Alles Harnoncourt oder was? Geschmacksverschiebungen in Sachen Mozartinterpretation und wie es dazu kam.

  • Seit meiner Registrierung bei Tamino (Juli 2006) bis heute hat sich hinsichtlich meiner Sicht auf Mozarts Musik und der Interpretation seiner Werke langsam aber doch stetig etwas geändert. Diese leichten Änderungen sind für mich selbst so erstaunlich, dass ich auf die Idee kam, etwas darüber bei Tamino zu schreiben.


    Als Kind und Jugendlicher habe ich Mozart noch abgelehnt. Meine Helden hießen damals Bach und Beethoven (sie sind es ja heute auch noch…). Mit Mozarts Musik konnte ich eher wenig anfangen, vielleicht weil sie weder die bachsche Logik (sie ist ja auch logisch, aber eben auf mozartinische Weise) mit den bewegten Bässen des Bachstils beinhaltet, noch mir den beethovenschen Zorn und seine Wucht bot, auf den ein junger Mensch ja gut ansprechbar sein kann (meine männlichen Klassenkameraden hörten ja dann auch harten Rock, wie z.B. AC/DC ). „Mozart hören“ galt in meiner Schule als Mobbinggrund und wurde mit „Klassik hören“ gleichgesetzt.
    Als Harnoncourt, Leonhardt und Brüggen in den 70ern mit ihren Bachaufnahmen herauskamen und ich es nach einer ersten Ablehnungsphase sehr sehr enthusiastisch aufnahm, war ein wichtiger Grundstein für meine Harnoncourt-Begeisterung gelegt. Das überzeugte mich viel mehr, als was ich vom Collegium aureum, Karl Richter oder anderen Interpreten kannte.


    In den 80er-Jahren dann bekam Harnoncourt Anfragen von „normalen“ Symphonieorchestern, und er begann damit, in seiner von mir wahrgenommenen Aufnahmetätigkeit vom Bereich Alte Musik weiter in der Musikgeschichte voranzugehen und Mozart aufzunehmen. Das hat mich, der ich Mozart eigentlich nicht viel abgewinnen konnte, dazu gebracht, diese LPs zu kaufen. Mich konnten diese Aufnahmen der „Haffner“, der „Prager“ oder der „Jupiter“-Symphonie sehr begeistern, und ich begann mich zunehmend für Mozart zu interessieren. Dass es nicht mehr so „verzärtelt“, sondern so kraftstrotzend wie ein Beethoven klang, das mochte ich. In der Bielefelder Oekterhalle habe ich seinen Mozart auch live mit den Wiener Symphonikern gehört und war tief beeindruckt, ja betroffen von diesem Mozart. Also besorgte ich mir die Partituren und versuchte zu verstehen, wiese „der das da so macht“. Dazu kam ja, dass ich mich ja schon einige Jahre zuvor mit den Schulbüchern der alten Meister wie Mattheson, Quantz oder C.P.E. Bach begann auseinanderzusetzen. Im Klavierunterricht der Musikschule musste ich dann auch Mozart spielen und wurde damit auch als Ausübender besser mit ihm bekannt.


    Möglicherweise ist einigen hier nicht entgangen, dass ich die Mozartinterpretationen Harnoncourt im Forum (es liegen nun viele Jahre dazwischen) meistens positiv beurteilte. Dennoch will ich nicht verhehlen, dass sich mein Mozartbild hinsichtlich der Interpretation gerade in den letzten Jahren erst unmerklich, aber dann doch erkennbar modifiziert . Erst neulich hörte ich in einen Mozart mit Harnoncourt hinein, erkannte natürlich sofort die vertraute Handschrift, kam ob der Heftigkeit selbst der leichten Akzente doch zunehmend ins Zweifeln. "Warum soll man denn auch die kleinen sFs oder andere Akzente, die vielleicht gar nicht in der Partitur stehen, aber sich aus dem klangrednerischen Zusammenhang ergeben, als kleine oder größere Explosionen spielen?" habe ich mich gefragt.


    Was ist da geschehen? Lehne ich Harnoncourts Mozart jetzt etwa ab?
    Nun, in vielen wichtigen Aspekten durchaus nicht, aber manchmal hat sich mein Geschmack dann doch von ihm etwas entfernt, weil eben noch andere ebenfalls wichtige Aspekte seines Personalstils eine Rolle spielen, die mir im Falle Mozarts teilweise als Weg in den Irrtum vorkamen/vorkommen. Es wäre nicht das erste Mal, dass die besonderen Vorzüge einer Persönlichkeit (sei es nun als Musiker/Interpret oder auch sonst im wirklichen Leben als Mensch) gleichzeitig -gerade in Spätphasen- zu Nachteilen werden können. Auch bei der Biografie und dem ebenfalls recht eigenen Stil Karajans kann man solche Dinge teilweise (nie generell!) beobachten.


    Doch der Reihe nach:


    Harnoncourt brachte in die Diskussion unglaublich wichtige Elemente in aufführungspraktischer Hinsicht ein. Damit meine ich jetzt nicht irgendeinen Zwang zu Originalinstrumenten, sondern vielmehr ein Ohren öffnendes Verständnis dieser Musik in der Verbindung zur Grammatik, zur Syntax und zu den Vokabeln einer Sprache. Mozarts Stil ist zwar einerseits so singulär, als wenn diese Super-Begabung vom Himmel gefallen wäre, andererseits jedoch auch sehr historisch im Barock und in der Frühklassik verwurzelt. Aus diesem Grund sind die Gestik und die Rhetorik (wie bei einem Redner) wichtige Elemente der Werke Mozarts. Diese Übertragung in den Bereichen Artikulation, Kleindynamik, Phrasierung und Gestik aus dem Barock in die Musik Mozarts und Haydns, ist einer seiner Verdienste. Für so manche Stelle konnte Harnoncourt einem Aha-Erlebnisse verschaffen, gerade wenn es um Phrasierungen und gestisch-sprachliche Zusammenhänge ging.


    Doch was gäbe es denn da kritisch anzumerken? Für mich drei Dinge:


    1. eine zeitweilig kantig-martialische Überschärfung von Kontrasten, Akzenten und kantigen Aufbrüchen, die Mozart an manchen Stellen als revolutionären Hau-drauf erklingen lassen. Es wird dann so, als ob man in Photoshop die Kontraste eines Bildes übertrieben hochfährt. Damit verbunden ist auch mein zweiter Punkt:
    2. die ebenfalls in gewissen Fällen zu plakative und deshalb auch wenig natürlich fließende Darstellung von durchaus sehr richtig erkannten Dingen. Das kann sich auf die zu ruppigen Akzente beziehen oder auch auf manche Freiheiten im Agogischen. Durch diese Maßnahmen kommt als Hörer man im Resultat zu
    3. dem zeitweiligen Eindruck, dass die Musik manchmal unorganisch-viereckig voranmarschiert und nicht genug fließt. Was dann auf der Strecke bleibt, ist Eleganz, Lieblichkeit und ein gewisser Zauber, der sich dann einstellt, wenn man nicht unbedingt als Interpret etwas „will“, sondern wenn dieser unangestrengt aus der Musik herausfließen darf.


    Ich möchte betonen, dass ich das nicht bei allen Aufführungen Harnoncourts so höre und meine. Aber u.a. durch das Kennenlernen von anderen Mozart-Einspielungen kam ich oft zu der Erkenntnis, dass viele Dinge, die er macht (z.B. auch auf der DVD mit der Prager Symphonie und dem Concentus musicus Wien) eigentlich ganz wunderbar detailliert erkannt sind, ja dass er oft rechthat. Umso mehr ist es dann schade, wenn dieses "zuviel" oder "zu doll", "zu heftig" dann zuschlägt und sich eine Interpretation, die sehr oft die theoretischen Gene einer neuer Referenzeinspielung in sich hat, sich dann selbst wieder angreifbar macht und sich bildlich gesprochen selbst ein Bein stellt.
    Es fehlt oft nur, dass die Akzente in einen natürlicheren organischen Gestus eingebaut würden und die Klangschönheit mehr berücksichtigt würde.


    Welche Aufnahmen/Einspielungen haben mir ein anderes interpretatorisches Mozartideal aufgezeigt?
    Da könnte ich z.B. Julia Fischer mit den Violinkonzerten anführen, die vom leider schon verstorbenden Yakow Kreizberg dirigiert wurden:



    Sind diese Aufnahmen historisch informiert? Ja, natürlich. In der Zwischenzeit haben sich "normalen" Musiker dieses Kalibers längst mit den musikhistorischen Grundsätzen eines Mozartstils auseinandergesetzt und ließen das in die Spielweise einfließen. Dennoch verwenden sie weiter jene Instrumente, mit denen sie sich am besten ausdrücken können und nutzen auch deren Vorzüge aus.


    Mitsuko Uchida hat an meiner geänderten Mozart-Sicht ebenso einen sehr wichtigen Anteil. Sie lässt der Musik das Wundervolle und Geheimnisvolle und zerschlägt sie niemals durch eine zu plakative Brutalität, weder als Pianistin, noch als Dirigentin der Klavierkonzerte (vom Flügel aus):



    Unfassbar gut gelungen ist eine SACD, die ich vor kurzem erhielt, und die ich mit großer Sicherheit zu den schönsten und besten Aufnahmen meines gesamten Bestandes zähle:



    Hier passt wirklich einfach alles. Es ist ein aktuelles Mozartspiel, wie es schöner nicht sein kann. Alle Vorteile der Dirigenten Krips, Haitink oder Harnoncourt scheinen irgendwie mitzuschwingen, die Nachteile indes nicht. Es ist das reine Mozart-Glück. Ich habe vor, dazu einmal mehr unter der Kategorie „unverzichtbare Aufnahmen“ zu sagen. Ja, ich versteige mich zu der Behauptung, dass ich hier eine meiner besten CDs überhaupt in den Händen halte.


