Wer war eigentlich dieser Balakirew?

  • Mit diesem Threadbeginn ist zumindest die Serie in Bezug auf die "Gruppe der Fünf" - besser bekannt unter dem Namen "Das mächtige Häuflein" abgeschlossen.


    Die Gruppe der 5 - ein mächtiges Häuflein


    Auch wenn einige jetzt innerlich protestieren mögen - der Mehrheit der Klassikhörer sagen weder die Namen noch die Kompositionen dieser Leute allzu viel. Mag sein, daß ich in diesem Punkte irre - aber eigentlich glaube ich das nicht. Es ist hier ähnlich wie mit dem gestern in diesem Forum thematisierten Max Reger: Man weiß, daß er bedeutend war - und mehr will man eigenlich gar nicht wissen (?) Da man vor 40 oder 50 Jahren das Gleiche über Gustav Mahler oder Dimitri Schostakowitsch hätte sagen können, bin ich zuversichtlich, daß auch hier irgendwann so etwas wie ein "Durchbruch" geschafft sein wird.
    Aber eigentlich geht es hier um Mili Balakirew und seine Stellung in der Gruppe. Ich würde meinen, er sei die treibende Kraft in dieser Gruppe, der Motor, das Zugpferd, die Lokomotive, der Animator. Damit es aber soweit kommen konnte waren einige Rahmenbedingungen vonnöten, die die Vorsehung bereitstellte. So lernte Balakirew eine Reihe von Personen kennen, die in weiterer Folge seinen Lebensweg bestimmen sollten und darüber hinaus indirekt den Weg der russischen Musikgeschichte.
    Durch einen Lehrer lernte er Alexander D. Ulybyschew (1794 - 1858) kennen, einen musikinteressierten Schriftsteller und Gutsherrn. Dieser engagierte ihn als Pianisten und Dirigenten und nahm in in Folge auf eine Reise nach St. Peterburg mit.
    Dort hatte er Gelegenheit Michail Glinka zu treffen. Von dessen Vorstellung einer russischen nationalen Musik wurde er förmlich angesteckt, was Glinke, der den Zenit seines Lebens bereit überschritten hatte sehr gefiel - und er öffnete dank seines Einflusses Balakirew den Zugang zu wichtigen Personen der St.Petersburger Musikszene, was den Boden zum Kennenlernen der späteren Mitglieder der "Gruppe der Fünf" quasi vorbereitete...


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred


    TAMRUSINFO


    clck 241

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Balakirew kam am 21. 12. 1836/2. Januar 1837 (das erstgenannte Datum entspricht der alten russischen Zeitrechnung) in Nischni Nowgorod zur Welt. Zunächst lernte er bei seiner Mutter Klavier, dann richtete sie es so ein, dass er bei Alexander Dubuque, einem ehemaligen Schüler von John Field, studieren konnte.


    Balakirew debütierte in St. Petersburg als Pianist und Komponist. Er schlug sich mit Klavierunterricht und Konzertieren durch. Er machte die Bekanntschaft zweier russischer Offiziere, die nebenbei leidenschaftliche Komponisten waren: César Cui und Modest Mussorgski. 1861 lernte er Rimsky-Korsakoff kennen und im darauffolgenden Jahre Alexander Borodin.
    Balakirew nahm auch Kontakt mit Wladimir Stassow und seinem Bruder Dmitri auf; der erstgenannte leistete einen wertvollen intellektuellen Beitrag zum russischen Nationalismus.


    Mit 35 Jahren musste sich Balakirew wegen finanzieller Schwierigkeiten aus dem öffentlichen Leben zurückziehen und in Warschau bei der Eisenbahn eine Büroanstellung annehmen, doch verschwand er nicht endgültig vom musikalischen Plan.


    Balakirew entzweite sich auch mit Rimski-Korsakoff, fand jedoch in seinem Schüler Sergej Ljapunow einen treuen Jünger, der seine Fantsie »Islamey« für Orchester bearbeitete. Sein Lebensabend war durch die Gleichgültigkeit seitens des russischen Musikpublikums vergällt; indes wird sein Einfluss heute eher gewürdigt und seine Werke verdienen es, einem breiteren Publikum zugänglich gemacht zu werden.


    Folgende Aufnahme findet sich bei mir, die ich gerne empfehlen möchte:



    BBC Philharmonic Orchestra,
    Vassily Sinaisky


    Enthalten sind:
    Symphony No 1 und No 2
    King Lear-Ouvertüre;
    In Bohemia;
    Klavierkonzert op. 1;
    Tamara

    Einer der erhabensten Zwecke der Tonkunst ist die Ausbreitung der Religion und die Beförderung und Erbauung unsterblicher Seelen. (Carl Philipp Emanuel Bach)

  • Balakirew halte ich fuer einen genialen Instrumentator. Schon allein wegen der sinfonischen Dichtung Rus und der ersten Siinfonie. Eigentlich war er nicht der Sinfoniker der Gruppe, hatte sicherlich urspruenglich das Ziel, Rimsky dafuer auszubilden. Tatsaechlich wurde es dann aber Borodin.


    Ob es zu einem richtigen Krach mit Rimski kam, wage ich anzuzweifeln. Sicherlich wurde der Abstand groesser als er Rimski nahelegte, eine Stellung im Konservatorium anzunehmen, wohl auch, um selbst auf die Ausbildung junger Komponisten einzuwirken. Rimski war spaeter entsetzt ueber die Unvollkommenheit, was die Ausbildung bei seinem einstingen Mentor betraf. Aber es ist unglaublich, dass ein Autodidakt in der Lage war ein solches Meisterstueck wie Tamara zu komponieren. Rimski sagte spaeter in seiner Chronik ueber Balakirew, dass nach dessen Rueckkehr in den *alten Hafen* die Meinung publik war, es haette sich bei ihm (Balakirew) eine Schraube geloest. Dagegen ging Rimski vehement an, sagt jedoch wenig später: Die Abende mit Balakirew sind herrlich. Die Abende ohne ihn sind aber noch schoener.


    Glinka sagte einst sinngemäß (es ist immer sehr schiwierig zu sagen, dass ein Meister seinen Zenit ueberschritten hat, Alfred; das hängt doch immer von den eigenen Schwerpunkten ab; Lieder und Chöre schrieb er bis zum Schluss), dass die eigentliche Musik immer aus dem Volk käme; *Wir Komponisten sind nur die Arrangeure.* Das widerspricht zum Beispiel Smetanas Credo. Und was die tschechische Musik anbelangt, hat Smetanas Prophezeihung, dass ein *Konglomerat* von folkloristischen Mustern zu keinen Werken mit Bestand führen könne, sich immer wieder bestätigt. Nicht aber so bei Balakirew. Er ist vielleicht eines der besten Beispiele dafür, dass so etwas funktionieren kann. Jedenfalls in einer Orchestervariation.


    Sinfonisch bemerkenswert ist meiner Ansicht nach aber auch, dass es bei Balakirew nie eine richtige Reprise gibt sondern eine merkwürdige Form einer Art weitergeführten Durchführung, die zugleich Material im Sinne einer Reprise verarbeitet. Es ist wie eine funkelnde Kiste Diamanten. Die motivische Arbeit wird immer stärker verfeinert. Bei Tamara *funkelte* es mir sogar ein wenig zu viel. Merkwürdigerweise brauchte ich sehr viele Anläufe, um das Werk formal zu *fassen*.

    Heiko Schröder
    Ahrensburg


    "Wer sich im Ton vergreift, sucht nur in den glücklichsten Fällen nach neuen Harmonien."

  • Im Laufe der Zeit kommen einem oft relativ undeutlich gezeichnete Charaktäre "näher", man weiß mehr über sie, und beginnt einiges im Zusammenhang mit ihnen zu verstehen. Anderes indes wird unverständlicher.
    Relativ unverständlich sind einige Fakten, bzw. es ist schwer sie miteineinander in Verbindung zu bringen, dazu gehört daß Balakirew angeblich als Autodidakt zu sehen sein, wogegen er doch bei Alexander Dubuque astudiert habe. Recherchiert man (oft unbeabsichtigt) etwas genau, und dringt tiefer in die Materie ein, dann reduziert sich das Studiom bei Dubuque auf einige Lektionen.
    Daß er dennoch als Pianist auftreten konnte könnte man seiner Naturbegabung zuschreiben, und ich meine man kiegt gar nicht falsch damit. Gleichzeitig erteilte er auch Klavierunterricht. Das sollte eigentlich kein Problem darstellen, wenn die Schüler entsprechend ausgewählt wurden.
    Balakirew war darüber hinaus offenbar ein schwieriger - mit sich selbst und der Welt ringender Charakter - und hier ist auch vermutlich die Ursache zu finden warum er heute nicht so berühmt ist, wie er das eigentlich sein sollte.


    Mit der Qualität seiner Musik (Autodidakt hin -Autodidakt her) hat das IMO nur weng zu tun...


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !