The Golden Curtain - die Geschichte der MET in Anekdoten

  • Folge 1 - Einleitung


    Dieses Thema ist wie eine Pralinenschachtel, es wird in kleinen Häppchen dargeboten. Auch der Inhalt ist selten ernst, obwohl er durchaus auf ernsten historischen Fakten beruht. Es basiert auf dem Buch "Molto agitato" von Johanna Fiedler, aus dem ich mir die Rosinen herausgepickt habe.
    Bei jpc ist das Buch nicht zu haben, wohl aber bei Amazon (Marketplace); dort für kleines Geld. Übersetzt ist es nicht, aber das Englisch ist leicht zu verstehen. Nicht alles gebe ich auf deutsch wieder; man kann dem Text auch folgen, wenn man die englischen Zitate überspringt.
    Wer ist Johanna Fiedler? Nun, Arthur Fiedler hatte drei Leidenschaften: seine "Boston Pops", die er gegründet und bis zu seinem Tod geleitet hat, seinen Hund Pip und seine Töchter. Eine von diesen ist Johanna, die lange in der Pressestelle der MET gearbeitet hat. Ihr Buch beruht durchaus auf ausgiebigen ernsten Quellenstudien, dazu kamen ihre Erfahrungen aus der Zeit, in der sie an der MET gearbeitet hat. Sie hat aber auch viel vom Humor ihres Vaters mitbekommen, und so liebt sie es, auch sehr witzige Dinge zu erzählen. Auch Tratsch und Klatsch sind ihr nicht fremd, was auch kein Schade ist, wenn es so gut erzählt wird und uns die großen MET - Stars auch menschlich näher bringt.
    Ich bin auf dieses Buch gekommen, weil im NEW YORKER ausführlich berichtet wurde über eine Episode, die allerdings Schlagzeilen machte und brillant erzählt ist: die Entlassung von Kathleen Battle durch Joseph Volpe.
    The Golden Curtain ist das, was bei uns der "eiserne Vorhang" ist; ich meine, dass er auch in Düsseldorf golden eingefärbt ist.
    Fiedler: "Life at the opera was lived on a greater scale; it was a world populated by larger-than-life characters who behaved as though they lived in an opera. There was cruelty, kindness, generosity, self-sacrifice. The one thing there never was was silence."
    Es ist kein Buch über die Oper, sondern eine Studie über die Institution Oper, eine Welt, die uns Besuchern ja komplett verschlossen ist. Fiedler vergleicht die MET mit anderen "geschlossenen Institutionen" (der amerikanische Soziologe Erving Goffman schreibt in seinem Buch "Asylums" darüber; Gefängnisse und viele Firmen zählen auch dazu!) wie dem Kreml oder dem Vatikan.
    Fiedler: "I saw all aspects of the company from the stage crew to the orchestra to the board of directors (und natürlich auch die Sänger, die sie hier vergisst, die aber der interessanteste Teil zusammen mit den conductors sind).
    Fiedler: "Behind the Gold Curtain is a world that is very human, though human on a grand scale. It was a privilege to be part of that world for the time I was at the MET."

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • 1908 kam Toscanini an die MET. Alle mussten sich an sein Temperament gewöhnen. Er tobte und beleidigte besonders die Orchestermusiker, wenn die falsch spielten: "The orchestra play like pig!" Eine Entschuldigung lehnte er ab, weil er meinte, dass das Orchester doch wirklich "like a pig" spielen würde. Im Gegenzug bot er an, die morgendlichen Proben mit "Good morning" zu beginnen. Trotzdem schickte das Orchester eine Beschwerde zum Intendanten Gatti. Der sagte nur, sie sollten sich mal anhören, mit welchen Ausdrücken Toscanini ihn, Gatti, belegen würde.
    Der Sopran-Star war zu dieser Zeit die Amerikanerin Geraldine Farrar. Bei "Madame Butterfly" kam es zum Zusammenstoß:
    Farrar: "But I am the star!". Toscanini: "Madame, the only star are in the heavens!"
    Es kam, wie es kommen musste, Farrar und Toscanini wurden ein Liebespaar, was für Toscanini nicht die erste und nicht die letzte Liebschaft war. Das Problem aber war, dass Toscanini in Italien verheiratet war und nicht im Traum daran dachte, als guter Katholik seine Familie aufzugeben. Das aber wollte Farrar. Sie war der Superstar der MET (neben Caruso), die eine einzelne Garderobe für sich hatte und sogar auf Reisen der MET einen eigenen Waggon!
    1915 ersetzte der Tenor Giovanni Martinelli Caruso in "Carmen", worauf Toscanini ihm bescheinigte, er sänge "like a police dog". Toscanini war so frustriert über "Carmen" und die Affäre mit Geraldine Farrar, dass er früher über den Atlantik nach Italien zurückfuhr. Das rettete ihm das Leben, denn er hatte ursprünglich für die "Lusitania" gebucht, die von deutschen U-Booten versenkt wurde.
    Toscanini ging zur "Scala" zurück und emigrierte in die USA, als die Faschisten in Italien die Macht ergriffen. Aber an der MET hat er nie wieder dirigiert.

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    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Deutsche Opern befanden sich im Repertoire der MET reichlich. Fiedler sagt nicht, welche, aber ich vermute mal, dass es überwiegend Wagner und nicht Lortzing war. Karfreitag 1917 wurde in der MET Parsifal gespielt, als sich die USA und Deutschland den Krieg erklärten. Obwohl eine New Yorker Zeitung schrieb, dass Bach, Beethoven, Wagner und Brahms genauso der Welt gehörten wie Shakespeare und Dante, war der öffentliche Druck groß. Gatti, der Intendant, entfernte 45 deutsche Opern (leider belegt Fiedler das nicht) aus dem Repertoire und entließ alle deutschen Sänger und Dirigenten. Als Ersatz wurde z.B. Pierre Monteux engagiert.
    Der erste Weltkrieg endete am 11.11.1918, die MET spielte Samson und Dalilah unter Monteux, mit Caruso als Samson. Doch schon im Februar 1920 stand wieder Parsifal auf dem Programm, allerdings in Englisch.
    Problematisch war die Probensituation; je mehr Opern gespielt wurden, desto weniger wurde geprobt. Als Lauritz Melchior zum ersten Mal an der MET sang, hatte er nicht eine einzige Probe und hatte auch den Dirigenten vorher nicht gesehen.
    Die Intendanz versuchte das Programm zu modernisieren, so dass 1929 Kreneks "Johnny spielt auf" an der MET Premiere hatte. Um einen Skandal zu vermeiden, gab man die Hauptfigur als Weißen, der sich das Gesicht geschwärzt hatte.
    Nach Carusos Tod wurde Benjamino Gigli der erste Tenor der MET. Amelita Galli-Curci und Maria Jeritza hatten ihre Debuts. 1921 sang die Jeritza zum ersten Mal die Tosca. Kurz vor "Vissi d´arte" war sie ausgeglitten und sang das Stück im Liegen. Puccini war anwesend und so begeistert, dass er sagte, dass das jetzt immer so gesungen werden sollte.

