Warum nicht einmal ein Musical: „Das Wunder von Bern“ im Hamburger Hafentheater (13.05.15); da kann sich die Oper eine Scheibe von abschneiden

  • Die Wahrheit ist, ich erhielt eine Freikarte für das neue Musical im neuen Stage-Theater neben dem „König der Löwen“ gegenüber von den Landungsbrücken. Es war überwältigend, wie in Las Vegas. Der mehr als 2.000 Zuschauer fassende Innenraum mit steilem Rang leuchtete in Rot, im vorn zur Elbe verglasten Foyer mit grandioser Aussicht auf die Stadtsilhouette (von den St. Pauli Hochhäusern über die Kirchtürme der Stadt bis zur Elbphilharmonie alles zum Greifen nah) war alles weiß. Alles ist großzügig, alles klappt wie am Schnürchen, nicht nur im Theater, sondern auch die Überfahrt von den Landungsbrücken zum Theater, und danach die Rückfahrt in den wie Taxen nacheinander den Theateranleger anfahrenden Fähren. Jedes Jahr werden hier wohl mehr als 1 Million Theaterbesucher in die Stage-Bühnen geschaufelt; die Oper kann dagegen, selbst bei guten Aufführungen, ihr Haus nicht voll bekommen.


    Zum einen ist es natürlich die prominente Lage der Stage-Theater, die Touristen in die beiden Musicaltheater zieht und nicht in die Oper. Zum anderen wird einem beim „Wunder von Bern“ eine Aufführung präsentiert, die vom Bühnenbild und von der Bühnentechnik her ihresgleichen sucht. Ich war schlichtweg hingerissen, was hier auf der sehr breiten Bühne geboten wurde. Schnellste Prospektwechsel, dreigestaffelte Bühnenbilder, tolle inszenatorische Ideen, akrobatische Fußballspiele auf der senkrechten Rückwand mit an Seilen hängenden Spielern, eine Bahnhofsszene wie von Manet gemalt, allerdings dreidimensional mit von der Seite her einfliegenden Bahnhofsdächern, einem in die Tiefe reichenden Hintergrundprospekt und einer frontal einfahrenden Lokomotivprojektion, ein Bergwerksfahrkorb, der von der Waschkaue nach unten in den Abbaubereich fährt (alles durch Hintergrundprojektion realistisch gestaltet). Überhaupt die Hintergründe: Mehrere große Stadtszenen mit rauchenden Schloten, die mittels Zoomtechnik vor- und zurückgefahren werden können.


    Auf der Bühne sind ca. 30 Personen eingesetzt: Sänger, Tänzer und Schauspieler. Wovon handelt das Stück: Es hat drei miteinander verwobene Erzählstränge, zum einen geht um eine Frau mit drei Kindern, deren Mann aus der Kriegsgefangenschaft zurückkehrt und der mit dem neuen Leben und den Selbständigkeiten seiner Angehörigen nur schwer zu recht kommt, zum anderen geht es um einen Münchner Fußballreporter, der seine ihm frisch Angetraute statt auf Hochzeitsreise zur Fußballweltmeisterschaft 1954 nach Bern mitnimmt. Eingewoben ist Sepp Herberger mit seinen 11 Spielern, darunter Fritz Walter und Helmut Rahn. Die Geschichte ist nicht intellektuell anspruchsvoll, berührt aber emotional. Die musikalischen und gesanglichen Seiten des Stücks sind für sich allein
    nicht tragfähig (es wird auch weniger professionell gesungen, als vielmehr eine Art Sprechgesang mit eingeschränktem Frequenzbereich vorgetragen). Richtig singen konnte nur ein, ich würde ihn als Bariton einstufen, mit Nebenrollen wie Putzfrau und Pfarrer eingesetzter Sänger. Das spielte aber insgesamt keine Rolle; denn die „Show“ war so überwältigend, dass sie von den Zuschauern am Schluss mit stehenden Ovationen gefeiert wurde. Man hat für sein vieles Geld (für den Eintritt bekommt man im Opernhaus in der Regel einen sehr guten Platz) einen Gegenwert erhalten.
    Wenn man sieht, was in dieser nicht staatlich subventionierten Branche bühnentechnisch und illusionistisch möglich ist, fragt man sich nicht mehr, warum unsere Operninszenierungen immer häufiger keine genügenden Zuschauerzahlen erreichen. Vermutlich ist es in unseren Opernhäusern künstlerische Absicht, den Durchschnittsbesucher, der für sein schwer verdientes Geld auch einen optischen Gegenwert erhalten möchte, zu vergraulen. Meine Quintessenz: Wir Operngänger und -gängerinnen haben keinen Grund mehr, mild lächelnd auf die kommerziellen Musicaltheater herabzublicken.

