mit einer unangestreng warmen Erzählhaltung verbunden. Nicht der Dirigent war bei Böhm der Star, sondern die Partitur.


    Beecham oder Britten kenne ich mit Schubert leider nicht und konnte auch nicht bei amazon die Aufnahmen hören.



    Die Frage ist natürlich, was man unter "typisch wienerisch" versteht.

    Vielleicht sollte man nicht zu sehr auf einen Begriff abheben, der ggf. in eine Sackgasse führen kann.
    Das Wienerische bei Schubert ist m.E. vom Tonfall her ab und zu spürbar, wie z.B. bei der "Taubenpost" des Schwanengesangs.
    Auch der erste und zweite Satz der B-Dur-Symphonie enthält an den Österreicher Mozart erinnernde Elemente (allerdings durch die Schubertsche Brille), die für mich in voller Schönheit nur bei der Böhm-Aufnahme mit den Wiener Philharmonikern erfahrbar sind.
    Schubert klingt für mich auch mit der "Wiener Klassik" sehr verwandt, wohl mehr als Wiener Walzer oder Polka. Nun gut, ich hörte einmal den Gulda mit einem Klavierstück von Schubert (einem Walzer) der in der Tat vom Tonfall her nach dem Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker klang.


    Aber wenn ich an den ersten Satz der großen C-Dur Symphonie denke, dann fallen mir z.B. die Takte ein, die 6 Takte vor dem ersten Wiederholungszeichen stehen. Da wird die klassische Musiksprache der Wiener Klassik gesprochen, also ein schneller hin- und her Wechsel von Tonika und Dominante, was bei den ersten Violinen in der Terzlage der Tonika beginnend in Achteln aufgelöst wird, die im ständigen schnelle Wechsel Abstrich/Aufstrich zu spielen sind.
    Die Sequenz beginnt schon mit Akkordbrechungen der Tonika in Vierteln (Streicher unisono) zu Pedalakkorden der Bläser. Dann kommen die von mir beschriebenen 2 Takte. Die Lagenänderung (von Oktav auf Terzlage), das schnelle Hin-und Herwechseln zwischen Tonika und Dominante (wodurch die tonikale Grundstimmung nicht angestastet wird und doch Spannung aufgebaut wird!) und die Auflösung in Achteln der Violinen 1, 2, und der Viola (musikhistorisch mit dem Concitato des Frühbarocks verwandt) bewirkt eine reizvolle Zwischen-Schlusssequenz-Steigerung, die für die Ausdrucksweise der Wiener Klassik m.E. typisch ist. Man denkt da auch gern an Haydn, Mozart und Beethoven.


    Bei diesem youtube-Film (hier sind es die Wiener Philharmoniker) kann man die von mir beschriebene Sequenz ab 6.45 hören (es empfiehlt sich, etwas eher einzusteigen):



    Aufnahmetechnisch klingt das Video leider etwas streng, aber das kann man vielleicht abstrahieren.


    Ansonsten kann man das mit dem Wienerischen nicht gerade leicht in Worte fassen. Dennoch finde ich auch, dass dieser "Ton" vorhanden ist und bei Böhm gut herauskam.


    Gruß
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)


  • Gerade hörte ich von Maazel (die neben abgebildete Box ist die Neuauflage von 2015 - ich habe die ältere aus der Serie Digital Masters) die 3. - Aufnahme ist vom März 1962, aufgenommen in Berlin Dahlem, Jesus-Christus-Kirche. (Die Box enthält die Symphonien 2-6 und 8) Fabelhaft! Klar, sauber, ohne Mätzchen wunderschön sprechend musiziert (wirklich tolle Bläser der Berliner Philharmoniker) und die Tempodramaturgie stimmt. Wunderbar klassisch - das hat Gewicht und zugleich so etwas wie Mendelssohnsche Leichtigkeit. Einfach eine Freude zu hören!