    Ebenso habe ich mittlerweile diese schöne Aufnahme des A-Dur Klarinettenkonzerts mit Sabine Meyer und Hans Vonk kennenlernen dürfen, die ich sofort als referenzwürdig ansah, auch gegenüber einer weiteren durchaus schönen Aufnahme Meyers mit Abbado und dem BPO:



    Auf der Abschieds-CD Brendels befinden sich Klavierkonzerte mit Mackerras am Dirigentenpult. Auch diese begannen mich immer mehr zu überzeugen und für sich einzunehmen:



    Angefangen hat mein leises Zweifeln am herrischen Mozart ironischerweise mit diesen beiden hervorragenden Harnoncourt-Aufnahmen, bei mit dem Pianisten Friedrich Gulda:



    Hier fehlt das allzusehr Zeigende, das forcierte Übertreiben, das „Dreinhauen“. Wenn es heftigere Akzente gibt, dann sind sie aus meiner Sicht auch musikalisch geboten und in der dort zu hörenden Ausführung so auch vertretbar. Es ist hier eigentlich ein kongeniales herrliches Mozart-Musizieren zu hören, welches man sich bei anderen Harnoncourt-Aufnahmen auch in dieser fließenden Natürlichkeit so wünschen könnte. Hier gibt es eine Fülle von guten Ideen und Verständnis für die Zusammenhänge der Musik. Vor allem wirkt es nicht so gewollt, sondern strahlt eine natürliche Wärme aus. Beide Konzerte haben bei mir immer noch Referenzstatus, auch was die Leistungen Guldas anbelangt, der offenkundig und zum Glück nicht durchsetzen konnte, dass die Mikrofone direkt in das Klavier gesteckt wurden.


    Und ja, einige werden es mit gewisser Genugtuung zur Kenntnis nehmen: Auch die Aufnahme des A-Dur Klarinettenkonzerts mit Böhm



    und vor allem die überaus gelungene Zauberflöte



    haben mich auch auf diesen Dirigenten, den ich lange Zeit als Antipoden meiner frühen Mozartauffassung ansah, neugierig gemacht.
    Manche seiner Aufnahmen wirken auf mich auch noch in 2015 geradezu als ideal, bei einigen Stellen wünschte man sich mehr Flexibilität in der Einzeltondynamik und mehr bewegte Gestik. Das es das bei ihm noch nicht gab, hat interpretationshistorische Gründe, aber es fällt durchaus nicht bei allen Stücken auf (bei der Zauberflöte z.B. gar nicht) Mir gefällt bei ihm unter anderem, dass er sich verhasteten Tempi verweigert, sondern einen narrativen Tonfall favorisiert, den ich sehr mag.


    Die heutigen guten Orchester und Dirigenten haben die wichtigen Impulse Harnoncourts für die Mozart-Interpretation so aufgenommen, wie die etablierten Parteien in Deutschland den Umweltschutzgedanken der Grünen assimilierten.


    Stimme ich nun in den Chor der Harnoncourt-Basher ein? Nein, auf keinen Fall! Hoffentlich missverstehen diejenigen, die das gerne betreiben, mein Posting nicht als Einladung dazu. Ich finde nur - wie gesagt- , dass er sehr oft genau die richtigen Dinge erkannte, gute Interpretationsideen hatte, aber in der praktischen Ausführung an so mancher Stelle zu heftig zulangte. Das Klangbild ließ es dann an Wohlklang vermissen. Bei der TV-Übertragung der drei letzten Mozart-Symphonien (die Sache mit dem Oratorium) ging meine Frau spätestens beim ersten Satz der Jupiter-Symphonie aus dem Hörzimmer, mit der Begründung, dass es für sie einfach zu anstrengend wäre. Es klang auch für mich in der Tat nicht unbedingt nach harmonischen Frühlingslandschaften, sondern viel eher nach einem Katastrophenfilm i.S.v. „The Day After“, um es einmal plakativ auszudrücken. Wissend, dass bei dieser Musik keine Frühlingslandschaften dargestellt werden sollen, bringe ich dennoch das Bild, um meine Beschreibungen irgendwie zu illustrieren.


    „Man soll den Mozart nicht misshandeln“ hat der greise Böhm damals gesagt. Damals nahm ich ihm den Ausspruch übel, aber heute finde ich, dass er durchaus berechtigt war. Man sollte als Dirigent das Zauberhafte dieses Komponisten nicht mit bloßen Fäusten zerschlagen. Das heißt ja nicht, dass man einen Akzent oder alle diese Dinge ignorieren oder – wie es vielleicht Karajan machte- alles zugunsten eines Klangstroms einebnen müsse. Auch damit würde Mozart reduziert. „Less is more“ möchte ich beim Hören eines Harnoncourt-Mozarts manchmal ausrufen - und doch bin ich froh, die Aufnahme zu haben, weil es dennoch so viel daran zu lernen gibt.


    Die Frage dieses Threadversuchs, so er denn auf Interesse stößt, könnte also lauten:
    Bin ich der Einzige, der seine Meinung oder auch seinen Geschmack zur Mozartinterpretation modifiziert/erweitert hat?
    Gibt es auch andere Taminos, die im Laufe der Jahre vergleichbare Veränderungen erfahren haben? Wodurch ist das geschehen und warum?

    Mein Mozartgeschmack war von Anfang an sehr durch Harnoncourt beeinflußt, aber bei anderen kann es ja Verschiebungen/Prägungen ganz anderer Art gegeben haben - oder auch nicht. Es wäre doch einmal interessant, etwas darüber zu erfahren, gerne auch mit CD-Beispielen oder anderen medialen Möglichkeiten.
    Der Thread soll ja nicht zu einer einzigen Harnoncourt-Diskussion werden - davon gibt es ja schon viele. Dennoch wären natürlich auch Kommentare zu meinem -wieder einmal zu langem Posting :pfeif: - willkommen.


    Gruß
    Glockenton


    PS.: ich glaube sagen zu können, dass ich jetzt Mozart viel mehr liebe, als früher. Auf 80% meiner letzten CD-Bestellungen stand der Name Mozart `drauf...

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Ich habe Mozarts Sinfonien (und einzelne weitere Werke) als Teenager mit einer bunten Mischung an Interpretationen kennengelernt: Sinfonien 38+39 mit Sawallisch, ein Album "Salzburger Sinfonien" mit dem jungen Gustav Kuhn und dem Mozarteum-Orchester, das letzte Klavierkonzert in der alten VOX?-Aufnahme Brendels, 40+41 mit Klemperer, Krönungsmesse mit dem Coll. Aureum/Tölzer Knabenchor, Querschnitte von Zauberflöte und Don Giovanni und schließlich eine Sammelbox, die Sinfonien mit Marriner, Krips, Davis, Jochum... und die 4 letzten mit Böhm enthielt. Als Einsteiger habe ich da keine allzu großen Interpretationsunterschiede festgestellt, zumal ich sicher auch kaum systematisch verglichen habe und mir ja nur für ein paar Stücke zwei Aufnahmen vorlagen. Aus rein praktischen Gründen habe ich Klemperers 40/41 häufiger gehört, weil das eine MC war, keine Platte. Zwar war Beethoven mein Favorit, aber ich schätzte viele Werke Mozart ähnlich hoch, etwa die letzten 4-6 Sinfonien oder auch die frühen g-moll und A-Dur. Auch anhand der genannten eher "traditionellen" Interpretationen war offensichtlich, dass einige dieser Werke ein anderes Kaliber waren als Kleine Nachtmusik oder Konzert für Flöte/Harfe.


    Ich weiß nicht mehr genau, wann es war. Vielleicht als 1991/92 Harnoncourts Beethoven-Zyklus herauskam, vielleicht schon etwas vorher, aber aus irgendwelchen Gründen habe ich Harnoncourts 40/41 gekauft, die in einer der günstigen Teldec-Reihen erschienen war. Das war eine "Offenbarung", besonders im Falle der g-moll-Sinfonie. Ich habe dann relativ bald wohl mindestens noch 35-38 nachgekauft, später im Laufe der Zeit auch die restlichen Concertgebouw-Aufnahmen. Nach wie vor gehören einige davon, zB 25,31,35,36,39,40 zu meinen favorisierten Interpretationen.


    Dass das teilweise extreme Lesarten sind, die "Eleganz" weitgehend vermissen lassen, würde ich sofort einräumen. Ich bin auch ziemlich sicher, dass das artifizielle Mikromanagement in Agogik, Artikulation usw. unhistorisch ist (mit einer Durchspielprobe, was anno 1780 *viel* war, wäre das völlig unmöglich umzusetzen). Ungeachtet dieser Einseitigkeit halte ich sie doch für vielschichtiger als viele "traditionelle" Interpretationen, die oft außer "Eleganz" alles andere vermissen lassen (und in vieler Hinsicht natürlich genauso unhistorisch sind).


    Und anhand der Aufnahmen, die ich inzwischen gehört habe, finde ich zB Böhms oder Krips' Aufnahmen der Sinfonien selbst anhand dessen, was lange vor HIP zur Verfügung stand, eindimensional und langweilig. (Marriner ist wenigstens transparent und spritzig.) Man nehme Furtwängler, Schuricht oder E. Kleiber in der g-moll-Sinfonie, die Aufnahmen Klemperers und Szells, Markevitch in 34 und 38.
    Böhm war ein großartiger Wagnerdirigent (vermutlich auch bei R. Strauss) und live auf dem Podium oder der Opernbühne (einige seiner Mozart-Opern-Aufnahme schätze ich durchaus, wobei ich die so berühmte Zauberflöte leider auch als untheatralisch und etwas fad in Erinnerung habe) mögen seine Mozart-Interpretationen leidenschaftlicher und packender gewesen sein, aber diese Studio-Mozartsinfonien sind für mich "kalt" und uninteressant.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Mozarts Stil ist zwar einerseits so singulär, als wenn diese Super-Begabung vom Himmel gefallen wäre, andererseits jedoch auch sehr historisch im Barock und in der Frühklassik verwurzelt. Aus diesem Grund sind die Gestik und die Rhetorik (wie bei einem Redner) wichtige Elemente der Werke Mozarts.