    Oper lebt von den Stimmen, Stimmenbeurteilung bleibt subjektiv

  • Hallo Ralf,


    ein sehr schöner Bericht und ich kann mir gut vorstellen, wie überwältigt Du von der "Gesamtinszenierung" gewesen bist. Ich selber war mit meiner Frau Anfang diesen Jahres gleich nebenan beim König der Löwen und ebenfalls sehr beeindruckt, was dort geleistet wird. Und natürlich habe ich mir als ebenfalls regelmäßiger Besucher der Hamburger Staatsoper ähnliche Fragen gestellt, wie Du. - Allerdings bin ich zu dem Schluß gekommen, dass hier ein Vergleich aus vielen Gründen eigentlich unzulässig ist:


    Es beginnt damit, dass beide Musical-Theater jenseits der Elbe im Prinzip für genau die dort gespielten Produktionen erbaut worden sind. Daraus ergeben sich natürlich ganz andere Möglichkeiten, als in einem Opernhaus, in welchem prinzipiell jede Oper spielbar sein muss. Tatsächlich hat die Staatsoper m.W. nicht nur so viele Spieltage, wie kaum ein anderes Haus, sondern das Programm wechselt im Regelfall jeden(!) Abend. Allein daraus ergibt sich, dass z.B. Bühnenbilder und -technik gewissen Einschränkungen unterliegen. Ich erinnere mich etwa an eine Don Giovanni-Inszenierung (del Monaco?), deren Aufbau jeweils drei Tage gedauert hat. So gab es leider nur wenige Serien, bevor die (absolut sehenswerte) Inszenierung wieder abgesetzt wurde. Weiter werden in den Musical-Theatern zumindest an Wochenenden und Feiertagen zumeist zwei Vorstellungen gegeben, was für ein Opernhaus (außer vielleicht der New Yorker MET) auch unter Subventionen kaum finanzierbar sein dürfte.
    Natürlich lassen sich die nicht-subventionierten Musical-Theater all den dort betriebenen Aufwand entsprechend bezahlen. Selbst in den günstigen Preiskategorien zahlt man im Normalfall soviel, wie für zwei bis drei akzeptable Opernkarten im 3ten Rang der Staatsoper. Trotzdem, wie ich von Bekannten gehört habe, deren Sohn im König der Löwen spielt, werden die Musical-Darsteller schlecht bezahlt; z.B. wurde der Fahrdienst für Kinder gestrichen. Und auch sonst handelt es sich für viele mehr um einen Knochenjob, denn um einen Traumberuf.


    So glaube ich am Ende, dass sich die Oper aufgrund der grundsätzlich anderen Ausrichtung, ihrer Aufgaben und ihrer Möglichkeiten tatsächlich keine Scheibe abschneiden kann. Andererseits halte ich dies bzgl. der Hamburger Staatsoper auch garnicht für notwendig, denn hier wird zumeist ganz ausgezeichnetes Musiktheater höchst abwechslungsreich und noch dazu bezahlbar geboten. Selbiges gilt im Übrigen für die drei großen Hamburger Orchester (NDR-Sinfonieorchester, Philharmonisches Staatsorchester und Hamburger Symphoniker); insbesondere, wenn ich mir die Mondpreise der pro arte-Konzerte anschaue.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Bis vor einigen Jahren lief bei mir in Duisburg das Musical Les Miserables. Es wurde dann leider nach einigen Jahren abgesetzt mit der Begründung das die Handlung zu kompliziert sei und das Musical mit 3 Stunden Spielzeit schon etwas von einer Oper hätte und die meisten Leute lieber in so ein einfallloses Musical wie Starlight Express gehen würden. Viele der Sänger von Les miserables waren ausgebildetete Opernsänger wie Hardwig Rudolz der den Javert gesungen hatte. Und viele Sänger waren vorher auch an kleineren und mittleren Opernhäusern beschäftigt. Leider ist es so, dass die meisten ein Musical nur wegen der Showeffekte besuchen.

  • Lieber MSchenk, lieber Rodolfo39


    Ich will meine Forderungen ja gar nicht so hoch schrauben. Natürlich ist in einem extra für nur ein Stück gebauten Theater viel mehr möglich als in einem Repertoirehaus. Aber auch im Repertoiretheater sollten (nicht nur gesangliche, sondern auch) visuelle Erlebnisse möglich sein, welche ggf. auch ein bildungsbereites Musicalpublikum dazu bringen könnte, auch in die Oper zu gehen. Es muss ja nicht immer Traviata in der letzten Ausstattung aus den 1970er Jahren sein, aber auch nicht so eine wie der Biogastannhäuser in Bayreuth oder der Münchener Troubadour (beides sicher nicht preiswerte Installationen).


