Repertoirevorstellung: Madama Butterfly (Puccini), Hamburgische Staatsoper, 24.06.2015

  • Seit 2012 gibt es an der Hamburgischen Staatsoper eine Neuinszenierung der Butterfly (die alte in den Bühnenbildern von Alfred Siercke und in der Regie von Ulrich Wenk war nach mehr als 50 Jahren von Frau Young nicht mehr gewollt gewesen).
    Ob die jetzige Inszenierung (Vincent Boussard, Bühne Vincent Lemaire) wirklich besser ist, bleibt für mich fraglich. Es gibt ein Einheitsbühnenbild (eine große, nach vorn offene weiße Kiste mit einer Art Mohnblumentapete) mit spärlich zugestandenen Requisiten, aber einer mittig aus der Unterbühne bis über die Kastendecke hinausreiche, geländerlose, von den Protagonisten viel (zum Glück nur von unten) genutzte Wendeltreppe. Man musste also nicht den Absturz des sängerischen Personals befürchten. Der erste Akt geriet von den Kostümen her, wie gewohnt, folkloristisch; während des Liebesduetts am Ende dieses Aktes tauchten die Scheinwerfer den Bühnenhintergrund in ein leicht oranges bis rötliches Licht. Das grenzte, zusammen mit der Musik, schon an Kitsch.


    Nach der Pause war alles anders, die Sopranistin trug Jeans, das Orange war einem hellen Grün gewichen, der Hoffnung auf die Wiederkehr des geliebten Pinkerton entsprechend. Ein Kind gestand der Regisseur seiner Protagonistin nicht mehr zu. Cio-Cio San (Alexia Voulgaridou) zauberte im 2. Akt, auf der Treppe stehend, eine Puppe hinter ihrem Rücken hervor, die völlig ihrem Angetrauten (Stefano Secco) nachgebildet war. Später verwahrte Suzuki (Cristina Damian) diese Puppe in einem bereits mit anderen Puppen gefüllten Schrank. Butterfly bildete sich ihr Kind offenbar nur ein. Sie steigert sich in einen Liebeswahn hinein, was Szukis Schlussworte „arme Butterfly“ einen neuen Sinn (als Hinweis auf die seelische Krankheit ihrer Herrin) gibt. Dazu im Widerspruch steht natürlich der gesungene Text. Der Konsul Sharpless (Lauri Vasar) wird sich mit Cio-Cio San bestimmt nicht über ein eingebildetes Kind unterhalten haben, auch wurde der Mutter am Ende kein Kind weggenommen, die Puppe blieb zurück (damit es auch jeder verstand, hatte der Regisseur den Einfall, die Pinkerton-Puppe am Ende aus dem Schrank fallen zu lassen).


    So interessant der Gedanke ist, Cio-Cio San als seelisch Kranke darzustellen (im ersten Akt war sie schon mit einem manieristischen, sich von Ecke zu Ecke schlängelnden Bewegungsrepertoire aufgefallen), so wenig funktionierte dieses Konzept mit der Musik.
    Vielleicht wollte der Regisseur dem Stück die Kitschanmutung austreiben. Das gelingt aber nicht durch Entfernung des Kindes.
    Die Musik spricht von der Mutterliebe, nur das real existierende Kind erklärt dem Publikum das lange Warten und das Zurückweisen des optisch imposanten Bewerbers Yamadori (Victor Rud). Warum sollen wir uns mit einer Krankengeschichte befassen, wenn wir mit einer Mutter, der ihr Kind weggenommen wird, mitleiden dürfen. Reale Kinder sind nie kitschig, Puppen können das im Zusammenspiel mit Puccinis Komposition schon sein.


    Wie wurde gesungen: Der an sich nicht sehr voluminöse, aber tragfähige Sopran Voulgaridous strömte in allen Lagen frei und war weder beengt noch zeigte er irgendwelche Schärfen. Ihr Piano und ihre Höhen klangen weich, warm und wie von einem leichten Glühen durchzogen. Ihre Leistung wurde am Ende zu Recht bejubelt. Der Pinkerton ist fast immer ein Problemfall. Der sonst den Tenören die schönsten Arien in die Kehle schreiben konnte (Puccini) hat an diesem „US-Amerikaner“ gegeizt. Ein wirklich guter Tenor fühlt sich vielleicht mit dem Pinkerton verheizt. Der höhensichere Stefano Secco erfüllte seine Aufgabe aber ordentlich. Cristina Damian und Lauri Vasar sangen für mich hervorragend, leider wurde ihnen von der neuen Direktion der Ensemblevertrag nicht verlängert. Im Gegensatz zu Victor Rud, bei dem immer wieder eine vom Volumen her zu schwache Stimme auffällt. Jürgen Sacher war Goro, ich könnte ihn mir besser gesungen vorstellen. Aber warum, die Butterfly hat so viele Stichwortgeber, die, wenn gute Sänger eingesetzt werden (Tigran Martirossian als Bonzo oder Vincenzo Neri als Kaiserlicher Kommissar), an Materialverschwendung denken lassen könnten. Das Orchester, welches Alexia Voulgaridou manchmal zudeckte (am Ende ihrer großen Arie im zweiten Akt etwa) wurde von Kirill Karabits geleitet.

    Oper lebt von den Stimmen, Stimmenbeurteilung bleibt subjektiv