    Lieber Glockenton,


    ein wunderbarer Beitrag wieder mal von Dir! Ich bin im Moment etwas im Zeitdruck wegen des Schreibens eines Vortrags und entschuldige mich deshalb, dass mein ausführlicher Beitrag noch etwas auf sich warten läßt.


    Den Aspekt der Wiederentdeckung des Rhetorischen finde ich auch zentral. Rhetorisch sprechender (und für manche ähnlich irritierend wie Harnoncourt) als der späte ABM hat für mich noch niemand die Mozart-Konzerte interpretiert. Aber dazu später mehr!



    Mit herzlichen Sonntagsgrüßen
    Holger

  • Hat sich mein Mozartbild im Laufe meines Lebens verändert ? Notwendigerweise JA.
    Wenn man meine Beiträge hier liest, dann könnte man den Eindruck gewinnen, ich hätte die Aufnahmen unter Karl Böhm wie Muttermilch aufgesogen. Aber das war durchaus nicht der Fall. Zum einen war Böhm im Hochpreis-Segment angesiedelt, welches ich mir mit 15 kaum leisten konnte - zum anderen war ich damals noch auf niemanden fixiert. Meine Fixierung auf Böhm - wenn man das damals überhaupt so nennen durfte - kam erst als ich 30 oder 31 Jahre alt war. Aber auch damals - ich erinnere mich genau - nahm ich jene Einspielungen, welche relativ erschwinglich waren. Relativ deshalb, weil es ein Budget-Segment im heutigen Sinne noch nicht gab. Im Rahmen eines Auslandsurlaubs (ich glaube es war 1971) erwarb ich bei einem mehrstündigen Zwischenaufenthalt in Graz Mozarts Jupiter-Sinfonie und der Nr 40 - unter Ferencz Fricsay. Diese Aufnahme halte ich auch heute noch für eine der besten - und wenn ich mich richtig erinnere ist sie sogar jener von Karl Böhm vorzuziehen.


    .


    Fricsay hat indes nicht alle Mozart Sinfonien aufgenommen. Nr 29 besaß ich unter Karajan mit den Berliner Philharmonikern (EMI) Pariser und Linzer Sinfonie unter Theodor Guschlbauer (Erato, Orchester unbekannt).
    Aber Mozart hat ja nicht nur Sinfonien geschrieben, sondern auch Konzerte.
    Hier gab es dann schon Böhm Aufnahmen mit Pollini und Gilels - indes - anders als man vermuten sollte ist die Anzahl der Konzertaufnahmen unter Böhm ebenfalls eher spärlich. Daher gab es in meiner Sammlung das Konzert für 2 Klaviere mit Clara Haskil und Geza Anda unter Alceo Galliera. Die heute als legendär geltenden Aufnahmen der Klavierkonzerte Nr 22 und 23 unter Szell mit Robert Casadesus als Solist, war damals im Abverkauf, weil rauschende CBS Pressungen in Europa schwer verkäuflich sind.
    Kommen wir zu meinem "Leitbild" Karl Böhm. Böhms Mozart galt damals als das Maß aller Dinge - oder aber auch als das "goldene Mittelmaß" Man hatte stets den Eindruck: "So und nicht anders" muß es klingen. Böhms "Geheimnis" waren vermutlich die Proportionen der Tempi zueinander. Sie passten immer - unabhängig vom Haupttempo.
    Es gab natürlich auch andere Mozart-Dirigenten: Szells eiserne Strenge war beinahe militärisch - aber Mozart klang wunderbar - war nicht zerstörbar. Etwas milder, aber tendenziell ähnlich würde ich das Dirigat der Sinfonien unter Krips sehen.
    Klemperers Beethovennaher Mozart galt als Fehlinterpretation auf höchstem Niveau - ich fand die Aufnahmen indes beeindruckend.
    Als die Aufnahmen von Mozarts Klavierkonzerten mit "The Academy of St. Martins in the Field" unter Neville Marriner - mit Alfred Brendel am Klavier - auf den Markt kamen, war ich zu Beginn nicht unbedingt begeistert - ich beurteile die Aufnahmen heute wesentlich positiver als zum Zeitpunkt ihres Erscheinens.
    Mit Einführung der CD verschwanden (meist nur vorübergehend - aber das wusste damals noch niemand) zahlreiche Aufnahmen aus den Katalogen - und ich war gezwungen neue Lieblinge zu suchen. Harnoncourt wanderte zu diesem Zeitpunkt vermehrt in meine Sammlung - aber die Einwände die schon Glockenton vorsichtig anspricht waren für mich damals gravierend. Mir gefielen gelinde gesagt die Aufnahmen nicht- heute sehe ich das milder.
    Ich wich auf Eugen Jochums Aufnahmen mit den Bambergern aus - aber vor allem die Aufnahmen von Karl Münchinger und seinem Orchester "Klassische Philharmonie Stuttgart" (nicht zu verwechseln mit dem heutigen Orchester gleichen Namens) haben mir gefallen - das Orchester hatte einen ganz spezifischen unverwechselbaren warmen Klang.



    Natürlich gab es auch Bruno Walter und andere Mozartgrößen in meiner Sammlung - Ich war nicht auf EINEN Mozartklang fixiert. ABER es gab gewisse Grundregeln - gegen die nicht verstoßen werden durfte - was heute leider allzuoft geschieht.
    Warum das so ist - wie ausgeprägt ich es empfinde und wie ich damit umgehe - demnächst in einem weiteren Beitrag aus meiner Feder in diesem Thread.


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Kann ich darauf antworten?
    Nicht. Ich kann nur eigenes Erleben nachvollziehen.
    Über Suitner und Böhm einerseits, Harnoncourt und Immerseel anderseits.
    Mozart bleibt nach wie vor ein "inneres Schlachtfeld".


    Wo finde ich heute, auch nicht mehr so jung, meinen Platz in der Rezeption?
    Weder bei Kuschelbauern...äh, verschrieb ich mich?.. noch bei "freien Radikalen".
    Von Vegh schrieb ich eben schon: Stil zählt. So wenig der festzmachen ist.


    Bei allem meinem Suchen um den "richtigen" Mozart habe ich vielerlei Wege beschritten und vieles gehört und respektiert.
    Jaja, auch Cembali und Hammerflügel, nebst allem Pastosem von Karl Böhm...
    heute weiß ich nur, dass ich nichts weiß.
    Und dass Szell auf seine Art Mozart überzeugend musiziert, auch Vegh sowie Brüggen, der mir die schönsten Momente beschert hat.
    Unliebsamerweise hier auch Siegbert Rampe an Cembalo und Steinschem Hammerflügel. Rampe weiß abzuwägen zwischen verschiedensten Piani und Mezzoforti - um nur selten richtig laut zu werden wie im Finalsatz der c-moll-Sonate.
    Nix von "Fortist" bei ihm, sondern von höchst sensibler Lesart, die gleichlautend mit Hindemith noch immer lautet: Pausen sind das Wichtigste in der Musik. Also Stille. Was nun der Steinway nicht so besonders gut beherrscht....


    Mozarts gewisse Geschwätzigkeit lässt sich nicht füllen mittels Hörerfahrungen des 20. Jahrhunderts, sondern will aus seiner Zeit, aus seinem Umfeld heraus begriffen werden.
    Außer natürlich, er schriebe hier....


    frotzelnd herzlich: Mike

  • Mozart wurde ja immer schon von Hörern ihrer Zeit für sich zurechtgebogen. Das ist ja nichts Neues.
    ich habe übrigens Sandor Vegh zu erwähnen vergessen. Leider hat auch er nur - gemessen an Mozarts Gesamtwerk - relativ wenig hinterlassen. Das teilt er mit den anderen Mozart-Dirigenten. Karl Böhm beispielsweise hat uns keinen kompletten Klavierkonzerte-Zyklus hinterlassen, ebensowenige wie eine Einspielung der Klavierkonzerte. Insofern hat sich bei mir in Sachen Mozartgeschmack nur unwesentlich etwas verändert - allerdings ist er "breiter geworden" Leider versuchen Dirigenten unserer Zeit stets zu zeigen, wie UNTERSCHIEDLICH man Mozart doch interpretieren kann. Das funktioniert in der Tat. Leider möchten die meisten Dirigenaten auch zeigen, wie INDIVIDUELL man ihn dirigieren kann, unter Nichtbeachtung aller Traditionen. Tradition ist ja heute scheinbar ebenso ein Reizwort wie "national" oder "Elite"
    Die besten Mozart dirigate, sind solche, die Mozart natürlich atmen lassen. Sowas verkauft sich heute schlecht, daher macht man es lieber gar nicht. Zum Mozartgeschmack und Gewöhnung an Interpretationsideale der jeweiligen Zeit demnächst mehr.


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ich habe versucht, etwas Mozart von Friscay nachzuhören, und zwar hier:



    wobei ich hier allerdings auf den Link "jetzt als mp3 kaufen" klicken musste, um die sehr kurzen Ausschnitte zu hören.


    In voller Länger kann man hier die Nr. 40 g-moll mit ihm hören:



    (hier befürchte ich, dass es die GEMA-Geschädigten Hörer in Deutschland wieder nicht von dort aus hören können....)


    Verglichen habe ich den ersten Satz dann mit meiner Böhm-Aufnahme:



    und dieser späteren Böhm-Aufnahme mit den Wiener Philharmonikern:



    Alle drei Einspielungen bevorzugen ein langsames, an Schubert erinnerndes Tempo. Friscay und Böhm/WPO sind im gleichen Tempo, Böhm/BPO ist etwas schneller, was mir hier besser gefällt, weil es ja ohnehin schon eine ziemlich langsame Herangehensweise ist. Vom Orchesterklang her mag ich wohl die BPO-Aufnahme am liebsten, allerdings vermute ich, dass die neuere Aufnahme mit den Wiener ggf. aufnahmetechnisch etwas moderner sein könnte ( ich habe sie nicht).