    Ganz interessant in diesem Zusammenhang: Vor etwa 14 Tagen hatten wir eine Hinterbühnenführung in dem neuen Opernhaus in Oslo. Ein toller Neubau mit schätzungsweise dem Vierfachen an Fläche für Hinter- und Seitenbühnen als in Hamburg, und modernsten technischen Einrichtungen. Trotzdem, so berichtete die zum Haus gehörende Führerin, habe man einen bühnentechnisch hervorragenden und vom Publikum gern gesehenen Tannhäuser vom Spielplan nehmen müssen, da das Haus für die vorbereitenden Umbauten für jeweils 4 Wochen hätte geschlossen werden müssen. Dabei werden in Oslo allenfalls 2 Stücke parallel gespielt. Ich will nicht dem Stagione-Prinzip (mit weniger Umbauten zwischen den Stücken) das Wort reden, ich meine nur, die Inszenatoren und Bühnenbildner sollten mehr berücksichtigen, dass der Operngeher / die Operngeherin während des Stücks nicht unbedingt die Augen schließen möchte, wozu mir einmal eine Zuschauerin für den aktuellen 3. Akt der Walküre in Hamburg (verlauste Walküren in einem zerbombten Keller) riet.


    Les Miserables habe ich einmal als Film gesehen, in dem die Schauspieler sangen, einfach unerträglich. Es gibt für mich aber auch ein Gegenbeispiel: Moulin Rouge (eine Art Traviata/Kameliendame-Film) von Baz Luhrmann. Das geht zwar häufig auch nicht über Sprechgesang hinaus, durch die visuellen Effekte und rasenden Schnitte gewinnt das Filmmusical aber ein beeindruckendes Eigenleben.

    Oper lebt von den Stimmen, Stimmenbeurteilung bleibt subjektiv

  • die „Show“ war so überwältigend, dass sie von den Zuschauern am Schluss mit stehenden Ovationen gefeiert wurde. Man hat für sein vieles Geld (für den Eintritt bekommt man im Opernhaus in der Regel einen sehr guten Platz) einen Gegenwert erhalten.
    Wenn man sieht, was in dieser nicht staatlich subventionierten Branche bühnentechnisch und illusionistisch möglich
    ist, fragt man sich nicht mehr, warum unsere Operninszenierungen immer häufiger keine genügenden Zuschauerzahlen
    erreichen. Vermutlich ist es in unseren Opernhäusern künstlerische Absicht, den Durchschnittsbesucher, der für sein
    schwer verdientes Geld auch einen optischen Gegenwert erhalten möchte, zu vergraulen. Meine Quintessenz: Wir
    Operngänger und -gängerinnen haben keinen Grund mehr, mild lächelnd auf die kommerziellen Musicaltheater herabzublicken.


    Das führt mich zu der Frage, was denn Ziel einer Opernaufführung sein soll. Meiner Meinung nach darf es nicht primäres Ziel von Oper sein, auf "Show" abzuzielen und dem Besucher einen "optischen Gegenwert" für sein Geld zu liefern. Darin sehe ich gerade eines der Unterscheidungsmerkmale zwischen Oper und Musical. Oper darf auch Unterhaltung sein, aber das ist nicht ihr Wesensmerkmal. Unterhaltsamkeit ist kein notwendiges Kriterium für eine gelungene Opernaufführung und schon gar kein hinreichendes.


    Ich bin allerdings auch nicht der Meinung, dass unterhaltsame Opernaufführungen verboten sind, zeitweise schlug das Pendel vielleicht zu sehr in diese Richtung aus. Aber gerade in den letzten Jahren gibt es ja durchaus wieder Regisseure, die stärker auf Unterhaltung und Showeffekte setzen. Man denke an La Fura dels Baus, deren Aufführungen mir allerdings überhaupt nicht zusagen, oder Barry Koskys Regiearbeiten.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Für mich hinkt dieser Vergleich. Ich habe grundsätzlich nichts gegen Musical, aber für mich stellt die Oper einfach höhere Ansprüche. Da müssen für mich die Komponenten Musik, Sänger und Inszenierung auf einem hohen Lewel sein. Nur wenn dies der Fall ist, werde ich ein Opernhaus betreten. Ansonsten werden Plattenspieler oder DVD-Player angeschmissen. :yes:

    W.S.

  • Zitat

    Die musikalischen und gesanglichen Seiten des Stücks sind für sich allein nicht tragfähig (es wird auch weniger professionell gesungen, als vielmehr eine Art Sprechgesang mit eingeschränktem Frequenzbereich vorgetragen).


    Das erklärt doch die Unvergleichbarkeit mit der Oper beinahe schon vollständig. Es ist eine Show, die an einen Massengeschmack appelliert, und es gibt (viel) mehr Leute, die bereit sind, dafür kräftig zu zahlen. (Mir müsste man vermutlich Geld zahlen, damit ich da hinginge... ;))
    Phantasialand braucht meines Wissens auch keine öffentlichen Subventionen.


    (Immer funktioniert das allerdings auch nicht; einige der Musicaltheater in Süddeutschland(?) verschlangen meiner Erinnerung nach einiges an Subventionen, weil sie viel schlechter liefen als erwartet. Oder man nehme das Nürburgring-Desaster.)


    Moderation: Bitte ein wenig auf kompakte Titel achten!
    Ich ändere die zwar jetzt nicht und das System kommt anscheinend auch gut damit klar, aber dass ein Titel mehr als zwei Zeilen in der normalen Forendarstellung umfasst, finde ich unschön und mehr als eine Zeile ist i.d.R. auch unnötig.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)