Werner Egk's Peer Gynt am Staatstheater Braunschweig - 24.05.15

  • Liebe Taminos,


    auf Wunsch nun mein Bericht über die gestrige Aufführung von Werner Egk's Oper Peer Gynt am Staatstheater Braunschweig.
    Zur Handlung:
    Peer Gynt ist ein Bauernjunge, der mit Phantasien und Lügen vor der Realität fliehen möchte. Als er auf Mads und Ingrids Hochzeit tanzen möchte, wird er von der Gesellschaft verhöhnt, worauf Peer nur ausruft, dass er Kaiser der Welt werden könne. Hier trifft er auch Solveig, die er sofort anziehend findet und bedrängt. Sie weigert sich mit ihm zu tanzen, worauf Peer (warum auch immer) Mads Braut Ingrid raubt. Szenenwechsel - im Trollreich - Peer wird von den Trollen erwartet, er hat Ingrid satt und weist sie von sich. Als sie weg ist zeigen sich die Trolle, die Trollkönigstochter verführt ihn, der alte Dovrekönig möchte ihn als Nachfolger, wozu Peer aber seine Menschlichkeit verlieren muss. Angewiedert von der Trolle Orgie wollen diese ihm die Augen ausstechen. Verzweifelt ruft er nach Solveig - die Trolle verschwinden. Solveig will nun für immer bei Peer bleibe, doch die Trollkönigstochter präsentiert ihm seinen Trollsohn - überfordert mit der Situation flieht er.
    Jahre später ist Peer zu Reichtum gekommen, sein Schiff liegt mit Gold beladen im Hafen, muss aber den Präsidenten (Merkelkostüm mit Hilterbärtchen) bestechen damit dieses auslaufen kann. Als er einigen Kaufleuten berichtet, dass er Kaiser der Welt werden möchte, planen sie sein Schiff zu anekdieren. Dieses explodiert jedoch beim Auslaufen. Peer kehrt in eine Gaststätte ein. Eine Tänzerin (die Königstochter) verführt ihn, Peer meint durch sie den Sinn der Liebe erkannt zu haben und verrät so Solveig. Der Alte König triumphiert.
    Weitere Jahre später - Peers Mutter Aase ist inzwischen tot - ist Peer für tot erklärt als er in seine Heimat zurückkehrt. Ein unbekannter, der seinen Leichnahm fordert bringt ihn zu den Trollen, die ihn nach wie vor als Königsnachfolger haben wollen. Als seine Bekannten ihn als schlechten Menschen darstellen sind die Trolle bereits siegesgewiss, doch seine tote Mutter spricht ein paar gute Worte für ihn - die Entscheidung wird um ein Jahr aufgeschoben. Szenenwechsel - Solveig wartet immer noch auf Peer. Als er erkannt, dass ihre Liebe seine einzige Erlösung ist, geht er zu ihr und wird freigesprochen.


    Musikalisch habe ich bereits an anderer Stelle geschrieben, dass mich das Ensemble sehr überzeugt hat. Seit Jahren mal wieder konnte mich Arthur Shen als der Trollkönig sowohl gesanglich als auch besonders schauspielerisch in der Rolle des Alten sehr überzeugen. Auch Moran Abouloff, die manchmal um einen größeren Ausdruck bemüht, das rein musikalische vernachlässigte, konnte als Trollkönigstochter mit ihrem starken Sopran punkten. Anne Schuldt als Aase war mit ihrem ausdrucksstarken und sehr flexiblen Alt wie immer eines meiner persönlichen Highlights. Lediglich Peter Bording als Peer Gynt war mit seinem doch recht leisen Tenor etwas unterrepräsentiert, was aber auch am dem teils zu laut ertönenden Klangteppich des Staatsorchester Braunschweig unter Leitung von Christoph Hein lag. Die musikalische Gestaltung war sonst rundum gelungen. Einziger Kritikpunkt ist die Musik an sich, die ich wirklich nur als mittelmäßig bezeichnen kann. Während Egk sowohl im ersten Bild als auch im Finale eine eigene Tonsprache findet, die teils einen guten Drive hat, verfällt er dazwischen in einen m. E. billigen Eklektizimus in dem so ziemlich alles zwischen Wagner/Stauss, Weill/Jazz und J. Strauss/Offenbach stattfindet. Es ist mehr als bezeichnend, dass die Trolle die Egk selber als "erschreckende Verkörperung menschlicher Minderwertigkeiten" bezeichnete musikalisch Klänge des Feindes Frankreich als auch der schwarzen Musik erhielt.



