Staden Johann, 1581 - 1634

  • Zitat von zweiterbass:
    "Eröffnungskonzert der 63. ION in St. Lorenz am 23.05.14
    Hallo,
    das ganze Konzert war dem Nürnberger Komponisten, Kantor an St. Lorenz und St. Sebald (verbunden mit der Funktion als Musikdirector Nürnbergs) Johann Staden (1581-1634) gewidmet und stand unter dem Motto „Venedig in Nürnberg“.
    Zur Einführung zitiere ich aus dem Vorwort zum Konzert:
    „Nürnberg war vom 15. bis zum frühen 17. Jahrhundert durch seine wirtschaftliche und kulturelle Prosperität eine Metropole von europäischem Rang…Die Stadt mir ihren großen, prächtigen Kirchen und der dort erklingenden Musik muss auf die Menschen einen enormen Eindruck gemacht haben…wenn nun wieder erstmals sacrale und weltliche Musik… von Staden aufgeführt wird, eine groß besetzte, feierliche Musik und mit ähnlichen Raumeffekten arbeitend wie vergleichbare Werke für San Marco in Venedig…Staden war zum größten Teil seines Lebens und in schwieriger Zeit in Nürnberg – 30-jähriger Krieg (1632 große Schlacht vor der Toren Nürnbergs, Wallenstein gegen Gustav Adolf, 80.000 Krieger), zwei Pestepidemien - die 2. hat 1634 auch Staden hinweg gerafft ( man schätzt, dass die Hälfte der Nürnberger Bevölkerung der Pest zum Opfer gefallen ist)…Viele seiner Werke sind verschollen, sodass er quantitativ z. B. hinter Schütz und Gabrieli zurückfällt, nicht aber qualitativ…Das faszinierende an Staden ist, dass er sowohl mit dem Motettenstil von z. B. Hassler, Lasso, Lechner vertraut war, als auch mit den italienischen Werken (Gabrieli)…und er aus den gelehrten kontrapunktischen Gebilden und venezianischer Pracht einen eigeständigen Musikstil kreierte…“
    Die Ausführenden:
    Solistenquartett (S,A,T,B), Windsbacher Knabenchor, Choristen Doppelquartett
    „Concerto Palatino“: 3 x Barockposaune, Violine. 3 x Gambe, Zink, Truhenorgel
    „Capella della Tore“: Altpommer, Tenordulcian, Bassdulzian, Theorbe, Schalmei, Altdulzian, Truhenorgel
    Gesamtleitung Martin Lehmann
    (Das Instrumentalensemble, das „Feinste vom Feinen“, ohne die Sänger/innen damit weniger gut einzustufen – nur, wann hört man live so eine Instrumentenkombination?)
    Es erübrigt sich, die 15 Chorwerke, drei gregorianischen Gesänge und 14 „Symphonias“ einzeln aufzuführen, dabei fungierten die (kurzen) Symphonias als Überleitungen zu den Chorwerken.
    Die Chorwerke waren äußerst unterschiedlich besetzt, vom (ganz selten) 4-stimmigen Gesamtchor, zum 4-stimmigen 3-fach-Chor, zum 8-stimmigen Doppelchor (örtlich links, rechts im Altarraum und vor dem Altar). Dazu gesellten sich die Solisten in diversen Variationen und auch das Choristen Doppelquartett war als Echochor (örtlich zurückgesetzt) zu hören, nicht nur als hervorragende Choralschola. Und von der Gregorianik abgesehen waren stets die Instrumentalisten in unterschiedlicher Zusammensetzung dabei.
    Die Aufführung war ein musikalisches Großereignis, mit exzellenter Interpretation und makelloser Ausführung. Dabei konnten die „Windsbacher“ den 1. Rang unter den deutschsprachigen Knabenchören wiederholt eindrucksvoll unter Beweis stellen. (Für mich ein Musikerlebnis überragend, unvergesslich und tief bewegend.)


    Viele Grüße
    zweiterbass
    Nachsatz 2: Staden ist weitgehend unbekannt (es gibt kaum CD-Aufnahmen und bei YouTube ist es auch schlecht bestellt). Das könnte sich ändern, wenn BR-Klassik (Liveübertragung und Mitschnitt) die Rechte für CD-Veröffentlichung (über das BR-eigene Label) erworben hat."