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    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • In der Zeit, als ich anfing Opern zu hören, fiel in den Nachrichten oft der Name Bing. Für uns war das der Klang eines Königs der Oper - und das war er wohl auch. Die Stationen waren: Geburt in Wien 1902 - Landestheater Darmstadt - Städtische Oper Berlin - Emigration nach England - Gründung mit Fritz Busch und John Christie der Glyndebourne - Festspiele (1934) - Intendant der MET (ab 1950) - Adelstitel (1971) - Tod 1997 in Yonkers.
    Fiedler meint, dass das Opernrepertoire relativ schmal sei und es daher für jeden Intendanten wichtig ist, die alten Opern im neuen Gewand zu präsentieren und damit zum Erfolg zu bringen, der auch an der Kasse messbar sein muss. Daher legte Bing mehr Wert auf die Regie und verpflichtete dazu Film- und Theaterregisseure (der Beginn des RT? Dr. P.) wie Barrault, Mankiewicz, Peter Brook, Zeffirelli.
    Auch musikalisch war er der König, der jede einzelne Oper besetzte und die Verträge abschloss. Umstritten war seine Verpflichtung von Kirsten Flagstad, die d e r Star der MET wurde. Lauritz Melchior war pikiert, aber Bing ließ ihn ziehen, als Zeichen, dass er alles durchsetzen konnte, was er wollte. Auch die amerikanische Sopranistin Helen Traubel war brüskiert. Die Flagstad war im Krieg nach Norwegen zurückgegangen, Traubel hatte die großen Wagnerparts übernommen.
    "Unfortunately, she fit the classic unflattering image of a Wagnerian soprano: she was lethargic onstage and enormously fat." Bing mochte es auch nicht, dass sie in Nightclubs und Filmen sang. Für dieses "slumming he fired her."
    "Bing ran the MET as a monarchy and he ruled over all aspects of the opera house. He planned every season, cast each role, engaged the conductors, stage directors, and Designers, devised a healthy subscriber basis, and chose the repertory.
    Nur sonntags gab es keine Vorstellung, darum verbrachte er die mit seiner Frau "and his Dachshund Pip!" (Diesen Dachshund hatte ich fälschlicherweise Arthur Fiedler zugeschrieben; den ziehe ich hier mit zurück). Bings Ruf war dieser:
    "Beneath that cold and icy exterior beats a heart of stone!" Bing fühlte sich als Europäer und den Amerikanern überlegen. Wenn man sich über die hohen Kosten aufregte, sagte er nur: "My job is to spend money, not to raise it!"
    Er steigerte die Zahl der Aufführungen, der Abonnements und der Zuhörer. Obwohl er sich als musikalischer Aristokrat fühlte, war er standfest, was die Menschenrechte anging. Das galt vor allem für die Rassenfrage; er engagierte die Schwarzen Janet Collins, eine Ballerina, und die Sopranistin Marian Anderson. Auch auf Reisen in den Süden der USA ließ er keine Rassendiskriminierung zu. Er beobachtete einmal in Atlanta, dass die Platzanweiser sehr rüde mit schwarzen Jugendlichen umging; da griff er sofort ein.
    Als König der MET lag er im Dauerclinch mit den anderen Königen wie George Szell, Giuseppe di Stefano, Franco Corelli, Renata Tebaldi, Birgit Nilson, Herbert von Karajan und Beverly Sills, "considering her vulgar".
    "But his most famous clash was with Maria Callas!".

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    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Hier die Daten der Callas aus Wikipedia: 1923 in New York geboren, als Tochter griechischer Einwanderer. Studium in Athen, erste Solorollen in Athen. 1944 Heirat mit Battista Meneghini, italienische Staatsbürgerschaft; 1960 Heirat mit Onassis; dort wurde sie von Jacqueline Kennedy "abgelöst". 1977 stirbt sie in Paris an einer Lungenembolie.
    In meiner Jugend waren wir, meine Freunde und ich, entzweit an einer Kontroverse, die auch die ganze Musikwelt erfasst hatte: Callas gegen Tebaldi. Ich war Tebaldi - Verehrer. Ich fand, sie hatte die bessere Stimme. Heute denke ich, dass es auf die Rolle ankommt.
    Fiedler: Schon früh legte sich die Callas mit ihrem Mentor, Tullio Serafin, auf das italienische Repertoire fest, sang aber auch Isolde und Brünnhilde. "In the early 1050s, Callas looked like a cartoon of an opera singer. She dressed badly, wore too much makeup, and was overweight, but her musical talent was so splendid that no one cared. There have been few beautiful singers - Geraldine Farrar, Lily Pons, Rise Stevens, Mary Garden, and Maria Jeritza - but most were "big voices, which come in big singers." 1953 verlor sie an Gewicht, angeblich durch einen tapeworm (Bandwurm), den sie absichtlich verschlungen haben sollte. Innerhalb von 2 Jahren sah sie aus wie ein Model. In dieser Zeit begann Bing, sich für sie zu interessieren, weil er fand, er habe genug "fat sopranos". Die "Liebe" der beiden beruhte auch auf der Liebe zu Hunden, denn als der Callassche Hund einmal einen Bühnenbaum vollpinkelte, meinte Bing, das hätte seiner auch gemacht. Bings Liebe wurde noch stärker, als er sah, wie die Callas für ausverkaufte Häuser sorgte. 1958-9 bot er ihr die Titelrolle in Macbeth an, die teuerste Produktion der MET bis dahin (100 000 Dollars); Maria Callas bekam 3000 pro Aufführung. In dieser Zeit begannen die Streitigkeiten mit Bing über Reisen, Rollen, Gagen, auch darüber, dass die Callas oft absagte, ein Horror für jeden Intendanten (das kennen wir alle: wir sitzen gemütlich in der Oper - und ein Herr, meist der Intendant - tritt vor den Vorhang). Bing setzte der Callas ein Ultimatum für die Unterschrift unter einen Vertrag - die Callas unterschrieb nicht. Bing feuerte sie. Ein ungeheures Medienecho in den USA folgte. Callas sang zu der Zeit in Dallas, als sie die Schlagzeile las: "Maria Callas booted by the MET!" Ihre Reaktion: "I will do no more stinking performances - I´m not supposed to make money for Mr. Bing, I´m supposed to do art! - Those lousy Traviatas he wanted to make me do - and they are lousy, really lousy, and everyone knows it!"
    Bing reagierte und verpflichtete Leonie Rysanek statt der Callas für die Macbeth - Premiere. Als sie auftrat, rief jemand "Brava, Callas", aber Rysanek ließ sich nicht beirren und gab eine tolle Vorstellung. Sie wurde eine der Lieblingssängerinnen der MET über 40 Jahre hinweg.
    Durch ihre Affäre mit Onassis ließ die Callas ihre Karriere schleifen. Franco Zeffirelli: "...her stupid ambition to become a great lady of café society!"
    1964-5 lud Bing sie noch einmal ein für Tosca, wobei sie nicht einmal eine Orchesterprobe bekam. Beide Aufführungen mit Tito Gobbi als Scarpia waren aber grandios. "But after two performances, Callas was gone; she never returned."
    Eine kleine Bosheit als Abschluss (aus Wikipedia):
    "Maria Callas war stark kurzsichtig und vertrug keine Kontaktlinsen. Auf der Opernbühne eine Brille zu tragen, war nicht möglich. So konnte es geschehen, dass neben den Blumenbouquets, die ihr als Ovation nach der Vorstellung zugeworfen wurden, auch Sellerie und Radieschen auf die Bühne flogen."