    Aus dem 3. Akt


    Von der Inszenierung war ich auch sehr angetan. Das Einheitsbühnenbild zeigt einen großen Saal mit Kronleuchtern, Kamin und Stuckaturen. Die großen Fenster geben Blick auf eine Projektionsfläche frei, die sich je nach Akt und Bild (bsp. Hochzeitsfest - Wald, Amerika-Akt - Freiheitsstatue und auslaufende Schiffe) verändert. Besonders gelungen war der Beginn - die Hochzeitsgesellschaft (Frack und Zylinder) tritt ein, es wird getanzt und gesungen, von Peer Gynt gepöbelt - ich fühlte mich doch sehr an die traditionellen Spieloperinszenierungen meiner Anfangszeit erinnert. Das fliegende Fahrrad des Fantasten Gustav Mesmer dient hierbei als ständiges Symbol für Peers Träumereien. Auch die Trollszenen sind durch groteske Kostüme, monsterhafte Kreaturen und durch den sehr orgiastischen Tanz der Kuh (alle laufen mit umgeschnallten Phallen - dem auch im Libretto benannten "Trollschwanz" herum), trotz dieser Umdeutung sehr eindrucksvoll. Der Amerika-Akt spielte in einer Bar mit Blick auf den Hafen - alle treten in typisch amerikanischen Marine-Uniformen auf, die Explosion von Peers Goldschiff wird an der Projektionsfläche dargestellt. Im folgenden letzten Akt, zu Peer Gynts Rückkehr sind alle Gesichter dunkler geworden, gezeichnet von der Enttäuschung, die Peer ihnen brachte. Nur Solveig, die ihn letztendlich erlöst bleibt das strahlende Mädchen bis zum Schluss.


    Fazit: Ein Besuch der Aufführung lohnt aufgrund der runden und größtenteils werktreuen Ausführung des Librettos. Die Musik ist sicherlich Geschmackssache, ich fand sie bis auf wenige Ausnahmen billig und wenn nur durchschnittlich.


    Liebe Grüße
    Christian

  • Lediglich Peter Bording als Peer Gynt war mit seinem doch recht leisen Tenor etwas unterrepräsentiert


    Dann ist Braunschweig wohl das einzige Haus auf der Welt, an welchen der Peer Gynt von einem Tenor gesungen wird... 8-)


    Mit dem, was du über die Musik schreibst, war ich schon gestern nicht einverstanden. Bemerkenswert, dass du dem Anfang und dem Schluss eine eigene Musiksprache zubilligst, dem Rest aber nicht. Am Anfang geht Peer Gynt von sich weg und am Ende kommt er nach jahrelangem Irren (Irren im doppelten Sinne!) auf der Suche nach sich selbst endlich wieder bei Solveig und damit auch bei sich selbst an. Dazwischen ist er ein Irrender, ein Zerrissener. Ich finde, das kommt in der Musik ganz wunderbar zum Ausdruck, die einfach der Verdeutlichung der musikdramatischen Situation dient. (Dass den Trollen die Musik des "Feindes" unterlegt ist und die Troll-Hymne sehr stark an die britische Nationalhymne erinnert, ist ein unschöner Ausrutscher, aber solche gibt es bei Wagner auch.)


    Ich persönlich mag die Musik dieser Oper insgesamt sehr, habe sie Ende der 1990er Jahre mal eine Zeitlang rauf- und runtergehört, mag das Duett Der Alte / Die Rothaarige ebenso wie den Gesang der drei Seeleute oder den Auftritt des Präsidenten, dann natürlich das Ständchen "Dein Hähnchen bin ich, ja, dein Hähnchen bin ich, dein Glückseliges", aber auch den Marsch (Komisch, ich habe die Götterdämmerung" gewiss schon weit öfter gehört und gesehen als du, höre da aber im Gegensatz zu dir kein wörtliches Zitat) und das "Gericht" mit dem wunderbaren Ensemble "Wo nichts ist, hat noch keiner was gefunden" und dann natürlich auch, nach diesem Umherirren und dieser Zerrissenheit, dieser wunderbare Schlussgesang von Solveig.
    Es gibt auch Momente, wo man sich unwohl fühlt, etwas Nervöses, Bedrohliches hört - alles sehr passend zur Handlung!
    Für mich ist das eine der überzeugendsten Literaturopern, die ich kenne, auch wenn ich sie bislang noch nie auf der Bühne gesehen habe, Cottbus habe ich leider nicht geschafft, aber höchstwahrscheinlich werde ich mir die Braunschweiger Nachmittagsvorstellung am 7. Juni ansehen. :)


    P.S.: Zur "Wirrheit des Librettos" (Egk-Thread gestern): Ja, ja, dieser Ibsen, auf den diese wirre Geschichte zurückgeht, war schon ein wirrer Geist... :D

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"