    Der Unterschied zur frühen Harnoncourt-Aufnahme mit dem Concertgebouw Orkest ist frappierend:



    wobei man sagen muss, dass der Orchesterklang bei dieser frühen Harnoncourt-Aufnahme trotz der nervös-forschen und gestisch sehr klangrednerischen Interpretation doch immer noch ein warmer, in sich homogener Orchestermischklang ist.


    Bei dieser Aufnahme, und noch mehr bei der schon bei Tamino eingehend diskutierten Live-Aufführung klingt es naturgemäß schon wegen des anderen HIP-Orchesters anders:



    Wenn man nur den HIP-Orchesterklang nimmt, dann klingt es bei Herreweghes Aufnahme im Vergleich dazu milder, runder und wärmer:


    ebenso auch bei Brüggen (auch hier nur wieder testweise zu hören, wenn man auf den Verkaufslink für die mp3s geht)


    Herreweghe scheint den ersten Satz nervöser zu sehen als Brüggen.


    Bei Hogwood klingt es heller und transparenter als bei Harnoncourt, allerdings auch kälter als bei allen anderen HIP-Orchestern. Er vermeidet die scharfen Akzente und Gesten Harnoncourts, bietet einem aber dafür nicht, wie bei Herreweghe oder Brüggen, einen "psychologischen" Gegenwert, sondern spielt einfach sauber und fehlerfrei. Mir ist das, ehrlich gesagt, zu langweilig, ganz unabhängig davon, dass es dort auch flotte Tempi gibt.


    Das Menuetto klingt in den alten Aufnahmen recht unhistorisch als "Nicht-Tanz" gespielt, also mit schon fast stampfenden Vierteln. Bei Harnoncourt wird es schon zum fetzigen Scherzo, was ich immer noch gutfinde. Den letzten Satz versteht Harnoncourt langsamer als die anderen Interpreten. Mir ist das zu langsam, weil die Mannheimer Rakete des Anfangs beim späten Mozart m.E. nicht mehr als solche zu spielen wäre. Hier bevorzuge ich ein etwas flüssigeres Tempo.


    Für den ersten Satz gefällt mir ganz ausgezeichnet diese Aufführung hier, von der ich mir sehr wünschte, dass es sie auch als Blue-ray oder CD zu kaufen gäbe:



    Hier wird die klangrednerisch-rhetorische Geste nicht vernachlässigt, allerdings ohne dem Klangbild die Schönheit und Wärme zu rauben. Es gibt eine Menge von schönen kammermusikalischen Details zu hören.


    Generell gesprochen finde ich - und hier ist ein Punkt für die gradweise Veränderung meines Interpretationsgeschmack für Mozart- dass man dieser Musik den Zauber lassen sollte. Dazu gehört, sie weder zu dramatisch aufgetürmt und schulmeisterlich zeigend mit Muskeln auszustatten, noch sie klanglich wie ein Mordopfer zu obduzieren, bzw. eine Röntgenaufnahme von ihr zu veröffentlichen. So wie eine schöne Frau lebend vor einem stehend auf mich anziehender wirkt als ihr Röntgenbild oder Obduktionsergebnis, so finde ich auch, dass man sich ein angenehmes Klangbild bei Mozart erhalten sollte. Das geschieht u.a. dadurch, dass man die dynamischen Grenzen der Instrumente nur ein absoluten Ausnahmefällen zur Anwendung bringt. Die meisten Instrumente klingen vom pp bis zu einem noch nicht forciertem f noch angenehm und bekommen nur beim darüberhinausgehenden Forcieren eine schneidend-scharfe Tonqualität.


    Ein narrativer Tonfall scheint mir für Mozart ebenso gut geeignet zu sein. Diese Musik erzählt Geschichten, aber sie brüllt sie uns nicht in die Ohren, finde ich.


    Später noch mehr dazu - jetzt muss ich es aus Zeitgründen mit diesem Beitrag bewenden lassen.


    Gruss
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Die späte Fricsay-Aufnahme grenzt m.E. ans Pathologische. Fricsay war todkrank und die Aufnahme ist extrem langsam (ähnliches gilt für eine live-Eroica auf der "Great Conductors"-Folge, das sind etwas problematische Dokumente) .
    (Ich habe keine Zweifel daran, dass ein sehr zügiges Tempo für die g-moll-Sinfonie (Kopfsatz) angemessener ist und man findet das auch schon auf historischen Aufnahmen, zB mit Furtwängler oder E. Kleiber, wenn auch nicht ganz so rasant wie Harnoncourt und andere HIPisten)


    Im Falle der Jupitersinfonie kann man mit einer Aufnahme aus dem Anfang der 1950er vergleichen, wie viel schlanker und lebhafter Fricsay damals diese Musik interpretiert hat. Es gibt von diesen früheren Aufnahmen auch noch eine exzellente "Haffner" und eine m.E etwas zu trockene und dünn klingende #29. Das französische Duo enthält vier Sinfonien in den späten Aufnahmen; das unten gezeigte (leider schon wieder vergriffen) die frühen Aufnahmen von 29,35,41 sowie die späten (weil einzigen) von 39 und 40.
    Die letzten drei Sinfonien (23.08.13 mitgeschnitten) mit Rattle sind übrigens auf CD als Kundenpräsent (oder so) der Deutschen Bank verfügbar gewesen (25 Jahre Partnerschaft mit den Berliner Philharmonikern, ich habe das mal gebraucht schnappen können), oder evtl. in der Digital Concert Hall


    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Hier eine kurze Geschichte zum Thema "Mozart-Geschmack". Sie handelt etwa um 2007 oder 2008 herum. Jahrelang hatte ich - vor allem durch die Einflüsse aus dem damals "Karl-Böhm-feindlichen" Forum keine Aufnahmen mehr von Böhms Mozart gehört, aber vor allem auch deswegen, weil ich die CD der Sinfonien Nr 40 und 41 gar nicht von ihm besaß. Ich war damals sparsamer und kaufte ungern eine Aufnahme, die ich bereits als LP in meiner Sammlung gehabt hatte, ein zweites Mal. Irgendwann aber entschloss ich mich doch, die Aufnahme dieser Sinfonien mit den Wiener Philharmonikern zu kaufen. Ich legte die Scheibe auf, setzte mein Kopfhörer (AKG 500) auf und begann zu hören. Irgendwie war ich enttäuscht. Eher moderat und neutral klang es für mich. Sollten alle jene recht behalten haben, die Böhm immer als "Langweiler" dargestellt hatten? Hatte mir erst der Umgang mit Harnoncourt, Norrington und anderen die Ohren geöffnet?
    Während ich noch darüber nachdachte, bemerkte ich, daß ich mit den Beinen im Takt mitwippte. Ja da war er wieder, der elegante, der leicht federnde Interpretationsansatz von Böhm und der betörende Klang der Wiener Philharmoniker. Ich war zufrieden. Interessant ist immerhin - und es war für mich lehrreich - wie sehr das jeweilige musikalische Umfeld (ich meine hier nicht das Forum, sondern die zu jenem Zeitpunkt öfter gehörten Aufnahmen) auf den "Geschmack" Einfluß ausüben kann - wenngleich meist nur temporär.....


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Die letzten drei Sinfonien (23.08.13 mitgeschnitten) mit Rattle sind übrigens auf CD als Kundenpräsent (oder so) der Deutschen Bank verfügbar gewesen (25 Jahre Partnerschaft mit den Berliner Philharmonikern, ich habe das mal gebraucht schnappen können), oder evtl. in der Digital Concert Hall

    Wo hast Du es gebraucht schnappen können, wenn ich einmal fragen darf? Ich hätte die auch sehr gerne, weil dieser von mir verlinkte Ausschnitt meiner Vorstellung, wie man so etwas heute am besten spielen sollte, mit am nahesten kommt. Der erste Satz klingt hier weder nervös noch "pathologisch", wie Du es nennst, sondern klangschön, sehr detailliert, ausdrucksstark und konzeptionell gut durchdacht. Das mit der Digital-Concert-Hall ginge ja auch, aber ich will die Musik haben, nicht streamen (ganz abgesehen davon, dass meine GB im Monat aufgrund meiner Wohnlage quotiert sind). Sie haben ja jetzt einen Schubert-Zyklus mit Harnoncourt offline herausgebracht, ebenso die Schumann-Symphonien mit Rattle. Es wäre sehr sehr schön, wenn die Berliner Philharmoniker sich auch noch entschlössen, diese Aufnahmen nicht nur für gute Kunden der Deutschen Bank, sondern für ernsthaft interessierte Klassikhörer in aller Welt offline herauszugeben. Ich werde einmal schauen, ob ich im Netz die von Dir beschriebene Deutsche-Bank-Ausgabe irgendwo gebraucht finde....



    Zitat von Alfred

    Interessant ist immerhin - und es war für mich lehrreich - wie sehr das jeweilige musikalische Umfeld (ich meine hier nicht das Forum, sondern die zu jenem Zeitpunkt öfter gehörten Aufnahmen) auf den "Geschmack" Einfluß aus üben kann - wenngleich meist nur temporär.....

    Ja, das kenne ich auch. Man wird durch das Reden von Anderen bis zu einem gewissen Grad hin auch beeinflusst. Letztendlich setzt sich aber doch der eigene Geschmack durch, der sich durch eigenes Hören im Laufe der Jahre bildet - aber eben auch sich erweitern und langsam verändert kann.


    Gruß
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Meine Mozart-Sozialisierung lief quasi „rückwärts“. Als ich so Anfang / Mitte der 80er zur Klassischen Musik (und damit zu Mozart) fand, erlebte HIP gerade seinen ersten wirklichen Höhenflug. Ich wurde auf die Aufnahmen Christopher Hogwoods mit seiner Academy of Ancient Musique aufmerksam und damit war es „um mich geschehen“. Mozart war dann über lange Jahre „mein“ Komponist und Hogwood seine interpretatorische Instanz. Harnoncourt war damals für mich irgendwie weit weg (man hörte ja schauerliches ob seiner megaradikalen Sichtweise) und Norrington, Gardiner und Goodman standen noch an. Ich erwarb alles mozärtliche von Hogwood (aber nicht nur seinen Mozart, auch seinen Beethoven, Haydn, Vivaldi, ‚In dulci jubilee‘ … … ) … alles noch auf LP … und fand, dass das „wahre“ Musik sei: Ich war hin und weg von dem Sound, wenngleich halt recht unerfahren. Karajan, Böhm & Co waren damals für mich ein echtes no go für diese Musik (ohne sie wirklich bewusst gehört zu haben) – HIP war das Maß aller Dinge (wobei das damals ja common sense war). Die bald folgenden Norrington, Goodman und vor allem Gardiner mit seinen Klavierkonzerten bestätigten meine Sichtweise. Last but not least empfand ich die Covergestaltung der L'oiseau-Lyre-Serie damals ausgesprochen sexy, halt konservativ-sexy.


    Mit der Zeit fiel mit dann aber doch auf , dass Hogwood einerseits zwar blitzsauber, aber auf Dauer doch bisserl arg akkurat (fast schon pedantisch) interpretierte, dass andere Interpreten doch erheblich geschmeidiger musizierten. Wie auch immer, über lange Jahre war dies „mein“ Sound und ich war mehr als zufrieden damit. Bis …


    … ja bis ich vor ein paar Jahren zu Tamino stieß und mich die Ausführungen der Kompetenzen in Sachen Mozart aufhorchen ließen. Heute hab ich das meiste von Karl Böhm (der für mich heute der Inbegriff der guten alten Mozart-Interpretation ist). Ich liebe dieses Klangbild und die sangliche Interpretation und kann mittlerweile seehr gut nachvollziehen, das Alfred Böhms Mozart als sakrosankt ansieht.


    Heute ist Mozart bei mir bisserl in den Hintergrund gerutscht (man hat sich halt über 25 Jahre doch bisserl satt gehört), aber wenn ich Mozart höre, genieße ich beide Sichtweisen: Hogwood, wenn ichs flott und knackig haben mag, Böhm, wenn ich schwelgen möchte; Hogwoods KV 622 ist für mich Referenz, Böhms KV 622 ein Traum.


    :)

  • Die letzten drei Sinfonien (23.08.13 mitgeschnitten) mit Rattle sind übrigens auf CD als Kundenpräsent (oder so) der Deutschen Bank verfügbar gewesen (25 Jahre Partnerschaft mit den Berliner Philharmonikern, ich habe das mal gebraucht schnappen können), oder evtl. in der Digital Concert Hall


    Wer sich bei der Digital Concert Hall der Berliner Philharmoniker registriert hatte, konnte an einer Verlosung von 100 Mozart-CD-Alben teilnehmen.Wegen der großen Nachfrage kamen schließlich 200 Mozart-Alben in die Verlosung. Man mußte dafür nicht Kunde der Deutschen Bank, die der größte Sponsor der Berliner Philharmoniker ist, sein. Ob darüber hinaus noch weitere Mozart-Alben von der Deutschen Bank an deren Kunden abgegeben wurden, weiß ich nicht.
    Da ich mich schon vor Jahren bei der Digital Concert Hall registriert hatte, habe ich an der Verlosung teilgenommen und ein Mozart-Album gewonnen. Die Registrierung bei der Digital Concert Hall ist kostenlos und unverbindlich. Natürlich mußte man gewillt sein, gelegentliche Werbemails zu erhalten, wenn man z.B. bei der Verlosung der Mozart-CD-Alben mitmachen wollte. Einmal im Jahr erhält man per Post ein kleines Heft mit dem Jahresprogramm der Berliner Philharmoniker.

    mfG
    Michael

  • Lieber Thomas Knöchel,


    ich freue mich auch über Deinen Beitrag als jemanden, von dem ich bisher nicht so viel las (vielleicht mein Fehler, oder ich war in anderen Threads unterwegs...)


    Ich kann auch ehrlich gesagt verstehen, dass ein Klang wie der Hogwoods einem Mozart-Einsteiger sehr zusagt, denn Hogwood wird die Partitur durch den silbrigen und doch auch kernigen Klang ziemlich transparent wiedergegeben. Dadurch wird es dem Ohr leichter gemacht, die Musik zu erfassen, ergo beginnt man, das Gehörte zu mögen (das ist sicherlich nur ein Grund...)
    Mir gefielen auch die Cover dieser Serie ausgeprochen gut. Ich hätte die CDs damals fast wegen der Cover gekauft.... :pfeif:


    Deinen Werdegang in Sachen Mozart-Rezeption finde ich auch sehr interessant. Bei mir als Beethoven- und Bach-Anhänger war es in der Jugend die beethovensche Dramatik und die vom Barock inspirierte Klangrede Harnoncourts, die mich überhaupt für Mozart begeistern konnte. Nun, da ich in ein "gesetztes" Alter komme, habe ich langsam, ja geradezu unmerklich über die Jahre hinweg begonnen, auch an der klassizistischen Sicht eines Karl Böhm Gefallen zu finden. Wenn ich in die Zukunft sehe, dann meine ich, dass weder eine unreflektierte Wiederbelebung des Böhm-Stils noch die Weiterführung des Harnoncourt-Dramas allzu vielversprechend für die Mozart-Interpretation der Zukunft ist. Manche HIP-Fundis sehe ich in der Sackgasse stecken, aber auch kann man keineswegs generalisieren. Da gibt es auch große Unterschiede, und wer weiß, was noch kommt.
    Ein Mozartspiel, wie es das Kammerorchester des Concertgebouw-Orkest (siehe oben) vorführt ( oder auch Rattle mit der hier schon angeführten g-moll-Symphonie) scheint mir da eine Perspektive zu haben. Diese Leute kennen die großen Alten und auch Harnoncourt, haben mit ihnen sicherlich auch schon zusammengearbeitet. Sie verbinden die Klangschönheit, das Narrative und Ausgewogenheit der Alten mit der Gestik und der flexiblen Tongestaltung/Artikulation eines Harnoncourt, wobei sie zwar sehr lebendig spielen, aber Extreme meiden.
    Eine Uchida am Klavier betont gerne das Geheimnisvoll, das Zauberhafte, welches man auch in dieser Musik finden kann. Mir gefällt das alles sehr :)


    Wenn ich Dir noch den Tip zum KV 622 geben darf: Hör mal in die o.g. Meyer-Aufnahme hinein. Sie ist zusammen mit Böhm/Prinz meine absolute Referenz.
    Ich habe auch bei Vergleichen im HIP-Bereich mir Hogwood hierzu angehört, und finde, dass ihm der schönste zweite Satz der mir bekannten HIP-Aufnahmen gelungen ist.


    An Schneewittchen: Danke auch für die Hinweise zur Digital Concert Hall !
    Holger: die von Dir genannte Michelangeli-Aufnahme habe ich bei Amazon gefunden, aber leider kann man von seinen Beiträgen nur sehr wenig hören.
    Das Orchester spielt recht dunkel, mit vollem Klang, durchaus auch etwas wuchtiger, als man es oft so hört. Klangschön und hochwertig scheint mir dieses Spiel auf alle Fälle zu sein... ^^



    Gruß
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Das war purer Zufall; wenn ich recht erinnere, habe ich das bei einer Tauschbörse (tauschticket.de) in glänzender Originalverpackung ertauscht.
    Ich kann kaum glauben, dass es nur wenige hundert Exemplare davon geben soll. Ich dachte, dass sei ein massenhaft verteiltes Werbegeschenk gewesen... :untertauch:


    Es gibt evtl. eine kommerziell erhältliche DVD


    http://accentus.com/production…e-berliner-philharmoniker

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Wer Interesse hat an der Kombination Berliner Philharmoniker/Rattle bei Mozart: Die beiden g-Moll-Symphonien führte Sir Simon am 1. September 2006 bei den BBC Proms auf (Link).


    MOZART Symphony No. 25 in G minor, K183
    HANSPETER KYBURZ Noesis
    DEBUSSY Four Piano Preludes (arr. Matthews)
    MOZART Symphony No. 40 in G minor, K. 550


    Berlin Philharmonic Orchestra, Simon Rattle


    Royal Albert Hall, London: 1 September 2006

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões


  • Werter Glockenton,


    Dank Dir für Deinen freundlichen response. Soo viel gab es von mir auch bislang nicht zu lesen, schon gleich nicht auf dem Level, der hier mittlerweile Standard zu sein scheint :-) Ich war in letzter Zeit hier auch nicht mehr so oft zugange (es ist hier irgendwie nicht mehr ganz so ganz "meins").


    Hogwoods Einspielungen hatten es mir damals wirklich leicht gemacht. "Mein" (damaliger) Hausgott, Mozart, und Hogwood, das war schon was Besonderes für mich. Ich schätze mich heute noch glücklich, dass ich viele seiner LPs heute noch habe und das Hörerlebnis ist immer wieder ergreifend.


    Ich geb heute auch gern zu, dass ich damals durchaus das war, was Du so schön einen HIP-Fundie nennst - ich habs damals HIP-Junkie genannt. Bei Musik der Barock- oder Klassik-Ära - und dann später auch noch ins Romantische hineingehend - kam nur HIP an mein Ohr. Es waren (damals!!!) immer kleine Offenbarungen, wenn - dann später - Roger Norrington zB Beethoven und sogar Berlioz oder Rossini HIP spielten (die Presse hat diese Aufnahmen ja auch immer als kleine Sensationen angepriesen - kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen). Karajan zB war für mich ein ziemliches rotes Tuch und der Gedanke, Mozart mit Karajan hören zu müssen, hätte mir ... ich möchts gar nicht nennen :-)


    Als Sackgasse hab ich HIP aber nie - auch später nicht - empfunden ... ich denke sie haben viel dazu beigetragen, dass heute klassische und romantische Werke anders gespielt werden als anno dunnemal. Und das ist sicher gut so... Für mich die klassiche Entwicklung: Erst was Neues, dann übers Ziel hinausschießen und dann langsam wieder zur Normaität zurückkehren. Dieser Prozess dauerte halt so 25 oder 30 Jahre.