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    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Obwohl Bing ein Tyrann war, stellte er doch entsetzt fest, dass es für die Beschäftigten, die dauernd an der MET arbeiteten, also für die stage hands, die Orchestermusiker wie das Ballett weder Gesundheitspläne noch Pensionen gab. Das nahm er in Angriff. Von Gewerkschaften hielt er gar nichts, sodass eine Fülle von Arbeitskämpfen die Folge war. Als einmal die stage hands bei "Norma" streikten, wurde die Verwaltung eingespannt, um die Bühnenarbeiter zu ersetzen. Bing hatte dabei den golden curtain, - also den eisernen Vorhang, zu bedienen, "an assignment that nearly resulted in the decapitation (Enthauptung) of Zinka Milanov."
    An der MET gab es 21 unions (Gewerkschaften), nur die Orchestermusiker waren praktisch nicht organisiert, dabei wurden sie sehr gut bezahlt, mussten aber dafür bis zu 7 x in der Woche spielen. 21 unions waren natürlich viel, weil jede einzelne Gruppe das ganze Haus lahmlegen konnte (richtig, wie bei uns bei der Bahn).
    Ab 1961 wurde ein neues Haus geplant, das alte zu restaurieren wäre noch teurer gewesen. Es wurde am Lincoln Square gebaut, ein übler Slum in dieser Zeit. Das neue Haus sollte 1966 mit einer für diesen Anlass komponierten Oper von Samuel Barber eröffnet werden, "Antony and Cleopatra", betreut von Franco Zeffirelli. Für den Start hatte Bing neun neue Produktionen geplant, weil er die Wiener Staatsoper überflügeln wollte, die mit 6 eröffnete. Die Folge war, dass alle unfassbar erschöpft waren und z.T. im Opernhaus schliefen. Da wurde dann reduziert.
    Zeffirelli wollte aus Barbers Oper ein Riesenspektakel machen, als jedoch die Drehbühne von 400 Statisten bevölkert wurde, gab sie ihren Geist auf und musste von Hand gedreht werden. In der Pyramide der Cleopatra war Cleopatra, gesungen von Leontyne Price, gefangen und kam nicht heraus. Zum Glück war das die Hauptprobe. Leontyne Price kommentierte ihre Panik "Man, that´s when I lost my tan!" (sie war schwarz!).
    Dann fing das Orchester an zu revoltieren, weil es fand: "All this money is flowing everywhere except to us!" Dann drohten sie, nur die Eröffnung zu spielen und dann zu streiken. Dann einigte man sich doch.

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    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • 1944 Heirat mit Battista Meneghini, italienische Staatsbürgerschaft; 1960 Heirat mit Onassis; dort wurde sie von Jacqueline Kennedy "abgelöst".

    Maria Callas war nie mit Onassis verheiratet!



    Leontyne Price kommentierte ihre Panic "Man, that´s when I lost my tan!" (sie war schwarz!).

    Sie ist es immer noch! :D

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Das stimmt, es war nur eine Affäre. Somit konnte Jackie Kennedy Onassis leichter für sich gewinnen! Danke für die Korrektur!

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    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Das stimmt, es war nur eine Affäre. Somit konnte Jackie Kennedy Onassis leichter für sich gewinnen! Danke für die Korrektur!


    Es war vielleicht die schlimmste Niederlage der Callas. Sie arbeitete gezielt darauf hin, Mrs. Onassis zu werden. Aber der Gute verlegte sich anfangs auf Hinhaltetaktik und griff dann zu, als sich die Möglichkeit auftat, die wohl glamoureuseste unverheiratete Frau der Welt zu ehelichen - die Ex-First-Lady der Vereinigten Staaten. Eine reine Renommier-Heirat, die ihn in die höchsten Society-Kreise hievte.

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Lieber Dr. Pingel,


    als Callas-Fan kann ich einige Aussagen von dir nicht stehen lassen.


    1944 heiratete sie Meneghini nicht, den sie zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht kannte, sondern sang noch an der Athener Oper.


    Von 1945 bis Mitte 1947 ging sie nach New York zu ihrem Vater zurück und versuchte, dort als Sängerin Fuß zu fassen. Sie fand dann ein Engagement als "La Gioconda" in der Arena von Verona. Dort lernte sie dann auch Meneghini kennen, den sie aber erst 1949 heiratete.


    Was ihre angeblichen Skandale und Absagen angeht: Auch andere Sänger sagen Vorstellungen ab, wenn sie sich zu krank fühlen, um auf ihrem gewohnten Niveau zu singen. Weil sie aber "die Callas" war, wurde von der Presse jedesmal ein Skandal daraus gemacht. Fakt ist: Sie hat seltener abgesagt als manch andere Diva. Bei der Absage der "Sonnambula" in Edinburgh kam sie schon geschwächt an. Ihr Arzt hätte es lieber gesehen, wenn sie gar nicht aufgetreten wäre. Sie sang die vereinbarten Vorstellungen und stellte dann fest, dass die Scala-Leitung eine zusätzliche Vorstellung mit ihr angesetzt hatte, ohne dass sie davon auch nur vorab informiert worden wäre. Sie reiste ab. Was man ihr besonders übel nahm war, dass sie anschließend in Venedig Party feierte. Die Scala - sprich Intendant Ghiringhelli weigerte sich, die Sache richtigzustellen, und der "Skandal" blieb an der Callas hängen.