    Zum Vergleich hörte ich dann Calros Kleiber:



    Typisch Kleiber - perfekt. Aber mir gefällt die alte Maazel-Aufnahme besser. Kleiber macht daraus eine federleichte Apotheose des Tanzes. Die Einleitung ist schon nicht maestoso und die Tempi sind mir alle zügig zu sehr angeglichen. Auch spielen die Wiener Philharmonker ebenso perfekt aber irgendwie auch akademisch glatter, nicht so engagiert wie die Berliner.

    Von Karl Böhm habe ich derzeit nur diese Schubert-Aufnahme:



    Die Lobeshymnen über ihn haben mich überzeugt (und auch die Hörschnipsel) und diese Lücke in meiner Sammlung werde ich wohl schließen! Die Berliner Philh. unter Maazel und Böhm - natürlich ist das auch sehr reizvoll zu vergleichen! :)

    Schöne grüße
    Holger

  • Ja, lieber Holger, von Maazel gibt es noch einen früheren, fast kompletten Schubert-Zyklus mit den Berliner Philharmonikern. Bei der Qualität der Aufnahmen bedauert man es, dass die 1. und 9. Symphonie seinerzeit nicht eingespielt wurden. Diese Aufnahmen sind fast noch besser als die spätere Gesamtaufnahme mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks.


    Karl Böhm scheint besonders auch die 2. Symphonie geliebt zu haben. Mir sind drei Live-Mitschnitte derselben bekannt, darunter der von Dir gezeigte mit den Bayern. Es gibt noch zwei weitere mit den Wiener Philharmonikern (1976) sowie dem London Symphony Orchestra (1977).



    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Lieber Joseph II,


    Böhm werde ich mir demnächst zu Gemüte führen! :) Von Maazel einen noch früheren Zyklus als 1962 (?) - oder meiintest Du diesen aus meiner Maazel-Box:



    Du erwähntest oben auch noch eine Celibidache-Aufnahme. Welche ist das - das würde mich auch interessieren! :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Hallo Holger,


    Du könntest ja neben Böhm auch einmal die neuere Schubert-Aufnahme Maazels (siehe Joseph II-Posting oben) mit Deiner alten Maazel-Box bei bestimmten Symphonien vergleichen.
    Vielleicht ist die reifere Version ja doch noch besser?
    Aufnahmetechnisch wird man mit der neuen Einspielung sicherlich noch mehr auf seine Kosten kommen....



    Gruß
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

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  • Lieber Holger,


    pardon, ich meinte natürlich die von Dir genannte Berliner Aufnahme von ca. 1960. Die beiden Boxen sind, was den Inhalt angeht, identisch.


    Und bzgl. Celibidache: Ich wollte damit ausdrücken, dass Sir Charles Groves (den ich Dir bei der Gelegenheit ebenfalls ans Herz legen kann) mich bei der 2. Symphonie sehr an den Stil von Celibidache erinnert. Ich fürchte, der gute Sergiu hat nur die "Unvollendete" und die "Große" dirigiert. Zumindest wäre mir aus dem Stegreif keine Aufnahme einer anderen Schubert-Symphonie bekannt.


    Beste Grüße
    Joseph

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Zitat

    Was auch immer man hier mit wienerisch meint


    Die Frage nach dem "wienerischen" Klang lässt sich nicht beantworten, und schon gar nicht ist der Unterschied von einem "Nichtwiener" zu bemerken. Ich habe mal in den siebzigern einen Wiener Philharmoniker (sie waren durchwegs Kunden in dem Geschäft wo ich damals arbeitete) nach dem spezifischen des "Wiener Klanges". "Wir wissen es selbst nicht" war die Antwort. Die Wiener Philharmoniker haben sich ehrlich bemüht der Sache auf den Grund zu gehen, Man vermutete ihn bei den Violinen - aber da war nichts - bei der Nationalität einzelner Orchestermitglieder, etc. Auch die Ausbildung ist nicht typisch "wienerisch". Aber natürlich gilt das auch für Kompositionen, Schubert hat sich bemüht das Vorbild Beethoven mit seinen Klaviersonaten und Sinfonien zu erreichen. Qualitativ dürfte es ihm bei einigen Werken gelungen sein, jedoch haftet seiner Musik ein "Wienerischer" Ton an, der ihn von den deutschen Vorbildern unterscheidet - egal ob er dies angestrebt hat oder nicht.....