    Als "gesetzt" würde ich mein Alter jetzt noch nicht beschreiben, aber auch ich wurde (musikalisch zumindest) reifer und erfahrener (auch Dank Tamino!) und kann - wie schon gesagt mit den Altvorderen etwas anfangen. Böhms Mozart hat was mgaisches, Kempes Bach eh' und selbst Thielemanns Beethoven kann ich vorurteilsfrei aufnehmen und stelleweise sogar genießen. Celibidache war damals hier in München ein rotes Tuch für mich (hat er doch "meine" Sinfonie damals - Beethovens 9. - auf über eineinhalb Stunden breitgeklopft ... wo wir doch dank HIP gelernt hatten, dass es auch in einer Stunde geht). Heute hab ich fast alle seiner Münchner Aufnahmen (EMI) und hab Riesen-Spaß daran (gut, sein Mozart oder Haydn sind immer noch irgendwie musikalische Mißverständnisse).


    Ich habe auch ein paar CDs mit Uchidas Konzerten (J. Tate) und sie sind eine höchst willkommene Alternative zu meiner Bilson-Gardiner-Auflage (immer noch die mit den schönen Blumen-Covers der Archiv Produktion). Auch Geza Andas Einspielungen hör ich gern ... "damals" undenkbar gewesen.


    Grüße aus dem regennassen München
    Thomas
    :)

  • Celibidache war damals hier in München ein rotes Tuch für mich (hat er doch "meine" Sinfonie damals - Beethovens 9. - auf über eineinhalb Stunden breitgeklopft ...


    Lieber Thomas,


    ich habe mir auch einmal den ein oder anderen späten Mitschnitt Celis angehört und fand dabei, dass sein Konzept, dass bei Bruckner (mir sehr gut bei der 4. und 7. bekannt) hervorragend aufgeht, bei Beethoven eher nicht greift. Das bringt mich übrigens auf eine interessante Threadidee, die ich vielleicht im Sommer verwirklichen kann...


    Hier soll es aber eigentlich um den Geschmack für Mozartinterpretationen gehen, der sich über die Jahre ggf. geändert hat.
    Das kann übrigens sich auch auf Pianisten beziehen - es muss nicht zwangsläufig um Dirigenten gehen.
    Bei mir sind jedenfalls die Zeiten, in denen es hieß: "An mein Ohr lasse ich (bei Mozart) nur......".sind jedenfalls längst vorbei.
    Ich finde es immer interessant zu hören, wie und wohin sich die Präferenzen - hier bei Mozart - geändert haben, und warum bzw. durch wen. Es wird wohl so sein, dass die meisten mit den Jahren ihre Geschmackspalette erweitern oder auch verfeinern, manchmal ist es aber auch so, dass man so begeistert ist, dass man sich nur den einen oder die eine im Moment anhören will. Erlaubt ist das ja auch.... ^^


    Im Sachen Piano geht bei mir der Zug immer mehr in Richtung Uchida. Ich mag ihren hochsensiblen Zugang und den warmen, dunklen und singenden Klang ihres Anschlags. Knallige Härte hört man bei ihr eigentlich nicht. Gerade sie hat mit ihrem Klavierspiel mich auch hinsichtlich des Orchesterklangs für Mozart in eine andere Richtung geführt. Ich begann zunehmend, den unforcierten Klang zu lieben. Es macht mich sehr froh, dass sich mir neue musikalische Erfahrungswelten geöffnet haben und hoffe, dass es so weitergeht.... :)


    Gruß
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Zitat

    Ich liebe dieses Klangbild und die sangliche Interpretation und kann mittlerweile seehr gut nachvollziehen, das Alfred Böhms Mozart als sakrosankt ansieht.


    Ich gestehe, daß mich das freut und ich ausserdem immer wieder überrascht bin, wenn ich sowas lese.
    Aber es ist ja nicht so, daß ich mich als Böhms Vertreter auf Erden sehe. Indes musste ich erleben, daß eine Lobby sich nach Böhms Tod darauf eingeschworen hat seine Reputation zu vernichten - und hier versuche ich eben eine Gegenstimme darzustellen.
    Karajan trifft den typischen Mozartton (Opern ausgenommen) eigentlich nicht - aber immer noch besser wie die militanten Vertreter von "historischer Aufführungspraxis".
    Es wurde weiter oben die Tatsache angesprochen, daß auch Pianisten und ihre Interpretationen hier in diesen Thread mit einbezogen werden sollten. Damit bin ich einverstanden, denn gerade in diesem Bereich gibt es eine Vielzahl hochwertiger Einspielungen - bis heute noch. Clara Haskil galt ja einst als das Non Plus Ultra in Sachen Mozart Interpretation. Ich muß gestehen, daß ich dies nicht in dem Ausmaß nachvollziehen kann wie es vielleicht angebracht wäre.......


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Da ich zwischenzeitlich auch vermeindlich musikalischen Widersprüchen was Positives abgewinnen kann (Celis Rossini-Ouverturen zB), finde ich immer mal wieder Einspielungen, die schlicht faszinierend sind. In jüngster Vergangenheit so das Requiem von WA Mozart in einer 1951er Einspielung mit Nikolai Golovanov und dem Großen Radio&TV-Symphonieorchester der UdSSR.
    Anfangs noch recht holprig und poldrig, aber zwischendrin herrlichste Passagen. Mozart mit russisch' Säääle - faszinierend. Und klar, mit "Mozart" hat das nix mehr zu tun.



    Mir mittlerweile völlig wesensfremd ist auch die oft vernommene Eigenart, ausschließlich die "eine", die "richtige", die "Referenz" eines Werkes gelten zu lassen und zu hören. Wie schon gesagt, bin ich zB bei Rossinis Ouverturen von Norrington oder von Goodman sozialisiert worden; ich höre aber mit dem gleichen Genuss die Interpretation von Celibidache (EMI) - das passt nämlich auf seine Art ebenfalls hervorragend. Den Vergleich bei Mozart, Hogwood und Böhm, habe ich ja bereits gezogen.


    Wenn ich mir einen Mozart des 21. Jhds kaufen sollte (eher Konzert denn Sinfonien), was wären exemplarische Interpretationen? Was "muss" (bzw müsste) man haben?

  • Und klar, mit "Mozart" hat das nix mehr zu tun.

    Nach einigen Hörproben der russischen Einspielung kann ich Dir da nur aus vollem Herzen zustimmen, lieber Thomas :pfeif:



    Wenn ich mir einen Mozart des 21. Jhds kaufen sollte (eher Konzert denn Sinfonien), was wären exemplarische Interpretationen? Was "muss" (bzw müsste) man haben?

    Wenn Du einmal in Beitrag 1 schaust, dann siehst Du, was meine Antwort auf diese Frage wäre. Hier muss ich noch einmal die Aufnahme mit dem Concertgebouw Chamber Orchestra hervorheben. Doch so viele Leute Du fragst, so viele verschiedene Antworten wirst Du erhalten.
    Da hilft nur zu hören, viel zu hören.


    Ein interessanter Vergleich wäre es, sich einmal das Klavierkonzert 19 in F, K 459 zu nehmen, und es in diesen beiden Aufnahmen zu hören:


    Uchida, Cleveland Orchestra



    und


    Schoonderwoerd, Ensemble Christofori



    Schoonderwoerd trifft einerseits radikale Maßnahmen (wie die solistische Besetzung im Ensemble) aber tendiert erfreulich wenig zum Krawallmozart.
    Ich finde diesen Klang interessant, obwohl es mir sehr nach Privatveranstaltung in jeder Hinsicht klingt und mich an die Erstaufnahme der Cembalokonzerte Bachs mit Leonhardt erinnert (die nebenbei gesagt immer noch die beste ist, wie ich finde...). Ganz verwunderlich ist es ja nicht, denn sein Instrument klingt ja dem Cembalo noch durchaus ähnlich. Ob man das auf die Dauer hören kann und ob es für heutige Konzertsääle geeignet ist, steht auf einem anderen Blatt. Ich habe gar nichts gegen so etwas, aber ich habe etwas gegen die Art, wie es beworben wird ....Klavierkonzerte Mozarts, die Schoonderwoerd von den Verkrustungen einer jahrhundertelangen Aufführungstradition befreien wird" (so steht es im Werbetext zur Parallel-CD, die es bei JPC zu kaufen gibt)
    Das klingt mir zu sehr nach einem rigoros-revolutionären Anspruch. Wahrscheinlich kann man den dem guten Schoonderwoerd noch nicht einmal unterstellen, aber es wird eben gerne so reißerisch verkauft. Ich habe auch schon von Anhängern dieser Aufnahmen gehört, für die damit die ganze "verkrustete Aufführungstradition" endlich überwunden ist, und die nun am liebsten solche Mozart-Konzerte wie jenes mit Uchida (die übrigens auch viel Neues und zeitlos Gültiges zu sagen hat, was jedoch bei solchen Vergleichen leider oft unter den Tisch fällt) ganz verbieten würden.
    Wenn man in die jeweils letzten Sätze der Schoonderwoerd-CD hineinhört, dann fällt wohl auf, das vom Dynamischen her das Hammerklavier mit dem, was man da hört, bereits so ziemlich ausgereizt sein dürfte, während sich Uchida noch im gepflegten mf bewegt und von dort aus ihre vielen dynamische Ausdrucksmöglichkeiten nutzen kann.