    Rom Januar 1958. Angesetzt ist eine Galavorstellung der "Norma". Bereits am Vortag bemerkt die Callas, dass eine Halsentzündung im Anzug ist. Sie bittet die Leitung der römischen Oper, sicherheitshalber einen Ersatz bereitzustellen. Diese lehnt das ab - für eine Callas gibt es angeblich keinen Ersatz. Es kam, wie es kommen musste: Nach dem ersten Akt fühlte die Callas, dass sie nicht mehr weitersingen konnte. Und da ja kein Ersatz besorgt worden war, musste das Publikum nach Hause geschickt werden. Und weil zu diesem Publikum auch der italienische Staatspräsident gehörte, geiferte die Presse "Skandal, Skandal, Skandal".


    Soviel zu der "Skandalnudel "Callas. Alle ernsthaften Künstler, die mit ihr zusammenarbeiteten, betonen übereinstimmend, dass sie sich höchstens dadurch unbeliebt machte, dass sie immer gründlicher und länger proben wollte als die Kollegen. Das Bild, das die Presse jahrelang von der wilden und unkollegialen "Tigerin" zeichnete, sollte nun allmählich wirklich überholt sein.


    Schließlich Onassis: Es ist bedingt richtig, dass die Callas ihre Karriere ihm zuliebe schleifen ließ. Sie hatte bereits seit Ende der 50er Jahre zunehmend stimmliche Probleme, die sich durch den Beschluss der Callas, nach jahrelanger harter Arbeit das Leben auch mal zu genießen, sicher nicht verringerten.


    Und was Rudolf Bing angeht: Seine Memoiren zeichnen sich nicht gerade durch Objektivität aus, auch wenn sie ganz nett zu lesen sind.


    Viele Grüße


    Mme. Cortese

    Gott achtet mich, wenn ich arbeite, aber er liebt mich, wenn ich singe (Tagore)

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  • Und was Rudolf Bing angeht: Seine Memoiren zeichnen sich nicht gerade durch Objektivität aus, auch wenn sie ganz nett zu lesen sind.


    Das ist zweifellos richtig, aber bei wessen Memoiren ist das grundlegend anders?

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Umstritten war seine Verpflichtung von Kirsten Flagstad, die d e r Star der MET wurde.


    Ich habe auch noch eine inhaltliche Richtigstellung: Dass die Flagstad durch die Verpflichtung von Rudolf Bing d e r Star der Met WURDE, ist natürlich Unsinn - sie war lange vor Bing e i n Star der Met, nämlich von 1935 bis 1941, also bevor sie zurück nach Norwegen ging. Sie kam dann zwar wieder, sang aber bei Weitem nicht mehr so viel wie vorher und hatte ihren Zenit doch schon etwas überschritten.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • die Sopranistin Marian Anderson


    Die war nun wirklich eine klassische Altistin. Sie sang als erste Afroamerikanerin an der Met - und zwar 1955 die Ulrica im "Ballo" unter Mitropoulos, der auch Erfahrungen als Geächteter hatte. Es gibt sogar einen Mitschnitt aus diesem Jahr. Auf Anhieb kann ich mich aber nicht dafür verbürgen, dass es sich dabei tatsächlich um die Antrittsvorstellung handelt. Zumindest war das schon ein Ereignis. Ansonsten bin ich nicht so besonders überwältigt von den Met-Mitschnitten aus dieser Zeit, die sich sehr reichlich erhalten haben. Die Besetzungslisten lesen sich zwar wie ein Who's who. Es wird alles aufgeboten, was aufzubieten war. Bing ist tatsächlich ungemein tüchtig gewesen. Oft klingt es aber nicht so, wie es hätte klingen können. Es fehlen der Zusammenhalt und der Ensemblegeist, die für Oper unerlässlich sind. Statt dessen viel zu viel Routine. Und das Orchester ist auch nicht immer auf der Höhe, trotz hervorragender Dirigenten. Fast nichts hält in meinen Ohren einem Vergleich mit zeitgleichen akustischen Dokumenten aus Wien, Bayreuth oder Salzburg stand. Met ist viel Mythos.


    Weil es diese und jene Einwände gibt. dr. pingel hat uns Anekdoten versprochen und keine Dokumentationen. Daran sollten wir denken. Anekdoten nehmen die Wirklichkeit auf eine ganz besondere Weise auf. Allerdings bin ich auch etwas erstaunt, wie langlebig und zäh doch einige Irrtümer sind. Mme. Cortese hat dankenswerter Weise für die Callas gesprochen. Darüber bin ich sehr froh. :hello: Mich wundert, dass alte Geschichten aus der Boulevardpresse noch immer im Umlauf sind, obwohl es in den letzten Jahren einige sehr gute Bücher gegeben hat, die den Unsinn widerlegen und die Callas als das zu ergründen versichen, was sie gewesen ist - eine der bedeutendsten und ernsthaftesten Erscheinungen der Operngeschichte.


    Ich freue mich trotzdem auf neue Geschichten. :)

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Ich bin ganz angetan von dem, was wir hier von euch noch erfahren, und ich möchte ausdrücklich betonen, dass ich auf diese Ergänzungen oder Korrekturen sehr erpicht bin. Aber ihr müsst auch bedenken, dass ich mich nur auf Johanna Fiedler berufe und auf manches aus Wikipedia, daher könnt ihr hier keine objektive Darstellung erwarten, vor allem, weil der Zenith der meisten Sänger in meine Jugendzeit fällt und ich damals schon kein Interesse an den Stars hatte, was dann auch so geblieben ist. Das nächste Kapitel beschäftigt sich mit den drei Tenören, allerdings in einer besonderen Konstellation, nämlich Caruso, Pavarotti, Domingo; da könnt ihr schon mal eure Messer wetzen.