    Hallo,
    ich ergänze mit Angaben aus dem CD-Booklet:
    Bevor er in Nürnberg erst an St. Lorenz, dann an St. Sebald (damals die Nr. 1 der Kirchen Nürnbergs; jetzt hat sich das zu Gunsten von St. Lorenz verschoben) Kantor wurde, waren seine Tätigkeitsbereiche in Bayreuth, Kulmbach und Dresden. Seine Vorgänger an St. Sebald waren L. Lechner und H. L. Hassler, einige seiner damaligen Nachfolger J. E. Kindermann und J. Pachelbel.
    Während Nürnbergs 1. Pestilenz im 30-jährigen Krieg verstarb seine 1. Frau und 4 seiner Kinder; die mehrmonatigen (1632) Feldlager von Gustav-Adolf und Wallenstein in unmittelbarer Nähe Nürnbergs waren kein Gewinn für die Stadt.


    Bei der CD handelt es sich nicht um einen Live-Mitschnitt, sondern um eine Studioaufnahme (was Vor- und Nachteile hat) zwischen dem 22. und 25.05.2014 der 15 Motetten von Staden als Weltersteinspielung. Bevor ich zu einzelnen Werken poste einige allgemeine Bemerkungen:


    1. Die 15 Motetten sind sowohl homophon wie auch polyphon, was auch in den einzelnen Motetten wechseln kann; die Chöre sind 4-12-stimmig und in bis zu 3 Chorgruppen unterteilt.


    2. Die Solostimmen haben untereinander eine sehr gute Klangbalance, was durch das/die recht einheitliche Timbre/Klangfarbe der Solisten unterstützt wird, die auch kein störendes Vibrato/Tremolo aufkommen lassen.


    3. Was für die Solisten gilt, ist ebenso für das Zusammenwirken von Chor, Chorsolisten, Solisten und Instrumentalensembles gültig – eine beispielhafte Klangbalance.


    4. Die Textverständlichkeit ist ohne Tadel (bei polyphonen Stellen natürlich eingeschränkt).


    5. Die z. T. nicht mehr gebräuchlichen Blasinstrumente werden sehr gut gespielt, hervorzuheben sind die Zinken.



    Um eine rasches Nachvollziehen meiner beispielhaften, besonderen Eindrücke zu ermöglichen, nenne ich für diese vorab Gruppen und kennzeichne diese mit A...B….sodass ich bei den einzelnen Nr. der CD nur noch den/die Buchstaben und die Laufzeiten anzugeben brauche.
    A Solisten
    B Chorsolisten
    C Dissonanzen
    D Ähnlichkeit mit Gabrieli/Monteverdi


    CD Motette Nr. 1, A, 1:29 – 01:53 (Sopran oder Zink?)


    Nr. 2, B, 0:00 - 0:32
    Nr. 2, C, vorletzter Akkord


    Nr. 3, C, 4:36 – 4:37, da ist schon Arvo Pärt zu hören
    Nr. 3, D, 7:29 – 7:34


    Nr. 4, D, 1:05 – 1:08 und 1:45 – 1:47


    Nr. 9, B, stets im Wechsel mit dem Chor


    Nr. 10, D, letzte Akkorde


    Nr. 11, A und D, 1:05 – 1:43
    Nr. 11, A und D, 2:12 – 03:11


    Nr. 14, D, Echo-Wirkungen


    Nr. 15, D, große Klangpracht zum Ende


    Die CD-Einspielung ist auf YouTube leider gesperrt.



    Es bleibt die Hoffnung, dass ähnlich wie bei Pachelbel (11-bändige Gesamtausgabe seiner Vokalwerke in 2015), auch die Werke von Staden ihrem Dämmerschlaf entrissen und aufgeführt werden – sie haben es mehr als verdient.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Lieber zweiterbass


    Wieder eine Entdeckung, die ich in unserem Forum machen darf. Vielen Dank für deine ausführliche Würdigung dieser Musik und der CD. Ich habe mir die Aufnahme der Motetten von Johann Staaten als Liebhaber Alter Musik und der Stimmen von Knabenchören gleich bestellt.
    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928