26.04.2015 (Musikhalle Hamburg) A.Berg, Violinkonzert "Dem Andenken eines Engels" & A.Bruckner, Symphonie Nr.7 E-Dur - Lara Boschkur, Jeffrey Tate und die Hamburger Symphoniker
So traurig der letztendliche Anlaß zur Fertigstellung seines Violinkonzertes (ein Auftragswerk des amerikanischen Geigers Louis Krasner), d.h. der Tod der 18-jährigen Manon Gropius für Alban Berg auch gewesen sein mochte - die Entscheidung das gesamte Konzert unter das Motto "Dem Andenken eines Engels" zu stellen, läßt einen bezogen auf den Entstehungshintergrund der 7ten Symphonie Anton Bruckners vielleicht auch ein wenig schmunzeln ... oder würde jemand ernstlich Richard Wagner als einen Engel bezeichnen?! - Andererseits scheint gerade diese Werkkombination näher zu liegen, als der musikalische Laie vermutet: Jedenfalls hörte ich vor fünf Jahren das selbe Programm am gleichen Ort mit dem NDR Sinfonieorchester unter der Leitung seines damaligen Chefdirigenten Christoph von Dohnányi und der Solistin Isabelle van Keulen.
Den eigentlichen Grund des gestrigen Konzertbesuches, nämlich die längst überfällige Beschäftigung mit dem dritten Hamburger "Groß"-Klangkörper habe ich bereits an anderer Stelle ausführlich dargelegt, so daß wir hier gleich weiter in medias res gehen können:
Bergs Violinkonzert ist für mich, wie wahrscheinlich für viele andere Hörer, die sich auch nur etwas näher mit diesem Werk beschäftigen, ambivalent. Einerseits basiert es zwar auf einer Zwöltonreihe, verströmt aber stets auch den Hauch des romantischen. Hinzu kommen Momente der Walzer-"Glückseligkeit" im ersten Satz und natürlich der immer wieder überwältigende Einsatz des Bach-Chorals "Es ist genug!" (aus der Kantate "O Ewigkeit, du Donnerwort" BWV60). Nimmt man schließlich noch den Tod Manon Gropius als notwendigen Impetus zur Fertigstellung des Werkes hinzu, kann es als geradezu mutig gelten, den Solopart der erst 15jährigen(!) Lara Boschkur anzuvertrauen. Aber auch, wenn hier natürlich noch die Erfahrung, die z.B. eine Arabella Steinbacher (sie hörte ich im Oktober des vergangenen Jahres mit diesem Konzert wieder mit dem NDR Sinfonieorchester unter Thomas Hengelbrock) oder eine Isabelle van Keulen mitbringen, fehlt und so Boschkurs Zugang vielleicht noch ein wenig zu zahm wirkte (technisch natürlich trotzdem tadellos gespielt), verhieß der Gesamteindruck, dass die junge Geigerin an und mit diesem Werk wachsen kann. Und so waren auch Jeffrey Tate und die Hamburger Symphoniker klug genug, die Solisten nicht "an die Wand" zu spielen. Schön wäre tatsächlich eine Zugabe gewesen, welche Lara Boschkur noch einmal direkter herausgestellt hätte.
Sicher ist es heutzutage nicht leicht nachzuvollziehen, was wesentliche Teile der musikalischen Welt im Wien des 19ten Jahrhunderts an den symphonischen Schöpfungen Anton Bruckners so "abgestoßen" hat und wenn man ein wenig darüber nachdenkt, mag damals auch einige "Politik" zwischen den Wagner- bzw. Brucknerianern und den "Brahmanen" im Spiel gewesen sein - und manchmal frage ich mich heinlich, wie es wohl umgekehrt gewesen wäre, wenn nicht Brahms nach Wien, sondern Bruckner nach Hamburg gekommen wäre und der Platz vor der altehrwürdigen Musikhalle nicht Johannes Brahms Platz, sondern eben Anton Bruckner Platz hieße. Immerhin genießen Komponist und Werk angeblich nicht erst seit der ägide Günter Wand in der Hansestadt einen ausgezeichneten Ruf. Jedenfalls, mit seiner Symphonie Nr.7 E-Dur gelang dem Meister schließlich der viel zu späte Durchbruch.
Auch dieses Werk habe ich in der Musikhalle in den vergangenen rund 25 Jahren schon einige Male gehört, stets mit dem NDR Sinfonieorchester und wechselnenden Dirigenten, wie z.B. Christoph von Dohnányi, Kent Nagano (siehe hier) und natürlich der bereits erwähnte Günter Wand. Nun, Jeffrey Tate reiht sich hier mit eigener Lesart und ohne jegliche Abstriche ein. Vom Beginn an aus dem leisesten piano heraus schlug er große Bögen zum fulminanten Finale des ersten Satzes. Ebenso das Adagio, welches einerseits wie eine unendliche Melodie, aber doch klar strukturiert gespielt wurde. Ein interessantes Detail der ebenso berühmte, wie fragliche Beckenschlag (zur Diskussion siehe insbesondere hier Tate ließ ihn spielen, allerdings ohne Triangel! Eine kluge Variante, wie ich finde; sollte man doch spätestens seit Hans Rotts erster (und leider einziger) Symphonie mit dem Einsatz dieses Instruments vorsichtig sein Etwas zu behäbig geriet für mich das Scherzo, welches ja mit Sehr schnell überschrieben ist. Hier hätten Dirigent und Orchester etwas mehr riskieren dürfen. Schließlich im Finale nocheinmal der volle Einsatz des Bleches, welches trotz einiger kleiner Patzer im ersten Satz ganz ausgezeichnet intonierte.
Als Resümee der nunmehr zwei Konzerte, die ich in der laufenden Saison erstmalig mit den Hamburger Symphonikern unter der Leitung Jeffrey Tates genießen konnte, bleibt festzustellen: Ich habe Lust auf mehr! - Das Programm für die nächste Spielzeit 2015/16 lag gestern abend bereits aus und es enthält wieder einige sehr interessante Konzerte, wie z.B. die h-moll Messe BWV232, einen nordischen Abend mit Nielsens Violinkonzert op.33 und der Symphonie Nr.2 D-Dur op.43 von Jean Sibelius oder einer konzertanten Aufführung von Bernsteins Comic Opera "Candide".