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    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Zitat

    Sie ist es immer noch! :D


    How do you know? She said she´d lost it! :D

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    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Manche Künstler werden sehr ungerecht beurteilt. Heute bin ich geneigt aufgrund der Korrekturen von Mme Cortese größere Stücke auf Maria Callas zu halten als vorher. Ein Sänger war immer unumstritten, besonders in New York: Enrico Caruso. Bei ihm überschlagen sich die Lobeshymnen, und das nicht nur, was seine sängerischen Leistungen betrifft. Er stammte aus Neapel (*1873), das siebte Kind, nicht das 18. Kind, wie Johanna Fiedler auch meint. Vielleicht ist das ein Missverständnis, wie es einem amerikanischen Germanistikstudenten passiert ist. Nach dem Anhören des "Erlkönigs" fragte er, warum denn der Vater beim Verlust des Kindes so verzweifelt war, er hatte doch noch 17 Kinder. "Dem Vater grauset´s, er reitet geschwind, er hält in den Armen das achzehnte Kind...".
    Ein Asket und Intellektueller war Caruso nicht, sondern ein Mensch, der die Oper, das Singen, das Essen, das Trinken, die Frauen und das Leben überhaupt liebte und qualmte wie ein Schlot (er könnte mit Pavarotti, der es ja ähnlich hielt, folgenden Wiener Dialog geführt haben: Ich verstehe nicht, wos die Weiber vom Lem ham; rauchn tun´s net, saufen tun´s net und Weiber san´s sölber!). 1903 kam er nach New York, und es wurde seine Heimat. Er sang 18 Spielzeiten, der Rang liebte ihn, obwohl gerade sie später nicht mehr an Karten kamen. Er war großzügig und gab viel von seinem Reichtum ab (der durch die Heirat mit einer amerikanischen Millionärstochter noch wuchs) und sang auch an der MET für bescheidenere Gagen als im Ausland. Sein Repertoire umfasste 67 Rollen, er stand 863mal auf der Bühne der MET. Puccini selbst bewunderte ihn. Er liebte drastische Scherze mit seinen Kollegen auf der Bühne; mir hat sehr gefallen, dass er offensichtlich zwei Mal für einen Basskollegen eingesprungen ist, dem die Stimme weggeblieben war (Beppe in Pagliacci und die Arie "vecchia zimmara" in der Bohème). Dies erinnert mich an meine Schulzeit, als wir in der Theatergruppe Shakespeares Romanze "Das Wintermärchen" aufführten: vier Stunden Spielzeit, ich hatte drei Rollen und wir alle kannten den gesamten Text (!) auswendig, was sich immer dann manifestierte, wenn einer hängenblieb. Dann brüllte die ganze Truppe den Text hinein!
    Caruso hatte wohl sein Leben wie eine kostbare Zigarre oder Kerze an beiden Enden zugleich angezündet, so starb er früh 1921 mit 48. In Filmen kommt er vor: "Der große Caruso" mit Mario Lanza, "Fitzcarraldo" von Werner Herzog (obwohl Caruso in Manaus nie gesungen hat) und "Match Point" von Woody Allen.
    Die anderen beiden Tenöre folgen in Folge 8.

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    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Caruso hat Johanna Fiedler natürlich nicht gekannt, aber die Carusosche Art, zu singen und zu leben, hat sie wohl sehr gemocht. Und wer folgte? Natürlich Luciano Pavarotti. "Although there would be many office draws (Kassenfüller) after Caruso, from Leontyne Price to Franco Corelli to Joan Sutherland to Birgit Nilsson, two singers joined the MET roster (Ensemble) in 1968 who, thirty years later, would still be singing, and selling out the theater. Luciano Pavarotti and Plácido Domingo are two of the rare opera singers who have become household names". Dabei fällt nach Fiedler Pavarotti eher die Vollblutrolle zu, Domingo des überlegten Intellektuellen. Überall wo Pavarotti begann, sang er Rodolfo als Début (wobei nach Pingels Meinung die Rollendistanz ja doch erklecklich war. Aber: er ließ es vergessen!). Ursprünglich plante Pararotti wohl eine Fußballer - Karriere in Italien (was ich kaum glauben mag). Jedenfalls war er der aufgehende Stern an der MET, protegiert von Joan Sutherland. Mit der sang er 1972 La fille du régiment, "tossing off nine high Cs" in the first aria", so he "became the toast of the opera world". Eigentlich war Pavarotti zum Kandidaten mit Weltruhm gar nicht geeignet, "for he was downright fat!".
    Placido Domingo hatte einige Rollen an der New York City Opera gesungen, was für Bing nicht gerade eine Empfehlung war (wie ist das heute, ihr Wiener, mit dem Verhältnis von Volksoper zu Staatsoper?). Domingo musste jedenfalls Rudolf Bing vorsingen. Am 2.10.1968 sollte er debütieren mit Renata Tebaldi in Adriana Lecouvreur. Am 28.9. hatte er den ganzen Tag Probe für Turandot, als ihn der Befehl Bings erreichte, abends in Adriana aufzutreten, weil Corelli abgesagt hatte; vielleicht, um Domingo blass aussehen zu lassen. Domingo "was furious!" "At this time, he was overweight and had an awkward stage presence unlike the glamorous Corelli!" Dennoch sang er hervorrragend, würde dünner und immer besser.
    Eine Steigerung des leicht verschämten und verbrämten Personenkultes von Johanna Fiedler nach Pavarotti und Domingo kommt noch: James Levine, "Jimmy" also, der übrigens auch nicht der schlankeste war.