    So verschieden kann es klingen, auf wenn in beiden Fällen viel Arbeit, Fleiß und Können investiert wurde.


    Nicht ganz mein Geschmack wäre diese Aufnahme, die jedoch sicher ihre Anhänger mit entsprechend geeichten Ohren finden wird:



    In einzelnen Teilbereichen wie Artikulation und Phrasierung gibt es da auch in der Tat viel Gutes zu hören, selbst in kurzen Ausschnitten. Für so etwas muß man immer bereit sein, die Ohren aufzusperren und das auch anzuerkennen. Aber der ein wenig harsch und dünn wirkende Orchesterklang im Forte (darmsaiten bespannte Violinen durchgehend non-Legato) und der durchaus weite dynamische Ambitus bei Forte/Piano-Kontrasten scheint mir in eine Richtung zu tendieren, die ruppig wirken kann.
    Ich müsste die Aufnahme jedoch in voller Länge hören und will es aufgrund kurzer Ausschnitte nicht zu negativ hinstellen.


    Grundsätzlich meine ich, dass man auf historischen Instrumenten durchaus ein angenehmes Klangbild hervorbringen könnte, wenn man denn wollte.
    Das, was zum ruppigen Eindruck beim Hörer führt, ist mehr die Spielweise als die Instrumente. Gestische Klangrede muss jedoch nicht zwangsläufig eine Überzeichnung von Kontrasten nach sich ziehen, und Vibrato war keineswegs so selten oder gar verboten, wie es manche HIP-Freunde heute meinen. Es gibt z.B. eine Textstelle von Leopold Mozart, die ich irgendwo las, in der er klagte, dass es manche Leute gäbe, die auf jedem Ton ständig herumzitterten, so, als wenn sie Schüttelfrost hätten (ich zitiere frei aus dem Gedächtnis, die Stelle lautet sicher etwas anders).
    Daran sieht man aber doch, dass das Vibrato durchaus verwendet wurde, und nicht nur alle 20 Takte einmal kurz und unauffällig auf einem Ton.


    Dies alles ist und bleibt immer auch eine Frage des Geschmacks, sowohl auf seiten der Musiker als auch auf Seiten der Hörer. Und um den soll es hier ja gehen...


    Gruß
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Ich kann sowohl mit einem solistisch besetzten Kammerorchester a la Cristofori wie auch mit dem HIP orientierten Freiburger Barockorchester leben. Womit ich vermutlich nie leben können werde, ist der mickrige Pling-Pling-Klang des Hammerklaviers. Für meine Ohren ist das schlicht eine Zumutung.


    An Klavierkonzertaufnahmen empfehlen würde ich eine dieser drei:



    Uchida und Perahia habe ich, Schiff hätte ich eigentlich gerne auch noch.

  • Schiff hat mit Vegh (und einigen sehr renommierten Solobläsern, die nicht in allen Ausgaben überhaupt erwähnt werden) die beste Orchesterbegleitung, die ich kenne, sein Instrument klingt aber ein wenig in Richtung Hammerflügel. (Es ist wohl ein Bösendorfer und aus unerfindlichen Gründen etwas entfernt aufgenommen oder sehr zurückhaltend gespielt.)
    Perahia fand ich eher langweilig (hatte aber auch nur eine CD daraus).


    Auch wenn ich den Klang als solchen weder besonders schätze noch ablehne, habe ich oft Probleme mit der Klangschwäche des Hammerklaviers bei Kombination mit Orchester (daher habe ich bis heute keine GA der Beethoven-KK auf alten Instrumenten, bei Mozart allerdings Bilson/Gardiner, wobei ich die kaum höre :untertauch: ich höre die Stücke aber eh nicht mehr so oft, größtenteils Repertoire, das ich beinahe 20 Jahre lang intensiv gehört habe).

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • In die genannten CDs habe ich hineingehört und finde (immer zusammen mit meinen oben genannten Uchida/Cleveland-CDs) das Orchesterspiel unter Vegh mit Abstand am besten. Da ist er wieder, jener Mozartstil, den ich über die Jahre immer mehr liebengelernt habe - wirklich wunderbar.
    Die Gesamtaufnahme ist leider noch relativ hoch eingepreist.....aber ich weiß schon, dass ich diese CDs auch noch haben muss. Es ändert zwar nichts an meinem Referenzstatus für Uchida/Cleveland, aber es wäre eine schöne Ergänzung. Der Klavierklang ist sehr anders, was eine reizvolle Abwechslung in beide Richtungen sein kann.
    Die dirigentische Grundauffassung für das Orchesterspiel bei Mozart ist sehr ähnlich, auch nicht entschieden anders als beim ebenfalls Mozart-versierten Tate. Mackerras`Orchesterbegleitung für Brendel geht ebenfalls in diese Richtung.
    In den Details offenbaren sich die jeweiligen Unterschiede. Da höre ich je nach Konzert mal den Einen oder den/die Andere lieber.
    Beim Vegh klang es manchmal ein ganz bisschen mehr zupackender, mit mehr bauchigen Glockentönen, was ich bei ihm eher nicht erwartet hätte. Die Qualität der angesprochenen Holzbläser ist mir beim Konzert Nr. 19 aufgefallen.
    Uchida nimmt das Orchester mit, wenn sie dem Hörer ihre feine und geheimnisvolle Mozart-Geschichte erzählt (man merkt dieses unangestrengte Erzählen, wenn man ihr Nr. 19 mit dem etwas zupackenderen Vegh vergleicht), immer aus einem sehr entspannten, unangestrengten Grundgefühl heraus, was ich sehr mag. Wenn sie in den Kadenzen bei einigen Konzerten (ich glaube auch bei 18 und 19) thematisches Material des Orchester aufgreift, dann klingen gewisse Akkorde im punktierten Rhythmus so, als ob es eine Gruppe aus Holz- und Blechbläsern spielt. Man weiß sofort, was gemeint ist. Das hinzubekommen, ist wirklich ganz große Kunst. Hoffentlich setzt sie diese Aufnahmen mit dem Cleveland-Orchestra fort.


    Bevor ich das gerade eben noch einmal am PC mit dem Kopfhörer nachhörte, genoss ich diese Musik vorher im Auto, auf einem Parkplatz mit Panoramablick auf einen von der Sonne erleuchteten norwegischen Fjord, während ich auf meine Tochter wartete, die einen Friseurtermin hatte. Von der CD Uchida und anschließend über das Smartphone durch Bluetooth in die Stereoanlage des Autos gestreamt noch die JPC-Ausschnitte mit Vegh/Schiff usw. Es klang gar nicht einmal so schlecht, jedenfalls nicht nach Telefonsound...


    Es war eine kostbare Qualitätszeit mit Musik von Mozart, ein Balsam und ein Labsal für die Seele.
    Hier ein Foto von dieser Situation heute mittag, leider nur mit dem Handy gemacht:



    Gruß
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Vegh zeigt m.E. durchaus so etwas wie "Klangrede", wenn auch nicht die barocken Manieren Harnoncourts und anderer. Jedenfalls eine "sprechende" Artikulation und Phrasierung (einer meiner favorisierten Sätze ist hier der Mittelsatz von KV 456).
    M.E. ein großer Unterschied zu dem sehr kühlen und glatten Stil bei Pollini/Böhm (19+23)


    Ich habe Schiff/Vegh auch nicht komplett (9,17,18,22,23,27, wenn ich recht erinnere), aber jpc hat angeblich noch eine Box für EUR 40 im Angebot und es gibt auch ein ein günstiges Decca-Duo und ein Eloquence-"Quadro" mit 20-27

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • O ja, einen so guten Beginn des Orchesters beim Mittelsatz vom K 456 habe ich bisher nicht gehört! Genauso mag ich es - natürlich praktizierte Klangrede ja, aber dazu auch ein sinnlich schöner Klang - das ist es doch. :hail:
    Hier klingt es für mich geradezu ideal - volle Übereinstimmung. Auch die Einzeltondynamik bei der Viola ist hervorragend. An diese sanft bewegte und sprechende Gestik kommt noch in diesem Fall nicht einmal Uchida mit dem Cleveland Orchestra ganz heran - man merkt es allerdings nur im direkten Vergleich.


    Ein Vorteil bzw. Unterschied (je nach dem) beim Cleveland Orchestra ist, dass die 2. Violinen rechts gegenüber den 1. Violinen sitzen, wodurch die Elemente Melodie und Begleitung oft transparenter werden.
    Die Aufstellung der Camerata Academica Salzburg hat aber auch ihre Meriten, vor allem hinsichtlich der keinesfalls immer nur ausfüllenden Violastimme. Die hat auch ihre expressiven Momente.
    Man hört an diesem Vergleich schön, dass man die Strukturen einer Partitur etwas unterschiedlich verdeutlichen kann. Niemand kann alles abbilden, aber beide haben recht.


    Gruß
    Glockenton


    Nachtrag: Wegen nur noch einem Stück auf Lager und 50% Reduzierung bei JPC unvernünftig gewesen und Schiff/Vegh auch noch gekauft....

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Ihr Lieben,


    wird nun gerade dieser Thread zur Lobhudelei auf Vegh?
    Meinetwegen gern, denn einen solch organisch musizierten Mozart wie den seinen wünschte ich mir öfter.


    Zurück aber zur Frage: wie kam es zu Harnoncourts Lesart?
    Darum wird hier in allen Antworten ein Bogen gemacht.
    Zugegeben, ich gebe auch keine - obwohl ich eine hätte - aber habe keine Lust, mich zerfleischen zu lassen im Für und Wider um das "richtige" Instrumentarium und dessen klangliche Auswirkungen auf die Rezeption.


    Denn da steht ungestellt die Fage: wer hat Recht. Alte Instrumente gegen "moderne"; Harnoncourt gegen Böhm.
    "Hässlicher Mozart" gegen den "kuschligen" seinerzeit, der hier noch immer gern gehört wird - wogegen nichts einzuwenden ist, sofern man Geschmäcker gelten lässt.


    Aber doch: woher rührt Harnoncourts schroffer Mozart? Der unschöne, barock-aufgefächerte und so gar nicht glatte?


    Antwort könnte sein: im glücklichen Kompromiss des Sandor Vegh, der kein Kompromiss ist, sondern schlicht Musizieren von Herzen mit Stil.
    Was sowohl Karl Böhm abgeht als auch Harnoncourt.


    Man steinige mich, doch habe ich versucht, der eigentlichen Frage des Thread-Titels nahezukommen.


    Herzliche Grüße,
    Mike

  • Zumindest ich als Vertreter der Böhm-Fraktion werde Dich nicht steinigen. Böhm war sicher kein Vertreter des Musizierens mit "Herzblut" - er war ein kluger Architekt, stets das Endergebnis im Hinterkopf. Und WAS für ein Endergebnis das war!! Zum Niederknien. Interessanterweise hatte Herbert von Karajan strategisch gesehen einen ähnlichen Ansatz - jedoch das Ergebnis war ein anderes. Hat man Karajan im deutschen Sprachraum (Wien natürlich ausgenommen) meist den Vorzug vor Böhm gegeben - vor allem bei Beethoven - so ist ihm das bei Mozart (und auch Schubert) nicht wirklich geglückt. Man hat immer behauptet, er dirigiere hier zu kühl, mehr mit Verstand als mit Herz. Bei Böhm wurde das nie behauptet - und auch nie bemerkt. Harnoncourt - warum Harnoncourt einen schroffen Mozart dirigiert ? Das ist nicht das eigentlich unverständliche - sondern eher die doch nicht wegzuleugnende Akzeptanz.
    Ich vermute, daß eine Zeit, die (fast) alles Schöne als "süsslich" oder "kitschig" bezeichnet, wo jegliche Unhöflichkeit, Frechheit und proletenhafte Direktheit als "ehrlich", "unkompliziert" oder "erfrischend" bezeichnet werden mit schroffer Musik besser zurechtkommt als mit zierlicher oder aristokratischer Attitüde. Wir wollen den schroffen Ton nicht an Harnoncourt aufhängen, er ist weit verbreitet und teilweise noch wesentlich ausgeprägter.....


    mit freundlichen GRüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • m.E. ist Veghs der Zugang eines Kammermusikers, der er die längste Zeit seiner Karriere hauptsächlich gewesen ist. Es mag vereinzelte frühere Orchesteraufnahmen geben, die leicht zugänglichen Mozart-Aufnahmen (Capriccio und Orfeo) stammen ja erst aus den 1980ern und 90ern. U.a. daher die Lebendigkeit auch von "Nebenstimmen" und die Transparenz seiner Interpretationen.
    Zwar ist nicht auszuschließen, dass Vegh auch von der HIP-Bewegung beeinflusst wurde, ich halte das aber eher für unwahrscheinlich. Ich habe auch keine typischen "HIP-Manierismen" in Erinnerung; die deutlichen "Seufzer" im langsamen Satz von KV 456 zeigen eher, dass die "Rhetorik" eh einkomponiert ist, unabhängig davon wie deutlich (bwz. übertrieben) ein Interpret sie herausstellt.
    Dagegen weisen m.E. einige der späten Aufnahmen eines anderen, oft übersehenen, großen Mozartdirigenten, Peter Maags, einige Eigentümlichkeiten auf, die ein wenig wie HIP-Importe klingen. So macht er im Finale der Nr. 39 in der "Arts"-Aufnahme aus den 1990ern eine (nach einiger Zeit für mich "aufgesetzt" wirkende) "Luftpause" im Thema, die man jedenfalls in diesem Stück nicht einmal bei Harnoncourt findet (wenn auch Analoges in NHs Aufnahme der "Pariser Sinfonien" Haydns).


    Bei Harnoncourt mag die lange Arbeit mit kleineren Besetzungen auch eine Rolle spielen. Aber hauptsächlich die Ideen "rhetorischer" Spielweise, die er hauptsächlich von der Musik vor Mozart abgeleitet hat. Gleichzeitig mit den ersten Concertgebouw-Aufnahmen um 1980 begann er ja in Zürich Mozarts Opern (und hier zuerst die "nachbarocken" Serie) zu dirigieren.
    Interessanterweise müsste man Harnoncourts Mozart von Beginn an als "Kompromiss" bezeichnen, da ein modernes, groß besetztes Orchester verwendet wird und dies, obwohl es damals schon erste Mozart-Aufnahmen auf alten Instrumenten (Collegium Aureum und auch schon die ersten Sachen unter Hogwood) gab. Nun klingt das Collegium Aureum von den Klangfarben der Bläser abgesehen nicht allzu HIP, ob das an den eher traditionell artikulierenden Streichern oder an aufnahmetechnisch bedingtem eher "warmen" Klang liegt. Hogwoods frühe Aufnahmen klingen zwar "kratzig", aber abgesehen davon relativ geradlinig, eher selten "rhetorisch" in der (manchmal zur Übertreibung neigenden) Weise Harnoncourts.
    Für den mitunter "aggressiven" Klang der Concertgebouw-Aufnahmen ist m.E. zumindest teilweise auch die frühe digitale Klangtechnik verantwortlich. Abgesehen davon ist "aggressiv" eine einseitige Beschreibung. Während man das vielleicht zu Recht auf die Interpretation der g-moll-Sinfonien anwenden kann, verstören bei der "Jupiter" und "Prager" ja eher einige sehr breite Tempi, rubati, und ungewöhnliche Phrasierungen und Artikulationen (oft eben auch legato oder breites portato anstelle des "spritzigen" non legato).


    Böhm ist dagegen ein Dirigent, der eben auch einen Hang zu Mozart hatte, selbst wenn insgesamt der Schwerpunkt insgesamt doch eher bei Wagner und Strauss gelegen hat. Ich habe nicht genügend biographische Informationen, ob Böhm auch schon in den 1930ern besonders mit Mozart hervorgetreten ist. Überhaupt die frühen Sinfonien Anfang der 1960er alle einzuspielen, war natürlich eine Pionierleistung, die dann vielleicht auch zu dem Eindruck eines "Mozart-Spezialisten" (weil Beethoven, Wagner und Strauss auch genügend andere dirigieren) beiträgt, aber wie schon gesagt, wirken viele der Studioaufnahmen Böhms (sofern ich sie kenne) eher routiniert. In der Böhm-Generation scheinen mir die Unterschiede im Zugang zu unterschiedlichen Komponisten oft sehr gering zu sein (während wir seit HIP zB ein anderes Klangbild bei Mozart ggü. Brahms oder Wagner gewöhnt sind). Natürlich klingt Böhms Mozart nicht wie Wagner, aber zumindest ich höre hier nicht die kammermusikalische Sorgfalt, die man zB bei Vegh (und teils auch bei den Kleibers, Rosbaud oder Markevitch) findet. Und auch nicht die (stilistisch vielleicht fragwürdige) Expressivität von Furtwänglers (wenigen) Mozart-Aufnahmen.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Hallo Johannes,


    aber ist es nicht gerade der Wechsel der Blickrichtung?
    Böhm und Karajan dirigieren Mozart aus der Sicht Strauss' oder Wagners.
    Harnoncourt aus dem Blickwinkel der Barockmusik.


    Du sprichst die kammermusikalische Sicht an: und genau die ist vielleicht der richtige Ansatz.
    Aber von Böhm nicht zu erwarten - von Harnoncourt genausowenig.


    Mein persönlicher Eindruck ist oft der, dass Böhm und Co. ein "falsch-symphonisches" Bild vertreten, gegen das Harnoncourt angeht. Mit daraus resultierenden, ebenso "falschen" Intentionen.
    Jeder der hier Genannten nimmt, insgeheim oder ausgesprochen, in Anspruch, den "wahren" Mozart zu kennen - und wenige musizieren ihn uneitel und selbstverständlich wie nun eben Végh.
    Kein Mozart-Spezialist, sondern schlicht Musiker - wie Mozart selbst.


    Wird man Mozarts Kunst nicht am besten gerecht ohne Attitüde und ohne alle Besserwisserei?
    Ist er nicht auch einfach Zeitgenosse Haydns? Um nur diesen einen zu nennen.
    Und seine Besonderheit ergibt sich von innen heraus? Ohne dass man ihm den Aufkleber des Besonderen anhaftet?


    Mozarts Kunst findet sich auch in Bescheidenheit. Vor allem dort.
    Diese zu rezipieren, sind wir hier ganz weit weg.
    Végh nicht!


    Herzliche Grüße,
    Mike

  • Harnoncourt kommt einerseits von der Barockmusik (einschl. kleinerer Besetzung). Aber paradoxerweise sind ja seine ersten Mozart-Aufnahmen mit einem vollen Symphonie-Orchester. Und sie klingen auch danach. In der Tat klingen diese Werke bei ihm m.E. "größer" (dramatischer, wuchtiger) als zB bei Böhm (oder auch einer eher kammermusikalischen Lesart wie Vegh oder Marriner). Ich bezweifle, ob es ein dramatischere Interpretation von zB KV 183 und 184 gibt als Harnoncourts.


    Ihnen fehlt weitgehend die "Leichtigkeit" und Eleganz, die für viele Hörer zu Mozart dazugehören. Dass er Mozart nicht Ernst nähme, hat wohl kaum jemand Harnoncourt vorgeworfen. Im Gegenteil, "Überfrachtung". Ich kann das zwar nachvollziehen, meine aber, dass so viele andere Mozart-Interpretationen eher in die andere Richtung fehlgehen (d.h. hauptsächlich "leicht" und "elegant", was größtenteils ein Vorurteil der späteren Romantik und des 20. Jhds. ist, noch Hoffmann, der auch schon "schwereren" Beethoven kannte, findet Mozart nicht leicht und elegant), dass ich das als Korrektiv schätze, abgesehen davon, dass mir viele davon "einfach so" gefallen.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose