Johann Theodor Roemhildt (1684-1756) - Wer kennt ihn? Und sollte man ihn denn kennen?

  • Es hat ja einige erfreuliche Wiederentdeckungen vernachlässigter Komponisten des Barock in den letzten Jahren gegeben. Christoph Graupner hat wohl den Durchbruch geschafft: Es gibt eine Vielzahl von CD-Veröffentlichungen und in mehreren Ländern wird an einer weiteren Erschließung seines Werkes gearbeitet. Gottfried Heinrich Stölzel ist eine noch ungesicherte Zukunft: Hier ist es das Engagement von Einzelnen und die Basis für eine weitere Bekanntheit erscheint mir noch recht schmal zu sein.


    Nun zu meinem Kandidaten für eine Neuentdeckung: Johann Theodor Roemhildt. Ein weiterer Komponist aus der großen Anzahl mitteldeutscher Meister, die sich in einer erstaunlichen Fülle in einem eng begrenzten Territorium fast gleichzeitig begegneten. Die Querverbindungen, Schüler- und Lehrerverhältnisse sind hochinteressant. Roemhildt entstammt keiner eigentlichen Musikerfamilie, dafür scheint wieder einmal das protestantische Pfarrhaus seine Rolle als Wiege unterschiedlichster Begabungen gespielt zu haben. Sein Vater war Pfarrsubstitut und gleichzeitig sein erster musikalischer Lehrer, seine Mutter entstammt wiederum einem Pfarrhaus. Geboren wird Johann Theodor in Salzungen in Thüringen und prompt tritt ein Bach als sein weiterer Lehrer auf: Ein Johann Jacob Bach in Ruhla. Unschwer zu erraten, wie es wohl weiter geht: Johann Theodor wird Thomasschüler in Leipzig und hat Johann Schelle und Johann Kuhnau als Lehrer. Mitschüler von ihm waren Reinhard Keiser, Johann David Heinichen, Johann Christoph Graupner und Johann Friedrich Fasch, mit dem er auch später noch in Kontakt stand. Das liest sich so einfach, aber man muss sich das einmal vorstellen, welche zukünftigen Meister da zusammen studierten, musizierten, im Winter erbärmlich froren und Flöhe knackten. Ein Komponist mit dieser handwerklichen Grundausstattung kann eigentlich zukünftig keine schlechte Musik schreiben, im schlechtesten Fall eben solides Handwerk abliefern. 1705 wechselt Roemhildt an die Universität Leipzig und verpasst somit knapp Telemann als Mitstudenten, sicherlich aber nicht dessen Collegium musicum und es ist unwahrscheinlich, dass sich nicht bereits vorher regelmäßig die Wege kreuzten. Mit 24 oder 25 Jahren ist Roemhildt dann Musiklehrer und Chordirektor in Spremberg in der Niederlausitz. 1714 übertrug man ihm das Rektorat der dortigen Schule, allerdings nicht aus pädagogischen Gründen, sondern weil die Rektorenstelle dem Kantor übergeben werden musste. 1715 ging er als Musikdirektor an die Kirche in Freystadt/Niederschlesien. Zusätzlich zu seiner Position als Kantor war Roemhildt als Lehrer am Lyzeum, einer Schule mit seinerzeit etwa 150 Schülern, tätig. Die Entwicklung der Karriere verläuft nun unterschiedlich zu Johann Sebastian Bach: Aus einer ähnlichen Konstruktion wie dem Leipziger Thomaskantorat wechselt Roemhildt nun auf Dauer in den Dienst als Hofkapellmeister an den Merseburger Hof, wird zusätzlich Domorganist und Kollege des älteren der beiden Graun-Brüder. Es folgen 25 ruhige und zugleich produktive Jahre in Merseburg. 1756 endet sein irdisches Wirken und das Kirchenbuch vermerkt:
    „Den 26. Oktober nachm. Halb 6 Uhr ist Herr Johann Theodor Roemhildt, Vormaliger Hochfuerstl. Saechs. Merseburger Wohl bestallt gewesener Capell Meister, wie auch bey der Hohen Stiffts und Dom Kirche allhier gewesener Organist an einem Schlag Fluß im 73. Jahre seines Lebens sanft und selig Verstorben und auf dem Stadt Gottes Acker begraben worden.“


    Seine Werke waren zu seinen Lebzeiten und kurz danach wahrscheinlich verbreiteter als die des zeitlich und räumlich nahen Johann Sebastian Bachs. Diese Verbreitung hat sich allerdings nicht bis heute erhalten.

    Erhalten haben sich weitaus mehr als 200 Kantaten, vier Messen, eine Matthäuspassion und diverse Instrumentalwerke.
    Das hört sich nun interessant an. Die Frage ist natürlich: Sollte man versuchen, dieses Werk einer breiteren Öffentlichkeit innerhalb der Freunde der alten Musik bekannt zu machen? Und was ist bereits erhältlich?



    Da sieht es auf dem Musikmarkt gegenwärtig recht traurig aus. Es gab eine CD mit Solokantaten für Bass mit Klaus Mertens mit mehreren mitteldeutschen Komponisten und zwei kurzen Kantaten von Roemhildt. Sogar bei cpo. Allerdings wurden die Bestände im letzten Jahr billig abverkauft. Gegenwärtig ist die CD noch bei amazon erhältlich:




    Ansonsten hat sich das polnische Ensemble "Goldberg Baroque Ensemble" verdient gemacht: Auf insgesamt vier CDs sind gegliedert nach kirchlichen Anlässen größer besetzte Kantaten von Roemhildt zu finden, jeweils zusammen mit Barockkomponisten aus Danzig. Im Rahmen des alljährlichen Goldberg-Festivals in Danzig erfolgte 2014 die Wiederaufführung von 3 Kantaten Roemhildts. Von diesem Konzert gibt es einen Mitschnitt und es sind 2 Kantaten bei YouTube veröffentlicht worden, eine dritte soll bald folgen. Somit kann sich der Interessierte ein Bild machen, wie lohnenswert eine Roemhildt-Renaissance sein könnte. Ich bitte ausdrücklich um Eure Meinung.



  • Das Institut für Musikwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum hat das Werk Johann Theodor Roemhildts erschlossen und eine sehr informative Seite erstellt. Insbesondere finden sich die Kantaten nach unterschiedlichen Gesichtspunkten geordnet, so z.B. entsprechend dem Kirchenjahr. Quelle, Besetzung und die vollständigen Kantatentexte sind einsehbar. Es sind einige .mp3-Dateien mit Musik vorhanden aus Aufnahmen mit dem Ensemble Cappella Gedanensis aus Danzig.
    http://www.ruhr-uni-bochum.de/mielorth/


    Vom genannten Ensemble soll es tatsächlich eine CD mit 4 Roemhildt-Kantaten aus dem Jahr 2006 geben. Ich habe sie nirgends entdecken können (stimmt nicht ganz, in Japan wurde ein Exemplar zum Kauf angeboten). Nun habe ich mit dem Ensemble selbst Kontakt aufgenommen und tatsächlich scheint es da noch Reste der Auflage zu geben :jubel: .
    http://gedanensis.pl/dyskograf…ne-skarby-dawnego-gdanska




  • Nur zur Vervollständigung: Hier die dritte Kantate, die am 07.09.2014 in Danzig im Rahmen eines Chorkonzertes aufgeführt wurde.


  • Zitat

    Die Frage ist natürlich: Sollte man versuchen, dieses Werk einer breiteren Öffentlichkeit innerhalb der Freunde der alten Musik bekannt zu machen? Und was ist bereits erhältlich?


    Ja, sollte man. Roemhildt lohnt ebenso eine Wiederentdeckung wie Stölzel. Dass sich cpo auf die Solokantaten konzentriert ist etwas verwunderlich, die Danziger Einspielungen, die sich offenbar auf das vor Ort verbliebene Material stützen, wirken da glücklicherweise kompensierend.
    Zur Ergänzung der Literaturliste auf der oben genannten Website: vor allem 2005 gab es Veröffentlichungen (durch die Forschungsstätte im Schütz-Haus und bei Spaeth). 2007 folgten noch eine Reihe von Kantaten, zwei Jahre später endlich auch die Matthäuspassion. Seitdem scheint im Bereich der Sakralmusik Flaute zu herrschen.
    Zudem finden sich einige Orgelwerke in einem bei Bärenreiter erschienenen Sammelband (Roem V 243, 11-13 & 19).


    Zitat

    Johann Theodor wird Thomasschüler in Leipzig und hat Johann Schelle und Johann Kuhnau als Lehrer. Mitschüler von ihm waren Reinhard Keiser, Johann David Heinichen, Johann Christoph Graupner und Johann Friedrich Fasch, mit dem er auch später noch in Kontakt stand. Das liest sich so einfach, aber man muss sich das einmal vorstellen, welche zukünftigen Meister da zusammen studierten, musizierten, im Winter erbärmlich froren und Flöhe knackten.


    Eine derartige Konstellation dürfte tatsächlich ziemlich einmalig in der Geschichte der Chöre dastehen, ein Zenit auch für den Chor der Thomasschule. Noch während Roemhilds Schulzeit (und der etlicher der oben genannten zukünftigen Hofkapellmeister) unterzeichnete Kuhnau allerdings jenes Papier, welches die Einstellung externer Instrumentalisten erschwerte und einen entscheidenden Schritt in jene Krise bedeutete, die inbesondere Bach noch so beschäftigen sollte...

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