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    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • 1967 wurde an der MET eine Sensation angekündigt: der Ring unter Karajan, wobei unter "unter" auch die Regie und das Licht-Design oder besser das Dunkel - Design fiel. Zwei kommerzielle Sponsoren hatten sich zusammengetan, Texaco und Eastern Airlines (vielleicht nach dem Motto: Flugzeuge und Opern können abstürzen, Fluglinien und Opernhäuser aber nicht). Der Ring war eine Neuauflage des Salzburger Rings. "Bing underestimated the factor that he was about to enter negotiations with a master!" Bing hatte schon großen Respekt gehabt vor Monteux, Böhm, Ansermet, also auch vor Karajan. Das bezog sich vor allem auf das Casting der Sänger (für mich ist eine der Größen für die Bedeutung eines Dirigenten, ob er immer auch sehr gute Sänger hat. In der gerade in Glyndebourne laufenden Inszenierung der "Entführung" sind Belmonte und Konstanze in meinen Augen schwach besetzt. Ich frage mich immer, ob die Dirigenten oder Intendanten da keine Ohren haben).
    Die einzige unerschütterliche Vorgabe war Birgit Nilsson als Brünnhilde. Sie war bekannt für ihre direkte Art und ihren Humor.
    " A jealous Franco Corelli nipped her neck while she held a high C longer than he could. Nilsson called Bing to say she could not go on that night, because she had rabies (Tollwut). Eins hatte Bing allerdings vergessen: Nilsson konnte Karajan nicht leiden, sie nannte ihn immer auch nur "Herbie"! (Was ich nicht wusste, ist, dass Herbert von Karajan ein Künstlername ist, denn als Österreicher durfte er keinen Adelstitel führen, hieß also eigentlich Herbert Karajan, aber "Herbie" dann doch sicher nicht). Bing und Karajan mochten sich nicht; immerhin wusste der verfolgte Bing ja von Karajans Nazi-Vergangenheit. Aber so "icy" beide auch waren, Bing bewunderte Karajans als Künstler, was allerdings nicht für dessen Licht-Design galt. Als Bing den Salzburger Ring besuchte, erzählte Karajan ihm stolz, wieviele Lichtproben nötig gewesen waren. Bing: "I could have got it that dark in one!" Bei den New Yorker Proben respektierten sich beide, aber Nilsson war nicht begeistert. "She hated the darkness of Karajan´s concept, at one point appearing onstage with a coal miner´s helmet, complete with a search light".
    Trotz der "feud" zwischen Karajan und Nilsson war die Walküre ein Highlight der Saison 1967-8, worauf Bing als referee stolz war.
    1971 wurde Bing, der englischer Staatsbürger war, geadelt, 1972 endete seine Amtszeit an der MET. Eine seiner letzten großen Taten war die Entdeckung Jimmy Levines. Sein Nachfolger wurde der Schwede Göran Gentele, der einen ganz neuen, nicht so autokratischen Stil an der MET versprach. Die Leitung der MET sollte aus einer Troika bestehen, dem Intendanten (Gentele), dem musikalischen Direktor (Kubelik) und Chapin (Verwaltung). Aber Gentele verunglückte 1972 mit seiner Familie tödlich bei einem Autounfall auf Sardinien.
    1997 stirbt Rudolf Bing in Yonkers - New York. Seine Biographie ist auch auf deutsch erschienen und heißt: "5000 Abende in der Oper". Ich muss sagen, dass ich Intendanten bewundere, die so viel in die Aufführungen des eigenen Hauses gehen. Wie hat unser Lieblingsphilosoph, Addi Preißler, gesagt: "Wichtig is aufm Platz!"

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • 1943 wird James (Jimmy) Levine in Cincinnati in eine musikalische Familie geboren. Als seine Mutter gefragt wird, wie Jimmy als Kind war, sagt sie nur: "Old! He was always very old!" Die Namen Levine deuten immer auf jüdischen Ursprung, die Leviten waren die Priesterkaste des Judentums. Auch unsere Namen Kohn - Kuhn oä weisen auf das Judentum hin, sie leiten sich ab von COHEN, was im Hebräischen "Priester" bedeutet. Die Levines waren allerdings keine praktizierenden Juden. Schon früh schnappte sich Jimmy die Stricknadeln seiner Großmutter, um nach Platten zu dirigieren (das habe ich auch gemacht - allerdings nicht mit 5). Ganz früh fängt Jimmy an, Opernproduktionen zu machen mit "dollhouses". Das erinnert mich an Goethe, der als Knabe mit seinen Freunden barocke Dramen mit Puppen aufzuführen pflegte (nachzulesen im 1. Band von Wilhelm Meister). Diese Stücke dauerten bis zu fünf Stunden, bis Goethe auf die Idee kam, nur den letzten Akt aufzuführen, in dem es dann von Blut und Toten nur so wimmelte.
    Mit 10 gab Jimmy sein erstes Konzert, mit dem Cincinnati Symphony Orchestra; gespielt wurde Mendelssohns
    1. Klavierkonzert. Als Belohnung wünschte sich und bekam Jimmy eine Woche an der MET.
    Dann trat der zweite Levi in sein Leben, der Geiger Walter Levine. 1956 wurde Jimmy von Rudolf Serkin entdeckt. Er begann dann auch mit Kammermusik, um dem einseitigen Spielen am Klavier zu entgehen ("Einzelhaft am Klavier": Dr. Pingel´s musikalische Sottisen, Band 355, Seite 15). In dieser Zeit fing er an zu dirigieren; einer der Chorsänger war Van Cliburn.
    Nun kommen wir zu Levi Nr. 3, Rosina Lhevinne, die seine Klavierlehrerin wurde. In der Woche war Jimmy in Cincinnati, am Wochenende in New York, bei Rosa und in der MET, und das mit 13! Rosa war die Leiterin des Aspen Festivals, aber Jimmy wurde nicht, wie erhofft, dort zum musikalischen Chef ernannt. Er zog nach New York und kam unter die Fittiche von George Szell, sein Durchbruch als Dirigent. Er zog nach Cleveland, um zu lernen (1964 - 1970).
    Ein entscheidendes Erlebnis dieser Zeit war, dass er die Unstetigkeit der reiselustigen Stardirigenten, die um den Globus jetteten, nicht mitmachen wollte.
    1970 empfahl George Szell Jimmy nach San Francisco. Am 5.6. gab er sein Debut an der MET mit Tosca (Grace Bumbry, Franco Corelli, Peter Glossop). Der früh verstorbene Chef der MET, Göran Gentele, bot ihm den Posten des Chefdirigenten an. Jimmy und seine neue Frau, Suzanne Thomson (Oboe) zogen nach New York.

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    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

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  • Nach dem Tod von Gentele gab es einen neuen stage - director, John Dexter, der aus England stammte, aus der "Angry-Young-Men" - Periode (wie auch John Osborne). Er war aus künstlerischen wie finanziellen Gründen, darauf aus, die MET-Produktionen zu entschlacken (Fiedler erwähnt ihn nicht, aber es scheint mir das gleiche Konzept zu sein, das Wolfgang Wagner in Bayreuth hatte). "The more sparse the production, the more creativity was called upon". Der 2. im Bunde war Jimmy, nämlich James Levine, der musikalischer Direktor wurde und sich verpflichtete, 7 Monate im Jahr in New York anwesend zu sein. In der Folgezeit arbeitete er akribisch daran, die Qualität des Orchesters zu verbessern. Jetzt tritt Joe auf den Plan, nämlich Joseph Volpe; er stammte aus Brooklyn und war ein Arbeitersohn (sein Cousin, John Volpe, war immerhin mal Gouverneur von Massachussetts gewesen). Er war ein großer Handwerker und Elektriker und in der Met stagehand, also unverzichtbar. Eines Tages traf er mit Zeffirelli auf der Bühne zusammen, beide kannten sich nicht. Volpe reparierte etwas, was, wie er sich ausdrückte, irgendein "wacko" verbrochen hatte. Dieser wacko stand ihm gegenüber, und dem gefiel auch die offene Sprache Volpes. Volpe wurde dann technischer Direktor.
    Die Zusammenarbeit zwischen Dexter und Levine funktionierte gut, sodass auch ambitionierte und selten aufgeführte Opern ihren Platz in der MET bekamen, zum Beispiel Poulencs "Carmelites", die eine schlechte Vorpresse hatte, aber in der Sendung "at the end of the opera, as the last nun strode to the guillotine, most of the audience was in tears."
    1979 begann der Abstieg Dexters. Der erste Zusammenstoß kam bei Don Carlos. Dexter "had planned originally to have the soprano Heroine, Elisabetta, make her entrance on a white stallion (Hengst), accompanied by four enormous Irish wolfhounds." Ich habe einmal in Münster in einer Prokoffieff-Oper drei adlige Windhunde auf der Bühne erlebt; bei der nächsten Vorstellung war nur noch einer davon übriggeblieben. Man warf Dexter vor, dass er das normale Standardrepertoire nicht beherrsche und vermeide. Vor allem Levine wollte seinen Mozart haben. "These are some of the greatest masterpieces, and it is baloney, that the house is too big for them. People will say 'Oh, but you can´t see all the details in a Mozart piece from up there.' You can´t see all the details in anything from up there."
    Dexters beste Tat war die Einstellung von Gil Wechsler, der den MET-Produktionen ein kreatives Lichtdesign verpasste.
    1981 eskalierte der Streit, weil Dexter nicht gefragt wurde, ob er eine Bohème - Produktion machen wollte und diese Oper gleich Zeffirelli angeboten wurde (es scheint jene legendäre Zeffirelli - Produktion zu sein, die um die ganze Welt ging und die ich wohl 1965 in Wien gesehen habe. Bei jedem Öffnen des Vorhangs ging ein rauschendes Ahhh durch die Zuschauerreihen ob der Pracht des Bühnenbilds). Dexter sagte, dass er Bohème liebe, weil sie "really keeps you warm in cold times." Diese Zeiten brachen jetzt für ihn an. "Dexter was beginning to feel very cold at the MET."