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Und bzgl. Celibidache: Ich wollte damit ausdrücken, dass Sir Charles Groves (den ich Dir bei der Gelegenheit ebenfalls ans Herz legen kann) mich bei der 2. Symphonie sehr an den Stil von Celibidache erinnert. Ich fürchte, der gute Sergiu hat nur die "Unvollendete" und die "Große" dirigiert. Zumindest wäre mir aus dem Stegreif keine Aufnahme einer anderen Schubert-Symphonie bekannt.


    Danke, lieber Joseph! Ich schaue nachher mal in meiner Sammlung, was ich noch finde... :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Diese Variation, die bei 48.15 dieses Videos vom B-Dur-Impromptus beginnt, hat - wie ich als Nichtwiener finde- recht gut hörbare Wiener "Töne".
    Es ist zwar kein Orchesterstück, aber vom selben Komponisten:



    Gruß
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)


  • Die Frage nach dem "wienerischen" Klang lässt sich nicht beantworten, und schon gar nicht ist der Unterschied von einem "Nichtwiener" zu bemerken.


    o.k.
    Was man nicht beantworten und normalerweise nicht bemerken kann, kann man getrost ignorieren. Es ist bestenfalls persönliche Glaubenssache, schlimmstenfalls Einbildung oder Autosuggestion. Jedenfalls nichts, worauf sich eine besonders gelungene (das mag ja dennoch der Fall sein) oder besonders authentische (das halte ich aus den o.g. Gründen für historisch schlicht nicht haltbar) Interpretation von Schuberts Musik basieren ließe.


    Um *Klang* ging es meinem Eindruck nach außerdem gar nicht. Sondern um Eigenarten der Musik, die wohl kaum vom Klang EINES bestimmten Orchesters, das es noch gar nicht gegeben hat, als sie komponiert wurde, bestimmt sein kann, oder jedenfalls einer Interpretation, was Tempo, Rubato, Phrasierungen, Artikulation usw. betrifft. Beim Wiener Walzer gibt es die nachvollziehbar (insbesondere Tempovariationen und rhythmische Besonderheiten). Dass es bei Schubert hier eine klare Parallele gibt, hat mir bisher niemand auch nur ansatzweise überzeugend erklären können.


    Dass die "Wiener Klassik" Haydns, Mozarts und Beethovens, an die Schubert anschließt, etwas mit Wiener Lokalkolorit zu tun haben soll, halte ich für kaum haltbar. Die heißt so, weil diese Musiker in Wien wirkten (wobei keiner davon außer Schubert aus Wien stammte). Aber wie oben schon gesagt, hat Wien 1780-1820 wenig bis nichts mit dem zu tun, was man seit Strauss u.a. mit "wienerisch" in Musik oder Lebensart verstehen mag. Die "Wiener Klassik" als Stil beruht auf italienischen, süddeutschen (Mannheim), norddeutschen (CPE Bach) und wienerisch/österreichischen Einflüssen, aber es ist kein Lokalton wie Strauss oder die folgenden Operettenkomponisten u.ä.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Du könntest ja neben Böhm auch einmal die neuere Schubert-Aufnahme Maazels (siehe Joseph II-Posting oben) mit Deiner alten Maazel-Box bei bestimmten Symphonien vergleichen.
    Vielleicht ist die reifere Version ja doch noch besser?


    Die neuere Maazel-Einspielung habe ich leider nicht, lieber Glockenton! Die ganz alten DGG-Aufnahmen sind klangtechnisch erstaunlich gut - viel besser finde ich als so manche spätere. :)


    Schöne Grüße
    Holger


  • Danke, lieber Joseph! Ich schaue nachher mal in meiner Sammlung, was ich noch finde... :hello:


    Schöne Grüße
    Holger


    Ich habe jetzt mal nachgesehen, was Celibidache von Schubert im Repertoire hatte. Es ist doch einiges, nämlich:


    - Sechs Deutsche Tänze
    - Ballettmusik Nr. 1
    - Ouvertüre "Rosamunde"
    - Symphonien Nr. 2, 3, 4, 5, 6, 8 und 9


    Das Meiste davon liegt tatsächlich in Mitschnitten vor, die ich im Folgenden zitiere:


    Schubert Deutsche Tänze Münchner Philharmoniker 10.02.1991
    Schubert Deutsche Tänze Orch. Sinfonico di Milano della RAI 22.02.1960
    Schubert Deutsche Tänze Orch. National de l'ORTF 30.12.1973
    Schubert Ouvertüre - Rosamunde v. Cypern Orch. National de France 02.10.1974
    Schubert Ouvertüre - Rosamunde v. Cypern Münchner Philharmoniker 04.06.1996
    Schubert Ouvertüre - Rosamunde v. Cypern Sinfonieorch. des WDR Koeln 21.10.1957
    Schubert Rosamunde - Zwischenaktmusik Nr. 3 Münchner Philharmoniker 10.02.1991
    Schubert Sinfonie Nr. 2 Sinfonieorch. des WDR Koeln 05.10.1958
    Schubert Sinfonie Nr. 5 Orch. National de France 30.12.1973
    Schubert Sinfonie Nr. 5 Orch. National de l'ORTF 30.12.1973
    Schubert Sinfonie Nr. 5 Radio-Sinfonieorchester Stuttgart 31.10.1979
    Schubert Sinfonie Nr. 8 Münchner Philharmoniker 02.11.1983
    Schubert Sinfonie Nr. 8 Orch. National de l'ORTF 17.09.1974
    Schubert Sinfonie Nr. 8 Münchner Philharmoniker 26.04.1993
    Schubert Sinfonie Nr. 8 Münchner Philharmoniker 30.09.1988
    Schubert Sinfonie Nr. 9 Radio-Sinfonieorchester Stuttgart 02.04.1976
    Schubert Sinfonie Nr. 9 Münchner Philharmoniker 28.02.1994
    Schubert Sinfonie Nr. 9 Münchner Philharmoniker 30.06.1983


    Quelle: http://www.gerhard-greiner.de


    Beste Grüße
    Joseph
    :hello:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Zitat

    Was man nicht beantworten und normalerweise nicht bemerken kann, kann man getrost ignorieren. Es ist bestenfalls persönliche Glaubenssache, schlimmstenfalls Einbildung oder Autosuggestion. Jedenfalls nichts, worauf sich eine besonders gelungene (das mag ja dennoch der Fall sein) oder besonders authentische (das halte ich aus den o.g. Gründen für historisch schlicht nicht haltbar) Interpretation von Schuberts Musik basieren ließe.


    Welch ein Sophismus. - Natürlich kann jeder Wiener hören, wenn der Papageno von einem Nichtwiener darzustellen versucht wird - und genauso ist das im Falle von Musik. Und natürlich wird Schubert in der ganzen Welt gespielt - aber es fehlt dann doch Essentielles - und das Ironische daran ist - daß es kaum jemand bemerken wird - von ein paar Ausnahmen abgesehen - und natürlich von den (musikalisch interessierten) Wienern. Das gilt ja nicht nur für Wien. Wenn ein Franzose ertragen muß, wenn ein Ausländer französisch spricht, dann muß er sich schon sehr beherrschen um über das unelegante Gestammel und akzentbehaftete Sprachbild nicht in einen Weinkrampf zu verfallen.


    Zur "Internationalität" der "Wiener Klassik". Das klingt dann so wie vom Concerto Köln (Ein Graus in meinen Ohren).


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Beim Wiener Walzer gibt es die nachvollziehbar (insbesondere Tempovariationen und rhythmische Besonderheiten). Dass es bei Schubert hier eine klare Parallele gibt, hat mir bisher niemand auch nur ansatzweise überzeugend erklären können.


    Zur Melodik des Wiener Walzers zählt auch, dass süß und verspielt anmutende, also um die Durterz einer Melodie "herumschawenzelnde" melodische Wendungen verwendet werden, die ihrerseits wiederum chromatisch alteriert werden, d.h. es gibt dann chromatische Durchgangstöne und chromatische Vorschläge bzw. Vorhalte, je nach dem, ob sie nicht vorbereitet werden oder doch.
    Typisch ist auch die vom Klavier herkommende Separierung von einer Bassnote, dann zwei Akkordnoten in der linken Hand, dann die neue Bassnote etc.


    Bei dem oben verlinktem Beispiel der Variation II des Impromptus B-Dur von Schubert ist das so. Es wimmelt nur so von chromatischen Alterationen der Melodie, was sich in chromatischen Durchgangstönen und -Vorschlägen/Vorhalten (wenn man z.B. das erste Cis als Vorbereitung für das zweite Cis in Takt 1 gelten lässt)


    Funktionsharmonisch haben wir hier T, dann T 3 (die 3 müsste unter dem T stehen, aber das geht hier nicht, bedeutet aber: Tonika mit Terz im Bass), dann kommt in Takt 2 D7 Dominantsept mit 5 Quinte im Bass, dann D, dann wieder T, dann S 65 also Subdominante als Quintsextakkord, dann DD7 mit Terz im Bass (Doppeldominantsept C-Dur 7 zur Dominante F von B-Dur...)
    Der Wechsel von T zu T3, dann vor allem D7 mit 5 im Bass könnte gut einem Wiener Walzer ebenfalls recht typisch zu Gesicht stehen.


    Nun hat Schubert diese Var. II nicht als Walzer, sondern als Stück im 4/4-Takt geschrieben. Er nimmt in der linken Hand dabei die schon in Var. I präsentierte Begleitidee der linken Hand auf. Man könnte aber erahnen, dass Schubert bei der Komposition urprünglich ein Walzer im Kopf herumging, weil die melodische und harmonische Eigenheit dies sehr gut möglich macht.


    Um das einmal zu demonstrieren, habe ich eine Walzerversion dieser Variation kurz zu Hause eingespielt, die hier als Video abgerufen werden kann (hoffentlich, wenn nicht wieder irgendwelche nationalen Urheberrechtsgeschichte es verhindern)


    FYuEsKhCMIg&feature=youtu.be


    Die Noten dazu können mitgelesen werden. Ich habe lediglich die Noten Schuberts rhythmisch dem 3/4-Walzer angepasst und dem Ganzen "Machwerk" zwei Takte B-Dur Walzerfigur in der linken Hand (zur Einstimmung...) hinzugefügt.
    Natürlich klingt das Original Schuberts besser, gerade dann, wenn es von Brendel gespielt wird.
    Mit Bach oder Händel könnte man das aber nicht so leicht machen. Das funktioniert dann weder harmonisch, melodisch noch rhythmisch so einfach, wie es hier, bei diesem Stück von Schubert der Fall ist.


    Ich höre also durchaus Wiener Gene in so manchem Stück Schubertmusik..... ;)


    Gruß
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Besten Dank, lieber Joseph II! Ich habe zwar etliche historische Mitschnitte von Celi, seinen Schubert aber leider nicht. Da ist also wieder so eine empfindliche Lücke in meiner Sammlung.... :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

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