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    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Anthony Bliss, der Intendant, arbeitete sehr zurückgezogen, aber er bemerkte auch "the widening gulf between income and expenses." Er liebte es "to spend money to make money!" Ein Weg dazu war das Fernsehen. Eine einzige Sendung der Bohème mit Renata Scotto, Luciano Pavarotti und James Levine wurde von mehr Zuschauern gesehen, als diese Oper Besucher hatte, seit sie geschrieben wurde.
    Am 3.1. 1977 gab es ein Drama um Il Trovatore, da Martina Arroyo krank wurde und außer der nicht geschätzten Elinor Ross kein Sopran zur Verfügung stand. Giuseppe Patané, der dirigieren sollte, verließ das Haus, kurz bevor der Vorhang aufgehen sollte, als er erfuhr, wer die Leonora singen sollte. James Levine war da, aber erklärte sich unfähig, die Vorstellung zu dirigieren.
    Der Chordirigent, David Stivender, übernahm. Es wurde "the worst Trovatore ever" an der MET. Aus diesem Desaster erwuchs die Lösung einer casting Direktorin, Joan Ingpen, die dergleichen ab sofort verhinderte. Die Finanzen erholten sich; 1977 gab es einen erfolgreichen Tannhäuser unter Levine in einer Inszenierung von Otto Schenk, der getreu den Wagnerschen Regieanweisungen gefolgt war! Es war der Anfang vom Ende von John Dexters Regiekarriere.
    1980 stand der Maskenball auf dem Programm unter der Leitung von Patané, was an der MET damals höchste Gefahr bedeutete, nicht zuletzt, weil Patanés Ehe wegen seiner Seitensprünge (natürlich ein junger Sopran, wie sich das an der Oper gehört) in die Brüche ging. Die Oper war wohl sehr modern inszeniert durch den jungen Elija Moshinsky von Covent Garden, "a style that had horrified MET audiences." Das Bühnenbild allerdings war z.T steil und slippery, sodass nicht nur Luciano Pavarotti, sondern auch Patané irgendwo ausrutschten, aber beide die Vorstellung zu Ende brachten.
    Der Hausarzt versorgte zuerst Pavarotti, der wirklich verletzt war, woraufhin Patané sich auf den Doktor stürzte und den Vorrang reklamierte wegen eines Herzinfarktes. Daraufhin gab es einen regelrechten Ringkampf um die Gunst des Doktors.
    "Reassured that he was not dying, Patané poured his story to Ingpen." Er war nicht ausgerutscht, sondern hatte seine Blessuren im Kampf mit seiner Ehefrau davongetragen. "Joan Ingpen decided that Patané´s brilliance as a musician could no longer compensate for his unreliability and volatility." Die Saison 82/3 war seine letzte an der MET.

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    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • 23.7.1980. An der MET gibt eine Balletttruppe mit Rudolf Nurejew ein Gastspiel. Nach der Pause kehrt eine Free-Lance-Geigerin namens Helen Hagnes nicht an ihren Sitz zurück; ihre Geige liegt noch da. Man ahnt Schlimmes, da eine Geige für einen Geiger wie ein Baby ist, das man nicht verlässt. Nach der Vorstellung kommt ihr Ehemann, ein Bildhauer, um sie abzuholen. Man sucht sie, aber backstage ist die MET ein Labyrinth. Die Polizei kommt und sucht das ganze Haus ab. Schließlich finden sie sie, in einem Schacht, "gagged, naked and raped." Außerdem war sie gefesselt, mit einem Knoten, der von den stagehands der MET verwendet wurde. Schon lange schwelte ein Konflikt zwischen den Musikern und den Bühnenarbeitern der MET. Diese wurden besser bezahlt, mussten aber auch mehr arbeiten.
    Mit dem Mord kam heraus, dass die MET backstage dazu benutzt wurde, um Drogen zu nehmen und sexuelle Kontakte zu pflegen. Bei der Beerdigung "the church was crammed with members of New York´s classical Musical community, many of the musicians carrying their instruments."
    Unter den Verhören brach der Codex des Schweigens unter den stagehands zusammen, verhaftet wurde ein 21-jähriger namens Craig Crimmins, dessen Vater und Stiefvater ebenfalls Bühnenarbeiter der MET waren.
    Der Täter wurde ein Jahr später zu einer Freiheitsstrafe von 20 Jahren bis lebenslänglich verurteilt. Es war kein Mord (second degree), weil wegen der Vergewaltigung der Vorsatz fehlte, so entschied das Gericht.
    Es war der Moment des Joseph Volpe, der jetzt mit eiserner Hand die Disziplin durchsetzte, besonders, was Drogen und Alkohol betraf. Sehr aufschlussreich dieser Satz von Johanna Fiedler: "Most of the stagehands were dignified and decent men, with manners far more polished than many of the singers."

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    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Brouhaha ist ein englisches Lehnwort aus dem Französischen und bedeutet "Tumult". Und den gab es an der MET reichlich, weil sich natürlich dort die großen Akteure mit ihren Launen trafen und zu deren Tugenden Kompromissbereitschaft nicht eben gehörte. Also lassen wir hier Sänger, Dirigenten, Regisseure und Bühnenbildner an uns vorüberziehen.
    1983 gibt es Arabella unter Erich Leinsdorf, mit der verträglichen Dame Kiri te Kanawa (Arabella) und der unverträglichen Kathleen Battle (Zdenka). Leinsdorf wollte unbedingt eine Fernsehaufnahme dieser Oper, der Verwaltung war sie zu teuer. Nie wieder dirigierte Leinsdorf an der MET.
    Joan Sutherland war ein Kassenfüller; sie sang nur, wenn Richard Bonynge, ihr Mann, dirigierte. Man zerstritt sich darüber, dass die beiden unbedingt die Lustige Witwe machen wollten, die MET aber keine Operetten spielen wollte. Nach einer langen Pause sang sie dann doch einen bejubelten Abschied; sie war 61, und wollte rechtzeitig abtreten. Ihre letzte Rolle war Lucia di Lammermoor (wie bekannt, Dr. Pingel´s Lieblingsoper).
    Inzwischen war der Kampf der Regisseure ausgebrochen. John Dexters Kargheit gegen die Üppigkeit Zeffirellis, wobei die Kritiker eher auf Seiten Dexters, das Publikum auf Seiten Zeffirellis standen. Zeffirellis opulenter Stil "dwarfed the singers". "The sets were enormous and the number of people onstage often numbered in the hundreds." Bei einer Probe rannte Zeffirelli durch den Gang und schrie: "Halt, halt, das ist alles falsch!" Darauf meinte einer der Verwaltungsleute, die zusahen: "How can he tell?"
    (Ich habe Zeffirellis berühmte Bohème selber in Wien gesehen; man war im zweiten Akt wirklich erschlagen von den Massen auf der Bühne. Aber ein großartiges Spektakel war es trotzdem).
    Otto Schenck, mit Schneider-Siemssen als Bühnenbildner, war als Regisseur des Ringes tätig. Beide entwickelten einen Ring, dessen Regie und Bühne von Wagner selbst hätten sein können: "a fairy tale from the Bavarian Woods, with monsters, dragons, giants, disappearing and appearing sets, stage elevators ascending an descending, and an apocalyptic final scene of carnage (Gemetzel)". James Levine gefiel das; dafür wurde er kritisiert: "Jimmy´s musical taste was formed by Callas and Toscanini, but his visual taste is straight from the Cincinnati Zoo Opera."
    John Dexter, der Chefregisseur, merkte sehr schnell, dass sein Stil out war und er ausgebootet werden sollte. Er hatte Recht damit und begann, hässliche Dinge über seine anderen Direktoren zu sagen (James Levine sei "a chubby -pummelig-Maestro").
    1984 gab er auf, ging nach England zurück und starb mit 64 während einer Operation.

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    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Ja, klar, Freunde von mir schreiben sich mit ck, daher die Verwechslung!

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  • 1980 begann die große Zeit der Renata Scotto, wieder eine tolle Sängerin, eine launische Diva und "downright fat". Bei ihrer ersten Sizilianischen Vesper saß die Callas im Zuschauerraum, und das Publikum jubelte ihr zu statt der Scotto. Scotto höhnte: dann soll sie das doch jetzt singen, sehen wir, wer die bessere ist. Also "sing, if you can! Callas was, she is past. Now you have to go with me!" Damit verwandelte sie Callas-Verehrer in Scotto-Hasser. Aber im Laufe der Zeit wurde Scotto der Megastar der MET. Konkurrenz hatte sie wenig, die Freni kam selten wegen Problemen mit der Steuer, Caballé ärgerte James Levine, weil sie oft schlecht vorbereitet war. Dann trat das Problem wie so oft mit diets auf. "Until she saw herself on television, she had no idea how fat she had become." Ein grundsätzliches Problem für viele Sänger, das andere ähnlich geformte Sänger so erklären: "You are larger than life, not the girl next door! And it is such a lonely profession. Eating is company!" Scotto machte eine radikale Diät, sie wurde schlank, lief aber jetzt durch die Gänge der MET like a tigress, die sogar für eine Pelzfirma Werbung machen konnte. Man verglich sie mit der Callas, von der ja auch behauptet worden war, dass sie ihre Stimme mit den Pfunden verloren hatte. Zum Eklat kam es in San Francisco bei La Gioconda, die auch im TV übertragen wurde. Sie hatte verlangt, genau so viele Sekunden im Bild zu erscheinen wie Pavarotti.
    Bei einem Solo - Curtain - Call von Pavarotti fühlte sie sich benachteiligt, stürmte von der Bühne und beschimpfte Pavarotti und den Intendanten. Was sie vergessen hatte: auch backstage waren die Kameras an, und alles war für diese ein gefundenes Fressen. "Her unpopularity exploded!" Dazu kam, dass ihre Stimme deutlich nachließ. Bei der Norma kam es zum Eklat, als die Leute "Brava, Callas" riefen, ständig buhten oder lachten. Scotto hielt durch, aber die Kritiken waren verheerend. Aber sie biss sich durch und feierte wieder Erfolge, weil Levine an ihr festhielt. Was ihre Karriere beendete, war das Nachlassen ihrer Stimme - und das Aufkommen neuer hochbegabter Soprane wie Vaness, Milo, Fleming. Ihre letzte Rolle an der Met war die Butterfly.

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    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Ich bin kaum in der Lage, Stimmen richtig zu beurteilen - im Gegensatz zu Stimmenliebhaber, dessen Affinität zu Stimmen und ihrer Beurteilung sich ja schon aus seinem Nicknamen ergibt. Ich kann auch nicht mit Bestimmtheit sagen, ob sich in meiner bescheidenen CD-Sammlung überhaupt eine Platte mit Renata Scotto befindet. Wenn aber der Name Scotto fällt, geht sofort bei mir ein Kästchen oder auch eine Schublade im Gehirnskasten auf - und da liegt ein Zettel mit Großdruck drin; auf dem steht "Sie schreit! O Gott, wie sie schreit!"
    Ich kriege das Zitat einfach nicht heraus :no:

    .


    MUSIKWANDERER

  • Warum begann die große Zeit der Scotto ausgerechnet 1980? Sie sang von 1965 bis 1987 an der MET.


    Du hast Recht; ich habe mich da vertan. Danke für die Korrektur. Die Sache mit "Sie schreit" fehlt in dem Buch, aber ist natürlich sehr erhellend.

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    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

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